Gesühnte Grabschändung
In der für mich so ehrenvollen Anzeige meiner südslavischen Pestsagen im VI. Hefte dieser Zeitschrift erinnert der Herr Referent daran, dass meine Sammlung südslavischer Guslarenlieder über 160 000 Verse betrage. Ich berichtige diese Mitteilung dahin, dass diese Sammlung, dank dem Eifer meines Mitarbeiters, derzeit schon einmalhundert und zweiundachtzigtausend Zeilen umfasst, und dass wir die Hoffnung hegen, bis zum Schluss des Jahres die runde Zahl zweimalhunderttausend zu erreichen.
Eines der kürzesten Lieder dieser Sammlung wollen wir hier zur Mitteilung bringen. Wir mussten diese Wahl treffen, damit der Aufsatz in einer Nummer untergebracht werden kann. Der Leser dieser Zeitschrift soll allmählich mit dieser Art von Erzeugnissen südslavischen Volkstums sich zu befreunden Gelegenheit haben. Grosse Lieder erheischen grosse Kommentare, Kommentare aber ermüden mitunter, schrecken ab und entfremden uns vielleicht den Leser.
Wir haben bis nun aus unserem Schatze kaum den zwanzigsten Teil veröffentlicht. Dass wir der wissenschaftlichen Welt die Kenntnis so ausserordentlich wichtiger Denkmäler so lange vorenthalten, könnte uns fast zum Vorwurf gemacht werden, wenn wir nicht zu unserer Rechtfertigung vorzubringen hätten, dass wir erst viele Einzeluntersuchungen über Glauben, Sitten und Gebräuche der vor uns so wenig wissenschaftlich erforschten Völker anzustellen haben, um das Verständnis für jene Volksseelen zu erschliessen und um darzuthun, wie der Boden beschaffen ist, auf welchem die Guslarenlieder entstanden sind und sich bis in die unmittelbarste Gegenwart frisch erhalten haben.
Mit einzelnen Fussnoten und Nötchen ist selten wirklich gedient. Wer eine einzige Erscheinung des Volkslebens richtig begreifen will, muss einen Überblick wenigstens über alle verwandten und einschlägigen Äusserungen [272] besitzen. Wir haben gegenwärtig zwei sehr tief ausholende Studien zur südslavischen Volkskunde in Arbeit: eine über das Lebensende oder die Totengebräuche und eine andere über Volksmedizin. Die von uns aufgespeicherten Materialien sind sehr umfangreich und besonders geeignet, bedeutsame Momente des Volks- und Völkerlebens zu erhellen.
Als eine kleine Probe von dem, was wir in dem Werke über das Lebensende zu bieten haben, möchten wir diesen Beitrag vor allem betrachtet wissen,
Wie es schon die von uns gewählte Aufschrift andeutet, handelt es sich im vorliegenden Liede um die Sühnung eines greulichen Frevels. Die Geschichte spielte sich vor etwa zweihundertundfünfzig Jahren in dem derzeit ganz verkarsteten Hochlande der Lika ab, wo die wild zerklüfteten Berge gegen das kroatische Küstenland steil abfallend, einst als natürliche, schier unüberwindliche Grenze das mohammedanische Element vom abendländischen Christentum ferne hielten. Ganz ferne wohl nicht; denn hüben und drüben der Grenze hauste ein hartes, der Abstammung und der Sprache nach zwar einiges, doch dem Glauben und der politischen Zugehörigkeit nach einander unerbittlich feindseliges Geschlecht. Mochte die Türkei immerhin mit den christlichen Nachbarstaaten Frieden halten wollen, dort in jenem, damals noch mit dichten Urwaldbeständen bedeckten Dinaralpen gab es keinen Frieden, weder im Leben noch im Tode. Es lässt sich kaum entscheiden, wem in entsetzlicher Grausamkeit und Roheit zu jener Zeit der Vortritt gebührte, dem Mohammedaner oder dem Christen. Beide waren einander wert und würdig. Doch würde man irre gehen, wollte man jenen Kämpen, die sich Helden und Ritter nannten, alle Regungen edlerer Menschlichkeit absprechen. Es finden sich im Gegenteil gerade bei jenen Kämpfern viele wunderherrliche Züge von hoher Auffassung menschlicher Würde und Ehre, und man stösst überall auf eine merkwürdige Hochhaltung und Schätzung alter Sitten und Gebräuche, auf eine festgefugte gesellschaftliche Ordnung inmitten scheinbar wüster Willkürlichkeiten. Auch das Faustrecht und die ungezügelte Leidenschaft müssen vor bestimmten Satzungen des Gefühlslebens gewisse Schranken einhalten. Wer sich darüber hinwegsetzt, setzt sich dem unentrinnbaren Verderben aus.
