Textdaten
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Autor: Emma Laddey
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Titel: Gefunden – nicht gesucht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, 39, S. 617–623, 637–640
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[617]
Gefunden – nicht gesucht.
Novelle von E. Laddey.


1.

„Der Wagen ist da, Mimi, Mimi!“ rief ein halbes Dutzend frischer Mädchenstimmen, und ebenso viele Köpfe steckten sich aus dem großen Corridorfenster des adeligen Fräuleinstiftes zu M., um nach jenem zu schauen.

„Endlich!“ jubelte es zurück.

„Ist Mademoiselle fertig?“

„Freilich, sie steigt schon die Treppe hinab.“

„Also Adieu, Ihr Lieben! Auf Wiedersehen in acht Wochen!“

„Ach, jetzt geht’s in die Berge, in die goldene Freiheit!“ und damit sprang die elastische Gestalt, die man Mimi gerufen hatte, in ein paar Sätzen die Treppe hinab, daß das enge schwarze Pensionskleidchen kaum für die großen Sprünge ausreichte und die langen, braunen Zöpfe über das schlichte Strohhütchen emporschlugen. Mademoiselle unten an der Treppe murmelte einen Verweis, aber das glückliche Kind umfaßte die Lehrerin in stürmischer Zärtlichkeit und rief:

„Heute nicht schelten, liebe Mademoiselle! Bin zu glücklich heute!“

Die armen, jungen Dinger, die keinen Menschen hatten, bei dem sie die Ferien verbringen konnten, grüßten noch halb freundlich, halb wehmüthig auf die Scheidende herab, die so keck ihr weißes Tüchlein zum letzten Gruße schwang, daß selbst der guten Französin die Geduld riß und sie energisch die kleine Hand der Ausgelassenen festhielt.

Noch einige herzliche Zurufe des Abschiedes herüber und hinüber, und eilig fuhr der Wagen mit Mimi und der Mademoiselle davon.

Bald darauf saß man glücklich im Nichtrauchercoupé, die Französin seufzte, daß sich die süddeutschen Züge nicht einmal den Luxus eines Damencoupés gestatteten; sie hatte das eine der Sophas in Beschlag genommen, eine dicke Dame, mit einem Kinde auf dem Schooße, das zweite, auf dem dritten breitete sich in großer Behaglichkeit Mimi aus, und so blieb einem Passagier, der noch zu guter Letzt einstieg, nichts anderes übrig, als auf dem letzten leeren Sopha, das heiß von der Sonne beschienen ward, Platz zu nehmen.

Er that es seufzend, denn die Hitze war übergroß.

Der Zug setzte sich in Bewegung; Mimi nahm ihren Hut ab, warf ihn oben in das Netz, lehnte sich behaglich in die Kissen und fand das Reisen sehr hübsch und bequem. Um so mehr that ihr der junge Mann leid, der da förmlich in der Sonne briet.

„Sie haben einen abscheulichen Platz,“ sagte Mimi gutmüthig, „die kleinen Vorhänge schützen gar nicht. Setzen Sie sich hierher! Wir haben Beide Raum –“ und dabei rückte sie freundlich bei Seite.

Mademoiselle warf einen verweisenden Blick auf die unvorsichtige Pflegebefohlene, aber die Harmlosigkeit derselben verstand diesen gar nicht, sondern fühlte sich sehr zufrieden, einem Mitreisenden einen Gefallen erwiesen zu haben.

„Gelt, jetzt haben Sie’s besser?“ fragte sie in ihrem baierischen Dialect.

„Viel besser,“ entgegnete der junge Mann und verbeugte sich lächelnd, wobei sein gebräuntes Gesicht mit den klaren, blauen Augen und dem jovialen Zuge um den mit keckem Schnurrbärtchen geschmückte Mund sehr hübsch aussah. „Das Reisen in solcher Gluth ist eine wahre Tortur.“

„Ah, das Reisen ist immer ein ungeheures Vergnügen!“

„Da sind Sie gewiß noch nicht viel gereist?“

„Nein, gar nicht viel, oder doch nur von einer Stadt zur andern. Jetzt aber gehe ich zum ersten Mal in die Berge und an die Seen und werde die ganzen Ferien über ausbleiben.“

„Die Ferien? Gnädiges Fräulein sind also noch im Institute?“

„Natürlich,“ nickte Mimi, „vor dem achtzehnten Jahre kann ich nicht heraus; bis dahin sind es noch fünfzehn Monate.“

„Eine lange Gefangenschaft!“

„Na, es geht. Wir haben es gar gut in unserm Pensionate und sind sehr vergnügt mit einander. Nicht wahr, Mademoiselle?“

Jene nickte.

„Mimi,“ sagte sie, „nicht so viel sprechen, Sie werden den Errn belästigen.“

„Belästigt es Sie, wenn ich plauderee“ fragte das kleine Ungeheuer von Offenheit den Nachbar.

„Gewiß nicht,“ gab dieser lächelnd zurück, „ich sehe es vielmehr für eine Gunst des Schicksals an, eine so liebenswürdige Reisegefährtin gefunden zu haben. Ich hörte gern etwas von Ihrem Institute; ich möchte wohl wissen, ob das Leben in einem solchen etwas dem in einem Cadettenhause gleicht, in welchem ich meine Knabenzeit zugebracht habe.“

„Sie sind also Officier? Das hab’ ich im selben Augenblick gedacht, als Sie in den Wagen stiegen. Ihr Haar ist so geschnitten, auch der Schnurrbart ganz so gedreht.“

„Mimi!!“ mußte Mademoiselle einwerfen.

