Goldfischleins Roman, oder: Die Zeit der wilden Rosen
[1]
Goldfischleins Roman,
oder:
Die Zeit der wilden Rosen.
Ein Märchen.
[2]
[3] Es steht die Nacht hindurch der Baum,
Befangen in dem wachen Traum
Von Wolken, Nebeln und Gewittern;
Er murmelt wie im Schlafe fast
Und alle seine Blätter zittern.
Es hat der Baum die lange Nacht
Voll Finsterniß und Sturm durchwacht,
Voll Angst, voll Schauern und voll Bangen;
Da tobt der Sturmwind schmerzlich wild,
Und Tropfen an den Blättern hangen.
Doch unten hin, am Stammes Rand,
In Schlummers Haft die Rose stand,
Es hält den Regen von ihr ab,
Es läßt den Blitzstrahl nicht herab,
Auf daß die Holde nicht erwache.
Wenn Sturm und Nacht ist all’ zu End’,
Vom Schlaf erwachen alle Rosen;
Wenn aus des Aethers klarem Blau
Herniederfließt der Silberthau,
Der Blumen himmlisches Almosen,
Weil er erwacht die Rose glaubt,
Und eilt sie freundlich zu begrüßen;
Und alle Tropfen, die am Blatt
Die Sturmesnacht geschenkt ihm hat,
Der Regen, der den Baum zerwühlt,
Als Perlenthau die Rose kühlt,
Er funkelt hell in ihrem Kleide,
Der Tropfen, den der Schmerz gemischt,
Und wird ihr herzlichstes Geschmeide.
Der Baum bin ich, und mein Geschick die Nacht,
Gewölk ringsum, kein einzig Sternlein lacht;
Die Ros’ bist du, es strömen meine Lieder
Der Schmerz hat sie gemischt, erpreßt hat sie das Leid,
Doch sie verklären dich, d’rum sind sie meine Freud’!
1. Goldfischleins Still-Leben.
[5] Wie kühl ist das Wasser, wie sonnig der Grund,
Wie schwimmt sich’s durch Fluthen, so frisch und gesund.
Wie wohnt sich’s so hell im krystallenen Haus,
Wie schaut man vergnüglich durch Wogen hinaus.
Ich brauch’ nur zu athmen, so hab’ ich genug.
Ich schiffe voll Lust auf der silbernen Bahn,
Bin selber der Schiffer, bin selber der Kahn;
Bin selber das Ruder, bin selber Pilot,
Doch ruht auf den Fluthen die Sonne zumal,
So sonn’ ich mich fröhlich im güldenen Strahl.
So leb’ ich, so web’ ich am Tage gesund,
Und schlafe am Abend im wohligen Grund.
2. Zeisigs Liebeswort.
[6] Die Weide steht am Teich,
In ihrem Zweigenreich
Ein Zeisig wohnt im Dunkeln;
Er schaut in Liebesgluth,
Goldfischlein lieblich funkeln.
Der Zeisig sang und rief:
„Goldfischlein unten tief,
Tief unten in den Wogen,
Ich fühl’ mich mit Gewalt
Zu dir hinab gezogen.
„O komm’ an’s Land heraus,
Verlaß dein feuchtes Haus;
Wie warm ist hier die Luft,
Wie würzig ist der Duft,
Wie traulich ist’s im Baume.
[7] „Hier ist Gesang und Schall,
Und Blätternest für Zweie,
Am Tage Sonnenblick,
Und Abends Liebesglück,
Daß sich das Herz erfreue!“
3. Goldfischleins Gegenrede.
[8] Du Buhle in Lüften, hör’ auf, o hör’ auf,
Ich komm’ ja doch nimmer zu dir dort hinauf!
Dein Sang, er beschleichet so süß mir das Ohr,
wie nie ein Geflister vom Schilfe zuvor.
Ich hab’ ja nicht Stimme zu Rede und Wort.
Und sängst du voll Sehnsucht auch bis an dein End’,
So trennt uns doch grausam das fremd’ Element.
4. Zeisigs Duplik.
[9] Laß fremd auch Elemente sein,
Der Himmel schließt sie alle ein;
Die Lieb’ wird unser Himmel sein.
Was braucht die Liebe Red’ und Wort?
Ein stummer Blick ist mehr als Wort!
So hör’ doch, was die Welle spricht,
Wenn murmelnd sie am Strand sich bricht,
„Ich möcht’ ans’s Land“ die Welle spricht!
Denn hier ist Licht und hier ist Gluth,
Und hoher Liebe Widerfluth.
5. Schlängleins Intrigue.
[10] Baut Liebe sich ein Paradies,
Stellt sich auch gleich die Schlange ein;
Beim ersten Paare soll schon dies
Der schlimme Fall gewesen sein.
Ein Schlängelchen das Liebespaar,
Voll Gift es gleich zum Teiche lief,
Zischt in die Fluth hinab so klar:
„Goldfischlein, was der Zeisig spricht,
Denn ganz allein liebt er dich nicht,
Er flattert liebelnd überall.
Weißt du, warum er um dich frei’t?
Warum er wirbt um deine Hand?
Dein gülden strahlendes Gewand!
Hat er einmal mit seinem Sang,
Goldfischlein, schmeichelnd dich bestrickt,
So wird sogleich derselbe Klang
[11] Der Zeisig ist ein loser Wicht,
Den Flügel fesselt ihm kein Band;
Goldfischlein, trau’ dem Zeisig nicht,
Goldfischlein, schwimme nicht zum Strand!“
6. Zeisigs Ehrenrettung.
[12] Der Zeisig spricht vom Baume herab:
„Goldfischlein, leg’ den Reichthum nur ab;
Das Kleid leg’ ab, mit Flitter gestickt,
Denn Gold und Glanz die Liebe erstickt.
