Georg Rudolph Weckherlin (Herder)

Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Georg Rudolph Weckherlin
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 270–285
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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8.

Der zweite Dichter, den ich aus den unmittelbar vor Opitz vorhergehenden Zeiten nennen wollte, ist Georg Rudolph Weckherlin, von dessen Leben ich mehr zu wissen wünschte. In der Vorrede seiner Gedichte 38)[1] klagt er, daß sein väterliches Erbgut durch den unmenschlichen Krieg, in seines Bruders Händen zu Stuttgard und Blochingen, mit ihm selbst und seinem Vaterlande, auch viele seiner (Rudolf Weckherlins) hinterlassenen Schriften und Gedichte zu Grunde gegangen. Er führt an, daß die, denen er gnug bekannt gewesen, es wohl wissen, daß er vor dreißig, ja mehr denn vierzig Jahren der Deutschen Sprache Reichthum und Zierlichkeit den Fremden durch seine Gedichte vor Augen geleget. Die Buhlerlieder, die er sehr jung verfertiget, seyn längst verlohren; andre Stücke, sonderlich etliche Ovidische Fabeln seyn ihm in Frankreich und England entführet; die übrigen, Sonnette und Bulercien seyn in Deutschlands Feuer und Asche gerathen und also als seiner jungen Thorheit Funken zu nichts worden; inmaassen es denn gewiß sei, daß,

gleichwie wir Menschen dahin sterben,
also auch unsre Werk verderben.

Er freuet sich, daß viel hohe und vortrefliche Personen, ja auch gute Dichter in England, Frankreich, Italien, Spanien und andern Landen sowohl als in Deutschland ihn geliebet haben und noch lieben. Er führet an, daß er schier sein ganzes Leben, oder doch mehr denn vierzig Jahr her ohn Ablaß in großer Herren, Fürsten und Könige Diensten, schweren Geschäften und Reisen zugebracht, und sich zwischen diesen mühsamen und stetigen Geschäften kaum einige angenehmere, denn diese, ihm natürliche, Ergötzung und Kurzweil genommen. Statt ihn zu tadeln, möge man sich also vielmehr verwundern, daß er nicht lieber den Musen und der Deutschen Sprache gar einen Scheidebrief und ewigen Urlaub gegeben.“ Und in der That zeigen seine Gedichte, daß er nicht nur mit allen gebildeten Sprachen Europa’s und mit den berühmtesten, treflichsten Menschen seiner Zeit, sondern auch mit dem grossen und feineren Weltlauf einheimisch und innig bekannt gewesen. Seine Gedichte athmen den Geist der grossen Welt; sie sind voll sinnreicher, artigen Wendungen bis auf die damals viel geltenden Concetti der Italiener. Die Englische Sprache scheint ihm seine zweite Muttersprache geworden zu seyn; ihr eifern seine Gedichte in Ansehung des Dranges der Worte bis zum Ueberladenen nach; sie sind voll Anglicismen. Ausser Englischen hat er aber auch Griechische, Lateinische, Italienische Stücke, alle jedoch in eigner Art nachgebildet. 39)[2] Die Liebesgedichte, (Bulereien, wie er sie nennt,) scheinen ihm am meisen geglückt zu seyn; seine Myrtha ist so artig und schön besungen, als kaum eine Doris und Chloris besungen worden.

Ohne Zweifel kennen Sie bereits einige Stücke von ihm, die Zinkgref, Bodmer und Eschenburg bekannt oder wieder bekannt gemacht haben; der feine Geschmack des letztgenannten hat sich vorzüglich an seine schönsten Stücke gehalten. 40)[3] Indessen schlage man das Buch auf, wie es fällt; so stößt man in seinen weltlichen Gedichten, auf Artigkeiten und Lieblichkeiten, in denen ihn auch in späteren Zeiten wenige übertroffen haben möchten. Ich theile Ihnen den Brief mit, den ich vor funfzehn Jahren zu Erweckung seines Andenkens geschrieben habe, 41)[4] und lege seine Gedichte selbst bei. Sie werden, die Fehler seiner Zeit abgerechnet, in ihnen viel Vergnügen finden.