„Aber mein Himmel, es ist doch keine Sünde, das zu sagen. Bin ich doch selbst ein Soldatenkind, muß mich daher auf soldatische Physiognomien verstehen.“

„Der Herr Papa sind also Camerad von mir?“

[618] „War es,“ entgegnete das junge Mädchen nun mit einem Male traurig. „Er kränkelte seit dem Krieg und starb dann sehr bald. Seitdem hasse ich den Krieg und alle Soldaten.“

„Aber das ist nicht patriotisch. Die Tochter eines Vaterlandsvertheidigers sollte so nicht sprechen.“

„Ich weiß es wohl, aber ich kann mich nicht zu der Höhe solcher Auffassung aufschwingen. Ich bin ja keine Spartanerin oder Römerin, ich werde es nie begreifen lernen, daß der liebe Gott die Menschen geschaffen haben soll – damit sie sich einander todtschießen. – Ach, mein Herr, Sie wissen nicht, wie schrecklich der Krieg ist, mir nahm er Vater und Mutter, denn Mama starb über den Gram um Papas Verlust. – Nun haben Sie gewiß nimmer das Herz, von mir zu verlangen, daß ich für einen so gefährlichen Beruf schwärme?!“

„Mindestens aber, daß Sie ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen und seinen hohen Standpunkt anerkennen. – Aber ein so ernstes Gespräch paßt nicht für eine kurze Unterhaltung im Eisenbahnwagen. Mit der Zeit werden Sie schon von selbst den Werth unseres Berufes schätzen lernen.“

„Nein, ich weiß gewiß, daß ich den Krieg immer für eine große Sünde halten werde und eher in’s Wasser springen, als eine Soldatenfrau werden würde.“

Das kleine Köpfchen nickte so energisch, die braunen Augen blickten den Nachbar so fest an, und die Worte gingen so bestimmt über die rothen Lippen, daß der Fremde bei sich selber sagte:

„Sie ist doch ein echtes Soldatenkind, die frische, muthige Kleine; sie weiß, was sie will.“

Ein Weilchen stand das Plappermäulchen still.

„Die Berge, o die himmelhohen Berge!“ rief es dann.

Ja, da tauchten sie auf, noch nebelhaft, wie mit duftigen Schleiern überzogen. Der Fremde kannte die Namen jeder Bergspitze, jedes Grates des immer deutlicher hervortretenden Höhenzuges, und Mimi hörte aus seine Erklärungen mit strahlenden Augen und grüßte mit jubelnder Erwartung die winkende Ferne.

Dann wieder deckte dunkler Wald das vielversprechende Bild; die Bahn umzog nun einen der vielen kleinen Seen, die dem baierischen Hochlande so viel Frische und Abwechselung verleihen, darnach schlängelte sie sich ein gutes Stück durch den Forst dahin.

Zu sehen gab es jetzt nichts, die kleine Unruhige suchte sich andern Zeitvertreib, sie begann mit dem ganzen Appetit der sechszehn Jahre Bonbons zu naschen, die sie in mehreren Düten aus der Tasche zog. Sie präsentirte sie zuerst ihrer Lehrerin, dann der dritten Dame mit dem Kinde und zuletzt auch dem Nachbar. Ungenirt griff dieser zu und wollte nun auch die Spender dieser Gaben kennen lernen.

„Meine Freundinnen,“ entgegnete Mimi stolz. „Wir halten in der Pension treue Freundschaft und sind nicht halb so schlimm, wie es in Erzählungen, die in Instituten spielen, geschildert wird. Wir sind sehr lieb mit einander – nicht wahr, Mademoiselle?“

Die arme gefolterte Französin, die in jedem Augenblicke über die Ungenirtheit ihrer Pflegebefohlenen erröthete und doch kein Mittel wußte, das harmlose Kind vor den Augen des jungen Mannes zu hüten, lächelte eine unbestimmte Antwort, der Fremde aber sagte:

„Wenn es erlaubt ist, von Ihnen, kleines gnädiges Fräulein, auf die Andern zu schließen, so verdienen Alle Nummer Eins!“

„O, wenn Sie ein Lehrer wären, dann würden Sie nicht so liebenswürdig urtheilen, auch nicht mit mir lachen und scherzen, sondern so aussehen.“

Dabei zog Mimi ihr Gesicht in grämliche Falten und hob den Finger warnend gegen den Nachbar empor.

Jetzt riß denn endlich der letzte Geduldsfaden der guten Mademoiselle.

Mimi, vous êtes une –

„Ich bin eine –?“ ja, was Mimi eigentlich war, erfuhr sie nicht mehr, denn der Conducteur rief:

„Prein!“

Erschrocken sprang das junge Mädchen empor, Hut und Tasche herunternehmend; denn das war ja schon die ersehnte Station, auf welcher sie ihre Verwandten finden sollte. Auch der junge Mann erhob sich.

„Steigen Sie hier auch aus?“ fragte Mimi verwundert.

„Ja, ich will hinüber nach der Fraueninsel des Chiemsees.“

„Nein, wie reizend! Dahin gehen wir ja auch.“

„Nun, so werde ich die Ehre haben, meine liebenswürdige Reisegefährtin bald wiederzusehen.“

Eine höfliche Verbeugung, und er war verschwunden.

„Ich sehe weder Tante Waldenburg noch die Schwestern,“ klagte Mimi.

„Madame la Baronne seien in der Hôtel,“ entgegnete die Französin gemessen, nahm das junge Mädchen an die Hand, als wäre es ein kleines Kind, und schritt mit ihr über die Landstraße dem Wirthshause zu.


2.

Die Baronin Waldenburg mit ihren beiden Nichten, den Töchtern ihrer verstorbenen Schwester Ranken, kam der kleinen Ferienreisenden bis zum Eingange des Wirthshausgärtchens entgegen. Das glückliche Kind warf sich der stattlichen, schön geschmückten Dame stürmisch um den Hals und umarmte auch die Schwestern so heftig, daß die duftigen Sommertoiletten derselben in bedenkliche Gefahr geriethen.

Wer mochte es Mimi verdenken, daß sie selig war, die Ihren endlich wieder zu haben. Waren es nun doch schon sieben Jahre, daß sie unter Fremden lebte, unter Fremden, denen ihr leichtlebiges Naturell sich zwar schnell angepaßt hatte, die sie aber doch das Vaterhaus nicht vergessen machen konnten!

Als den drei Schwestern die Eltern in dem kurzen Zeitraum einiger Monate entrissen worden waren, da hatte man mit der kleinen Mimi nichts anderes zu thun gewußt, als sie auf Jahre hinaus in ein Fräuleinstift zu stecken, dessen Vergünstigungen ihr als der Waise eines Officiers überdies zugute kamen. Der älteren Schwestern nahm sich von vornherein die Tante mütterlicherseits, die Baronin Waldenburg, an, die, selbst kinderlos, neues Interesse und neuen Anhalt am Leben gewann durch die Einführung der jungen Nichten in die große Welt.

Die gute Versorgung der Pflegebefohlenen, das heißt, ihre glänzende Verheirathung, ward fortan die Lebensaufgabe der Baronin, und keine Mühe und keine Kosten wurden gescheut, die jungen Damen so vortheilhaft wie möglich zu präsentiren. So pflegte der Winter mit Bällen und Festlichkeiten in der Residenz hinzugehen, der Sommer aber wurde regelmäßig zu Ausflügen nach der Schweiz oder den italienischen Seen benutzt, denn der Aufenthalt in schöner fashionabler Gegend sollte den Nichten zugleich die Vortheile bieten, welche die Uebung in einer fremden Sprache gewährt; war es doch der Baronin Stolz und Freude, Bertha und Elfriede zu viel bewunderten Sternen der Gesellschaft zu erziehen.

