Gespräche in den Sälen der Gemälde-Ausstellung zu Dresden (1804)

Textdaten
Autor: Anonym
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Titel: Gespräche in den Sälen der Gemälde-Ausstellung zu Dresden
Untertitel:
aus: Der Freimüthige und Ernst und Scherz: ein Unterhaltungsblatt
Herausgeber: Heinrich Frölich
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1804
Verlag: Heinrich Frölich
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Katalog der Ausstellung siehe Verzeichniß der am Friedrichstage im Jahre 1804 in der Churfürstl. Sächsischen Akademie der Künste öffentlich ausgestellten Kunstwerke
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[298]
Gespräche
in den Sälen der Gemälde-Ausstellung zu Dresden.
1. Gespräch.

Friedrich. Halten Sie Sich nicht auf, liebe Minna.

Minna. Aber die Aussicht ist hier so himmlisch!

Fr. Das wußte der Graf Brühl wohl, der diesen Platz der Elbe abgewann, und seinen Garten darauf anlegte. Aber wir müssen hindurch eilen, um in den Pavillon zu kommen, der die Ausstellung enthält.

M. Sie fürchten gewiß, die Natur, die sich hier in solcher Pracht entfaltet, möchte der Kunst darin Schaden thun.

Fr. Ein wenig freilich. Doch hat die Kunst so viel eignen Reiz, so viel eignes Große, daß sie keck neben die Natur treten könnte, immer sicher auch gefallen [299] zu müssen. – Hier an der Casse lassen Sie Sich für einen Groschen einen Catalog geben, und wenn Sie einmal wiederkommen wollen, oder auch oft, so geben Sie nur zwei Groschen für ein Billet.

M. Die Ausgabe ist unbedeutend, aber mir gefällt dies Bezahlen bei der freisten aller Künste nicht.

Fr. Man sah sich seit etwa drei Jahren genöthigt zu diesem Mittel zu schreiten, um den Andrang der ganz gemeinen Menschen-Classe zu verhindern.

M. Aber sollte man dieser nicht gerade auch dies Vergnügen, diese Bildungsschule gönnen?

Fr. Wenn es die letztre nur wäre, ganz sicher. Aber sie ist es nicht. Für solche Gemüther bleibt das Bunte, das Grelle nur schön, das Edle spricht doch ihren Sinn nicht an. Sie hangen dem Müssiggange hier nach, verdrängen den gebildetern Schauenden, und es fallen wohl gar noch ungeziemendere Dinge vor, der unreifen Bemerkungen zu geschweigen, die manchmal ein zartes Ohr beleidigen.

M. Und das Geld –

Fr. Wird zum Armenfond geschlagen, der nöthige Aufwand wird bestritten, arme Künstler werden unterstützt.

M. Nun, so führen Sie mich vollends in den Saal.

Fr. Hier sind wir. – Eine reiche Sammlung, denn der Catalog enthält wie Sie sehen 368. Nummern; ob sie in andern Rücksichten reich sey, wollen wir sehen.

M. Wir thun wohl am besten nach den Nummern fortzugehn.

Fr. Ohnstreitig, auch schon deshalb, weil uns dann die Arbeiten der anerkanten Meister zuletzt für das viele Unbedeutende was hier etwa zu sehen seyn möchte, entschädigen werden, denn das sogenannte Professor-Zimmer schließt den Cyclus. – –

M. Das ist also die Meisner Zeichenschule! Je nun, es ist ja neuerdings allgemeine Stimme, daß das Meisner-Porzellan sich am meisten nur durch Feinheit der Masse auszeichne.

Fr. Leider haben wir heuer eine Zierde der sonstigen Ausstellungen, ich weiß nicht weshalb, entbehren müssen, ich meyne wirkliches Meisner-Porzellan, und Figuren und Gruppen in Biscuit. Das bessere wurde davon immer hier ausgestellt, und da würden Sie in Hinsicht der Feinheit und zarten Behandlung der Malerei, und der Richtigkeit und guten Ordnung der Figuren und Gruppen, wohl vortheilhafter als jetzt geurtheilt haben.

M. Doch diese Gruppe in Gyps, von Weger, den Athlet Milo von Krotona darstellend, wie er von dem Löwen angefallen wird, könnte mir schon ein gutes Vorurtheil einflößen.