Hauptmann Gavran (Rabe), der rachgierige Christ, der das Grab seines toten Feindes, des im Kunarhochgebirge gefallenen und dort bestat- teten Mohammedaners Halil Bojičić schändet, Mustapha Hasenscharte (Hrnjica) und sein Bruder Halil, der Falke, sind unzählig oft genannte, gepriesene und verdammte Helden der Guslarenlieder. Es sind hervorstechende Typen, auf die man im Laufe der Zeiten alle mögliche Helden- und Schandthaten gehäuft, je nachdem ein Mohammedaner oder ein Christ von ihnen singt und sagt. Der Vorfall, den unser Lied erzählt, mag sich in jenen Zeiten nicht bloss einmal wirklich zugetragen haben; es ist leicht möglich, dass Halil in der That einem Grabschänder in der Weise, wie das Lied es berichtet, das Handwerk gelegt hat; es stimmt ja dieser Zug so trefflich zu dem Charakter des Helden, wie er sonst auftritt. Ein tapferer Ritter ohne Furcht und Tadel ist Halil; sowie sein älterer Bruder Mustapha, der ihn grossgezogen, kalt abwägend und berechnend, mutig und verständig ist, ist Halil ein verwegener Heissporn ohne Ruhe und Überlegung. [273] Mustaphas junge Frau ist die Wahrerin des Volksglaubens. Sie schrickt entsetzt auf bei den Unheil verkündenden Kuckucksrufen; Mustapha lässt die Sache gleichgültig. Er glaubt an kein jenseitiges Leben und an keine Geistergeschichten. Auf dem gleichen Standpunkte befindet sich zwar auch Halil, doch die Erinnerung an den geliebten Wahlbruder, dessen Grab frevelhaft geschändet wird, ist bei ihm mächtiger als jede Erwägung. Nicht bloss der Toten, noch viel mehr der Überlebenden wegen muss man ein Grab in Ruhe und Frieden lassen. Der lebende Freund empfindet die Schmach, als sei sie ihm zugedacht. Darum rächt er den Toten.
Der mohammedanische Slave kennt nicht recht den Manenkult. Er glaubt nur an die Rückkehr Toter in Gestalt von Vampiren und Wehrwölfen. An Tote als Gespenster glaubt er nicht. Sehr bezeichnend für diese Auffassung ist das Wort für Gespenst: utvora d. h. Einbildung, oder sablast Halluzination. Die Erscheinung besteht nicht als greifbares Wesen, sondern nur in der krankhaft erregten Einbildung eines Menschen. Mit Eintritt des Todes zieht die Seele ihres Weges und der Körper bleibt als wertloses und unnützes Gefäss zurück. So denkt der mohammedanische Slave des Guslarenliedes. Wir haben eben den rauhen, abgehärteten Krieger im Auge, der in und nach dem Kampfe vollauf mit sich beschäftigt ist. Es scheint, dass bei den slavischen Mohammedanern der im Kampf gefallene Tote jede Schätzung einbüsst, zumal wenn die Umstände darnach sind, dass man sich mit Bestattungen nicht abgeben kann. In einem noch ungedruckten mohammedanischen Guslarenliede unserer Sammlung, welches den Raub des Klisuraers Burgfräuleins Jelkuša durch unseren Bojičić Alija zum Vorwurf hat, heisst es gegen den Schluss nach der Schilderung eines entsetzlichen Gemetzels zwischen Mohammedanern und Christen: „Die Sieger“ (die Mohammedaner) „warfen ihre Toten ins Meer, ihre Verwundeten aber nahmen sie mit sich“:
svoje mrtve u denjiz baciše
a ranjene svoje poniješe.
In dem von mir im Jahre 1885 zu Ragusa veröffentlichten grossen Guslarenliede Smailagić Meho werden nach der Schlacht mit General Peter die Toten einfach auf einen Haufen zusammengetragen. Vers 1958: i na hrpe donose šehite. Die darauf folgende, mit grimmiger Ironie gewürzte Schilderung der Bestattung (V. 2015–2022) zeugt von der argen Gemütsroheit der Helden jener Zeit:
Soviel Genossen als von uns gefallen,
Wir trugen sie auf einen Ort zusammen,
Begruben sie in einem einz’gen Grabe.
Wie sorgsam wir die Leutchen da begruben!
Bis zu den Knieen sieht man ihre Beine!
Bis zu den Schultern ihre weissen Arme!
Bis zu den Augen sieht man jedes Antlitz!
Ja, so begräbt im Krieg man die Gefall’nen.
Um die Toten des Gegners bekümmert sich niemand. Man lässt sie liegen, wo sie liegen „den grauen Gebirgswölfen und den schwarzen Raben [274] zum Frasse.“ Bleichende Menschengebeine zeigten noch nach Jahren die Stätten an, wo Meinungsverschiedenheit durch Waffen geschlichtet wurde.
Wenn in friedlichen Zeiten einer in der Heimat aus dem Kreise seiner Angehörigen mit dem Tode abgeht, so bekommt er auch ein ehrliches Grab. Auf die Bestattung halten die Südslaven aller Konfessionen im Frieden ungemein viel. Auch pflegt man alljährlich die Gräber und ehrt die Heiligkeit des Grabes. Besonders tief dürfte die Achtung vor der Unverletzbarkeit der Gräber bei den Südslaven in alter Zeit nicht gewesen sein, ebensowenig als dies in der Gegenwart der Fall ist. So las ich z. B. nicht selten auf altbosnischen und herzogsländischen Grabsteinen aus dem 13.–15. Jahrhundert neben dem Namen des Bestatteten nur noch die Bemerkung: Molju ti se nemoj mi ticati kosti! (Ich bitte dich, lass meine Gebeine unangetastet!), oder den Fluch: proklet ko će taći moje kosti (verflucht sei, wer meine Gebeine berühren sollte), oder auch am gewöhnlichsten: proklet, ko će tugjin leći u moje pleme! (verflucht sei der Fremdling, der sich im Friedhof meines Stammes betten sollte!), O du menschliche Eitelkeit und Habsucht bis übers Grab hinüber!
