Gibraltar (Meyer’s Universum)

LXXXXVI. Syrakus Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
LXXXXVII. Gibraltar
LXXXXVIII. Der Berg Tabor
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

GIBRALTAR

[16]
LXXXXVII. Gibraltar.




Allgewaltig war Rom im Zenithe seines Ruhms und seiner Macht auf dem damals gekannten Theile der Erde. Aber dieser begriff kaum ein Viertheil der Oberfläche unsers Planeten. Ein eigentliches Weltreich zu gründen, war nur unserer Zeit, war Britannien vorbehalten; Britannien, dem kleinen Eilande, auf der Weltkarte nicht viel mehr als ein Punkt. Seine Flagge weht herrschend auf allen Meeren; in allen Erdgürteln gehorchen Völker seinem Zepter, suchen Könige und Fürsten seinen Schutz; seine Vesten und Warten, zur Abwehr, wie zum Angriff, oder zur Beobachtung, hat es ausgesäet über die Welt; die Reveille, die jeden Morgen seine Streiter weckt, sie begrüßt die aufgehende Sonne zu jeder Stunde und Albion’s kriegerische Weisen, der Frühhörner Schall, umkreisen ununterbrochen die Erde.

Der Felsen vor uns, Gibraltar, ist im brittischen Weltreiche einer der festesten Punkte. Dieser Felsen, am Eingang der Enge, welche das Mittelländische Meer mit dem Atlantischen verbindet, ist ein etwa 4 Stunden langes und ½ Stunde breites, von Nord nach Süd hinstreichendes Vorgebirge, welches durch einen niedrigen, schmalen, kaum ¼ Stunde breiten Landstreifen mit dem spanischen Continent zusammengeknüpft ist. Nach der Landseite hin bildet’s eine steile Felsmauer, welche an ihrer östlichen Spitze 1400 Fuß hoch ist, nach Westen zu aber bedeutend abfällt. Minder senkrecht sind die dem Meere zugewendeten Seiten; und auf der westlichen liegt, terassenförmig, den Felsen hinan, die Stadt. Ihren Hafen bildet ein Steindamm, – mit Batterien bedeckt und in Kasematten ausgehöhlt, ein Wunder der Bau- und Befestigungskunst – die Teufelszunge genannt, der sich weit in das Meer hinein streckt und die Unangreifbarkeit des Platzes von der Seeseite her vollendet.

Seit der immer denkwürdig bleibenden 3jährigen Vertheidigung dieser Festung unter Elliot (1779–1782) gegen die vereinigte Land- und Seemacht der Spanier und Franzosen, denen die Belagerung 30,000 Krieger, 160 Schiffe und 80 Millionen Thaler kostete, galt Gibraltar als der stärkste Waffenplatz der Erde. England hat unermeßliche Summen auf die Verstärkung der Vertheidigungsmittel dieses Platzes angewendet, durch welchen es Thor-Herr des Mittelländischen Meers geworden ist. Große Werke führte es besonders in den Jahren aus, als es die Heere, das Genie und das Glück Napoleon’s zu fürchten hatte. Den Felsen selbst hat es zur Festung umgeschaffen und ihn seinem ganzen Umfange nach ausgehöhlt. Die unterirdischen Batterien, Kasernen etc. stehen durch Gallerien und Gänge mit einander in Verbindung. Von Außen gewahrt man nichts davon; die Schießlöcher werden an den hohen Felsenwänden nur durch Fernrohre sichtbar. – Kriegs- und Mundvorräthe für eine Besatzung von 10,000 Mann auf mehre Jahre, sind in unterirdischen trocknen Gewölben bewahrt, und selbst gutes Quellwasser springt reichlich im Felsen und wird in einem weiten, 200 Fuß tiefen Reservoir gesammelt.

Gibraltar, die Stadt, (sie ist in unserm Stahlstich nicht sichtbar und liegt an der andern Seite des Felsens) ward unter brittischem Schutze sehr blühend und in neuester Zeit durch den großen Schleichhandel mit den spanischen Küsten reich. Zur Zeit der Belagerung hatte sie 8000 Einwohner, jetzt 20,000. – Der jährliche Betrag dessen, was von englischen Fabrikaten von hier aus vertrieben wird, übersteigt 15 Millionen Gulden.