Fr. Sie ist auch in der That recht brav. Die doppelte Anstrengung des Körpers die Hände aus dem Baume in dem sie eingeklemmt sind zu reißen, und den Löwen von sich gleichsam wegzustoßen, ist gut gehalten, der Ausdruck des Kopfes sehr bedeutend, und die Zeichnung und Stellung untadelhaft.

M. Lassen Sie uns schnell dorthin eilen. Schillers Mädchen aus der Fremde, eine Zeichnung von G. V. Schnorr.

Fr. Unser Schnorr verläugnet sich doch nie. Welche zarte Dichtung in dieser einfachen Zeichnung! Wie wahr ist des Dichters Gedanke wiedergegeben. Nur gefallen mir die gewaltigen Flügel an dem Genius nicht.

M. Es ist überhaupt mit den Flügeln der Genien etc. eine sonderbare Sache. Die leichten Psychen-Flügel passen nicht für alle, und kommen dann die größern Cherubs-Schwingen, so begreift man erstlich nicht wie sie, mögen Sie auch aus noch so leichtem Stoffe gewebt seyn, an der kleinen Stelle wo sie aufsitzen; haften können, und dann bekommt zweitens oft die ganze Gestalt dadurch etwas Unförmliches, weicht von der menschlichen zu sehr ab. Wie breit wird nicht zum Beispiel dieser Genius dadurch.

Fr. Sie haben nicht unrecht, und werden Ihre Bemerkung, wenn wir ins Professor-Zimmer kommen, durch einen Amor von Tischbein noch mehr bestätigt finden. –

M. Nun wahrhaftig, wenn auch die drei Herrn zu Pferde da, der Bereuter Richter und seine zwei Söhne in Leipzig, getroffen sind, so ist es doch so abentheuerlich als möglich, alle drei zu Pferde in ein und derselben Stellung, und die Pferde wieder, in ein und derselben Stellung zu malen. Es sieht beinah aus wie auf den Bilderbogen der Kinder die Soldaten, die auch einer, wie der andre hintereinander herreiten.

Fr. Und die Anordner scheinen sie ordentlich zur Satyre auch gerade nebeneinander gehängt zu haben.

M. Sehen Sie die Wand dort brennen?

Fr. Ja, das ist ein sehr feuriger Pinsel. Von Herrn Oldendorp sieht man nichts als Feuersbrünste. Schon seit fünf bis sechs Jahren hat er in allen Gestalten und Formen die Ausstellung damit beschenkt.

M. Das kann man ihm denn doch nicht absprechen, daß er die verschiedenen Wirkungen der verschiedenen Arten des Feuers ziemlich in seiner Gewalt hat.

[300] Fr. Und das Grelle das diese Gemälde haben, muß nothwendig durch den Gegenstand selbst hervorgebracht werden. Nur sollte er sich blos an Feuer die er selbst einmal gesehen hat, ich möchte sagen an alltägliche Feuer halten, die gelingen ihm in der That nicht übel, oder giebt es etwas Ausserordentliches in dieser Art darzustellen, da scheitert nun freilich seine Kunst auf eine schreckliche Weise. Können Sie Sich etwas Kleinlicheres verstellen, als diesen Ausbruch des Vesuvs, den er da gemalt hat, und doch ist das Feuer darauf nicht gespart. Sehen Sie z. B. das Meer an, das ist so ruhig, wirft solche kleine Wellen, als ob es ein Teich bei einem stillen Dörfchen wäre, und die Lichtfurchen sind so schnurgerecht wie mit dem Lineale darüber hingezogen. Doch ist es eben dies Gemälde, was dem größern Theile am meisten gefällt, wobei sie mit schauderndem Entzücken stehen bleiben.

M. Grausam muß der Herr Oldendorp auch seyn, denn bei allen Unglücksfällen die er darstellt, sehe ich keine Menschen, niemand eilt dem andern zu Hülfe, niemand flüchtet, alles ist öde und Menschenleer.

Fr. Sagen Sie ihm das ja nicht, sonst verweißt er Sie auf seine Schlacht bei Hochkirchen, wo es Menschen wie Sand am Meere gab: vor drei Jahren war sie hier zu sehen.

M. Die Pastell-Gemälde von Caffe sind diesmal recht gut, besonders ist der Griechische Pope, und der alte Tromlitz zu Leipzig gelungen. Beides sind sprechende Köpfe.