Im kroatischen Gebirgslande, dem sogen. Zagorje, hält man es für einen ruchlosen Frevel, ein Grab zu beackern oder zu bebauen. Man sagt, die Erde bliebe im selben Jahre tot, d. h. sie werde keine Frucht gedeihen lassen, In meiner alten Heimatsstadt Požega in Slavonien macht man sich keine derartigen Skrupel. Dort wird der grosse Gottesacker „zum heiligen Elias“ alljährlich verpachtet, und gerade auf den Gräbern wächst das beste Kraut und gedeihen die fleischigsten Rüben. Das Pachtgeld fliesst in die Taschen des hochwürdigen Herrn Pfarrers. In Kroatien ist man darin ungleich strengerer Anschauung. Gegen überhandnehmende Grabesschändung schützt der Glaube, dass, wer etwas aus dem Friedhof stiehlt und es heimträgt, noch vor Ablauf des Jahres sterben müsse. Nach dem Volksglauben darf man auf dem Friedhofe überhaupt nichts ungestraft antasten. Riecht z. B. einer an eine Friedhofsblume, so wird er den Geruch für jede andere Blume verlieren. Unter den Serben gilt als einer der schrecklichsten Flüche: zemlja ti kosti izbacala! (Die Erde soll deine Gebeine ausspeien!) Es gönnt also der Flucher dem Feinde nicht einmal Ruhe im Grabe.
Ich führe diese Sachen nur darum an, um zu beweisen, dass Mustaphas Halil durch die Bestrafung eines Grabschänders ein nach der Volksanschauung höchst rühmliches Werk vollbracht hat, dessen man noch in späten Tagen mit Befriedigung gedenken darf, zumal mit Hinblick auf die schwierigen Umstände, unter denen die Rache ausgeführt wurde.
Entkleidet man die Fabel unseres Guslarenliedes der kleinen dichterischen Schildereien, so muss man wirklich dem Volksdichter Bewunderung zollen, wenn man sieht, mit wie geringen Mitteln er ein abgerundetes Kunstwerk schafft. Bei den westeuropäischen Völkern, die durchschnittlich im mittelalterlichen Gespensterglauben stecken, kann der Volksdichter in einem solchen Falle sehr wirksam den Geist des Verstorbenen auftreten lassen. Auch dem kroatischen Katholiken, der gleichfalls vom Höllenbreugel mönchischen Wahnglaubens durchsättigt ist, steht dieses Mittelchen zu Gebote. Der slavische Mohammedaner dagegen sieht sich ratlos gegenüber dem Gespenste im Hamlet. Dieses Schauerstück Shakespeares müsste man für den [275] slavischen Mohammedaner gänzlich umarbeiten, wie etwa, lehrt uns unser Guslarenlied. Da erscheint kein Geist, weder bei den Freunden, um Hilfe zu suchen, noch am Grabe selbst, auch führt Mustaphas Halil am Grabe des toten Freundes keinerlei pathetische Gespräche. Er nimmt nicht einmal vom Grabe Abschied. Wozu denn? „Was fragt der Tote um der Menschen Liebe?“ Der Dichter hilft sich jedoch klug, indem er den Unglücksvogel Kuckuck als Boten des Verstorbenen entsendet. Im Gebirge aber hilft dem heftig bedrängten Halil Mustaphas die treue Wahlschwester, die Vila, nicht aber der Geist des Toten, der sich selber nicht helfen kann.
Der Kuckuck (im slavischen Kukavica, ein Femininum) gilt bei den europäischen Völkern im allgemeinen und bei den Südslaven insbesondere als ein Orakeltier, als ein geheimnisvolles und darum gescheutes Flugtier, das mehr kann als nur Kuckuck rufen. In Bosnien hält man es für eine frevelhafte Versündigung, einem Kuckuck den Ruf nachzurufen oder den Vogel gar zu töten, weil man glaubt, dem betreffenden Spötter oder Töter werde bald der Vater oder die Mutter nachsterben müssen.
Zur Erläuterung dieses Glaubens erzählten uns bosnische Bauersleute folgende Sage: Die Kukavica oder pjevačica (die „Sängerin“ genannt, weil man sich scheut, den vorbedeutungsreichen Namen Kukavica auszusprechen) war Kaiser Lazarus’ Schwester. Nachdem der Kaiser zu Leiten Kosovo = Leiten oder schiefes Feld. Die Deutschen halten noch immer an der falschen Übersetzung Amselfeld fest, als ob die Gegend: Kospolje hiesse) in der Schlacht gegen die Türken das Leben verloren, weinte und kuckte (kukala) die Schwester ohne Unterlass. Am Fest der heiligen drei Könige (bogojavljenje = Tag der Gotteserscheinung) wurde sie von Gott verflucht mit den Worten: Du sollst in alle Ewigkeit vom Lazarussamstag (Lazarova subota = der Samstag vor dem Palmsonntag) bis zum St. Peterstag (29. Juni) „Kuckuck“ rufen! So geschah es und geschieht es noch alleweil. Verspotten Kinder den Kuckucksvogel, so flucht der Vogel dem Spötter: „In Kuckucksrufen ergehe sich deine Mutter bis zum St. Petrustag, und vom St. Petrustag mögen dir sowohl Vater als Mutter „Kuckuck“ nachrufen!“
Kukala ti majka
do Petrova danka;
ot Petrova danka
i otac i majka!