Dieser Wunsch ging denn auch glänzend in Erfüllung; an Bewunderern hatte es den hübschen, eleganten jungen Damen noch nie gefehlt, wohl aber an wirklichen Bewerbern, denn es gab manchen guten Rechenmeister in der Gesellschaft, der sich ganz klar machte, daß der Luxus der Damen zum größten Theile aus der brillanten Rente bestritten wurde, welche die Baronin bezog, daß es demnach ein schlechtes Resultat liefern müßte, eine so verwöhnte Frau mit geringer Mitgift heimzuführen.

So zählte Bertha bereits zweiundzwanzig, Elfriede noch ein Jahr mehr, mancher Winter war vertanzt und noch sah die arme Tante ihren Wuusch nicht gekrönt, noch hatte keine der Nichten Aussicht, den ersehnten Namen „Braut“ zu tragen.

Aber eine Frau, die in sich den Beruf fühlt Heirathsstifterin zu sein, giebt ihr Spiel nicht so bald verloren, und so hatte denn auch die Baronin nach verschiedenen im Sande verlaufenen Plänen bereits wieder einen neuen, wie es ihr schien, leicht zu realisirenden Plan gefaßt, der hier in den Bergen mit Zustimmung einer Schwägerin gegen den einzigen Sohn derselben in Scene gesetzt werden sollte.

Eine gemeinschaftliche Reise in’s Gebirge war verabredet, auf der Fraueninsel sollte das Rendezvous stattfinden, das – die Baronin zweifelte nicht daran – die Anbahnung zu der Verlobung einer der Nichten geben würde. Die besorgte Frau war dieses Mal in der Wahl des Heirathscandidaten recht vorsichtig gewesen; Felix war der einzige Sohn aus sehr reichem Hause, der Vater todt, das Majorat also ihm zugehörig; außerdem versprach der junge Mann ein ausgezeichneter Gatte zu werden, da er seiner Mutter ein solcher Sohn gewesen war, und Tante Waldenburg lebte sich förmlich enthustastisch in den Gedanken ein, den jungen Goldfisch an der Seite einer ihrer Pflegebefohlenen – ganz im Stillen meinte sie Elfrieden – zu sehen.

Mimi aber hatte ihre Freiheitswochen nur der Ansicht der [619] Tante zu danken, daß ein Umgang der jungen Mädchen mit Felix sich freier und ungenirter gestalten könne, wenn das „Kind“ ihn vermittelte.

Nun war Mimi glückselig angekommen und ward nicht müde, ihre schönen Schwestern, die sie immer nur vorübergehend gesehen hatte, zu bewundern; sie wußte nicht, ob sie die zarte Elfriede oder die lebensvolle pikante Bertha schöner finden sollte.

„Armes kleines Ding,“ sägte Elfriede, nachdem der erste Sturm der Begrüßung etwas reservirt zurückgeschlagen worden war und die Ankommenden sich mit Kaffee erfrischt hatten, „wie schaust Du jämmerlich in der abscheulichen Pensionskleidung aus! Wir haben frische schöne Sommerkleidchen mit – da kann sich der bunte Schmetterling aus der Raupe entpuppen.“

„Ich finde es unrecht, daß man Mimi ihres zweckmäßigen Anzugs entkleiden will,“ meinte Bertha, „er ist bequem und kennzeichnet ihr kindliches Alter. In Modekleidern wird sie wie eine junge Dame aussehen, und wir werden das Vergnügen haben, als die drei Grazien aufzuziehen.“

Mimi lachte laut.

„Beruhige Dich, Berthel! Mich hält kein Mensch für eine Dame, auch wenn Ihr mir seidene Schleppen anziehen wolltet. Auch verlange ich vorläufig gar nicht darnach.“

„Wenn Du auch noch Kind bleiben darfst, Mimi, so ist es Dir doch nicht gestattet, Dich wie eine Wilde zu benehmen,“ mischte sich die Baronin, die bis dahin leise mit Mademoiselle gesprochen und von dieser die ganze Ungeheuerlichkeit des Benehmens der weltunkundigen Nichte erfahren hatte, in’s Gespräch. „Wie ist es nur möglich, daß ein Mädchen von Deiner Erziehung sich so ohne Weiteres mit einem wildfremden Herrn in ein intimes Gespräch einlassen kann ja – es ist kaum zu glauben – ihn nöthigen mag, sich neben sie zu setzen!“

„Aber mein Himmel, die Sonne schien so entsetzlich, und man hat mich immer gelehrt, aufmerksam und gefällig zu sein. Gelten denn die Regeln, die man uns in der Pension giebt, nicht auch für das Leben?“

„Aber mon Dieu,’“ rief die Tante entsetzt, „weißt Du denn nicht, daß man Herren, noch dazu jungen Herren, nie entgegen kommen darf, daß ein junges Mädchen ihnen gegenüber nicht reservirt und kühl genug sein kann?“

„Nein, Tante Waldenburg, das weiß ich nicht. In der Pension sah ich ja keine andern Herren als unsre Lehrer, und die glauben sich doch contractlich berechtigt, Liebenswürdigkeit zu ernten. Aber meinetwegen mögen künftig sämmtliche Herren der Schöpfung in der Sonne braten; ich erlöse sie nicht mehr.“

„Kind, ich fange an zu fürchten, daß ich noch viel an Dir zu erziehen haben werde, Deine burschikose Art befremdet mich.“

Mademoiselle beeilte sich zu versichern, daß Mimi’s Ausdrucksweise nur der Ausfluß ihrer übermüthigen Natur, keinesfalls das Resultat einer Erziehung sei, die sorgsam bedacht sei, alle wilden Schößlinge der jungen Stämmchen zu entfernen.

In diesem Augenblicke fuhr der Omnibus, der die Besucher des Chiemsees von der Bahn zum Ufer desselben führt, an dem Gärtchen vorüber, in dem die Damen saßen; ein junger Herr lüftete im Vorbeifähren den Strohhut und grüßte Mimi freundlich.

„Das ist mein Erlöster,“ erklärte sie den Schwestern.