Fr. Und täuschend ähnlich.

M. Freilich so zart sind die Farben nicht aufgetragen, als bei den Pastel-Gemälden der Demoiselle Stock –

Fr. Ach! erinnern Sie mich nicht daran!

M. Warum nicht?

Fr. Ich weiß nicht, welcher böse Dämon uns für dies Jahr des Genusses beraubt hat, etwas von ihr ausgestellt zu sehen.

M. Sie hat also nichts geliefert?

Fr. Nur nichts ausgestellt, sonst ist sie eine sehr fleißige Künstlerinn, und der Reiz ihrer Gemälde ausserordentlich.

M. Wollen wir nun in dies Seitenzimmer.

Fr. Ums Himmelswillen nicht. Hier ist die Kunst nicht etwa blos in ihrer Kindheit, sie ist noch nicht einmal gebohren. Es sind Zeichenbücher einiger Schulanstalten die hier aufgehängt sind. Ihr Gustav macht sie schon zehnmal besser.

M. Aber warum erlaubt man solchen Dingen den Zutritt?

Fr. Es sollte freilich nicht seyn, vorzüglich wenn man wie hier, auf den Titel des Catalogs setzt: „öffentlich ausgestellte Kunstwerke.“ Die Kunst hat wahrlich nichts damit gemein; eher könnte man sie Handwerke nennen. Aber wenn auf der einen Seite schon jener Titel selbst nicht so prunkhaft seyn sollte, so sollte man auf der andern Seite auch nur solchen Zeichnungen und Gemälden hier Platz verstatten, die doch wenigstens das Mittelmäßige erreichten, wenn auch nicht darüber hinausgingen, irgend einer bestimmten Hoffnung entsprächen, kurz, das Auge nicht beleidigten. Das schlimmste dabei ist noch das, daß solche junge Menschen ohne Talent, weil ihre Sachen unter den Kunstwerken hängen, auch schon Künstler zu seyn glauben, und in diesem süßen Wahne oft die Erlernung der nöthigen Elementar-Kenntnisse zu ihrer dereinstigen Bestimmung bei Seite setzen, als ob sie fühlten, sie trügen einen besondern Schatz in ihrem Innern.

M. Nun, werden Sie nur nicht warm! Ich will ja dies Zimmer gar nicht sehen, und allenfalls erlauben Sie mir wohl als einem Frauenzimmer auch diese Risse und Ansichten von Gebäuden, die mich gar nicht interessiren, zu übergehen.

Fr. Es sind aber sehr gute Sachen mit darunter, von Schuricht –

M. Die mag der Kenner beurtheilen, ich bin Dilettantin.

Fr. Dilettantin? Nun da werden Sie als Dame mir erlauben, Sie zu diesem Arbeitsbeutel den Dem. Röber aus Points verfertigt hat, zu führen.

M. Ein Arbeitsbeutel unter den Kunstwerken!

Fr. Ja, Kunst heißt hier so viel als etwas künstlich verfertigtes, sonst würden diese Modelle zu Handbohr-Maschinen für feinere Wasserleitungsröhren, dies Model zu einer Hand-Mahl- und Schrot-Mühle, und dies Theebret, das seines Laks wegen ausgestellt ist, auch in diesen Zimmern keine Aufnahme gefunden haben.

M. Hier seh ich gar eine Kokosnuß, nach alter Weise und Form mit Wappen und Inschriften geziert.

Fr. Bescheiden hat der Verfertiger seinen Namen verschwiegen, aber hier betrachten Sie diese Uhrgehäuse, die der Gürtlermeister Heber selbst in der Aufschrift daran, etwas weniger bescheiden, für Meisterstücke ausgiebt.

M. Muß ich Sie, einen Rechtsgelehrten, denn belehren, daß dies nur so viel heißen soll, als die Probe die er beim Meisterwerden seiner Innung hat vorzeigen müssen.

Fr. Das ahnete mir wohl, aber ich konnte mich nicht erhalten die Benennung etwas zweideutig zu finden, ohngefähr wie den der Peniger-Sammlung neuer deutscher Original Romane, in denen man außer dem Deutschen Ursprunge, schwerlich etwas Originelles antreffen dürfte.

[329]

Ueber die Dresdner Kunst-Ausstellung.
Zweites Gespräch.