Proben

aus Rudolph Weckherlins Gedichten.[5]


Ueber einen Kranz.


Die Rosen, Lied[6] in deinem Kranz
sind roth, wie deiner Lefzen Glanz;
Die frische Lilien vergleichen
sich deiner zarten glatten Hand,
und dieses gülden-klare Band
muß deines Haares Golde weichen.

     Der Rose giebt Ein Tag den Gang,
Die Lilien blühen auch nicht lang’,
und deine Blum’ ohn Wiederkehren
veraltet einst und neiget sich.
So sollt’ auch dieser Goldfad dich
des goldnen Fadens Kürze lehren.

     Warum dann bist du so feindlich?
Warum sprichst du so unfreundlich?
Warum thust du mich so betrüben?
Erbarmst du dich nicht über mich,
Mein, so erbarm dich über dich,
Und laß uns jetzt einander lieben!


Stumme Rede der Liebe.

Wenn, Myrta, Reden und Stillschweigen
wenn beides hindert unser Glük,
So laß uns unser Herz bezeugen
Durch sich besprechende Anblick’;
Denn Amor, den wir allzeit ehren,
Wird diese stumme Sprach uns lehren.

     Laß hin und her die Blicke fliegen,
Getreue Boten deiner Gunst,
Der Neider Thorheit zu betriegen,
Die nicht verstehn die leise Kunst.
Denn Amor, welchen sie nicht ehren,
Wird sie die stumme Sprach’ nicht lehren.

     Sollt’ aber Jemand sich verdrießen
Ob unsrer Lieb’ Anblicken-Fahrt,
So müssen wir uns dann begrüssen
Mit dem Geist, nach der Engel Art;
Und Amor, welchen wir stets ehren,
Wird solche stumme Sprach’ uns lehren.

     Und also wollen wir betriegen
Der falschen Schwätzer Müh und Leid,
Und doppelt uns nach Lust vergnügen,
In ihrem Neid’ und unsrer Freud’;
Weil thöricht sie nicht Amorn ehren,
Wird er sie diese Sprach’ nicht lehren.

Kennzeichen eines glückseligen Lebens.


Ach, wie glückselig ist das Leben,
Dem keines andern Will gebeut,
Der ohne Mißgunst, Neid und Streit,
Sieht andrer Glück vorüber schweben.

     Der seine Wünsche selbst regieret,
Indeß sein frommer deutscher Muth
Ist sein bewehrter Schutz und Hut,
Darunter sein Herz triumphiret.

     Der kein Geschrey noch Lob begehret,
Dem Wahrheit ist die größte Kunst,
Den Fürsten- oder Pöbel-Gunst,
Den Furcht und Hofnung nicht bethöret.

     Der die Fuchsschwänzer fort läßt gehen,
Nicht speisend sie von seinem Gut;
Und dessen Fehl, Fall und Armuth
Kann seine Hasser nicht erhöhen.

     Der selbst nicht weiß, wie übel schmerzet,
Des Bösen Lob, des Frommen Fluch;

Dem ein Freund oder gutes Buch
Schadlos die lange Zeit verkürzet.

     Und dessen Muth vor nichts sich scheuet,
Als allzeit fertig für den Tod –
Der ernstlich früh und spät zu Gott
Um Gnade, nicht um Güter schreyet.

     Der Mensch besorgt sich keines Falles,
Denn Er ist frey, reich, gut und groß,
Sein selbst Herr, ob er wohl landlos,
Und, habend nichts, hat er doch alles.


All Glück gut.

Das Glück ist allen gleich und gut,
Ist auch beständig heut’ und morgen;
Den Reichen giebts Furcht. Müh und Sorgen,
Den Armen Hoffnung, Sinn und Muth.

Tod eines Lasterhaften.

Gelebet hat er nicht, als ob er sterben sollte;
Gestorben ist er nicht, als ob er leben wollte.


Glück.

Das Glück hat vielen, wohl zu leben,
Zu viel, doch keinem gnug gegeben.