Mehzar Bojičić Halije.
Mujagin Halil pogubijo Gavran Kapetana. Prokukala kukavica sinja |
Halil Bojičić’s Grabhügel.
Mustaphaga’s Halil brachte den Hauptmann Gavran ums Leben. Es hub zu kucken an ein grauer Kuckuck |
[276]
5. Dozivaše mrtva Bojičića:– Bojičiću, mlad gospodičiću! 10. je 1 ti kuća vodu propustila? Iz mehzara junak progovara: 15. nije kuća vodu propustila,već je mene vlaše dotužilo 20. pa on tura puške dvije male a zaziva mene na mejdana. 25. Poslušaj me, na eski Kladušu tankoj kuli Muje i Halila. 30. izrad hatra mrtva Bojičića. I Haljo je njima trebovao! 35. na bijelu Hrnjičinu kulu.Kako pala birdem zakukala. 40. i bijelo platno razapela. U ruke joj igla od biljura 45. ot sebe je džerdžef oturila, od merdžana noge izlomila. 50. na nju rukom i rukavom mahnu. Ovako joj mlada govoraše: |
5. Es rief den toten Bojičić der Vogel:– O Bojičić, o junger Edelknabe! 10. und lässt dein Heim das Wasser schon durchsickern? Es hallt des Helden Antwort aus dem Hügel: 15. auch lässt das Heim kein Wasser noch durchsickern,nur ist mir unerträglich der Walache, 20. aus zwei Pistolen in das Grab mir feuertund mich hervorruft „Auf zum Waffengange!“ 25. erfüll’ mein Flehen, zieh nach Alt-Kladuša zu Mustapha’s und Halil’s schlanker Warte, 30. dem toten Freunde Bojičić zuliebe:auch ihnen diente oft Halinchens Degen. 35. hinab auf Hasenschartes weisse Warte. Kaum fiel er nieder, hub er an zu kucken. 40. auf das sie aufgespannt die weisse Leinwand;in ihrer Hand die Nadel aus Kristallstein 45. so stösst sie weg von sich das Stickgestelle,zerbricht vor Schreck den Ständer des Gestelles, 50. bis sie den grauen Kuckuck dort gewahrte. Mit Hand und Ärmel will sie ihn verscheuchen. |
[277]
jera kukaš na bijelu kulu 55. Te mi kobiš agu Mustafagu i djevera gojena Halila 60. Vjera ti je tvrgja ot kamena, ako odem na bijelu kulu, 65. a lahka ti krila izgoreti! Progovara kukavica sinja: 70. ni Omera tvog jedinog sina,već sam, hanko, jedna poslanica 75. i Muji je selam opravijo.agi Muji i bratu Halilu, 80. pričekaju Gavran Kapetanada sa šnjime podijele mejdan. 85. zovući ga na mejdan junački.
90. ne bi li se koji opremijo,pa izišo na Kunar planinu, 95. I njima je junak trebovao.
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– Es töt’ dich Gott, du grauer Kuckucksvogel! 55. zur Unzeit in der Zeit der Wintersmitte und kündest Unheil meinem Mustaphaga 60. du mögst dem eignen Haupt das Unheil künden!
65. zerbreche dir sogleich die dünnen Beineund brenne dir die leichten Flügel nieder! 70. auch nicht dem schmucken Hochzeitsführer Halil,und Omer, deinem einz’gen Sohn, mit nichten. 75. Mich hat Haline selber abgesendet,an Mustapha den Friedensgruss entboten, 80. zum grünen Grabeshügel Held Haline’s, und harre ab das Nah’n des Hauptmanns Gavran, 85. und tummelt auf dem Grabe seinen Braunen und ruft ihn auf zum Heldenwaffengange! 90. und bitten lässt er Mustapha und Halil, es möge einer auf zum Kampf sich rüsten 95. dem Freunde Bojičić Halin zuliebe.Auch ihnen diente einst der kühne Degen. 100. und meldet’s wieder Mujo und Halilen.