„Felix!“ rief zu gleicher Zeit die Baronin. „Ja wahrhaftig, das ist Felix. Ich hätte ihn kaum erkannt – so sehr haben die Jahre ihn zum Manne gereift. Wir erwarteten ihn erst morgen – welche Ueberraschung! Nun Gottlob, daß Du mit Deiner Unvorsichtigkeit an einen Verwandten gekommen bist, Mimi!“

Die Entdeckung, daß der interessante Vetter und der Reisegefährte Mimi’s ein und dieselbe Person waren, machte die kleine Schwester mit einem Male zum Mittelpunkte des Kreises. Elfriede und Bertha konnten nun nicht müde werden, nach seinem Aussehen, seinem Benehmen, seinen Worten zu fragen, und sprachen auch auf dem Wege zum Dampfschiff, den man einschlug, sobald die Französin mit dem nächsten Zuge nach M. zurückgekehrt war, von nichts anderem als von ihm. Mimi aber dachte: „die Tante hat gesagt, junge Mädchen müßten jungen Herren gegenüber kühl und reservirt sein, aber wenn sie von ihnen sprechen, scheint man ihnen zu erlauben, sich sehr warm nach ihnen zu erkundigen; denn die Tante unterbricht der Schwestern Fragen nie. Ich werde mir das merken.“


3.

Vor dem malerisch gelegenen „Gasthause“ der Insel Frauenwörth im hellgrünen Chiemsee fand sich die zukünftige Reisegesellschaft, Baronin Waldenburg mit Nichten und dem Neffen, zusammen. Schnell hatte die weltgewandte Frau den alten Ton der Verwandtschaft diesem gegenüber wiedergefunden, und bei den jungen Damen schmeichelte sich die gewinnende, stattliche Erscheinung des Jünglings im ersten Augenblicke ein. Wie alte Freunde saß man auf der kleinen, zauberhaften Insel bei einander; angenehm kühlend wehte ein Lüftchen durch die dichten Zweige der alten Bäume, welche die wenigen Sitze vor dem Hause beschirmen; die scheidende Sonne übergoß die schimmernde Fluth mit goldenem Schein, und tausend blitzende Fünkchen tanzten auf und nieder auf den krystallenen Wellen.

Unsere Reisenden aber schienen sich wenig um die anmuthige Schönheit des Ortes zu kümmern, nach ein paar Ausrufen hergebrachten Entzückens vertiefte man sich in eine sehr belebte Conversation, in welcher Familienverhältnisse, Hof- und Stadtgeschichten, Bälle, Theater und Concerte bunt durch einander gewürfelt wurden.

Nur Mimi saß in stummem Entzücken da, die Schönheit des harmonischen Bildes, voll und ganz in sich aufnehmend.

„Ah, sieh da, meine kleine freundliche Reisegefährtin!“ hatte Felix sie beim Wiedersehen begrüßt und ihr, wie einer alten Bekannten, herzhaft die Hand gegeben.

„Ja, Sie dürfen wohl recht freundlich mit mir sein, Vetter,“ hatte das Mädchen zum Entsetzen der Tante geantwortet; „habe ich doch Ihretwegen den ersten Zank bekommen.“

Die Baronin hatte sich über die Verlegenheit, welche diese neue Naivetät Mimi’s ihr bereitete, zwar schnell mit einem Scherze fortgeholfen, nichtsdestoweniger aber wurde der kleinen Unbequemen zu verstehen gegeben, daß sie sich fortan schweigsam zu verhalten habe.

Da saß nun das ungeduldige Kind und scharrte unruhig mit den Füßen – war es doch in die Welt gereist, um viel zu sehen und zu erleben, und saß nun da festgebannt und mußte Gespräche anhören, die es ganz und gar nicht interessirten.

Endlich hielt die kleine Ungeduld es nicht länger aus.

„Tante,“ rief sie, „dort sehe ich schöne Sternblumen – darf ich sie pflücken?“

„Aber so allein –“

„Wir sind ja auf dem Lande,“ bat Elfriede, welche die kleine Vorlaute los sein wollte.

„Und Mimi ist ja ein Kind,“ betonte Bertha.

„Nun, so geh!“ gewährte die Baronin, „aber entferne Dich nicht zu weit von uns!“

„Das wäre ein Kunststück, gnädigste Tante,“ entgegnete der junge Mann lächelnd, „das kleine Eiland ist in einer Viertelstunde ganz umschritten.“

Wie der Wind war Mimi auf und davon; Entdeckungsreisen wollte sie machen. Nun, und wer nur einmal die kleine, eigenartige Insel besucht hat, der weiß, daß sie ein kleines Zauberreich ist, wo sich auf Schritt und Tritt ein anziehendes Bild, in jedem Winkelchen Neues und Originelles findet.

Rechts, vom Gasthause aus, hatte Mimi das kleine Eiland durchstreift und sich einen großen „Buschen“ schön duftenden Klees von dem einzigen Felde der Insel gepflückt. Von weitem spähte sie nach ihren Angehörigen; noch saßen sie in voriger Weise und hatten es eifrig mit der Unterhaltung. Die Sonne färbte scheidend die Gipfel der Berge immer schöner – Mimi sah es – sie begann ihre Wanderung nach der anderen Seite des Eilandes. Da war es zuerst das Kloster, das sie interessirte, denn es war eine Erziehungsanstalt darin; dann die alte Kirche und der kleine, melancholische und doch so poetisch daliegende Friedhof gefielen Mimi ungemein; die blumenduftenden Gräber mit den schlichten Kreuzen gaben ein so ernst schönes Bild in dem blitzenden Rahmen des Sees. Sie las die Inschriften der Gedenktafeln: Arm und Reich, Alt und Jung lag hier bei einander.

Ein Kreuzlein auf einem ganz frischen Grabe trug den Namen einer Sechszehnjährigen, die hier in der Klosterpension gestorben war. Mimi jammerte das Loos der Frühdahingeschiedenen; fortzugehen aus einem Leben, das man noch gar nicht kannte – o das mußte hart sein. Und von dem anstoßenden Raine pflückte sie einen Strauß rother Mohne, weißer Mariensterne und blauer Komblumen und schmückte die Grabstätte des fern von den Eltern gestorbenen Kindes.

[620] Es war eine Art collegialischer Handlung, und als sie endlich zu den Ihren zurückkehrte, war sie durch dieses kleine Ereigniß ganz ernst geworden, und die Tante hatte nicht mehr nöthig, ihren Uebermuth zu zügeln.

