Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Geister vor Gericht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 446–448
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[446]

Geister vor Gericht.

Justiz und Polizei haben von jeher eine gewisse Abneigung gegen alle sogenannte Hineinragungen einer übernatürlichen Welt in das gewöhnliche Menschenleben an den Tag gelegt. „In Gegenwart der Polizei erscheint weder Dämon noch Engel.“ Dieser Erfahrungssatz war bekanntlich, nach Immermann’s Bericht, das einzige sichere Ergebniß der ernsten und umfassenden Studien, welche Herr von Münchhausen in Weinsberg über diesen Gegenstand gemacht hatte. Das preußische Landrecht stellte „Geisterbanner und Wahrsager“ mit Goldmachern und Schatzgräbern zusammen und drohte ihnen mit Zuchthaus und öffentlicher Ausstellung; noch vor einem Menschenalter sah man auf preußischen Marktplätzen bisweilen alte Weiber, die damals im Alleinbesitz solcher übernatürlicher Gaben zu sein pflegten, an irgend einem Baum, Brunnen oder Pfahl zur Schau gestellt, mit einer Tafel vor der Brust, aus der die Worte: „Wegen betrüglicher Gaukelei“ zu lesen waren. Dabei waren die Geister früher meist harmloser Natur und beschränkten ihre Thätigkeit auf einige dankenswerthe Mittheilungen aus dem „dunkeln Reich, aus deß Gebiet kein Wandrer wiederkehrt“, oder auf mehr oder weniger überraschende Enthüllungen aus der Zeit ihres Erdenwallens. Bei den praktischen Briten aber scheinen in neuester Zeit auch die Geister eine praktische Richtung bedenklichster Art genommen zu haben, und dadurch hat vor wenigen Wochen einer der höchsten Richter von England, der Vicekanzler Gissard in London, Gelegenheit erhalten, sich über die Stellung der englischen Justiz gegenüber der übersinnlichen Welt mit aller irgend wünschenswerthen Klarheit auszusprechen.

Zu London lebte eine Wittwe Lyon, deren Ehemann 1859 gestorben war und ihr ein Vermögen von etwa einhundertvierzigtausend Pfund Sterling hinterlassen hatte. Die Ehe war kinderlos gewesen, und Frau Lyon hatte selbst keine nahen Verwandten, mit denen ihres Gatten aber stand sie auf schlechtem Fuße. Derselbe hatte ihr kurz vor seinem Tode gesagt: „in sieben Jahren werde eine Veränderung mit ihr vorgehen.“ Sie deutete dies dahin, daß sie ihm im Herbst 1866 in’s Grab folgen solle, scheint aber hierzu ungeachtet ihrer fünfundsiebenzig Jahre und bei aller Liebe zu dem Dahingeschiedenen keineswegs geneigt gewesen zu sein, wenigstens war sie sehr erfreut, als ihr ein Photograph, Herr Sims, mittheilte, sie brauche durchaus nicht zu sterben, um sich mit ihrem Gatten wieder vereint zu sehen, sondern habe sich nur an den berühmten Spiritualisten, Herrn Daniel Home, zu wenden, der soeben ein spiritualistisches Athenäum eröffnet habe. Sie trat sofort mit demselben in Briefwechsel und besuchte ihn zuerst am 2. October 1866. Kaum hatten sie sich an einem Tische niedergelassen, als derselbe heftig zu klopfen begann. Herr Home erklärte ihr in gedrängter Kürze das Geisteralphabet; kaum hatte er vollendet, so klopfte der Tisch: „Einzig geliebte Jane, ich bin Charles, Dein einzig geliebter Gatte! Ich lebe und segne Dich, Du meine Theure! Ich bin immer bei Dir und liebe Dich wie immer!“

