Textdaten
Autor: Justinus Kerner
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Titel: Goldener
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aus: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern.
S. 227–233
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Erscheinungsdatum: 1813
Verlag: J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[227] Goldener.

Ein Kindermährchen.

Es sind wohl zweitausend Jahre, oder noch länger, da hat in einem dichten Wald ein armer Hirte gelebt, der hatte sich ein bretternes Haus mitten im Walde erbaut, darin wohnte er mit seinem Weib und seinen sechs Kindern; die waren alle Knaben. An dem Hause war ein Ziehbrunnen und ein Gärtlein, und wann der Vater das Vieh hütete, so giengen die Kinder hinaus und brachten ihm zu Mittag oder zu Abend einen kühlen Trunk aus dem Bronnen oder ein Gericht aus dem Gärtlein.

Dem jüngsten der Knaben riefen die Eltern nur: Goldener; denn seine Haare waren wie Gold, und ob gleich der jüngste, so war er doch der stärkste von allen und der größte.

So oft die Kinder hinausgiengen, so gieng Goldener mit einem Baumzweige voran, anders wollte keines gehen, denn jedes fürchtete sich, zuerst auf ein Abenteuer zu stoßen, gieng aber Goldener voran, so folgten sie freudig eins hinter dem andern nach, durch das dunkelste Dickicht, und wenn auch schon der Mond über dem Gebirge stand.

[228] Eines Abend ergötzten sich die Knaben auf dem Rückweg vom Vater mit Spielen im Walde, und hatte sich Goldener vor allen so sehr im Spiele ereifert, daß er so hell aussah, wie das Abendroth. „Laßt uns zurückgehen! – sprach der Aelteste, es scheint dunkel zu werden.“ – „Seht da, der Mond!“ sprach der Zweite. Da kam es licht zwischen den dunkeln Tannen hervor, und eine Frauengestalt wie der Mond setzte sich auf einen der moosigen Steine, spann mit einer krystallenen Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldener und sang:

„Der weisse Fink’, die goldene Ros’,
Die Königskron’ im Meeresschooß.“

Sie hätte wohl noch weiter gesungen, da brach ihr der Faden, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht, die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei, das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eines das andere.

Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldener in dem dicken Wald umher, fand auch weder einen seiner Brüder noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen: denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt und eine Kluft unter die andere.

Die Braunbeeren, welche überall herumrankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen Durst, sonst [229] wär’ er gar jämmerlich gestorben. Endlich am dritten Tage, Andere sagen gar erst am sechsten, wurde der Wald hell und immer heller, und da kam er zuletzt hinaus auf eine schöne grüne Wiese.

Da war es ihm so leicht um das Herz, und er athmete mit vollen Zügen die freie Luft ein.

Auf derselben Wiese waren Garne ausgelegt, denn da wohnte ein Vogelsteller, der fieng die Vögel, die aus dem Walde flogen, und trug sie in die Stadt zu Kaufe.

„Solch ein Bursche ist mir gerade von nöthen,“ dachte der Vogelsteller, als er Goldenern erblickte, der auf der grünen Wiese nah an den Garnen stand und in den weiten blauen Himmel hineinsah, und sich nicht satt sehen konnte.

Der Vogelsteller wollte sich einen Spaß machen, er zog seine Garne, und husch! war Goldener gefangen und lag unter dem Garne gar erstaunt, denn er wußte nicht, wie das geschehen war. „So fängt man die Vögel, die aus dem Walde kommen, – sprach der Vogelsteller laut lachend, – deine rothen Federn sind mir eben recht. Du bist wohl ein verschlagener Fuchs, bleibe bei mir, ich lehre dich auch die Vögel fangen!“

Goldener war gleich dabei, ihm däuchte unter den Vögeln ein gar lustig Leben, zumal er ganz die Hoffnung [230] aufgegeben hatte, die Hütte seines Vaters wiederzufinden.

„Laß erproben, was du gelernt hast,“ sprach der Vogelsteller nach einigen Tagen zu ihm. Goldener zog die Garne und bei dem ersten Zuge fieng er einen schneeweißen Finken.

„Packe dich mit diesem weißen Finken! schrie der Vogelsteller, – du hast es mit dem Bösen zu thun!“ und so stieß er ihn gar unsanft von der Wiese, indem er den weißen Finken, den ihm Goldener gereicht hatte, unter vielen Verwünschungen mit den Füßen zertrat.

