Georg Philipp Telemann an Johann Mattheson

Textdaten
Autor: Georg Philipp Telemann
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Titel: Brieff an Herrn Mattheson
Untertitel:
aus: Johann Matthesons Grosse General-Baß-Schule. Oder Der exemplarischen Organisten-Probe, S. 169-180.
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum: 1718
Erscheinungsdatum: 1731
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Telemanns Brief an Johann Mattheson von 1718.
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[169]

Brieff

An
Herrn Mattheson.

Mein Herr,

DIeselben begehren / nachdem meinen Lebens-Lauff / und zwar insonderheit / was die in die Music lauffende Dinge betrifft / in compendio überschicket / ich soll noch einige Anmerckungen hierzufügen. Demnach erfülle in gegenwärtigem dero Verlangen. Es wird aus allen Umständen erhellen / daß GOtt und Natur mich zur Music recht gezogen haben / und also dieses dadurch bestättiget: Qvod Musici nascentur, non fiant.

a) Ob zwar mein seel. Vater in dem / was die Music anbelanget / von sich sagen konnte:

Non fonte labra prolui caballino,
Nec in bicipiti somniasse Parnasso
Memini. – – – [Pers. in Prol.]

So war doch auf mütterlicher Seite die Erfahrung in der Singe-Kunst desto grösser. Und aus diesem Ursprunge leitet sich mein Naturell zur Music her / welches ich für eine Haupt-Glückseeligkeit meines Lebens schätze.

[170]

Hätt’ ich gleich ein grosses Guth durch der Eltern Sorg’ empfangen /
Wär’ es doch um dessen Dauer durch manch Unglück leicht gethan.
Doch das Erbe der Music läst mich einen Schatz erlangen /
Den der Diebe Faust nicht stehlen / noch die Flamme fressen kan.

b) Hier erlernete die Grundsätze im Singen / etwa im 9. oder 10ten Jahre / bey Herrn Benedicto Christiani, Cantore in der alten Stadt / (an den noch jetzo danckbarlich gedencke) in recht weniger Zeit. Hierauf nahm Lection auf dem Claviere / welche aber / weiß selber nicht mehr / warumb? nur 1… Tage fortsetzen konnte. Dieses beydes ist alles / was in der Music durch Anweisung begriffen; das Uebrige that nachgehends die Natur / welche mir auch noch eher / als ich im Singen unterrichtet wurde / schon die Flöte und Violine / und bey jener fast zugleich die Feder in die Hand gegeben hatte / so daß ich erstlich Arietten / hernach Moteten / Instrumental-Sachen / und endlich gar eine Oper / die auch vorgestellet wurde / zusammen setzte / wiewohl es hierbey nicht fehlen kann / daß alles mit meiner unzeitigen Jugend ziemliche Gleichheit wird gehabt haben. Mitten bey diesem hitzigen Fortgange fanden sich Leute / welche meiner seel. Mutter einredeten: Es wäre heut zu Tage ein gefährliches Werck um die Music; Man könnte sein Brodt nicht darbey erwerben; Sie wäre in aller Welt verachtet etc. Und hieß also recht von diesen:

Hi sunt, qui dicunt, quid toto fiat in orbe,
Quid Seres, quid Thraces agant. – – – [Horat. Sat. I.]

Indessen würckten solche Vorstellungen so viel / daß mir meine Instrumenta / und mit ihnen mein halbes Leben / genommen / auch nachdrücklich untersaget wurde / keine Note mehr zu schreiben. Aber / wie das Sprichwort wahr bleibet:

Naturam expellas furcâ, tamen usque recurret.

Also war auch mein Feuer viel zu groß / und verleitete mich zu einem unschuldigen Ungehorsam / so daß ich manche Nacht / weil ich am Tage nicht dürffte / mit der Feder in der Hand / und manche Stunde an einem einsamen Orte / mit geborgten Instrumenten / zubrachte. Da ich drüben des Singens gedacht habe / so fallen mir jetzo nachfolgende Gedancken darüber ein:

Singen[1] ist das Fundament zur Music in allen Dingen.
Wer die Composition ergreifft / muß in seinen Sätzen singen.
Wer auf Instrumenten spielt / muß des Singens kündig seyn.
Also präge man das Singen jungen Leuten fleißig ein.

