Textdaten
Autor: Paul Erhard
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Titel: Gmünder Filigran
Untertitel:
aus: Kunstgewerbeblatt. Neue Folge. Sechster Jahrgang, 1895. S. 133–136
Herausgeber: Karl Hoffacker
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: E. A. Seemann
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA* und Commons. Auch UB Heidelberg
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Schwäbisch Gmünd
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GMÜNDER FILIGRAN.

WER hätte nicht schon mit Spott und mit mitleidigem Rümpfen der Nase vom Gmünder Gold als minderwertiger Ware sprechen hören oder selbst davon geredet?

Ist der Ausdruck „Gmünder Gold“ doch zum Sprichwort geworden, um einen Gegenstand von recht geringer Qualität zu kennzeichnen. Ob diese Brandmarkung gerecht war, möchte ich der Beurteilung des freundlichen Lesers überlassen.

Von der Kunst der Gmünder Goldschmiede im 16. und 17. Jahrhundert geben uns mehrere Stücke des reichen Kirchenschatzes der hl. Kreuzkirche in Gmünd, ein Innungsbecher der Küferzunft in Stuttgart, verschiedene Kirchenkelche aus Nachbarorten Gmünds und ein Zunftbecher der Weber von Lorch in der J. Erhard’schen Gmünder Altertums-Sammlung ein beredtes Zeugnis.

Außerdem berichtet Dr. M. Rosenberg in seinem Werke über „Beschauzeichen, Meisterzeichen, Feingehaltszeichen“, dass er das Beschauzeichen der Gmünder Goldschmiede, das aufrechtstehende Einhorn, das Stadtwappen Gmünds, an wertvollen goldenen und silbernen Arbeiten in Wien, Petersburg, Amsterdam und anderen Orten, [134] teils in Museen, teils im Privatbesitz gefunden habe. Diese Kunstwerke sind alle hoch geschätzt und wurden ihres Gehaltes wegen nie bemängelt noch beanstandet.

Es muss nun aber doch eine kleine Ursache zu diesem schlechten Leumundszeugnisse des „Gmünder Goldes“ vorhanden gewesen sein. Ich glaube, dass der schlechte Leumund nicht dem geringen Gehalte des Goldes, sondern dem des Silbers zuzuschreiben ist.

In früheren Zeiten verstand man unter Goldschmied nicht nur einen Goldarbeiter im Sinne der Neuzeit, welcher Arbeiten nur aus diesem Edelmetalle hervorbrachte, sondern der Goldschmied war auch Silberschmied, Emaille-Künstler, Stempelschneider, Kunstgießer, Edelsteinschneider, Kupferstecher und Holzschneider, ja häufig auch Kunstmaler. In Adam Schinleber’s Gmünder Chronik aus dem Jahre 1595 lesen wir:

„Ermahnung, da so viele wohlhabende Geschlechter weggezogen und ausgestorben seyen, nunmehr die Gewerbe zu pflegen, z. B. die Segessenschmiederei (Sensen), die besonders nach Frankreich viel verkauft werden, dann die Paternoster-Macherei aus Augstein, Krystall, von Beinwerk, auch Holzwerk, Alabaster und sonstigem geschmälztem Stoff (Emaille), welche Ware nach Lissabon, Venedig, Mailand, Paris, Lyon und von dort weiter in die Türkei versenden, dagegen von dorten andere Waren, als Seidenzeug, Gewürze, Edelsteine, wälsche Weine und anderes erhalten, besonders auch Baumwolle, wodurch viele Weibsbilder der Stadt Gmünd durch Spinnen und Wirken der baumwollenen Schleier sich ernähren können.“