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[278]
100. Kat to začu Mujagin Halile, od očiju suze opustijo 105. – Stan kopile, nagojak Halile!Kut ćeš ići ne ćeš lahko doći, 110. – Brate Mujo od jedne matere! tvrda vjera i ne ubila me, 115. koliko je silan osilijo,ni mrtvijem živa ne da mira! 120. I eto ga us polje zeleno;dok zeleno polje pogazijo 125. u planini rasjede malina,zavede ga u jelovo granje 130. iz oblaka tiha kiša pogje. Do pô noći kiša udaraše, 135. a jeleci za tanku košuljua košulja momku za tijelo. 140. i bez rane i bez mrtve glave! Pa skočijo od zemlje na noge 145. Dokle nešto iz oblakâ pisnu,odgovara tanko glasovito: |
Als Mustaphagas Halil dies vernommen, 105. Da fährt ihn an der Scharenführer Mujo:– Am Platz geblieben, Bastard, Zögling Halil! 110. Drauf gab ihm Halil leise diese Antwort:– O Bruder Mujo, Sohn von meiner Mutter! 115. Da schau den Metzensohn, den Hauptmann Gavran,wie hoch des Frevlers Frevlermut gestiegen, 120. und schwingt hinauf sich mitten auf den Zelter.Schon reitet er entlang den grünen Fluren, 125. zum grünen Grabeshügel Held Haline’s. Im Hochgebirge stieg er ab vom Zelter, 130. erst war’s so hell, dann zogen auf die Wolken,und aus den Wolken fiel ein Sprüheregen; 135. Da froren hart die Knöpfe an das Wams an,die Westen aber an das dünne Hemde, 140. Da komm’ ich Held im Hochgebirg’ ums Leben,so wundenlos und ohne Kampf und Totschlag! 145. ins Grenzland nach Kladuša heimzuflüchten. Da plötzlich tönt ein Piepsen aus den Wolken |
[279]
– Sabor srcu Mujagin Halile! 150. Ti ćeš svoje srce ugrijati!Sat će doći Gavran kapetane, 155. Malo stalo, dugo nije bilo, sabah zora lice pomolila 160. Halilovo srce odmrznulo. Dokle stade čakot kros planinu; 165. ode konja igrat po mehzaru,ode bacat kopje u mehzara 170. ustaj ture, da se sijećemo! Kat to vidje Mujagin Halile, 175. a javlja se grlom i avazom: – O kopile Gavran kapetane! 180. Kad ga vidje Gavran kapetane!ni malo mu milo ne bijaše 185. il ćeš gonit il ćeš bijegati? A Gavran mu tiho govoraše: 190. – Id otalen Gavran kapetane, tvoje zvanje, moje bijeganje! |
– Gebiet’ dem Herzen Mut, o Mujos Halil! 150. so heiss die Sonne je die Welt erwärmte, und du, o Held, wirst auch dein Herz erwärmen. 155. so kehrte er zurück zur schlanken Tanne. Es währte mehr nur eine kleine Weile, 160. Kaum fing die Sonne gleissend an zu glänzen,so taute auf Halilens Herz im Busen. 165. Als er sein Ross zum Grabe hingetrieben, begann er übers Grab sein Ross zu tummeln, 170. He, heda, Türke Bojičić Haline!erheb’ dich, Türkenfratz, zum Schwertertanze! 175. und warf sich auf die Mitten seinem Rösslein. Und gellend rief er aus aus voller Kehle: 180. Da stellt sich Mujo’s Halil dir entgegen! Als ihn daselbst ersah der Hauptmann Gavran, 180. – Heda, Halunke, Hahnrei Hauptmann Gavran,willst du verfolgen oder Flucht ergreifen? 190. Und wieder gab ihm Halil Gegenrede: – Spar deine Flausen jetzt, o Hauptmann Gavran! |
[280]
Prizajmi ga Gavran kapetane, 195. pa za njime kopje oturijo,svom vrančiću izmegju ušiju 200. Kad opazi čelikli džilita,malin pade na koljena prva, 205. pa prizajmi Gavran kapetanai za njime kopje opravijo. 210. Kat opazi kopje ot turèina, dobar vranac na stranu oskače, 215. prifatiše sablje okovate. Kuda zgadja Gavran kapetane, 220. Kuda šiba Mujagin Halile, prosijeca setru i pantolu; 225. odoše se varkom udaratii pod ruku sablju po’turati. 230. Prifatiše pera ot topuza,odoše se perom udarati. 235. do crne ga zemlje savijaše. Dok čelikli pera izlomiše, 240. a junaci za grla bijela.
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195. und hinterdrein verfolgt ihn Hauptmann Gavranund schleuderte ihm nach den spitzen Wurfspeer, 200. und Halil hoch zu Ross ein guter Reiter.Kaum saust’ ihm nach der stahlbeschlag’ne Wurfspeer, 205. Nun machte Halil Kehrt mit seinem Rösslein,nahm auf die Nachverfolgung Hauptmann Gavrans 210. und auf dem Rosse sass ein guter Reiter –so sprang der wack’re Braune rasch beiseite 215. und griffen nach den schwer beschlag’nen Schwerten.Wo Hauptmann Gavran seinen Säbel ansetzt 220. Wo Mujo’s Halil peitscht den Hauptmann Gavran,durchhaut er ihm den Koller und die Hose 225. begannen sie mit Hinterlist zu kämpfen, ums Schwert dem Gegner untern Arm zu rennen. 230. und griffen nach den wucht’gen Stachelkolbenund lausten da einander mit den Stacheln. 235. dort wand sich Gavran bis zur schwarzen Erde. Zuletzt zerbrachen sie die Stacheln stählern 240. die Helden griffen nach den weissen Gurgeln und rissen sich herab von ihren Rossen. |
[281]
Od dobrije’ konja otpadoše, 245. Istom viknu Mujagin Halile: – Posestrimo prigorkinjo vilo! 250. da ćeš mene sestro pomognuti! Istom pisnu vila iz oblakâ: 255. Kat to doču Gavran kapetane,odvšiše se silan uplašijo, 260. omahnu ga zdesna na lijevopa od zemlju šnjime udarijo. 265. Al je ljute rane zadobijo. Sjede momak pot tanku jeliku |
Sie huben an zu ringen in der Klamme 245. Urplötzlich schrie Halile Mustaphaga’s; – Wahlschwester, Vila von den Alpenlehnen, 250. so oft mich Not bedroht zu übermannen? Urplötzlich piepst die Vila aus den Wolken: 255. Kaum dass der Hauptmann Gavran dies vernommen,zu grosser Schreck ergriff den frechen Frevler, 260. er gab ihm einen Schwung von rechts nach links hinund schleuderte ihn hin zur Erde nieder. 265. Doch hat auch Halil manche wüt’geWunde. |
Wir haben das Lied von dem Guslaren Mehmed Dizdarević aus Rogatica. Wir zählen ihn zu unseren besseren Sängern, doch keineswegs zu den besten. Rogatica und noch mehr Višegrad hatten vor etwa hundert Jahren einige ausgezeichnet tüchtige Guslaren aus der Hercegowina, die dort Schule gemacht haben. Ich habe von einem Guslaren Namens Ibrâhim Džanko aus Rogatica eines der schönsten Epen meiner Sammlung und von Avdija Salijević, dem Jünger eines vor 55 Jahren verstorbenen namenlosen: pijevo Višegradlija (der Višegrader Sänger) sechs der allerherrlichsten Lieder aufgezeichnet. Unser Mehmed ist aber auch nicht zu unterschätzen. Wir haben von ihm schon zwanzigtausend Verse aufgenommen. Mehmed ist ein Gedächtnismensch ersten Ranges, doch durchaus kein Dichter und besitzt auch in unserem Sinne kein richtiges Urteil über die Schönheit und den Wert einzelner Lieder.