Diese einleitende Mittheilung bezahlte Frau Lyon mit dreißig Pfund Sterling, womit Charles durchaus einverstanden gewesen zu sein scheint, denn am 6. October, bei einer neuen Zusammenkunft, gerieth der Tisch in wahrhaft leidenschaftliche Bewegung und klopfte etwa Folgendes: „Daniel Home soll Dein Sohn sein! Er ist mein Sohn, folglich Deiner! Denkst Du daran, was ich Dir von einer nach sieben Jahren bevorstehenden Veränderung gesagt habe? Dieselbe ist jetzt eingetreten!“ Darauf hüpfte der brave Mahagony vor Freuden, und nur mit Mühe konnte man aus seinen entzückten Schlägen noch die Worte: „Ich bin glücklich, glücklich, glücklich!“ entnehmen. Frau Lyon zahlte ihren, neuerworbenen Sohne sofort fünfzig Pfund Sterling; damit war aber dem Willen seines spiritualistischen Vaters bei Weitem nicht Genüge geleistet, vielmehr gab derselbe schon in den nächsten Tagen seinen Wunsch zu erkennen, daß seinem Sohne ein Jahreseinkommen von siebenhundert Pfund Sterling gesichert wurde, und Frau Lyon ließ deshalb von den für sie in der Londoner Bank stehenden Capitalien vierundzwanzigtausend Pfund Sterling auf Home übertragen. Anfang November verfiel Herr Home in der Wohnung der Frau Lyon plötzlich in Verzückung. Diesen willenlosen Zustand benutzte der selige Herr Lyon, durch dessen Mund der aufmerksamen Wittwe seine eigentliche Willensmeinung zu eröffnen: sie solle Home adoptiren und ihm ihr ganzes Vermögen testamentarisch vermachen, unter der Bedingung, daß er den Namen Lyon annehme.

Beides geschah in untadelhafter gesetzlicher Form; bald darauf [447] ließ Frau Lyon weitere sechstausend Pfund auf ihren Adoptivsohn übertragen, als Geburtstagsgeschenk, wie sein freigebiger Vater verlangte, und cedirte ihm schließlich eine Hypothek von dreißigtausend Pfund. Sie behauptet, sie habe sich nach besten Kräften bemüht, Home mütterlich zu lieben, dies sei ihr aber eigentlich nicht recht gelungen; Thatsache ist, daß sie äußerst zärtliche und etwas unorthographische Briefe an ihren theuren Sohn schrieb, bis plötzlich im Frühling 1867 ein Umschwung eintrat und sie den Rath verschiedener Rechtsanwälte in Anspruch nahm. Diese scheinen übereinstimmend erhebliche Bedenken über den Ursprung jener Mittheilungen und Aufträge des Verewigten geäußert zu haben; Frau Lyon aber war eine vorsichtige Dame, sie wendete sich mehrerer Sicherheit halber an ein anderes Medium, Fräulein Berry, bei welcher, wieder durch Vermittelung eines Tisches, folgende Unterhaltung stattfand:

Frau Lyon fragte: „Sind Geister hier, die mich kennen?“

Antwort: „Ja!“

„Wer?“

„Der Geist Deines Mannes, Charles Lyon.“

„Weißt Du von dem Handel mit Home?“

„Ja.“

„Billigst Du ihn?“

„Nein. Es ist Betrug.“

„Was soll ich thun?“

„Klage schleunigst vor Gericht, sei entschlossen und fest!“

„War Dein Geist jemals mit Home?“

„Nein, nein!“

„Wessen Geist war das?“

„Sein eigener!“

Ein Regen von Blumen und Immergrün schloß die Sitzung.

Gehorsam, wie immer, begab sich Frau Lyon zunächst zu Home, warf ihm sehr unumwunden vor, daß er sie betrogen habe, und verlangte die Rückcession der Hypothek und der Bankcapitalien im Gesammtbetrage von sechszigtausend Pfund (etwas über viermalhunderttausend Thaler). Herr Home konnte zu seinem größten Schmerze hierauf nicht eingehen, da er durch den Vorwurf des Betrugs zu empfindlich an seiner Ehre gekränkt war; dagegen bot er ihr einen Vergleich an, wonach er im unbestrittenen Besitz von dreißigtausend Pfund verbleiben, sie das Uebrige zurückerhalten und einen Revers ausstellen sollte, durch welchen sie seine vollkommene Ehrenhaftigkeit anerkennte. Frau Lyon aber ging hierauf nicht ein, sondern erwirkte einen Haftbefehl gegen ihn und klagte vor dem Kanzlei-Gerichtshof[1] auf Rückgängigmachung aller jener Willenserklärungen, als „durch ungebührliche Beeinflussung erschlichen“. Die Verhandlungen dauerten vom 21. April bis zum 1. Mai dieses Jahres und nahmen die Aufmerksamkeit der Londoner mindestens eben so sehr in Anspruch, wie der gleichzeitig verhandelte Strafproceß wegen der fenischen Pulververschwörung von Clerkenwell.