Leicht erklärlich finden wir es, dass die Goldschmiede sich bei der Paternoster-Macherei gern der Augsteine, Krystalle, Alabaster und sonstigen geschmälzten Stoffe annahmen und sie schön gefasst in den Handel brachten. Da das Material der zu fassenden Stücke nicht sehr wertvoll war, konnte auch nicht das wertvollste Metall zur Fassung genommen werden. Das gab die Veranlassung zur Silberfassung. Venetianische Muster zeigten wohl den Weg zur Filigran-Arbeit. Mit kaufmännischem Sinne trugen die Gmünder Handelsherren die Filigran-Arbeit auf allgemeine Gebrauchsgegenstände über, wie Hemdknöpfe, Schuhschnallen, Halsbandschlösser und Kleiderknöpfe, und verkauften sie nicht nur an Fürsten und Patrizier, sondern auch dem Bürger und Bauersmann. Die silbernen Miederbehänge der Volkstrachten Bayerns und der Schweiz sind ausschließlich Gmünder Fabrikat und werden heute noch gefertigt. Aus der Hausarbeit entstand eine beachtenswerte Filigranindustrie, die Zahl der Filigranarbeiter vermehrte sich von Jahr zu Jahr. Bei den schweren Kriegsjahren des 17. Jahrhunderts waren wohl die Gmünder Filigranarbeiter gezwungen, durch billige Preise sich einigermaßen Absatz zu verschaffen, und dies war nur möglich durch Verminderung des Silbergehalts. In den süddeutschen Städten Mainz, Nürnberg, Augsburg, München, wo die Goldschmiederei in hoher künstlerischer Blüte stand, wurde die Gmünder Konkurrenz bald mit scheelen Augen betrachtet, und so berichtet uns Dr. M. Rosenberg aus den Akten der Goldschmiedezunft der Stadt Mainz aus dem Jahre 1696, dass die Mainzer Goldschmiedezunft durch die Einfuhr geringhaltiger Gmünder Ware in ihrem eigenen Absatzgebiete bedroht sei. Die [135] armen, heruntergekommenen Mainzer Goldschmiede schlagen Lärm und wollen gegen den Eindringling geschützt sein; da sie unfähig sind, durch Bessermachen der Konkurrenz zu begegnen, sind sie bereit, ihr durch Schlechtermachen, d. h. durch noch geringeres Material entgegenzutreten, dazu bedurfte es einer Herabsetzung des gesetzlichen Feingehaltes. Doch wie weit hätte man heruntergehen müssen, um mit Schwäbisch Gmünd zu konkurriren? Man könnte auch die Stadtthore der Gmünder Ware verschließen, aber einerseits darf man das Marktrecht, das andere Vorteile bietet, nicht zu sehr beschränken, andererseits war man mit den damaligen Mitteln noch viel weniger als heute im stande, eine geheime Einfuhr zu hindern. Die zuständige Mainzer Behörde hatte schließlich – denn man lebte noch damals unter dem Zeichen des Freihandels – ein Einsehen und gestattete, dass Fingerhüte, Ringe, Kreuzlein und Agnus Dei eingeführt werden dürfen, während andere Ware den in der Stadt üblichen Feingehaltsbestimmungen unterliegen sollten.

Bei diesen Verhandlungen wurde eine amtliche Probe von Gmünder Ware vorgenommen und ergab folgendes Resultat:

Lot Gran
Hemdknöpfe 11 15 ½
Schuhschnallen 11 4 ½
Handbandschlösser 10 12
Kleiderknöpfe 7
Kleine Knöpfe 6 11

Wir lernen aus diesem Verzeichnis nicht nur den geringen Gehalt, sondern auch das Feld dieser Goldschmiedsarbeit kennen, geringe Ware für den gemeinen Mann und kleine Stücke, die in der Tracht ihre Verwendung finden. Die Stadt Augsburg erlaubte den Händlern, Gmünder Ware zu führen, mit alleinigem Ausschlusse der silbernen Knöpfe.

Aus den Akten der Münchener Goldschmiedezunft erzählt uns Dr. M. Rosenberg weiter, dass sich der Magistrat Münchens entschloss, die Einfuhr von Gmünder Ware unter 12 Lot zu verbieten.

Es kann bei alledem nicht wunder nehmen, dass in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Handel sich bedeutend hob und dadurch ein gewisser Wohlstand in Gmünd zu finden war. Nach Krieg, Pestilenz und teurer Zeit, Schweden- und Franzosennot, hatten sich die Gmünder schnell erholt, was die vielen schönen Bauten des Johann Michael Keller von 1725–1783 deutlich beweisen. Grossisten wie Romerio, Michael Debler, Johann Debler, Schwarzenberg, Franz Anton Mayer, Xaver Franz und die Familie Wildanger, welche Schiffe für den Verkehr mit Südamerika ihr eigen nennen konnte, sorgten für den rationellen Verschleiß der Waren. Von Goldschmiedmeistern oder besser Silberfiligranschmieden sind zu nennen: Johann Maierhöfer, Anton Maierhöfer, geb. 1755, Simon Kuttler, 1762 bis 1829, Anton Seybold, Valentin Hohlbein, Johannes Knoll, Matthäus Wagner, Johann Köhler, Johann Herzer, Joseph Reiss, Joseph Elser, Anton Neuber, Leopold Kucher, Johann Knoll jun., Joseph Wagner.