Sein Vater war bei einem Beg Gutsaufseher, sein Grossvater war Kadi und sein Urgrossvater Burgherr (Dizdar) in Rogatica. Nach letzterem, dem angesehensten Mitgliede der Familie, benannten sich die Nachkommen Dizdarevići. Unseren Mehmed hat Dragičević bei einem Beg unweit Rača als Knecht untergebracht. Mehmed zählt gegenwärtig 28–30 Jahre. Er ist hoch gewachsen und kräftig gebaut, brünett und schwarzhaarig. Wie fast jeder Mohammedaner in Herceg-Bosna, hat auch er eine Schule (medresa) besucht und kann zur Not ein wenig türkisch auch schreiben. Er ist frommen Gemütes, klug, anstellig, gesprächig, besonnen, treu und zuverlässig, doch auch sehr empfindlich. Man muss mit ihm sehr rücksichtsvoll umgehen. Einmal sagte Dragičević scherzend zu ihm: „du lügst!" Mehmed entfärbte sich
[282] im Gesichte und entfernte sich schweigend. Später, nach erfolgter Aussöhnung, sagte er zu Dragičević: „Es wäre mir lieber gewesen, du hättest mich auf der Stelle getötet, als dass du mich vor Leuten der Lüge geziehen.“ So erzählt Mehmed, habe er die Lieder gelernt: „Als ich ein Knabe bei meinem Vater in Rogatica weilte, ging ich allabendlich in die Gasthausschenke (han) und hörte in einem Winkel kauernd zu, wie die Guslaren zur Sprache der Guslen (uz govor gusle) Lieder singen. Ich sprach leise in grösster Aufmerksamkeit dem jeweiligen Sänger die Worte nach, und wenn man spät nachts die Versammlung aufhob, eilte ich heim, streckte mich auf meinem Lager aus und sann über das Gehörte nach. Am selben Abend wäre ich nie im stande gewesen, ein Lied nachzusingen. Sinnend und träumend schlief ich ein und wenn ich erwachte, konnte ich Wort für Wort treulich die Lieder „aufzählen“ (izbrojio) und vergass dann nie wieder, was ich so erlernte. Als Knabe besass ich keine Guslen, sondern half mir mit zwei Stäbchen. Das eine vertrat das Instrument, das andere die Fiedel. So geigte ich mir und sang die Lieder.“
Die Hölzchen brauchte Mehmed wie der Guslar sonst die Guslen, nur um den Takt einhalten zu können. Mehmed ist auch jetzt noch von seinem Instrumente abhängig, indem er ohne solche Begleitung nicht im stande ist, korrekt rhythmisch vorzutragen. Sein Gedächtnis ist auch gegenwärtig so bewunderungswürdig, dass er sich nach einmaligem Anhören jedes Lied, mag es selbst 1800 Verse lang sein, mit allen Eigentümlichkeiten genau merkt. Er bedient sich in seinen Liedern der reinsten herzogsländischen Mundart und vermeidet es, Eigenheiten der bosnischen Mundart des Savelandes, wo er seit Jahren lebt, mit einfliessen zu lassen. Sein Vortrag ist unbedingt klar. „Jedes Wort steht bei ihm auf der Zungenspitze“ (svaka mu riječ stoji na vrh jezika), sagen von ihm seine Zuhörer. Ein armer Mann hat unter den Bosnjaken keinen Anspruch auf ein Lebensbeschreibung, ist aber der Arme ein Guslar gleich unserem Mehmed, so findet sich leicht jemand, der ihn auch in der Fremde zu Ehren und Ansehen bringen mag. Wir beschenkten Mehmed mit einer silbernen Uhr und einem goldenen Siegelringe. In dem Stein ist Mehmeds Name und die laufende türkische Jahreszahl mit arabischen Schriftzeichen eingegraben. Ein Wiener Meister hat die Arbeit besorgt.
Der doppelte Titel, welcher dem Texte vorgedruckt ist, rührt von Mehmed her.
V. 3. visoku planinu. Korrekter wäre: visokoj planini, doch ist der Fehler auf die unbewusste Vorliebe des Sängers für den Stabreim zu setzen.
V. 6 ff. Das Gespräch mit dem Toten im Grabe ist ein in der lyrischen Poesie oft benutztes Motiv. Vrgl. Krauss: Sitte und Brauch der Südslaven, Wien 1885. S. 190.