M. Dieser Saal, der erste am Eingange, war es, den wir uns gestern eben besehen wollten, als wir vertrieben wurden.

F. Ja, mit dem Schlage 5 wird die Ausstellung des Nachmittags geschlossen, und niemand darf länger verweilen. – Dies ist der Saal für die Schüler der hiesigen Academie und die Dilettanten höherer Ordnung. Zuerst etwas für Sie als Stickerinn, liebe Freundinn; drei Landschaften und ein Vogel, von verschiedenen Damen eingeschickt.

M. Viel Arbeit, aber wenig Kunst, ein Spielwerk, das nie zu etwas Größerm führen kann; eine angenehme Art, seine Zeit zu verlieren.

F. Aber Sie sticken ja selbst.

[330] M. Allerdings, aber nur Kleider, Tücher, u. s. w. meinen Putz, nicht um Künstlerin, sondern nur die Putzmacherin zu ersparen.

F. Nun so betrachten Sie hier diese 8 Miniatur-Gemälde: Portraits bekannter Personen in Dresden, von Auvray, Kühn und Kästner, meist ähnlich, aber ohne viel höheren Anspruch machen zu können.

M. Es sind liebliche Votiv-Täfelchen, die Geliebte sich einander schenken; als solche immer reizend.

F. Nur leuchtet die Mühe aus den meisten zu sehr hervor. –

M. Diese Kupfer antiker Statüen und Altäre, rein und kräftig gestochen, gehören, der Form nach, wohl zu einem größern Werke.

F. Ganz richtig; sie sind für des Professor Beckers Augusteum, der Darstellung der Schätze der Churfürstlichen Antiken-Sammlung, bestimmt, das Ihnen wahrscheinlich schon aus den Anzeigen darüber bekannt seyn wird, – von Matthäi und Schubert gezeichnet und von Krüger und Seiffert gestochen.

M. Sie versprechen viel für das Werk selbst. Wird es bald erscheinen?

F. Becker ist durch Subscribenten ziemlich gedeckt, und so wird es wohl ungehindert fortschreiten, aber leider galt auch hier das Sprichwort: ein Prophet in seinem Vaterland, u. s. w. denn in Dresden hat Becker verhältnißmäßig gerade die wenigsten Subscribenten und Unterstützer gefunden.

M. Man schätzt und liebt aber doch sonst in Dresden die bildende Künste so sehr.

F. Aber fast alle Künstler arbeiten fürs Ausland.

M. Vielleicht gerade, weil die Dresdner Sammlungen in dieser Hinsicht schon so schön und reich sind, daß man das Bedürfniß nicht empfindet, weil diese alles gewähren.

F. Lassen Sie uns hoffen, daß dies der Grund sey.

M. Rubens Söhne, nach Rubens von Fräul. Th. aus dem Winkel. Ein oft kopirtes Gemälde, aber in der That nicht übel kopirt.

F. Rechnen Sie besonders darauf, daß es eine Anfängerin in der Kunst ist, die erst seit sehr kurzer Zeit sich in Oel versucht hat. Von ihr ist auch noch ein Christus Kopf nach Annib. Caracci, ein Portrait nach der Natur, und eine heilige Familie nach Giulio Romano.

M. Alle gar nicht übel, nur etwas zu kalt, besonders das letztere. Eine fleißige Dilettantin!

F. Und dazu Meisterin auf der Harfe und dem Fortepiano. –

M. Der Dichter Aeschylus, von Moons aus Antwerpen. Recht brav. Es herrscht eine, sehr sprechende Ruhe auf diesem Bilde, die das Ahnungslose des Dichters treffend bezeichnet, und den Moment seines Todtes bebend voraussehen läßt.

F. Scheint es Ihnen aber nicht, als ob der Adler der die Schildkröte trägt, welche dem guten Aeschylus das Haupt zerschmettern soll, etwas zu sehr in der Entfernung flöge? Näher, senkrecht über seinem Haupte sollte er stehen, größer gezeichnet; dann wäre die Gefahr drohender, bedeutender das Bild, denn so muß man die Geschichte wissen, oder die Beschreibung lesen, um zu wissen, daß dieser Adler, der dort so weit entfernt mit der Schildkröte fliegt, gerade hieher näher fliegen, und über dem kahlen Schädel des Dichters seine Beute verlieren werde.