c) An diesen Ort wurde etwa im dreyzehenten Jahre meines Alters geschicket / in der Absicht / daß ich in der Géometrie, welche hierselbst in der Schule getrieben wurde / mich üben / und / weil meine Noten-Tyrannen in Magdeburg glaubeten / hinter dem Blocksberge wehe kein musicalisches Lüfftgen / dem Studieren desto eyfriger obliegen solte. Es ist nicht ohne / daß ich allhier in der Latinität mercklich zugenommen / aber doch nicht weniger in der Music / wie ich dann den Anfang zu [171] Kirchen-Compositionen machte / wovon fast alle Sonntage ein Stück aufgeführet wurde / woraus ich den Schluß ziehe:

Music kann mit Latein sich wohl verknüpffen lassen /
Wie diß das Alterthum vorlängst schon dargethan.
Ein Kopf / der fähig ist / die Harmonie zu fassen /
Sieht auch den Cicero für keinen Kobold an.

In währender dieser Zeit suchte das Clavier wieder hervor / auf welchem so lange grübelte / biß die nöthigsten Reguln des General-Basses von mir selbst fand / und sie in einige Execution brachte / welches ich vieleicht mit weniger Mühe hätte thun können / wann mir die von dieser Materie handelnden Bücher in die Hände gefallen wären / und mich die Blödigkeit / oder vieleicht der Eigesinn / nebst einer unnöthigen Ambition / nicht gehindert hätten / einen Organisten um Rath zu fragen.

Lust und Fleiß kann Wege finden /
Ob sie noch so tieff verschneyt /
Und ein kühnes Unterwinden
Trotzet der Unmöglichkeit.
Zeigen sich gleich grosse Berge?
Frisch gewagt! du kommst hinan.
Sieh die Schwürigkeit für Zwerge /
Dich für einen Riesen an.

d) Wie nun meine Urtheilungs-Krafft durch die beständige Uebung immer reiffer wurde / also durffte mich hierselbst unterstehen / verschiedene weitläufftige Dramatisch-Historische Wercke / zu welchen der damahlige Director, Herr M. Loßius / die Poesie verfertigte / und sie öffentlich / mit nicht geringen Kosten / producirte / in die Music zu setzen. Doch fand ich bey mir eine grössere Lust zur Kirchen-Arbeit. Ich ließ die Stücke derer neuern Teutschen und Italiänischen Meister mir zur Vorschrifft dienen / und fand an ihrer Erfindungs-vollen / singenden und zugleich arbeitsamen Arth den angenehmsten Geschmack / bin auch noch jetzt der Meynung / daß ein junger Mensch besser verfahre / wann er sich mehr in denen Sätzen von gedachter Sorte umsiehet / als denenjenigen Alten nachzuahmen suchet / die zwar krauß genung contra-punctiren / aber darbey an Erfindung nackend sind / oder 15. biß 20. obligate Stimmen machen / wo aber Diogenes selbst mit seiner Laterne kein Tröpfgen Melodie finden würde. Denn / ungeachtet ich diesem /

Qui veteres ita miratur laudatque Poetas[2]
Ut nihil anteferat nihil illis comparet; . . [Horat. Epist. XVIII.]

seine ehrerbietigen Gedancken lassen kann / so wird mir doch erlaubet seyn / demjenigen beyzufallen / was ein ungenannter Frantzose von dieser Materie schreibet:

[172]

Ne les (die Alten) eleve pas dans un ouvrage saint
Au rang où dans ce temps les Auteurs ont atteint.
Plus féconde aujourd’hui la Musique divine
D’un art laborieux étale la doctrine,
Dont on voit chaque jour s’accroitre les progrez.

Ich hatte damahls das Glück / zum öfftern die Hannöverische und Wolffenbüttelische Capellen zu hören / von deren ersteren man gestehen muste:

Hier ist der beste Kern von Franckreichs Wissenschafft
Zu einem hohen Baum und reiffster Frucht gediehen.
Hier fühlt Apollo selbst der muntern Lieder Krafft /
Und muß / als halb beschämt / mit seiner Leyer fliehen;

Und von der zweyten:

Venedig darff nicht mehr in Bühnen triumphieren /
Denn Braunschweig reisset ihm die Ehren-Säulen ein /
Und weil auch hier so Stimm’ als Instrument floriren /
So könnte dieser Ort ein kleines Welschland seyn.