V. 13. Odbih für odbi. Das ,h’ ist hier rein parasitisch.
V. 16. vlaše mit verächtlicher Nebenbedeutung, wie man etwa bei uns Franzmann für ,Franzose’ sagt. Vlah (Walache) bedeutet dem Mohammedaner bloss den Angehörigen einer andern Konfession, namentlich den Christen vom orientalischen Kitus, seltener den Katholiken, nie aber den Juden.
V. 22. Wäre in wörtlicher Übersetzung ein Unding. Dem Sänger war es nur um einen kräftigen Innenreim zu thun, und darum wagte er die kühne Metapher von Rücken, die sich nicht (mit Schwertern) hauen können.
V. 24. Über die Anrufung zur Wahlschwesterschaft und der Wahlbruderschaft vergl. Krauss: Sitte und Brauch der Südslaven, Kap. XXIX. S. 619–643, und Kr.: Wahlbrüder im XVI. Bd. der Mitt. der Wiener Anthrop. Gesellschaft, dann Kr.: in den Monatsbl. des wissensch. Klub, Wien, am 10. März 1887, und K.: Die vereinigten Königreiche Kroatien und Slavonien, Wien 1889. S. 127 f.
V. 25. eski (türk, alt). Kladuša, gegenwärtig an der Bosnisch-Likaer Grenze
V. 28. dikat: findet sich noch in keinem Wörterbuche verzeichnet.
V. 40.rukom i rukavom = mit der Hand und dem Ärmel. Ein sog. Hendiadyoin. Vergl. V. 168 u. 175 und Krauss: Smailagić Meho S. 123 f. Anm. zu V. 1064.
V. 38–46. Die gewöhnliche Beschäftigung adliger Frauen und Mädchen. Auch Janja, die Tochter des Burggrafen von Pressburg, schleudert ähnlich wie die Mustaphagin das Stickgestelle weg von sich. Vergl. Krauss: Das Burgfräulein von Pressburg in Herrmanns Ethnol. Mitt. aus Ungarn. Heft III. 1889. Die Szene ist stereotyp in der Guslarenepik.
V. 56. Des Vaters Mustaphas und Halils wird niemals in den Liedern gedacht, nur der greisen Mutter, eines heldenmütigen Weibes sondergleichen. Wir besitzen ein köstliches, grosses Lied über einen Kriegszug jener alten Frau ins Küstenland zur Befreiung ihrer zwei in Gefangenschaft der Christen geratenen Söhne. Omer, Mustaphagas Sohn, tritt in den Liedern oft als frühreifer Jüngling auf, der ausserordentliche Thaten vollbringt.
V. 58. Die Anrufung aller Heiligen im Munde einer Mohammedanerin kann darum nicht überraschen, weil die Zeile nur einen stereotypen Ausruf vorstellt, bei dem sich der Mohammedaner
[283] ebensowenig etwas denkt, als wenn bei uns ein Jude ,Hilf Himmel!‘ oder ,0 je‘ (O Jesus!) ausruft.
V. 62. Djever = Brautführer. Die Brautführerschaft ist das Vorrecht des jüngeren Bruders. Der Schwägerin gegenüber, die ihn zeitlebens mit dem Namen ,Brautführer‘ ansprechen muss, tritt er in das Verhältnis der Wahlverschwisterung. Vergl. Krauss: Sitte und Brauch der Südslaven. S. 382 f. und 608.
V. 81. sa šnjime = mit, mit ihm. Das sa ist nur ein Füllsel.
V. 101. Bei abendländischen Rittern galt weinen als weibisch und schimpflich, der Slave dagegen schämte sich nicht seiner Rührung.
V. 105. Kopile = Bastard, eines der ärgsten Schimpfwörter, mit welchen sich im Süden die Slaven zu regalieren pflegen. In einem Liede unserer Sammlung streiten zwei montenegrinische Helden über den Angriffsplan. Der eine, ein berüchtigter Bandenführer Namens Paun (Pfau) schimpft seinen Waffengefährten Vuk (Wolf):
Du bist ein Bastard, Vuk von Trebješije,
du bist kein Held, stammst auch nicht ab von Helden,
und nimmer taugtest du für unsre Berge.
Darauf erwidert Vuk;
Ei Paun, Führer des Piperi-Stammes!
du bist ein Bastard, stammst von einem Bastard
und Bastardssohn war auch dein Bastardvater.
Die Steigerung des Schimpfwortes lautet: pasije Kopile (Hundes-Bastard). Vergl. Krauss: Smailagić Meho. S. 99 ff.
V. 110. Echte Brüder sind nach des Südslaven Anschauung, nur die von einer Mutter geboren sind. Auf den Vater kommt es weniger an.
V. 114. Kurvić bedeutet sowohl den Sohn einer H… als eines ausschweifenden Menschen, der sich mit feilen Dirnen abgibt.
V. 127. Ein Bulgarenmantel ist ein bis zum Boden dem Manne herabreichender, ärmelloser Überwurf aus schwerem weissen Tuch.
V. 147. Sabor srcu, wörtlich: gib dem Herzen Ratschlag.
V. 152. junačku sreću τύγην ανδρείαν, die Fortuna des Helden. Vergl. Krauss: Sreća. Glück und Schicksal im Volksglauben der Südslaven. Wien 1886. S. 72–76.