Tod.

Mit dem gnadlosen Tod muß Jung und Alt
dahin;
Die Jungen findet er, die Alten finden ihn.


Ueberschrift eines Spiegels.

Bist du schön, so gebrauche Fleiß,
Dich nicht mit Lastern zu beflecken;
Und bist du häßlich, so sey weis’,
Den Fehl mit Tugend zu bedecken.

Martials Wunsch,
was das Leben glücklich macht;
verändert.[7]

Fruchtreiche Arbeit, Müh’ und Fleiß
Ein wohlverdienend-frommer Wandel,
Nicht köstlich, doch gut Trank und Speis,
Errungner Reichthum ohn’ Rechtshandel.
     Gesund- und freier Geist und Leib,
Behaus- und Kleidung, rein und tüchtig,
Ein freundlich, keusch und kluges Weib,
Ein Ehbett, fröhlich und doch züchtig.
     Trostreicher Schlaf, sorglose Nacht,
Lieb’ allen, niemand Leid zufügen,
Ein Herz und Mund, ohn’ Klag und Pracht,
Mit seinem Stande sich vergnügen.
     Gedanken, Freund’ und Bücher, gut,
Was Recht, stets lernen oder lehren,
Der Stirn und Zunge gleicher Muth,
Den Tod nicht fürchten, noch begehren.

Die gegebnen Proben zeigen, daß Weckherlin, wie alle seine Vorfahren, die Sylben zum Verse mehr zählte, als maas, lieber, wenn ich so sagen darf, sie dem Sinn nach deklamirte, als Schulmäßig skandirte. Er that dabei, was die Poesievollsten Nationen, Spanier und Italiener, (Franzosen ungerechnet) noch thun, und wovon sich die Wirkung jedem Ohr ergiebet: nehmlich, der Vers bekommt dadurch Physiognomie und Leben, es wird eine Wortfolge, wie der Geist des Gedichts und der Strophe sie gleichsam forthaucht. Die Seele des Verses belebt auch den Wortbau und der Accent, den der Dichter jetzt auf dies Wort, jetzt auf jenes, als auf seine rechte Stelle zu legen wußte, thut seine natürliche Wirkung. Dazu kommt, daß, wie schon Weckherlin anführt, die deutsche Sprache bei diesem Versbau im Besitz und Gebrauch aller ihrer schönen, vielsylbigen und zusammengesetzten Worte bleibt, die zerfetzt und zerschnitten, oder zusammengedrängt und aufgeopfert werden müssen, wenn das Mühlengeklapper des Jambischen Rhythmus ein Erstes und das Hauptgesetz bleibet.