Also bekam ich bey jener Licht im Frantzösischen / bey dieser im Italiänischen und Theatralischen Goût, bey beyden aber lernete die diversen Naturen verschiedener Instrumente kennen / welche nach möglichstem Fleiße selbst zu excoliren nicht unterließ. Wie nöthig und nützlich es sey / diese Arten in ihren wesentlichen Stücken unterscheiden zu können / solches erfahre noch biß auf den heutigen Tag / und sage / es könne niemand / ohne solches zu wissen / hurtig und glücklich im Erfinden seyn. Es ist auch die genaue Bekandschafft mit denen Instrumenten zur Composition unentbehrlich. Denn sonst muß man den Ausspruch fällen:

Die Violine wird nach Orgel-Arth tractiret /
Die Flöt’ und Hautbois Trompeten gleich verspühret /
Die Gamba schlentert mit / so wie das Bäßgen geht /
Nur daß noch hier und da ein Triller drüber steht.
Nein / nein / es ist nicht gnug / daß nur die Noten klingen /
Daß du der Reguln Kram zu Marckte weist zu bringen.
Gieb jedem Instrument das / was es leyden kan /
So hat der Spieler Lust / du hast Vergnügen dran.

e) Anjetzo schien bey mir einzutreffen / was Ovidius spricht:

Impetus ille sacer — — — —
Qui prius in nobis esse solebat, abest.

Denn / da mir in Magdeburg von neuem angemuthet wurde / die Music zu verlassen / und hingegen zum Studio Juridico alle meine Kräffte anzuwenden / so fand mich hierzu so geneigt / daß ich alle bißher componirte Sachen / [173] nebst denen Instrumenten zurück ließ / und sie einer ewigen Vergessenheit aufopfern wolte. Aber homo proponit, Deus disponit. Am ersten Tage meiner Ankunfft in Leipzig muste sichs fügen / daß mit einem Studioso accord wurde / dessen Stuben Geselle zu werden. Ich zog ein / fand aber das gantze Zimmer / wieder alles Vermuthen / voll von Instrumenten. Ich hörete täglich Music darinnen / verbarg aber meine Erfahrung in dieser Wissenschafft. Endlich wurde solche entdecket / als gedachter mein Stuben-Pursch unter meinen Scripturen / den ehe dessen von mir gesetzten 6ten Psalm / welcher von ohngefehr darunter gerathen war / erblickte. Ich verständigte ihn meines Vorhabens / daß er auf keine Weise zu hindern versprach / nahm aber den 6ten Psalm zu sich / welcher den nächsten Sonntag darauf in St. Thomas-Kirche musiciret wurde. Der damahlige Bürgemeister und Geheimbde Rath / Herr D. Romanus, merckte in dieser Arbeit etwas an / warum er für gut fand / mir zu rathen: Ich möchte die Music als ein πάρεργον mir anbefohlen seyn lassen / machte mir zu gleich Hoffnung zu einigen daraus entspringenden guten Vortheilen / und trug auch zu meiner Beförderung bey der neuen Kirche ein grosses bey. Also trat ich wieder in mein erstes Element / nemlich die Music, welche in weniger Zeit mein gantzes Feuer wieder anbließ. Ich überkam die Composition deren Opern / wovon gegenwärtig etliche und 20. / und zu deren vielen auch die Poesie, verfertiget; und richtete das noch jetzo florirende Collegium Musicum auff. Dieses Collegium, ob es zwar aus lauter Studiosis bestehet / deren öffters biß 40. beysammen sind / ist nichts desto minder mit vielem Vergnügen anzuhören / und wird nicht leicht / derer mehrentheils darinnen befindlichen guten Sänger zu geschweigen / ein Instrument zu finden seyn / welches man nicht darbey antrifft. Es hat etliche mahl die Gnade gehabt / Se. Königliche Pohlnische Majestät / und andere grosse Fürsten zu divertiren. Sonst versiehet es die Music in der neuen Kirche. Endlich gereichet auch zu dessen Ruhme / daß es vielen Oertern solche Musicos mitgetheilet / die man jetzo unter die berühmtesten zehlet. Als in Dreßden excelliret Mr. Pisendel auf der Violine; In Darmstadt Mr. Böhm auf der Hautbois, Flûte Traverse und Flûte à bec; Mr. Bendler und [3] Petzhold in Wolffenbüttel und Hamburg / als ungemeine Baßisten und Acteurs; von denen / so noch gegenwärtig darbey sind / ist dessen Director Mr. Vogler ein munterer Componiste und starcker Violiniste; Mr. Riemschneider / den auch schon Hamburg [4] auf dem Theatro admiriret / ein angenehmer Baßiste; und Mr. Schneider einer der besten Altisten. Hiernächst war so glücklich / die Gnade Sr. Hoch Fürstl. Durchl. / des Hertzogs von Weissenfels / durch einige für Dero Theatre componirte Schau-Spiele zu erwerben. Die Approbation derer Herren Virtuosen in Dreßden / bey denen die Delicatesse Welschlandes / und Franckreichs Lebhafftigkeit / als in einem Mittel-Puncte zusammen kommt;

[174]

Car ils font un Ensemble & composent un Tout,
Où concourrent à la fois la science & le goût. [Anonym.]