Wenn die Sonne hinter den Bergen versunken ist und die Nebel des Abends sich mächtig zur Erde senken, wird es auf dem kleinen Eiland gar kühl, und so trennten sich denn die Reisegefährten bald, um sich zur Ruhe zu begeben. Mimi ihrerseits war sehr mit dem frühen Aufbruch zufrieden; einmal war sie das frühe Schlafengehen ja gewöhnt, und dann hatten die vielen Eindrücke dieses Tages, die sie mit der ganzen Lebhaftigkeit ihres Temperamentes in sich ausgenommen hatte, sie müde gemacht.

So war es ihr denn ga nicht recht, daß ihre Zimmergenossin, Schwester Bertha, noch so viel Lust zum Plaudern zeigte. Diese setzte sich herablassend auf das Bett der kleinen Schwester und begann sie förmlich zur Vertrauten zu machen, indem sie ihr erzählte, daß Tante Waldenburg den Plan zu haben scheine, den schönen jungen Vetter für Elfrieden zu gewinnen, daß sie, Bertha, aber schon jetzt überzeugt sei, daß der Schwester übergroße Reizbarkeit durchaus nicht für das frische, lebensvolle Naturell des Jünglings tauge, daß für ihn im Gegentheil eine Frau nöthig sei, die frisch und lustig, pikant und talentvoll sei, und daß Mimi sich ein großes Verdienst erwerben könne, wenn sie dem Vetter die Vorzüge der zweiten Schwester in’s rechte Licht setzen würde.

„Du bist ein Kind,“ meinte Bertha, „aus Deinem Munde klingt ein Lob so viel harmloser, als aus dem der erwachsenen Leute. Dein Schade sollte es nicht sein, wenn ich Waldenburg heirathe. Du bekämst dann eine Heimath, die weit angenehmer wäre, als wenn Elfriede sie Dir böte; denn sie ist launisch und wird ihrer Umgebung bald zur Last. – Aber gescheidt mußt Du es machen, Kleine, kein Wörtchen direct von mir sprechen, sondern nur so ganz obenhin, so wie zufällig, wenn die Gelegenheit es giebt. – Vor allen Dingen suche zu erfahren, ob die Tante sich nicht täuscht, ob Waldenburg überhaupt noch frei ist und auch wirklich die Absicht hat, sich zu vermählen! Das Weitere besprechen wir alsdann. Nun gute Nacht, mein Täubchen! Du hast mich verstanden, nicht wahr?“ –

Wie aber wäre Bertha erschrocken, wenn sie geahnt hätte, welchen Ideengang ihr Vertrauen in dem „Kinde“ erweckt hatte!

Belehrte doch bereits der erste Blick in die Welt Mimi, daß diese himmelweit verschieden von der Welt war, die sie aus Büchern kannte. Wie oft hatte sie von den Kämpfen gelesen, die liebende Ritter mit Riesen, Ungeheuern und Schrecknissen aller Art zu bestehen haben, um die Geliebte ihres Herzens zu erobern; wie gern hatte sie von den Troubadouren und Minnesängern gehört, die nur der holden „Herrin“ zu Liebe Sangesruhm und Ehre erwerben wollten und dann als höchsten Lohn einen Kranz aus schöner Hand erstrebten! Und wenn dann Mimi aus dieser Welt der Poesie einen Ausblick gewagt hatte in’s wirkliche Leben, da waren ihr die jungen Mädchen noch immer wie jene Heldinnen erschienen, die scheu und sittig von fern standen, dem Kampfe, der um sie gekämpft wird, klopfenden Herzens zuschauend und sich dem Sieger mit holder Demuth und sittlicher Verschämtheit entgegenneigend. Wie aber sahen diese schönen, glänzenden Bilder in der Nähe aus? Die Nüchternheit des hellen Tageslichtes löschte sie aus. Bertha’s voreiliges Vertrauen hatte grelle Schlaglichter in die Wirklichkeit geworfen. Es gab keine Ritter mehr, die für die Farbe ihrer Dame in Noth und Tod zogen; es gab nur noch moderne, heirathslustige Mädchen, die selbst die Initiative ergriffen, um – eine gute Partie machen zu können. – „Eine gute Partie,“ diese Worte hatte Bertha mehrmals ausgesprochen. Und es schickte sich, daß ein Mädchen ohne Erröthen davon spricht, einen Mann zu erobern, der vielleicht noch mit keinem Gedanken seiner gedacht hat? Und das war weiblich? Während man sie, die Unerfahrene, ausgescholten hatte einer Freundlichkeit halber, bei der sie sich doch gar nichts gedacht hatte?

Mimi’s Gedanken wirbelten durch einander.

„Ach Gott, wie ist die Welt doch so anders, als ich dachte! Wie schwer ist es, sich in sie zu finden und es Allen recht zu machen! Ich fürchte, ich fürchte, dazu werde ich überhaupt das Talent nicht haben.“

Mit diesem Erkenntnißseufzer auf den Lippen beschloß Mimi ihren ersten Freiheitstag.


4.

Gewohnt, sich früh zu erheben, verließ Mimi ihr Lagern als die Andern, noch im tiefsten Schlummer lagen. Jetzt erst musterte sie die Garderobe, welche die gütige Tante für sie mitgebracht hatte; es waren zierliche, helle Kleider, die jedem jungen Geschöpfchen Vergnügen machen mußten. Mimi wählte den bequemsten Anzug für die frühe Morgenstunde aus und fand dann selbst, daß sie in dem rosenrothen Blousenkleide von elsässischem Kattun, mit dem hübsch verzierten Ledergürtel doch ein gut Theil hübscher aussah, als in dem altväterischen Pensionskleide. Sie nahm den großen Strohhut und huschte hinaus in den thaufrischen Morgen. Als die jugendliche Gestalt nun pfeilschnell durch die schmalen Graswege zum blitzenden See hinuntereilte, da war Elfriedens Gleichniß von der Raupe, die zum Schmetterlinge geworden war, nicht so unpassend.

„Ach, die Luft, die köstliche Luft!“ jubelte Mimi tief athmend. „Wie schön ist die Welt, wie köstlich die Freiheit!“

Der blaue Himmel lachte über dem glücklichen Kinde, das unbewußt sein Gebet gesprochen hatte. Aber die gehobene Stimmung hielt nicht lange an; der alte Uebermuth, die Lust zum Wagen traten an ihre Stelle, und Mimi überlegte ernstlich, ob sie in eines der kleinen Badehäuser schlüpfen, oder den Kahn losbinden und versuchen sollte, sich ein Stückchen in den See hinaus zu rudern. Verlockend genug war der Gedanke wohl, aber doch bedenklich; denn vom Rudern verstand sie nichts.