Von allen diesen Meistern sind die Geschäftszeichenbücher in der J. Erhard’schen Gmünder Altertums-Sammlung aufbewahrt. Beim Besichtigen derselben fällt auf, wie die Filigranarbeit sich von den damaligen zeitgemäßen Architekturstile, dem Rokokostile, nicht beeinflussen ließ, sondern mitten in der Zopfzeit bei der Renaissance ausharrte. Die Struktur des Filigrans eignete sich am besten für den Renaissancestil mit seinen Voluten. Der Charakter des Rokokostils passte weniger dafür. So finden wir in den Zeichenbüchern des Johann und Anton Maierhöfer, geb. 1755, und Simon Kuttler, 1762, Entwürfe aus [136] der besten Renaissancezeit. Darin finden wir die Erklärung, dass der schönste Bucheinband für die Familie Debler gefertigt, mit seinen klaren Renaissancelinien aus dem Jahre 1797 stammt. Dem Empirestil konnte sich die Filigranarbeit besser anschmiegen, doch kommt er auch nur zum Ausdruck durch leichtere Zeichnung, länger gezogene Voluten und gerade einfache Konturen. Unter den Arbeiten haben wir zwei Arten von Filigran zu unterscheiden, die bessere Filigranarbeit, welche nach der Arbeit oder Façon bezahlt wurde, und die geringere, welche nach dem Gewicht bezahlt in den Handel kam. An der Gewichtsware waren die Zeitumstände und auch großenteils die sich stark Konkurrenz machende Kaufmannschaft schuld. Welchen Druck letztere auf die Filigranarbeiter ausübte, erfahren wir aus einer Bestellung eines jetzt noch angesehenen Kaufhauses: „Ich gebe Dir 20 Mark Kronenthaler und Du lieferst mir dafür 20 Mark Silberfiligran.“ Bei solchen Zuständen konnte nur noch durch minderwertiges Silber einiger Verdienst erzielt werden, was zur Diskreditirung des Gmünder Silbers wieder viel beitrug. Dichtete doch selbst Goethe in seinen Invektiven über Kotzebue im Jahre 1817 den Reim: „Bist Du Gmündisches Silber, so fürchte den schwarzen Probierstein!“

Nach den Freiheitskriegen wurde allerdings auch in Gold nicht im besten Wertgehalte gearbeitet, man munkelt sogar von 6- und 4-kar. Golde.

Doch war dies zu damaliger Zeit in der ganzen Welt nicht anders und stand im Verhältnis zur Kaufkraft des konsumirenden Publikums. Diese geringe Fabrikationsart des Goldes dauerte aber nicht lange an und war nicht so bedeutend, um die Fabrikate einer ganzen Stadt in allgemeinen Misskredit zu bringen.

Durch seine gediegene Arbeit verschaffte sich unser Gmünder Filigran seine Ehrenrettung selbst; wenn auch geringwertig im Silber, seine Zeichnung und Ausarbeitung verlor nie an gutem Geschmacke. Wieviel Gmünder Filigran wird gegenwärtig in den Antiquitätenläden als angebliche Arbeiten aus der besten Renaissancezeit verkauft, ohne dass der Käufer eine Ahnung hat, dass sein Silberfund Gmünder Arbeit ist. Die Filigranarbeiten des Nordens, Venedigs, Südtirols haben sich einen guten Namen erworben. Von Gmünder Filigran spricht niemand. Daran sind wohl die Händler schuld, welche den Ursprungsort verheimlichen wollten.

Heutzutage werden 3 Arten von Filigranwaren in Gmünd verfertigt, die gute Façonware, die Gewichtsware und die Maschinenfiligranware, letztere wird nur in unechtem Metall durch Prägen und Durchstoßen hergestellt.

Nur noch wenige ältere Geschäfte Gmünds pflegen die Filigranfabrikation, sie verfertigen noch vielfach die nämlichen Muster, wie in früheren Zeiten. Die Filigrantechnik wird von ihnen noch so schön gehandhabt, wie ehemals. Im modernen Gewande könnte diese Industrie wieder neues Leben bekommen, die Ware würde gewiss gute Käufer finden. Hoffen wir, dass dieser edle Zweig des Bijouteriefaches bald neu aufblühe und sich auf dem Weltmarkte in seinem alten Glanze bemerkbar mache, denn bei den ältesten Kulturvölkern finden wir schon Filigranarbeit, die nachfolgenden Geschlechter haben Filigran in allen Kulturperioden wieder verwendet. Filigran wird bestehen, so lange die Menschheit sich schmückt.

PAUL ERHARD.