Dieser ihre Approbation, sage ich / wormit sie meine Executionen beehreten / halff allhier nicht wenig zu meinem fernern Fortgange. Hierbey ist nicht zu vergessen / daß ich mit der Person und Arbeit Herr Kuhnaus bekandt wurde; und wie Vita instituenda est illustribus exemplis, [Senec.] so weckte die Gelehrsamkeit / welche dieser sonderbare Mann / nebst der Music, in der Jurisprudentz und vielen Sprachen / so gar auch in der Hebräischen / besaß / die Begierde in mir auf / daß ich einen Theil von dessen rühmlichen Qualitaeten mit der Zeit erlangen möchte. Ob nun zwar mein Wunsch den Ausschlag überwogen hat / so dancke doch der gütigen Providentz für das verliehene / so wenig es auch ist / setze aber dieses andern zur Lehre:

Music will / daß ein Mensch sich ihr allein verschreibe.
Allein die Welt fällt jetzt der Meynung nicht mehr bey.
Sie fodert / daß man mehr darneben lern’ und treibe.
(Als ob ein Noten-Kopf so voll von Fächern sey)
Drum wird man sich doch wohl nach ihr bequehmen müssen.
Das / was der Hauffe will / wird endlich ein Geboth.
Doch ists auch angenehm / von vielen was zu wissen;
Und bringt es gleich nichts ein / so frißt es doch kein Brodt.

f) Ist etwas in der Welt / wodurch der Geist des Menschen aufgemuntert wird / sich in dem / was er gelernet / immer geschickter zu machen / so wird es wohl der Hoff seyn. Man suchet die Gnade derer Grossen / die Höfflichkeit derer Edlen / und die Liebe nebst der Hochachtung derer übrigen Bedienten zu erlangen / und läßt sich keine Mühe verdriessen / seinen Zweck zu erreichen / zumahl wenn man noch bey denen Jahren ist / die zu solchen Unternehmungen das benöhtigte Feuer haben. Wie ich nun in der besten Blüthe meiner Jahre an diesen Hoff gerieth / so ist leicht zu erachten / daß ich die Hände nicht werde in den Schooß geleget haben / um mein Glück zu bauen. In der That / hier fieng ich erst recht an fleißig zu seyn / und das / was zu Leipzig in Singe-Sachen gethan / allhier auch in der Instrumental-Music, besonders in Ouverturen / zu versuchen / weil Se. Excellence der Herr Graf kurtz zuvor aus Franckreich kommen waren / und also dieselben liebeten. Ich wurde des Lulli, Campra, und anderer guten Autoren Arbeit habhafft / und ob ich gleich in Hannover einen ziemlichen Vorschmack von dieser Art bekommen / so sahe ihr doch jetzo noch tieffer ein / und legte mich eigentlich gantz und gar / nicht ohne guten Succes, darauf / es ist mir auch der Trieb hierzu bey folgenden Zeiten immer geblieben / so daß ich biß 200. Ouverturen von meiner Feder wohl zusammen bringen könnte. Zu solchem meinem Fleisse und Zunehmen mochte damahls auch wohl dieses viel mit beygetragen haben / daß ich eine eheliche Liebe auf meine seel. Frau warff. Denn man hält dafür / daß die Liebe die Geister aufmuntere.

[175]

C’est lui, dont la chaleur anime nôtre Veine. [St. Evrem.]

Und daß

Beaux yeux inspirent des beaux vers. [Regnier.]

Vielleicht halff der Ungarische Reben-Balsam ingleichen darzu / nach dem Emblemate Kaysers Adriani: Vinum ingenii fomes; Oder nach der Meynung derer Alten / die die Pallas und den Bacchum in einen Tempel zusammen setzten / um damit anzudeuten: Daß der Wein den Verstand vermehre; [Hoffm. Diss. 9. T. 2. c. 6.] Ingleichen nach dem Plutarcho, welcher versichert / daß / der Wein die Kräffte unserer Lebens-Geister sammle und vermehre. [l’Eloge de l’yvr.] Doch gnung vom Weine. Man brauche ihn so / damit man nicht die Grabschrifft verdiene:

Hic jacet Amphora vini.

