Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli
In dem Schlosse Blay erblickt man
Die Tapete an den Wänden,
So die Gräfin Tripolis
Einst gestickt mit klugen Händen.
Sie hinein, und Liebesthräne
Hat gefeyt das seidne Bildwerk,
Welches darstellt jene Scene:
Wie die Gräfin den Rudèl
Und das Urbild ihrer Sehnsucht
Gleich erkannt’ in seinen Zügen.
Auch Rudèl hat hier zum ersten
Und zum letzten Mal erblicket
Die ihn oft im Traum entzücket.
Hält ihn liebevoll umschlungen,
Küßt den todesbleichen Mund,
Ach! der Kuß des Willkomms wurde
Auch zugleich der Kuß des Scheidens,
Und so leerten sie den Kelch
Höchster Lust und tiefsten Leidens.
Giebt’s ein Rauschen, Knistern, Beben,
Die Figuren der Tapete
Fangen plötzlich an zu leben.
Troubadour und Dame schütteln
Treten aus der Wand und wandeln
Durch die Säle auf und nieder.
Trautes Flüstern, sanftes Tändeln,
Wehmuthsüße Heimlichkeiten,
Aus des Minnesanges Zeiten:
Wird erwärmt von deiner Stimme,
In den längst erloschnen Kohlen
„„Melisande! Glück und Blume
Wenn ich dir in’s Auge sehe,
Leb’ ich auf – gestorben ist
Nur mein Erdenleid und -Wehe.““
Einst im Traume, und jetzunder
Lieben wir uns gar im Tode –
Gott Amur that dieses Wunder!“
„„Melisande! Was ist Traum?
In der Liebe nur ist Wahrheit,
Und dich lieb’ ich, ewig Schöne.““
„Geoffroy! Wie traulich ist es
Hier im stillen Mondscheinsaale,
In des Tages Sonnenstrahle.“
Du bist selber Licht und Sonne,
Wo du wandelst, blüht der Frühling,
Also kosen, also wandeln
Jene zärtlichen Gespenster
Auf und ab, derweil das Mondlicht
Lauschet durch die Bogenfenster.
Kommt am End die Morgenröthe –
Jene huschen scheu zurück
In die Wand, in die Tapete.