Und wozu diente im Grunde dieser einförmige Rhythmus? Nehmen Sie ein Gedicht, das am schulmäßigsten skandirt ist, und wollen es lesen; wirds nicht unerträglich, wenn man im Lesen skandiret? Sie müssen also erst zerstören, was der Prosodiker hineinzwang, damit nur im lebendigen Gange der Gedanken das Gedicht Geberde und Antlitz zeige – schöne Kunst! schöne Mühe! Griechen und Römer konnten lesend skandiren und skandirend lesen, Metrum und das lebendige Gemälde der Worte mischten sich, und der Sinn folgte. Wo geschieht dies bei unsern eintönigen Jamben? Wer mag sie singen und skandiren, daß sie noch Jamben blieben? Das feine Ohr der südlichen Nationen Europens, die der römischen Sprache näher sind, verließ also ein Gesetz, das weder die Sprache noch der poetische Geist ertrug, indem es ihnen hölzerne Klötze an die Füsse band und Schellen an die Ohren: sie zählen, aber sie messen nicht genau: sie deklamiren und lassen der Sprache, der Strophe, dem Gedicht, dem Verse des Gedichts ihre natürliche Physiognomie und Mine. Entginge der Musik lyrischer Stücke damit etwas? Nichts weniger. Die wahre Musik hätte sich dieser mehrern Natur zu erfreuen, nicht zu betrüben. Sie selbst soll deklamiren; sie kann also tiefer und eigenthümlicher an die Seele reden, wenn sie ein lebendiges Wort- und Empfindungsgemälde auszudrücken hat, nicht einen mechanischen Rhythmus. Italien ist abermals Zeuge. Gesang und Sprache wird bei ihm viel mehr Eins, als bei uns; warum? die Italienische Poesie skandirt nicht, sondern sie deklamiret. Kurz, wenn Weckherlin die Englische Poesie in Allem auszudrücken suchte, so that er wohl, daß er sie hierinn verließ und seinen Vätern folgte. Die Englische Sprache ist voll einsylbiger Worte; die längeren werden zusammengezogen und nach dem Schall im Munde, nicht nach den Sylben gerechnet; bei uns Deutschen ist Alles dies anders. Und doch hat die Englische Prosodie Auskünfte getroffen, vor denen wir uns noch fürchten, und lieber unsre Sprache verderben.[8] – – Ausser dieser lebendigen Deklamation hat Weckherlin eine merkwürdige zum Theil beneidenswürdige Sprache, die theils provinzial, theils von ihm selbst gebildet ist. Oft wird sie hart, weil er dem Drange der Englischen Kürze zu sehr nacheifert; überall aber, und auch in seinen Fehlern, giebt er Lehren. Wenn ich ein Schwabe wäre, wollte ich mir die Ausgabe dieses Dichters in seinen besten Stücken nicht nehmen lassen, und ein Idiotikon seiner Sprache mit ihm liefern. – Ein großer Theil seiner Gedichte sind Lobgesänge, meistens auf sehr würdige Personen, z. E. Gustav Adolph, Bernhard von Sachsen, Ernst von Mansfeld, den Ritter Wotton u. a.; die meisten enthalten trefliche Stellen zum Lohn des Patriotismus und der Tugend. Kurz, mir wäre es nicht unwohl, wenn ich diesen Dichter von einer guten Hand wieder erweckt sähe; mich dünkt, Ihnen gewiß nicht minder. –


  1. 38) G. R. Weckherlins Geistliche und weltliche Gedichte. Amsterd. 16. in 12.
  2. 39) So ist z. B. die 30. Ode seines 2ten Buchs, die [273]Lüge, eine Nachbildung des herzlichen Stücks, das Walter Raleigh die Nacht vor seinem Tode geschrieben haben soll: go, foul, the bodie’s guest; Reliques of ancient Poetry (Vol. 2. p. 306.) Die 32te Ode Ulysses und die Syrene ist wörtlich das Gespräch: Ulysses and the Syren (Reliq. Vol. I. p 312.) Die Kennzeichen eines glücklichen Lebens Rel. Vol. I. p. 320. und dem Italienischen ist ungemein vieles sowohl in den Oden als Sonnetten nachgebildet.
  3. 40) Auserlesene Gedichte der besten Deutschen Dichter, von Eschenburg B. 3. Braunschw. 1778.
  4. 41) Deutsches Museum, 1779. Octob. a. 2.
  5. Mit weniger, fast unmerklichen Veränderungen
  6. Love, my love
  7. Vitam, quae faciunt heatiorem.
  8. So wahr dies alles in Absicht der einförmigen Jamben, zumal wenn sie hölzern gebraucht werden, seyn mag: so paßt es nicht auf andre lebendigere Sylbenmaasse, in denen das Metrum mit dem Geist und Genie des Gedichts, ja selbst mit der Physiognomie jedes Verses und jeder Strophe aufs innigste Eins wird. Keine Sprache Europa's kann sich hierinn der Griechischen so Zwanglos nähern als die Deutsche; und natürlich ist dies eine vollkommnere Versification, als wenn die Declamation eines Gedichts der Skansion desselben widerspricht und diese nur für das Auge gemacht scheinet. Auf jenem Wege ist auch die innigste Zusammenschmelzung der Poesie und Musik allein möglich. Klopstock hat diesen Weg der Poesie eröfnet, und andre haben sich eigne Fußsteige gebahnet, so daß wir zur unskandirten Barbarei nicht mehr zurückkehren können, noch dörfen.