Theils aus den eigenen Angaben Home’s vor Gericht, theils aus verlesenen Stellen eines von ihm herausgegebenen Buches erfahren wir, daß er von seiner frühesten Kindheit an – er ist 1833 geboren – mit Geistern in Verbindung gestanden, ja daß diese „seltene Begabung“ sich an ihm zuerst gezeigt hat, als er sechs Monate alt war; leider wird nicht gesagt, wie. Er sieht die Geister, er unterhält sich mit ihnen, sie sprechen in außerordentlich schönen, gewählten Ausdrücken, bewegen aber auch Tische und Stühle, ja haben ihn selbst öfters in einer den Gesetzen der Schwere widersprechenden Weise von der Stelle bewegt. Er erkennt die Bemerkung des Anwaltes der Klägerin, dies seien doch etwas handgreifliche Scherze, die sich die Geister erlaubten, als richtig an, doch hat die Sache auch ihre ernste, erhabene Seite, denn obschon sich die Geister im Allgemeinen nicht in irdische Angelegenheiten mischen, haben sie doch schon vielen Leuten über sittliche Fragen, über Reisen und Curen Rath und Auskunft ertheilt; daß sie bei Börsenspeculationen Rath gegeben hätten, ist ihm nicht bekannt. Es giebt verschiedene Arten von Geistern, und man thut wohl, ihrem Rathe nicht blindlings zu folgen; wenn ihm beispielsweise ein Geist riethe, seine rechte Hand abzuhauen, so würde er dies nicht thun, da es unvernünftig sein würde. Leider hat er keine Macht, die Geister zu rufen; sie kommen und verschwinden ganz nach Belieben. Von einer Täuschung seinerseits kann nicht die Rede sein; Tausende von ehrenwerthen und intelligenten Personen sind Zeugen jener Erscheinungen gewesen, ja die kaiserlichen und königlichen Majestäten von Frankreich, Rußland, Preußen, Baiern, Würtemberg, Holland haben ihn gastlich in ihren Palästen empfangen und in ihren Privatgemächern Erscheinungen gesehen, bei welchen jede Täuschung sofort hätte entlarvt werden müssen. Belohnungen hat er, so oft sie ihm auch geboten worden, nie genommen, und bei dem neu errichteten Athenäum nicht nur kein Geld verdient, sondern noch Verluste erlitten.

Auf die Klage hat Home eigentlich nicht viel zu erwidern. Die Erscheinungen, wie Frau Lyon sie beschreibt, haben wirklich stattgefunden; er erinnert sich unter Anderm, daß am 7. October der verstorbene Mr. Lyon die poetischen Worte hören ließ: „Sage nicht, theure Jane, ‚Ach, das Licht meiner Tage ist für immer erloschen!‘ Das Licht ist bei Dir, Charles lebt und liebt Dich!“ Was an jenem Tage, als er in Verzückung gefallen, vorgegangen ist, weiß er nicht, da er für das, was ihm während solcher Zustände widerfährt, keine Erinnerung hat. Jedenfalls sind alle Erscheinungen ohne seinen Willen und sein Zuthun erfolgt; Frau Lyon hat sich, ihre Liebe und ihre Gaben ihm fast gewaltsam aufgedrängt, und er hat unter ihrer Zärtlichkeit wie unter ihrer Herrschsucht viel zu leiden gehabt.