Dem Zweifel machte eine wohlbekannte Stimme ein Ende, die fröhlich: „Guten Morgen, Klein-Bäschen!“ rief.

Mimi blickte auf. Felix stand in einer baierischen Joppe vor ihr, einen großen Strohhut auf dem Kopf.

„Grüß’ Gott, Vetter!. Ja, stehen Sie denn auch schon so früh auf? Ich dachte, vornehme Leute schlafen, bis die Sonne am Himmel steht.“

„Aber ich gehöre, ja auch nicht zu den vornehmen Leuten,“ antwortete Felix lachend, „sondern bin ein schlichter Soldat, der oft genug auf freiem Felde campirt hat.“

„Aber es muß doch lustig bei den Manövern zu bivouakiren sein,“ meinte Mimi, „so um das Wachtfeuer zu liegen mit den Cameraden und lustige Kriegs- und Marschlieder zu singen.“

„Aha, heute erblickt das kleine Fräulein das Soldatenleben von der rosigen Seite – aber die Phantasie malt zu rosig. Auf solche Mondscheinnacht folgen vielleicht lange trübe Regengüsse, und sehnend denkt man an sein behagliches Nest daheim.“

„Ja, die Wirklichkeit ist sehr abscheulich,“ entgegnete Mimi, sich ihres Gesprächs mit Bertha am vergangenen Abende erinnernd. „So abscheulich, daß ich ganz gern noch eine Weile in meinem Stifte bleibe und lerne und träume, statt in – der Welt Dinge zu hören, die ich doch nie werde leiden können.“

„Solch frischer Mund darf nicht die Lippen öffnen, um die Welt zu schmähen. Sehen Sie nur, wie rings Alles so wonnig lacht; geschwind, steigen Sie in den Kahn! Wir wollen uns die Herrlichkeit ein bischen näher anschauen.“

Felix war in den Kahn gestiegen und löste ihn los. Mimi trat zum Ufer zurück.

„Fürchten Sie sich?“ fragte er. „Ohne Sorgen Ich bin ein tüchtiger Ruderer.“

„Fürchten? Ich mich fürchten, vor dem See? Nein Aber, davor, daß Tante mich ausschilt, und ich bin zu stolz, mich ausschelten zu lassen wie ein kleines Kind. Glauben Sie nicht, daß es unpassend ist, wenn ich mit Ihnen hinausfahre?“

„Ei, ei! Gestern so zutraulich und heute schon voller Scrupel und Bedenken? Hat man Sie etwa wegen Ihrer gestrigen, Liebenswürdigkeit ausgescholten?“

„Ja!“

Felix lachte spöttisch, fast bitter, dann aber nahm sein Gesicht den gewohnten gutmüthigen Ausdruck an.

„Fürchten Sie nichts!“ sagte er begütigend, „heute wissen Sie ja, daß es ein Vetter ist, dem Sie sich anvertrauen, und dann sind Sie mir ja ausdrücklich als die ‚Kleine‘ vorgestellt worden; so kann selbst Tante Waldenburg nichts darin finden, wenn ich mich aus eigener Machtvollkommenheit zu Ihrem Beschützer aufschwinge.“

„Wenn es so ist, folge ich Ihnen mit großem Vergnügen,“ sagte Mimi und bestieg den Kahn; „wenn ich schon eine junge Dame wäre, ginge das nicht an – so viel weiß ich schon – aber noch darf ich thun, was mir gefällt – nicht wahr?“

[622] „Gewiß!“

Das kleine Schiff strich so wohlig durch die Wellen; zuerst fuhr es an der Krautinsel vorüber, die zum Kloster gehört und der Fraueninsel gegenüber liegt. Nonnen in dunklen Gewändern, das Haar unter weißem Stirntuch verborgen, arbeiteten dort schon in aller Frühe, banden Bohnen auf und sammelten Gemüse ein.

„Die Armen!“ sagte Felix.

„O, ich kenne Schwestern, die sehr glücklich in ihrem Berufe sind,“ entgegnete Mimi, „und ich selbst habe zwei Freundinnen, die keinen sehnlicheren Wunsch haben, als in’s Kloster zu gehen.“

„Sie etwa auch?“

„Nein! Aber verreden will ich’s nicht. Immer noch besser, sein Leben in Klostermauern verbringen und Pensionärinnen erziehen, als sich von einem abscheulichen Manne in den Käfig stecken lassen und in ewiger Gefangenschaft schmachten.“

„Welch ein schreckliches Bild! Meinte ich doch, im Köpfchen einer Sechszehnjährigen seien Gedanken an Liebe nur rosig.“

„Ja, das waren sie auch, bis vor Kurzem. Aber ich weiß es jetzt, daß die Zeit vorüber ist, wo die Ritter noch Heldenthaten für ihre Damen wagten, noch um einen Kranz von ihrer Hand rangen. Die jungen Männer von heute sind sehr blasirt und verlangen womöglich, daß man ihnen die Cour macht. Aber wenn ich auch fünfzig Jahre werden sollte, ohne einen Mann zu bekommen – ich laufe Keinem nach, das habe ich mir geschworen.“

Felix lachte hell auf.

„Aber das verlangt ja auch kein Mensch. Wer hat Sie auf so närrische Ideen gebracht, Klein-Bäschen?“

Mimi machte eine ganz verständige Miene, als wisse sie das besser als ihr junger Gefährte, war aber klug genug, nicht mehr aus der Schule zu schwatzen. Schwester Bertha zu Liebe begann sie nun aber ohne Umschweife, den Vetter auszufragen.

„Nicht wahr, Herr von Waldenburg, Sie könnten es gewiß auch nicht leiden, wenn sich ein Mädchen Mühe geben wollte, Ihnen zu gefallen?“

„Gewiß nicht! Das Gefallenwollen müßte sie mir überlassen. Was ist ein Sieg ohne Kampf! Lieber wollte ich um ein Weib dienen, wie Jacob um Rahel, als daß es sich mir beim ersten Worte in die Arme würfe.“

„Das ist hübsch und ritterlich gesprochen; das gefällt mir. Vielleicht kennen Sie gar schon diejenige, der Sie solche Opfer bringen könnten.“

„Seht einmal die kleine Neugierige! Das interessirt Sie?“

„O, mich nicht – aber vielleicht Andere.“

„Andere? Ah, das wird pikant. Ich möchte wohl wissen, wer so gütig ist, solchen Antheil an meiner Wenigkeit zu nehmen.“

„Ach, Niemand – das war ja nur so ein Spaß von mir,“ beeilte sich Mimi zu versichern; sie sah erschrocken, daß sie zu weit gegangen war, und blickte nun glühend roth vor sich hin.