Goldener konnte die Worte des Vogelstellers nicht begreifen; er gieng getrost wieder in den Wald zurück und nahm sich noch einmal vor, die Hütte seines Vaters zu suchen.

Er lief Tag und Nacht über Felsensteine und alte, gefallene Baumstämme, fiel auch gar oft über die schwarzen Wurzeln, die aus dem Boden überall hervorragten.

Am dritten Tag aber wurde der Wald immer heller und heller, und da kam er endlich hinaus und in einen schönen, lichten Garten, der war voll der lieblichsten Blumen, und weil Goldener so was noch nie gesehen, blieb er voll Verwunderung stehen. Der Gärtner im [231] Garten bemerkte ihn nicht so bald, denn Goldener stund unter den Sonnenblumen, und seine Haare glänzten im Sonnenschein nicht anders als so eine Blume.

„Ha! – sprach der Gärtner, – solch einen Burschen hab’ ich gerade von nöthen!“ und schloß das Thor des Gartens. Goldener ließ es sich gefallen, denn ihm däuchte unter den Blumen ein gar buntes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte seines Vaters wiederzufinden.

„Fort in den Wald! – sprach der Gärtner eines Morgens zu Goldener, – hol’ mir einen wilden Rosenstock, damit ich zahme Rosen darauf pflanze!“ Goldener gieng und kam mit einem Stock der schönsten, goldfarben Rosen zurück, die waren auch nicht anders, als hätte sie der geschickteste Goldschmied für die Tafel eines Königes geschmiedet.

„Packe dich mit diesen goldenen Rosen! – schrie der Gärtner – du hast es mit dem Bösen zu thun!“ und so stieß er ihn gar unsanft aus dem Garten, indem er die goldenen Rosen unter vielen Verwünschungen in die Erde trat.

Goldener konnte die Worte des Gärtners nicht begreifen; er gieng getrost wieder in den Wald zurück und nahm sich nochmals vor, die Hütte seines Vaters zu suchen.

Er lief Tag und Nacht von Baum zu Baum, von Fels zu Fels. Am dritten Tag endlich wurde der Wald [232] hell und immer heller, und da kam Goldener hinaus und an das blaue Meer, das lag in einer unermeßlichen Weite vor ihm. Die Sonne spiegelte sich eben in der krystallhellen Fläche, da war es wie fließendes Gold, darauf schwammen schöngeschmückte Schiffe mit langen fliegenden Wimpeln.

Eine zierliche Fischerbarke stund am Ufer, in die trat Goldener und sah mit Erstaunen in die Helle hinaus.

„Ein solcher Bursch’ ist uns gerade von nöthen,“ sprachen die Fischer, und husch! stießen sie vom Lande. Goldener ließ es sich gefallen, denn ihm däuchte bei den Wellen ein goldenes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, seines Vaters Hütte wiederzufinden.

Die Fischer warfen ihre Netze aus und fiengen nichts. „Laß sehen, ob du glücklicher bist!“ sprach ein alter Fischer mit silbernen Haaren zu Goldener. Mit ungeschickten Händen senkte Goldener das Netz in die Tiefe, zog und fischte eine Krone von hellem Golde.

„Triumph! – rief der alte Fischer, und fiel Goldenern zu Füßen, – ich begrüße dich als unsern König! Vor hundert Jahren versenkte der alte König, welcher keinen Erben hatte, sterbend seine Krone im Meer, und so lange, bis irgend einen Glücklichen das Schicksal bestimmt hätte, die Krone wieder aus der Tiefe zu ziehen, sollte der Thron ohne Nachfolger in Trauer gehüllt bleiben.“

[233] „Heil unserem König!“ riefen die Schiffer und setzten Goldenern die Krone auf. Die Kunde von Goldener und der wiedergefundenen Königskrone erscholl bald von Schiff zu Schiff, und über das Meer weit in das Land hinein. Da war die goldene Fläche bald mit bunten Nachen bedeckt und mit Schiffen, die mit Blumen und Laubwerk geziert waren; diese begrüßten alle mit lautem Jubel das Schiff, auf welchem König Goldener stund. Er stund, die helle Krone auf dem Haupte, am Vordertheile des Schiffes und sah ruhig der Sonne zu, wie sie im Meere erlosch.

Kerner.