Wir übergehen die Einzelnheiten, die ein mehrtägiges Kreuzverhör der Frau Lyon noch zu Tage förderte; dasselbe ergab, daß sie schon früher wunderbare Visionen gehabt und allerlei mystische Bücher gelesen, so daß sie zu dem intimen Verkehr mit Geistern, in den Home sie einführte, würdig vorbereitet war. An letzteren glaubte sie, weil die Geister ihn bei ihr accreditirt hatten, und zärtliche Briefe schrieb sie an ihn, obschon sie ihn im Innersten ihres Herzens eigentlich nicht liebte, theils weil sie ihr die Geister dictirten, theils unter seinem auch während seiner Abwesenheit fortdauernden magnetischen Einflusse. Ebenso lassen wir die verschiedenen Zeugenaussagen hier bei Seite, da sie zu dem Gesammtbilde des Betrugs und der Leichtgläubigkeit nur wenig neue Züge beitragen. Charakteristisch ist nur, was eine der Zeuginnen von Home’s eigener Schätzung seiner Begabung erzählt. Sie unterhielt sich in Gegenwart des letzteren mit Frau Lyon über die dieser widerfahrenen Wunderdinge. Home unterbrach das Gespräch mit den Worten: „Manche Leute sagen, ich sei Gott manche, ich sei der Teufel; ich bin keins von Beiden, sondern zwischen Beiden.“

Die Reden der beiderseitigen Anwälte drehen sich natürlich um die Frage, ob Home einen ungebührlichen Einfluß auf Frau Lyon ausgeübt habe oder nicht. Ein ergötzliches Intermezzo bildet es, als Home’s Anwalt die Aeußerung fallen läßt, Frau Lyon scheine nicht abgeneigt gewesen zu sein, Home zu heirathen; sie kreischt von ihrem Platze entrüstet auf: „Ich bin Fünfundsiebenzig!“ Schallendes Gelächter der Zuhörer. Der Anwalt entgegnet kaltblütig: „Man hat schon seltsame Dinge in der Welt erlebt!“

Erst am 22. Mai verkündete der Vice-Kanzler das Urtel. Unter Berufung auf eine Anzahl von Präcedenzfällen, die für Home nicht sehr schmeichelhaft waren, da in denselben sehr offen von Fälschung und Betrug die Rede war, erklärte er die sämmtlichen Acte der Vermögensübertragung für null und nichtig und schloß mit folgenden Worten:

„Ich weiß von dem Dinge, das man Spiritualismus nennt, nur so viel, wie ich im Laufe des Processes erfahren habe, und es wäre nicht recht, wollte ich näher darauf eingehen, als insoweit es in demselben geschildert worden ist. Es ist nicht meine Sache, Vermuthungen darüber aufzustellen, welches die Wirkungen besondern nervöser Organisationen sein, inwieweit sie auf Andere ausgedehnt werden oder inwiefern gewisse Dinge Einzelnen als übernatürliche Wirklichkeiten erscheinen mögen, welche für gewöhnlichen Sinn und Verstand nicht wirklich sind. In Betreff der Offenbarungen und Erscheinungen aber, die in diesem Processe zur Sprache gekommen sind, ist erstens zu erwägen, daß sie durch diese oder jene Mittel in oder nach Anwesenheit des Verklagten und in Folge derselben hervorgebracht sind, wie, ist gleichgültig; ferner, daß sie den Zweck hatten, dem Verklagten sowohl Einfluß auf die Klägerin, als Geldvortheile zu verschaffen; ferner, daß das System, wie die Beweisaufnahme es dargestellt hat, ein gefährlicher [448] Unsinn ist, wohl berechnet, einerseits Eitle, Schwache, Thörichte und Abergläubische zu täuschen, andererseits die Pläne geldgieriger Abenteurer zu fördern; schließlich, daß ohne allen Zweifel Recht und gesunder Menschenverstand gebieten, zu verhindern, daß Jemand im Besitze von Erwerbungen bleibe, die so wie diese durch ein Medium mit oder ohne besondere Begabung gemacht sind. Und daß dem so ist, entspricht dem öffentlichen Interesse und ist von allgemeinem Nutzen.“

Ein so trauriges Ende nahm der Versuch, die Geisterwelt ihre Herrschaft auf das Gebiet irdischer Vermögensverhältnisse ausdehnen zu lassen. Danken wir dem Vice-Kanzler Giffard dafür, im Namen des Rechts und des gesunden Menschenverstandes!



  1. Der Kanzleigerichtshof ist ein sogenannter Court of equity, Billigkeitsgerichtshof, im Gegensatz zu den „Gerichten des Gemeinen Rechts“, und verhandelt ohne Geschworene, die sonst in England bekanntlich auch bei Civilprocessen mitwirken.