Sorau war mir auch in dem nutzbar / daß die Conversation des berühmten Musici theoretici, Herrn Caspar Printzens / geniessen konnte. Ferner wurde hier / wegen der Nachbarschafft / mit der Polnischen Music bekannt / wovon gestehe / daß ich viel Gutes und veränderliches darbey gefunden / welches mir nachgehends in manchen / auch ernsthafften Sachen / Dienste gethan. Bey Erwehnung dieses bey der Music-verständigen Welt so schlecht geachteten Styli kann mich nicht enthalten / ihm ein kleines Panegyricum zu setzen:

Es lobt ein jeder sonst das / was ihn kann erfreun.
Nun bringt ein Polnisch Lied die gantze Welt zum springen;
So brauch ich keine Müh den Schluß heraus zu bringen:
Die Polnische Music muß nicht von Holtze seyn.

g) Anjetzo befinde mich in Eisenach / welches ich wohl die hohe Schule nennen kann / worinnen ich nicht allein in verschiedenen zur Music gehörigen Sachen zu einer wahren Soliditaet kommen / sondern auch im Christenthume ein gantz anderer Mensch worden bin. Denn da nunmehro die wilde Hitze meiner Jugend abzunehmen begunte / so fand bey der ungeheuchelten Gottesfurcht derer Durchl. Durchl. Herrschafften einen seeligen Wunsch / auch hierinne stärcker zu werden / und die so angenehm als ernsthaffte Aufführung des mehresten Hofes erweckten in mir ein Verlangen / mich auch also bezeugen zu können. Was die Music betrifft / so wurde allhier bey meiner Ankunfft die Capelle erst aufgerichtet / worbey der nie gnung zu preisende Mr. Pantlon Hebestreit die Sorge trug / die Glieder derselben zusammen zu suchen. Dieser fürtreffliche Virtuose / der auf seinem fast inimitablen und selbst erfundenen Instrumente (welches Franckreich / ihm zur Ehre / mit seinem Nahmen / Pantlon, benennet) ingleichen auch auf der Violine lauter Bewunderungswürdige Sachen hervor bringet / und dem dis Lob gebühret:

Il a fort peu d’egaux dans l’art d’executer,
Au torrent de ses mains rien n’ose resister,
Les tons harmonieux, sans les mettre à la gêne,
Sous des doigts foudroyants semblent naître sans peine. [Anon.]

[176] Monsieur Pantlon, sage ich / hatte / nebst der Erfahrung auf vielerley Instrumenten / zugleich in der Frantzösischen Music und Composition eine ungemeine Geschicklichkeit / woraus ich mehr Vortheil geschöpfet / als ich hier anzuführen vermögend bin. Das anhaltende Exercitium in dergleichen Sachen brachte bey hiesigem Orchestre eine feste und einhellig-übereinstimmende Execution zu wege / welche mich zu beständiger Arbeit anlockte. Alldieweil aber die Veränderung belustiget / so machte mich auch über Concerte her. Hiervon muß bekennen / daß sie mir niemahls recht von Hertzen gegangen sind / ob ich deren schon eine ziemliche Menge gemacht habe / worüber man aber schreiben möchte:

Si natura negat, facit indignatio versum [Juv. Sat. I.]
Qualemcunque potest. — — —

Zum wenigsten ist dieses wahr / daß sie mehrentheils nach Franckreich riechen. Ob es nun gleich wahrscheinlich / daß mir die Natur hierinne etwas versagen wollen / weil wir doch nicht alle alles können / so dürffte dennoch das eine Uhrsache mit seyn / daß ich in denen meisten Concerten / so mir zu Gesichte kamen / zwar viele Schwürigkeiten und krumme Sprünge / aber wenig Harmonie und noch schlechtere Melodie antraff / wovon ich die ersten hassete / weil sie meiner Hand und Bogen unbequehm waren / und / wegen Ermangelung derer letztern Eigenschafften / als worzu mein Ohr durch die Frantzösischen Musiquen gewöhnet war / sie nicht lieben konnte / noch imitieren mochte. Hingegen fand eine bessere Neigung zu Sonaten / deren ich von 2. 3. biß 8. à 9. Partien eine grosse Anzahl verfertiget. Besonders hat man mich überreden wollen / die Trio wiesen meine beste Stärcke / weil ich sie so einrichtete / daß eine Stimme so viel zu arbeiten hätte / als die andre.