M. Sie können Recht haben; aber sollten diese drei übereinander aufgethürmten Massen nicht eine schlechte Gruppirung machen?

F. Nun so lassen sie uns den Maler entschuldigen. –

M. Sie führen mich so schnell an dieser Seite vorüber.

F. Damit sie das abscheuliche Gemälde, das unsre liebenswürdige Fürstin vorstellen soll, nicht sehen, und sich ärgern, wie man ein freundliches Angesicht so verzerren konnte.

M. Aufrichtig gestanden, sind doch die Fürsten schlimm daran.

F. Allerdings! Wie viel tausend Gemälde der schlechtesten Pfuscher müssen sie von sich zirkuliren lassen, auf ein Gutes gerechnet, das noch dazu vielleicht blos in den Sammlungen der Großen bleibt.

M. Mag eine Fürstin so wenig Eitelkeit haben, als sie will, sie muß doch wünschen, daß der entfernte Unterthan, der sie nie selbst sieht, seine Wohlthäterin auch im Gemälde liebgewinne; und da bringt vielleicht ein Zufall gerade den verfehltesten Abdruck ihrer Physiognomie in diese Provinz.

F. Da ist der Fürst besser daran: sein Bild steht gut geprägt auf seinen Münzen, auch dem Entferntesten erreichbar.

M. Man sollte auf Gemälde, wie auf Bücher, eine Censur legen; oft schaden, oder verzerren diese soviel wie jene.

F. Das wäre eine schöne Fessel für die freie Kunst. –

M. Die Kunst die diese Fessel fühlte, wäre eben dadurch schon nicht mehr freie Kunst; den wahren Künstler drückte sie nicht, nur dem Pfuscher, dem schamlosen Possenreißer, bände sie die Hände.

F. Strenge Richterin! –

M. Also wirklich auf der ganzen Seite nichts Ausgezeichnetes?

F. Nichts, als etwa vom Lieutenant v. Watzdorf ein das Felleisen fahrender Postillion, ein kleines Gemälde, das aber sehr viel treue Natur hat.

M. Dort sehe ich eine große Sepiazeichnung.

F. Der Zeichner C. D. Friedrich hat ihr im Catalog die Benennung „mein Begräbniß,“ gegeben.

M. Sie ist sehr brav. Mit inniger Schwermuth gedacht und ausgeführt. Der einfache Kirchhof, die verfallne Gothische Capelle im Hintergrund, der einzelne Sonnenstrahl, der darauf fällt, und in welchem die einsam dort nistenden Vögel auffliegen, der Regenbogen der sich dahinter wölbt, das Symbol des Friedens mit Gott, die Leidtragenden, die um das offne Grab herumstehen, alles so charakteristisch, so bezeichnend.

F. Es mag auch tief aus des Zeichners Herzen geflossen seyn. Wissen Sie die Anecdote, die man von ihm erzählt?

M. Nein.

F. Er hatte einen zärtlich geliebten jüngern Bruder. Einmal – so viel ich weiß, ist Friedrich ein Nordländer, – ging er auf einen gefrornen See, um Schlittschuh zu laufen. Der jüngere Bruder hat [331] nicht Lust mitzugehn, der ältere bittet, er will nicht; endlich und mit vieler Mühe beredet er ihn doch dazu. Sie gehen. Plötzlich bricht unter dem jüngern das Eis, und unrettbar verschlingt ihn die Fluth. Der ältere, unser Zeichner, ist untröstlich, er will seinem Bruder nach, man hält ihn zurück. Eine leise Schwermuth zieht sich seitdem über sein ganzes Leben; seine Kunst richtet sich nur auf Gegenstände der Trauer, und in allen Formen malt er Begräbnißscenen, sich selbst, seinen Bruder, zurückkehrend in die Wohnungen des Friedens gedacht.

M. In der That rührend.

F. Und das Gerücht ist nicht unwahrscheinlich; wenigstens scheint es die diesjährige Ausstellung von ihm zu bestätigen. Dort hängen noch zwei Zeichnungen von ihm. Eine Winter-Landschaft. Vortrefflich ist das an und für sich etwas Frostige getuschter Zeichnungen benutzt; man friert wenn man diese beschneyte Gegend ansieht. Aber in dieser Landschaft wieder als Staffage, ein Leichenzug der aus einem Dorfe in das andre zieht. Dort eine andre Gegend mit Felsen-Gruppen, einen Sonnenaufgang nicht weniger brav, die Beleuchtung vortrefflich, und wieder ein altkatholischer Leichenzug, der mit den gewöhnlichen Fähnchen u. s. w. nach einer Capelle wallt.