Laß in der Fluth den nichtigen Tand.
Dein Herzchen bring’ zum Brautschatz mir nur,
Denn g’nügsam ist der Liebe Natur.
Ich will dir schaffen selbst schon ein Kleid,
Ich will dich hüllen, reichlich geschmückt,
In güldene Stern’, vom Himmel gepflückt.
Dann will ich bleiben ewig bei dir,
In grünen Palast, im Blätter-Revier.
Das Flattern lass’ auf ewig ich sein.
[13] Hab’ ich gesungen bis jetzt gar viel,
War’s, weil mein Singen hatte kein Ziel.
Jetzt aber weiß es fröhlich mein Lied,
7. Die Rosen-Post.
[14] Am Ufer steht ein Rosenstrauch,
Auf dem schon manche Ros’ verglühte,
Nur eine Knospe in dem Hauch
Des Frühroths eben erst erblühte.
Und wiegt den Stengel hin und wieder,
Daß sie das Haupt hoch sehen läßt,
Und bald zum Wasser senket nieder.
So zwischen Baum und Teichesfluth
Denn Rosen sind der Liebe Gluth,
Weil Liebe Rosen hält in Ehren.
Die Knospe fühlet sich gerührt,
Sie dient dem Leidenspaare gerne,
Für Lieb’ so nah sich und so ferne.
Ein Blatt nimmt sie aus eig’ner Brust,
Das Liebste soll ein Wort d’rauf schreiben,
Das wirft sie in die Fluth mit Lust,
[15] Umsonst der West gebeten hat,
Sie mög’ die Brust sich nicht zerreißen;
„Gäb’ ich der Liebe nicht mein Blatt,
Verdient’ ich Rose dann zu heißen?“
„Willst du denn Liebe dir versagen?
Die Blumen schau’, die Sterne an,
Und was von Liebesglück sie sagen:
„Dem Herzen nicht, das glatt und heil
Wird oben in dem Lichtestheil
Des Lohnes weichster Platz gebettet.
„Der Himmel liebt ein wundes Herz,
Das viel geblutet und gelitten,
Beglückt, geliebet und gelitten.“
8. Goldfischleins Schattenglück.
[16] Goldfischlein spricht: „Mir ist beschieden
Ein kaltes Reich, ein kaltes Blut,
Nicht jedes Liebesglück hienieden
Wird nur geweiht in heißer Gluth.
Wohnt Liebe ruhig in der Brust mir immer.
Nicht mein kann der Geliebte werden,
Nur desto reiner lieb’ ich ihn,
Es zieht ihn ewig nur zur Erden,
In ird’ scher Gluth wird er mich stets begehren,
Aus laut’ rer Brust werd’ ich ihn stets verehren!
Mir g’nügt’s, wenn spät im Abendscheine
Die Sonne, die schon abwärts strahlt,
Den Schatten des Geliebten malt;
Wenn wesenlos sein Bild, das ideale,
An meine Brust sich wirft im Geisterstrahle.“
9. Zeisigs Liebestod.
[17] Der Winter kam in seinem Grolle,
In Nebel wie in weicher Wolle
Hüllt er den Teich wie Demant ein;
Es lichtet sich im kahlen Baume,
Weilt nur der Zeisig noch allein.
Wie Kälte ihn auch mag erfassen,
Er kann nicht von dem Baume lassen,
Der an dem Haus der Liebsten steht;
Die seiner wunden Brust entblühen,
Zum Fischlein tief er niederfleht.
„O laß uns ziehen, ohn’ Ermüden,
O laß uns ziehen nach dem Süden,
Wo Bäume steh’n mit ew’gen Locken,
Wo Fluthen nicht zu Eis gestocken,
Wo ewig jung das Leben quillt.
„Ich nehm’ dich mit auf meinen Flügeln,
Wo nie ein Winter uns bedroht;
O komm’, bevor des Winters Schrecken
Mit hellen Quadern dich bedecken,
Dein Leben weih’n dem kalten Tod!“
Die Lüfte immer kälter wehen,
Den Zeisig friert’s im nackten Baum;
Doch wie auch Schauer ihn erstarren,
Bei der Geliebten will er harren
Da setzt das Eis sich fest am Strande,
Zieht seine starren Riegelbande
Bis tief hinein in Teich und Fluth;
Und als Gestöber d’rein noch schauert,
Erblaßt es auf dem Grunde ruht.
Der Zeisig fliegt vom Baum hernieder,
Von Eis erstarrt ist sein Gefieder,
Er schleppt sich auf das kalte Grab:
Auf deinem Grabe still zu beten,
Zu flehen: „Nimm mich mit hinab!“ –
Und fromm singt er die letzte Weise,
Und bleibt gebannt auf diesem Eise,
Und wie zu einem Sterbekleide
Fällt Schnee hernieder auf sie beide,
Und hüllt die treuen Leichen ein.
10. Dichters Grabrede.
[19] Eine Lust ist nicht beglückter Lieb’ nur eigen,
Reich an Treue, selbst verstoßen, sich zu zeigen,
Nie zu einer Andern freundlich sich zu neigen,
Ewig an ihr hängen, selbst an Todes Schranken,
Treu ihr sein, wie Herz dem eigenen Gedanken,
Jenseits noch ihr Angedenken fromm zu segnen,
Noch am Todesthor, dem grauenvoll entleg’nen,
Einsam betend ihrem Bilde nur begegnen.