Sed ego non credulus illis. [Virg. Ecl. IX.]

Dieses aber weiß wol / daß ich allemahl die Kirchen-Music am meisten werth geschätzet / am meisten in andern Autoribus ihrentwegen geforschet / und auch das meiste darinnen ausgearbeitet habe / so / daß biß diesen Tag 5. vollstimmige und bey nahe 2. kleinere Jahrgänge vollendet sind / ohne die Communion- und Nachmittags-Stücke / Missen / Psalmen / Arietten u. s. w. Endlich fallen mir noch die Cantaten bey / welche hier und sonst überhaupt gemacht / wie auch die Serenaten bey hohen Geburths- oder Nahmens-Festen. Von jenen werde nicht über 50. und von diesen kaum 20. zu zehlen haben. Die letztern sind alle Teutsch / und starck von Stimmen und Instrumenten. Die erstern haben auch mehrentheils eine teutsche Poesie / sind sehr leicht / arios und soli; die übrigen Italiänischen aber etwas schwerer / und fast alle mit Instrumenten / unter denen etliche für geschickte Meister gesetzet / und mir insonderheit habe angelegen seyn lassen / eines jeden Instrument nach seiner Natur anzubringen / worbey ich mich jedoch der Leichtigkeit beflissen / wie ich fast durchgehends in allen meinen übrigen Sachen gethan. Denn ich bin des Glaubens:

[177]

Ein Satz der Hexerey in seine Zeilen faßt /
Ich meyne / wenn das Blat viel schwehre Gänge führet /
Ist musicirenden fast meistens eine Last /
Worbey man offtermahls genung Grimacen spühret.
Ich sage ferner so: Wer vielen nutzen kan /
Thut besser / als wer nur für wenige was schreibet;
Nun dient / was leicht gesetzt / durchgehends jedermann:
Drum wirds am besten seyn / daß man bey diesem bleibet.

h) Aber wie gerathe ich zu denen HHnn. Republicanern? bey welchen / wie man glaubet / die Wissenschafften wenig gelten;

Où le docte Savoir ne leur semble plus rien,
Où l’on hazarde tout pour acqverir du bien; [Cantenac Sat.]

Und fürchte ich nicht / daß man in Ansehung dieser meiner Veränderung mit jenem sprechen werde:

Je m’étonne, Damon, de te voir en Province
Relegué pour toujours, & renoncer au Prince,
A Faveur, aux Plaisirs, à l’Honneur, à la Cour,
Choisissant pour retraite un tres obscur sejour? [Anon.]

Es hat mich aber dieses zu ihnen gebracht / daß ich vermeynte / es würde die an einer Reichs-Stadt zu hoffende Ruhe zur Verlängerung meines Lebens zuträglich seyn; Und / ob schon nicht bey allen Höfen eintrifft /

Q’au matin l’air pour nous est tranquille & sérein,
Mais sombre vers le soir & de nuages plein;

Am allerwenigsten aber in Eisenach zu vermuthen war / so ließ mir doch endlich den Rath gefallen: Ich möchte die Wahrheit dieses Spruchs nicht in eigener Erfahrung erwarten. Also lebe nun allhier in einer austräglichen Versorgung. Wiewohl / was die Ruhe anlanget / so habe ich sie biß anhero noch nicht gefunden / woran aber mein Naturell / welches keinen Müßiggang ertragen kann / Uhrsache ist. Denn allhier habe nicht allein wohl die Helffte von denen Kirchen- sondern auch die meisten Instrumental-Sachen / deren drüben gedacht / verfertiget / zu welchen letztern das von mir angefangene grosse Collegium Musicum viel Gelegenheit gegeben hat. Bey diesem haben mich auch die 5. schönen Davidischen Oratorien / von der Poesie des belobten Mr. Königs beschäfftiget. Ich kann hier nicht umhin / von einem Privat-Manne und ausserordentlichem Liebhaber und Kenner der Music Meldung zu thun. Es ist Herr Henrich Bartels / einer von denen fürnehmsten Evangelischen Banquiers. Selbiger hat eine so genaue Erkänntniß in der Frantzösischen und Welschen Music / daß er in jedweder nach ihrem eigenthümlichen / so dann auch / in dem von beyden zusammen gemischten Goût, so wohl singend / als auch auf etlichen Instrumenten / besonders auf der Violine sich darff hören lassen / [178] worbey ich noch dieses zu rühmen habe / daß er sein Talent in der Kirche zur Ehre GOttes unabläßlich anwendet / und auch bey andern Concerten kein Bedencken träget / sich und andere damit zu ergötzen / weswegen selbigen dieses Lobspruchs würdig geschätzet:

Du widmest das / was dir des Schöpfers Güte gab /
Durchaus beliebter Mann! hinwieder seinen Ehren.
Drum schüttet er auf dich so manches Heyl herab /
Und ruffet dich dereinst zu seinen Himmels-Chören.
Doch / da es auch zugleich des Nächsten Ohr vergnügt /
So will dir jederman die Hände danckend reichen.
Ich aber habe noch den Wunsch hier beygefügt:
Ach! wären in der Welt doch viele deines gleichen. [5]

Ungeachtet drüben schon derer Serenaten gedacht / so kommt mir doch noch eine vor / die allhier insonderheit darff berühret werden. Sie wurde / wegen der Geburth des Durchl. Ertz-Hertzogs von Oesterreich und Printzens von Asturien / Anno 1716. verfertiget / welche Sr. Röm. Kayserl. Majestät allerunterthänigst dediciret / nachdem sie vorher der unvergleichlichen Execution des Darmstädtischen Orchestres / auch des renommirten Berlinischen Virtuosens auf der Hautbois Mr. Peter Glöschens / gewürdiget worden. Ingleichen war auch in eben dem Jahre über Herr Licent. Brocks Passions-Oratorium gerathen / dessen Poesie von allen Kennern für unverbesserlich gehalten wird. Es wurde solches mit jetzt–gemeldeter Execution gleichfalls aufgeführet / und zwar in der Lutherischen Haupt-Kirche / in Gegenwart Ihro Hochfürstl. Durchl. Durchl. des Herrn Landgraffens von Darmstadt / des Fürstens von Idstein / von Ost-Frießland etc. und einer grossen Menge anderer Zuhörer / hat auch nachgehends die Ehre gehabt / in Hamburg / Augspurg und Leipzig angehöret zu werden: Ferner habe bey denen hiesigen considerablesten auch auswärtigen Hochzeiten / und bey der Anwesenheit grosser Herren / etliche und 20. starcke Dramata componiret / zu welchen allen auch die Poesie verfasset. Weiter haben die Befehle verschiedener Standes-Personen / und das Verlangen bürgerlicher Personen mir zur Verfertigung gantzer Instrumental-Wercke von allerhand Gattungen beständig Anlaß gegeben. Ueber diese sind folgende von mir in Kupfer / und gedruckt / publiciret worden / als:

1. VI. Sonates à Violon seul & Basse chiffrée, in Kupfer.
2. Kleine Cammer-Music / oder Partien für diverse Instrumente / gedruckt.
3. Six Trio, ingleichen für vielerley Instrumente / in Kupfer.
4. Sei Sonatine per Violino e Cembalo, in Kupfer.

Das / was hier insonderheit meine Lust zur Arbeit unterhalten / ist / daß ich viel derer berühmtesten Musicorum von unterschiedlichen Nationen kennen zu lernen das Glück gehabt / deren Geschicklichkeit mir allemahl einen Trieb eingepflantzet / meine Sätze mit möglichstem Bedacht auszuführen / damit ihre und ihrer Landes-Leute Gunst erwerben möchte.

[179]

Also leb ich biß anher bey beständig-munterm Fleisse /
Doch / wer will die Zeit bereun / die uns / mitten bey dem Schweisse /
Einen jeden Tag zur Stunde / zur Minute jede Nacht /
Und den gantzen Lauff des Lebens hat zum Paradieß gemacht.

BIß hieher / Mein Herr / erstrecken sich die Anmerckungen über meinen Lebens-Lauff. Es solten sie die Gräntzen eines Brieffes einschräncken / allein ist ein Buch draus worden; und mir also ergangen / wie denen Leuten / welche böse Magen haben / und die beym Anfange der Mahlzeit wenig Appetit verspühren / nachdem sie aber den Mund angebracht / aus aller Macht essen / und kaum zu ersättigen sind. Ich kann auch noch nicht aufhören; sondern finde für nöthig / noch ein und anders hinzuzuthun. Es dürffte etwan in selbigem hin und wieder scheinen / als ob ich gar zu rühmlich von mir selbst geschrieben hätte / und man dahero gedencken möchte:

Unus Pellaeo juveni non sufficit orbis,
Aestuat infelix angusto limite mundi; [Juv. Sat. X.]