M. Was hängen um dies einfache Begräbniß herum für eine Menge bunte Bilder?

F. Sie sind von den Schülern des Professor Schenau, in der beliebten Manier ihres Meisters, doch sind sie wirklich noch erträglicher als die seinen, weil die Schüler glücklicherweise noch nicht ganz begriffen zu haben scheinen, wie man das Grün und Rosa und Blau, auf Fleischpartien anwenden könne. Die Trictracspieler nach einem niederländischen Meister, von Fischer aus dieser Schule, sind nicht übel, und so auch eine Landschaft nach Ruisdal von Held.

M. Desto bunter ist diese Cornelia von Olbrich.

F. Wollen Sie Ihre Augen dafür entschädigen?

M. Nicht mehr als gern.

F. Aber hüten Sie Sich; denn fast alle Mädchen. die es nicht gestanden, und Weiber meiner Bekanntschaft, die es gestanden, haben ihr Herz dabei verloren, und den respektiven Liebhaber- und Ehemännern dann zu Haus gewaltig viel zu thun gemacht, um diesen Eindruck wieder zu verdrängen, und ihre Gestalt wieder an die Stelle zu bringen, die dies Gemälde eingenommen hatte.

M. Sie machen mich neugierig; fürchten Sie aber nichts; Sie wissen daß ich versagt bin.

F. Ich weiß blos, was Sie mir versagt haben. – Doch hier ist das Gemälde. Ein Johannes; eigne Erfindung von M. Rezsch, Schüler des Prof. Grassi.

M. Ein herrlicher Kopf!

F. Fängt das Herz an unruhig zu werden?

M. Das ist nicht die Empfindung die er einflößt. Die Heiterkeit dieser Wangen, die stille Ruhe dieses Auges, die Unschuld dieser Umrisse, und der liebliche Ernst der auf der Stirn wohnt, machen diesen Johannes zu meinem Freunde, nicht zu meinem Geliebten.

F. Bemerken Sie, daß der Maler von der gewöhnlichen Idee abgegangen ist. Meist wählt man den weichen, frommen Johannes blond, hier ist er mit schwarzem Haar und braunem Teint dargestellt. –

M. Und nicht zum Nachtheil der Idee selbst. Er ist männlicher geworden, hat aber alle Unschuld und Weichheit der Kindheit beibehalten und aus diesen schwarzen Augen, die nicht brennen, sondern schwärmerisch glühen, spricht sie uns um so deutlicher an.

F. Grassi wird brave Schüler ziehen. In diesem Bilde drückt sich der Meister unverkennbar aus, so sehr, das ich beinahe behaupten wollte, Grassi habe selbst viel Hand angelegt.

M. Das glaube ich nicht: es ist zu viel Einheit in dem Gemälde; zwei Hände würden sich nicht so in einander verschmolzen haben.

F. Die Familie Rezsch scheint überhaupt viel Kunstanlagen zu haben. Die recht guten Landschaften die Sie dort sehen, es sind Copien nach Ruisdal, sind auch von einem Rezsch. –

M. Diese große Menge Landschaften mit Sepia gezeichnet, die an dieser Seite hängen, scheinen alle von Einem Meister zu seyn.

F. Und doch sind sie nur von den Schülern Eines Meisters, des Professor Zingg, aber sie sind alle recht fleißig gearbeitet. Doch verdienen die von Richter den Vorzug vor denen von Taubert und Müller. Der alte Schweizer Zingg hat seinen Schüler Richter so lieb, daß er eine Medaille auf ihn hat schlagen lassen. Kaum ist auch der Meister noch von dem Schüler zu unterscheiden.