Felix betrachtete das verlegene Antlitz: die kindlichen Züge der kleinen Dame sagten deutlich, daß sie diese Frage nicht aus sich selber gestellt habe.

„Nun, meine kleine Inquisitorin, es wäre ja möglich, daß sich einmal Jemand in dieser Weise nach mir erkundigte. Dann sagen Sie ihm getrost: Noch ist der Cousin frei wie der Vogel in der Luft und wird es, wenn seine Ahnung ihn nicht täuscht, vielleicht noch ein Jahrzehnt bleiben.“

„Das ist sehr lang,“ sagte Mimi und sah den Vetter ernsthaft an, dann aber mußten Beide lachen, und mit diesem Lachen endete das gefährliche Gesprächsthema und sprang auf harmlose Gegenstände über.

Unter fröhlichen Gesprächen hatte Mimi ganz Tante Waldenburg und was diese wohl über das lange Ausbleiben sagen würde, vergessen. Als Felix sie endlich an’s Land zurückgerudert hatte, sprang sie den Weg zum Hause hinauf, mit dem nicht ungewöhnlichen Gefühl der sechszehn Jahre, daß sie sich noch nie im Leben so amüsirt habe, wie an diesem Morgen.

Unter dem Vorwande, das Haar ordnen zu wollen, entzog sie sich den vorwurfsvollen Mienen der Ihren, fest überzeugt, Felix würde das drohende Unwetter von ihr abwenden.

Bertha eilte ihr nach.

„Nun,“ fragte sie, „hast Du diplomatisch geforscht?“

„Das verstand ich nicht, aber ich habe geradezu gefragt. Der schöne Heirathscandidat ist frei, ganz frei, aber weder Du noch Elfriede wird ihn bekommen; vor zehn langen Jahren will er gar nicht heirathen, und so lange werdet Ihr doch nicht warten wollen?!“

Auf alle weiteren Fragen hatte Mimi nur ein immer erneutes Lachen, und ärgerlich wandte Jene sich von dem „albernen kleinen Dinge“ ab, dem sie sich so unnütz verrathen hatte.




5.

Unsere Reisegesellschaft hatte sich schnell in einander eingelebt; war Felix doch ein liebenswürdiger Reisemarschall, der stets zur rechten Zeit für Wagen oder Führer sorgte und mit seiner heitern Laune das Herz Aller gewann.

Man vertraute seiner Führung unbedingt; schon war das Innthal durchstrichen, ein längerer Aufenthalt im Pusterthal genommen und im Ampezzothal die seltsame Formation der Dolomiten angestaunt worden, die als neueste Reisemode von der ganzen fashionablen Welt aufgesucht wurden.

Im einsamen Landro fanden die Reisenden einen alten Bekannten wieder, Mr. Billings, einen Engländer, der vor ein paar Jahren der stolzen Elfriede seine Huldigungen dargebracht hatte, in Betracht seines bürgerlichen Namens jedoch nicht sonderlich in denselben ermutigt worden war.

Hatten die Jahre Elfrieden anspruchsloser oder für den Werth des Geldes, das Billings in reichlichem Maße besaß, empfänglicher gemacht, oder gefiel ihr der keineswegs unüble Mann jetzt besser? Wer konnte es wissen? Eins nur schien sicher: den Wettstreit mit Bertha gab sie auf, spielte die Vornehm-Kühle gegen Felix und hatte ihr gewinnendes Lächeln fortan nur noch für den Engländer. Ob dadurch Bertha’s Chancen, den ansehnlichen Heirathscandidaten zu gewinnen, besser standen, konnte ebenfalls kein Mensch sagen; Felix war ein liebenswürdiger Verwandter, nichts mehr noch minder, blieb aber bei aller Galanterie stets Herr seiner Person.

Da geschah ein Wunder: die bequeme, sonst bis an den hohen Morgen schlafende Bertha ward, so oft Felix Fußpartien unternehmen wollte, mit einem Male eine leidenschaftliche Bergliebhaberin; jede Spitze wollte sie mit besteigen, jede Felsenschlucht aus eigener Anschauung kennen lernen. Zu solchen Excursionen sich aufzuschwingen, das brachte Tante Waldenburg doch nicht mehr fertig, und so ward denn Mimi commandirt, das junge Paar zu begleiten; Niemand war vergnügter als sie, wenn es früh Morgens, wo die Dämmerung noch das ganze Thal einhüllte, in Begleitung eines Führers zum Aufbruche ging. Für solche Touren wurde das schlichte kurze Pensionskleid wieder hervorgesucht, und von keinem überflüssigen Putz beengt, schritt Mimi, immer die Erste des kleinen Zuges, vergnügt und muthvoll voran. Dem jungen Körper that solche Bewegung wohl; Mimi blühte wie eine Rose auf, und legte die arme Bertha sich diese Tortur nur auf, um neben dem jungen Vetter sein zu können, so zeigte es sich, daß in der jüngeren Schwester die wahrhafteste Naturfreundin geschlummert hatte. Es hätte jubeln mögen, laut auf, das arme Kind, das bisher die Welt nur von einem Spaziergange unter strengsten Regeln kannte.

Es konnte scheinen, als wären Mimi und Felix weniger intim als in den ersten Tagen; man sah sie selten bei einander; natürlich: man hatte Mimi’s Zutraulichkeit gehörig zu verschüchtern gewußt und so hielt sie sich geflissentlich fern.

Was interessirten sie auch die Gespräche, die Bertha und der Vetter führten, noch wußte sie ja nichts von Gesellschaften, Theatern, Concerten und all den Gesprächsobjecten der Beiden; da war es viel lustiger anzuhören, was Führer und Sennerin zu erzählen wußten von dem Leben in und auf den Bergen. Auch zum Botanisiren gaben die Bergtouren Gelegenheit; die großen vollfarbigen Blüthen, wie sie auf den Höhen wachsen, entzückten Mimi ungemein, und das Album, das sie sich von getrockneten Alpenblumen und Gräsern zusammenstellte, ward für sie eine Quelle reinsten Vergnügens.