Aber / wie mit gutem Gewissen für aller Welt bezeugen kan / daß / ausser der erlaubten Ehre / die ein jedweder Mensch haben soll / mich keine närrische Hoffarth plage /

Neque me ut miretur laborem; [Hor. Sat. X. lib. I.]

Auch das Bekändniß dererjenigen / mit denen ich umgegangen bin / mich desfalls rechtfertigen wird; So habe mich auf der andern Seite schuldig gefunden / die Wahrheit nicht zu verbergen / weil doch

Rien n’est beau que le Vrai, le Vrai seul est aimable; [Boil.]

Noch die Gütigkeit / mit welcher mich die Natur angesehen / zu verschweigen. Und eben also / wann ich viel von meinem Fleisse melde / so ist es nicht geschehen / mich damit groß zu machen / indem doch dieses eine allgemeine Bedingung aller Menschen ist / daß sie ohne Arbeit nichts erlangen sollen:

Nil sine magno
Vita labore dedit Mortalibus; [Hor. Sat. IX. lib. I.]

Sondern meine Absicht ist gewesen / diejenigen / so die Music studiren wollen / zu erinnern / daß sie in dieser unerschöpflichen Wissenschafft / ohne große Bemühung / nicht weit gelangen / hingegen aber durch dieselbe sich einen guten Nahmen und Nutzen zu wege bringen können. Hiernächst weiß nicht / ob manchem / der dieses lieset / und so viele andere berühmte und preißwürdige Musicos, Allegata, Verse und schertzhaffte Ausschweiffungen darinne findet / zu Muthe seyn werde / wie jenem Provincial, der sich beklagte / er wäre aus Paris gereiset / ohne es gesehen zu haben / weil / wie er sagte / die Häuser ihn gehindert hätten / daß er die Stadt nicht betrachten können. [L’Eloge de l’Yvr. Pref.] Darauf dienet zur Antwort: daß / wie es / in Ansehung derer ersten / kleinern Gebäuden zur Zierde gereichet / wenn dann und wann ein Pallast darzwischen zu stehen [180] kommt / also habe mich derer letztern bedienet / um meinen Häusern einen muntern Anstrich zu geben / damit sie denen vorbey gehenden desto eher in die Augen fallen möchten. Endlich dancke der göttlichen Allmacht / daß sie mein Hertz zu der alleredelsten Music gelencket / die über dem / daß sie ihren Anhängern die Arbeit zur Wollust machet / die Wiederwärtigkeiten des Lebens verzuckert / und von denen Hohen der Welt / wie nicht weniger von vielen vernünfftigen Leuten / getrieben und in Ehren gehalten / auch denenjenigen / welche durch viele Arbeit eine Staffel in selbiger erlanget / reichlich belohnet wird / mit der Ewigkeit fort zu gehen gewürdiget ist. Ich dancke auch dem Uhrheber der Harmonie besonders / daß er mir in selbiger für vielen andern die Gabe verliehen / auf ihrem unersteiglichem Berge nicht wenig Stuffen beschreiten zu können. Denn ob ich wohl dasjenige / was mir noch mangelt / für unendlich / und mein Wissen nur für einen glücklichen Anfang halte / so darff doch mit dem Poeten sagen:

Non sum adeo informis / nuper me in littore vidi. [Virg. Ed. II.]

Und ob gleich nicht alles / was ich gemacht / nach eines jedweden Geschmack seyn wird noch kann / so halte doch dafür / che anco le cose / che non piacciono / si possono godere. [Lored. Scherz. genit.] Ich schliesse zur Ehre der Music also:

Wenn / da Natur und Trieb das Wollen eingepräget /
Wenn Nutzen / Ehr’ und Glück den muntern Fleiß erreget /
Wenn manch geübter Halß / Hand und geschicktes Blat
Den forschenden Verstand in uns geschärffet hat /
Und man am Ende doch sein Schwach-seyn muß bekennen /
So folget / daß Music ein hohes Werck zu nennen;

Und verharre /

Mein Herr /
Dessen
ergebener und gehorsamer
Diener.

Franckfurth / d. 14. Sept.

1718.

Georg Philipp Telemann.
CCLXXVI.

  1. Vid. Organisten-Probe, erstere Ausgabe p. 129. und in dieser Auflage die Erläuterung über das fünffte Prob-Stück der zweiten Classe.
  2. Poeten waren bey denen alten Griechen auch Musici.
  3. Sind beyde schon verstorben.
  4. Itzo in Engelland.
  5. Vid. Musical. Patriot. p. 16.


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