M. Diese Ansicht der sogenannten Sächsischen Schweiz auf dem Winterberge, will mir aber doch nicht recht gefallen. Sie ist vom Winterberge herab auf die ungeheure Fläche die man dort übersieht, und die mehr als 6 Meilen im Durchschnitt beträgt, genommen, aber die Partien des Hintergrundes werden dadurch zu verwischt; man sieht nichts als einzelne Streifen, nichts zeichnet sich mehr aus, es ist ein Chaos, in welches das Auge keine Ordnung bringen kann. Anders ist es mit der lebenden Natur, da entwickeln sich doch nach und nach auch die entferntesten Partien, oder ich trage, von einzelnen kleinen Puncten veranlaßt, meine Ideen mit dorthin, und bilde mir selbst bestimmte Umrisse, dies fällt alles im Gemälde, besonders in einem Sepia-Gemälde, wo nicht einmal die Abwechslung der Farben statt finden kann, hinweg. –

F. Nicht weniger gut sind hier die Oelgemälde der Dem. Freystein. Sie stellen einen Prospekt mit dem Landhause des Fürsten Putiatino in Zschackwitz bei Dresden, eine Landschaft, eigne Erfindung, und eine dergleichen Copie nach Ruisdael vor, und die talentvolle Schülerin Klengels ist darin durchaus nicht zu verkennen, obschon ihre Sachen, die sie vorm Jahre ausgestellt hatte, mir noch vorzüglicher schienen.

M. Jener Prospekt mit dem Putiatinischen Landhause will mir nicht reche gefallen.

F. Das Landhaus, das in dem unregelmäßigsten Style und dem komischesten Geschmacke gebaut ist, den man sich nur denken kann, verdirbt das Ganze, macht es zu bunt, und zerstreut den Blick, der sich nirgends festhalten kann.

[332] M. Sollte da die Künstlerin so etwas malen?

F. Oder sollten nicht lieber unsre Großen – der Fürst Putiatino ist übrigens ein sehr achtenswerther Mann, – bessern Geschmack haben?

M. Dort ist noch ein Zimmer.

F. Es sieht darin ziemlich so wie in dem aus, was wir gestern schon übergangen haben, wenigstens verliert sich das Mittelmäßige, was etwa darin ist, völlig unter dem mannigfachen Schlechten. Weislich hat man alle dergleichen Dinge in die Hinterzimmer verwiesen; wer nicht dorthin muß, um die Lectionen eines Sohnes oder einer Tochter aus einem befreundeten Hause zu beschauen, um den guten Eltern darüber ein freundlich Wörtchen sagen zu können, oder wem es bei gewissen Graden der bildenden Künste, wie beim Hören unreiner Töne der Musik geht, verliert sich nicht dahin. Besehen Sie sich lieber dafür die Abdrücke von 31 geschnittenen Steinen von Höckner; es ist manches artige darunter.

M. Wenigstens viel Fleiß in der Ausführung, und Geschmack in der Wahl.

F. Rechnen Sie dazu, daß Höckner eigentlich nur dies als Nebensache betreibt.

M. Wir sind nun mit diesem Zimmer zu Ende, aber vergebens suche ich etwas von Freund Hartmann darin.

F. Er sollte freilich nicht so karg gegen das größere Publikum seyn. Freunden hat er mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit seinen Eros und Anteros, seine Psyche, und manches andre brave Gemälde gezeigt.

M. Ich wette darauf, Stolz ist es nicht, was ihn zurückhält.

F. Dann müßte er aufhören, der echt humane Künstler zu seyn, der er ist. – Leider fehlt Manches aber in diesem Zimmer, was ihm zur höheren Zierde gereichen würde, und sonst sich hier fand. Gareis, der Biedere, ist in ein besseres Land hinübergeschlummert, Rösler hat in Paris sein Vaterland vergessen, und Matthäi hat uns außer den Zeichnungen zu den Kupferstichen, die wir vorhin sahen, auch nichts geschenkt.

M. Und noch manchen braven, fremden Künstler kenne ich in Dresden, der sich auch öffentlich hätte zeigen sollen.

F. Möchte ein ächter Kunstkenner, wie Göthe, einen Reiz dazu auffinden. –

M. Nun, Freund, in dies Zimmer, es ist das letzte, also wie Sie mir versprachen, das Heiligthum der Kunst.

F. Da höre ich aber auf, Ihr Führer zu seyn, und suche mir erst selbst jemand, der mein Urtheil berichtigt.

M. Nein, nein, dann würden Sie vielleicht weniger unbefangen seyn, lassen Sie uns freimüthig unser Urtheil bekennen, sey es, welches es sey.