V. 161. čakot, (strepitus ungularum, Getrappe, Getöse) ein gut slavisches Wort, findet sich noch in keinem, nicht einmal im grossen Wörterbuche der südslavischen Akademie verzeichnet.
V. 170. ture für Turčine (o Türke) verächtlich, wie vlaše V. 16.
V. 184. gjidijo (türk.) Hahnrei, einer, dem die Gattin, wie wir, ursprünglich nach griechischem und römischen Muster, zu sagen pflegen, Hörner aufsetzt. Der Südslave kennt diese Redensart nicht. Der mohammedanische Slave tötet die ertappte Ehebrecherin und ihren Buhlen, der katholische, kroatische Bauer in Slavonien, zwingt dagegen nicht selten sein Weib, anderen Leuten sich preiszugeben, damit sie ihm einen neuen Hut oder Opanken kaufe. Der Mohammedaner ernährt sein Weib, der kroatische Katholike lässt sich aber gewöhnlich von seinem Weibe erhalten.
V. 186–217. Die übliche Eröffnung eines Zweikampfes, Vergl. Krauss: Die Wahlbrüder, Vers: 470–584. Erst wenn das Wettrennen und Speerwerfen den Kampf nicht entscheiden konnte, griff man zu Schwert, Streitkolben, und endete, wenn es nicht anders anging im Ringkampf, bei dem man sich jede List gestattete.
V. 192. bakva erläutert das südsłav. akadem. Wörterbuch ungenau mit: statio jaculantium saxa. Slavonische Märktefahrer nennen den eisernen Rammstock, mit welchem sie die Gruben für die Hüttenstangen ausgraben, bakva. Unsere Duellanten rammten oder gruben in beträchtlichem Abstande von einander zwei Pfähle in die Erde ein. Danach postierten sie sich jeder bei einem Pfahl, und wie es in den Wahlbrüdern V. 565 heisst:
,pik‘ rekoše pa se potekoše
sie sagten pik und dann begann das Rennen.
V. 218. Eine Drachme wiegt einen Dukaten schwer. Gold und Silber wird bei den Orientalen nach Drachmen gewogen.
V. 225. setra und pantola finden sich noch in keinem Wörterbuche. Pantola ist Pantalon, die Hose.
V. 226. Man hat sich beide Ritter mit Panzerhemden bekleidet vorzustellen. Der orienta- lische Krummsäbel ist eine Hiebwaffe. Nachdem die Säbel an den Panzern ganz schartig [284] und zum Hieb unbrauchbar geworden waren, gebrauchten die Kämpfer die Säbel als Stichwaffe, um sie einander in die Beugefugen des Panzerhemdes unter die Achsel zu stechen.
V. 234. pera ot topuza = die Federn (Stacheln) vom Streitkolben statt pernoga topuza = den mit Stacheln (auf dem Apfel) versehenen Streitkolben. Wirksam erinnert perom in V. 235 an die Gefährlichkeit der Waffe.
V. 246. Auf der Verfolgung hatte Halil den Hauptmann Gavran in einer Schlucht (bogaz) eingeholt.
V. 255. Die Vila aus den Wolken. Über die Wolkenvilen vergl. Krauss: Kaiser Konstantin auf der Sonnenburg. Wien, Monatsb. des Wiss. Klub. 1886. Vom 15. April, S. 4 ff., und Kr.: ,die verein. Königr. Kroatien und Slavonien‘ S. 129.
V. 255 ff. Eine beliebte Kampflist, um den Gegner zu lähmen.
V. 268. Sowie hier Halil, so empfangen noch sonst in mohammedanischen Guslarenliedern die Mohammedaner schwere Verwundungen. Der Mohammedaner spricht äusserst selten seinem christlichen Gegner die ritterlichen Eigenschaften Mut, Tapferkeit, Kraft und Stärke ab, während die Lieder der christlichen Guslaren den Mohammedaner als einen Schwächling, als eine feige und niederträchtige Memme darstellen. Im einmaligen Auf- und Abgehen tötet der christliche Held mir nichts, dir nichts zu dreissig Mohammedaner und strengt sich dabei gar nicht viel an. Man vergleiche in dieser Hinsicht die Leistung Vid Žeravica’s im ,Burgfräulein von Pressburg‘. Freilich tötet auch Ibrâhim Nukić (Proceedings of the American Philosophical Society. vol. XXV. Philadelphia 1888, p. 189 ff.) dreissig christliche Banditen, aber letztere dürfen auf ausdrücklichen Befehl ihres Hauptmanns zu ihrer Verteidigung sich nicht einmal rühren. Der mohammedanische Guslar hat als Darsteller noch immer die Empfindung, dass er das Unwahrscheinliche zum mindesten dichterisch als wahrscheinlich begründen müsse. In solcher und ähnlicher weisen Masshaltung liegt unter so manchem anderen auch ein Vorzug der mohammedanischen gegenüber den christlichen Guslarenliedern.
Meine Übersetzung ist im zehnsilbigen trochäischen Verse mit regelmässig auftretendem Auftakt verfasst. Die Notwendigkeit dieser Änderung gegenüber der zehnsilbigen Zeile meiner Vorlagen, habe ich in der Einleitung zum ,Burgfräulein von Pressburg‘ (im III. Heft der Ethnolog. Mitt. aus Ungarn 1889) zu begründen versucht. An den dort ausgesprochenen Ansichten muss ich noch immer festhalten.