So hatte die Baronin Waldenburg denn die Genugthuung, ihre drei Nichten je nach ihren Ansprüchen zufrieden zu sehen, und durfte wohl hoffen, daß eine Verlobung der beiden älteren die Sommerreise auf’s Erwünschteste abschließen würde.

Welche köstliche Aussicht, beide Nichten versorgt zu sehen, ehe die jüngste, die sich zusehends zum reizendsten Mädchen entwickelte, [623] aus dem Institut heimkehrte und neue Anstrengungen auf geselligem Gebiete erforderte!

Unsere kleine Gesellschaft, der sich lose auch bereits Mr. Billings angeschlossen hatte, war nach Reichenhall übergesiedelt. Am Nachmittage wurde meistens ein gemeinsamer Spaziergang nach einem der vielen Wirthshäuser unternommen.

So saßen unsere Freunde eines Abends auch an einem gar anmuthigen, erhöht am Fuße des Hohenstaufen liegenden Orte, von wo aus Reichenhall mit seinen dahinterliegenden Bergen sich gar hübsch und idyllisch ausnimmt. Die milde Abendsonne vergoldete die Landschaft mit einem Heiligenscheine; es war ein reiches, romantisches, vollumkränztes Bild, das sich dem Auge bot.

In die Harmonie dieses Gemäldes wollte das blasse Antlitz einer Frau, die müden Fußes die Stufen des kleinen Abhanges hinanklomm und unter der Last einer alten Harfe fast zusammenbrach, nicht passen. Ein etwa neunjähriger Knabe schritt ihr zur Seite, blickte aus großen traurigen Augen und bemühte sich, mit mageren Händchen die Harfe tragen zu helfen.

Ein hoffnungsvolles Lächeln glitt über das Antlitz der Armen, als sie in der kleinen Wirthschaft die zahlreichen Gäste erblickte, und ohne auch nur einen Augenblick zu rasten, lehnte sie die Harfe an den Baum, der in der Mitte des mit Tischen und Bänken besetzten Platzes stand, und begann mit schwacher Stimme, welche einstige Schönheit verrieth, einfache Lieder zu singen.

Der kleine Knabe aber ließ sich auf einem Stuhl vor einem leeren Tische nieder – er brauchte diese Erholung wohl nothwendig; denn als ihm ein freundlicher Herr mitleidig ein Schüsselchen mit gestandener Milch und ein Stück Brod hinstellte, da dankte er zwar glücklich, verzehrte die Gabe aber nicht, sondern lehnte mit sichtbarer Genugthuung in seinem Stuhle, sodaß man wohl sah, die kleinen Füße hatten eine weite Wanderung hinter sich.

Da langten neue Gäste an, schauten sich nach einem passenden Platze um und machten kaum Miene den Tisch zu wählen, vor welchem der arme Junge saß, als der Wirth auch schon hinzusprang, Milchschüssel und Brod des Knaben auf den Rand des Brunnens stellte und mit einer Barschheit, die an Rohheit grenzte, zu dem kleinen müden Wanderer sagte:

„Weg da! Die Sitze sind nur für Herrschaften.“

Der kleine Junge zitterte und wurde blutroth; über das verhärmte Antlitz der armen Mutter zuckte es tief schmerzlich.

Mimi sprang plötzlich auf und trug ihren Stuhl zu dem Knaben.

„Da, lieber Junge!“ sagte sie, „ruhe Dich aus! Ich hab’ lange genug gesessen und bin gar nicht müde.“

Dann hatte sie dem kleinen Knaben noch ein Stück Kuchen, das sie gerade hatte verzehren wollen, in die Hand gesteckt und war dann zum Tische zurückgekehrt, wo erstaunte, ja mißbilligende Blicke sie empfingen.

„Mimi, was soll das heißen?“ fragte die Tante, „welch ein auffallendes Benehmen! Die ganze Gesellschaft schaut auf Dich! Wirst Du denn niemals lernen, Dich zu benehmen, wie es sich für ein Mädchen geziemt?“

Der Wirth hatte zwar sofort einen anderen Stuhl für Mimi herbeigeholt, aber die Baronin war verstimmt; es genirte sie, daß man von allen Seiten auf ihre junge Pflegebefohlene, wenn auch mit wohlwollender Neugierde, sah.

„Lernt man dieses ostentative Ausüben der Barmherzigkeit in Deiner Pension oder entspringt es Deiner eigenen Natur?“ fragte Bertha Mimi auf dem Heimwege so spöttisch, daß diese Thränen in den Augen fühlte und still hinter Allen herging, sich nun förmlich ihres menschenfreundlichen Impulses schämend.

Da gesellte sich ihr Felix zu, der sich scheinbar lange nicht um sie gekümmert; er sprach zu ihr lieb und gut wie mit einem Kinde, über Gegenstände, die ein Kind interessiren können. Aber in der Beherrschung war Mimi noch keine Meisterin; ihr Plappermäulchen war verstummt, und Waldenburg fühlte, daß dieser jungen Seele mit indirectem Troste nicht geholfen sei.

Schon zeigten sich die ersten Häuser Reichenhalls; Felix hatte noch ein Rendezvous für den Abend mit einem zufällig eingetroffenen Cameraden. Scheidend reichte er seiner jungen Begleiterin die Hand und sagte tröstend:

„Seien Sie nicht traurig, Cousinchen! Unsere Tante hat von ihrem Standpunkte freilich Recht, aber der Vorwurf trifft am meisten uns Herren; an uns wäre es gewesen, die brüske Art des Bauern an dem kleinen Jungen zu sühnen. Sie aber können ganz ruhig nach dieser That schlafen, kleine Cousine; denn Ihr Herz wird Ihnen sagen, daß der kleine Betteljunge Ihre Güte gerade so dankbar empfunden haben wird, wie ein gewisser Jemand, den Sie davor schützten, in der Sonne zu rösten. Gute Nacht!“

[637]
6.

Der Badecur folgte als Schluß der diesjährigen Sommerreise ein Aufenthalt in Berchtesgaden, und je schöner sich dieser gestaltete, um so bänger sah man seinem Ende entgegen. Der Urlaub des jungen Officiers war abgelaufen, und wenige Tage später mußte auch Mimi in ihrem Stifte eintreffen, um sich nach langen Freiheitswochen wieder dem Schulzwange zu fügen.

Die zwei Monate waren doch nicht spurlos an ihr vorübergegangen; ihr Aeußeres war mädchenhafter und ihre Manieren waren zurückhaltender geworden.

Elfriedens Verlobung war nun auf die ersten Tage nach der Rückkehr in die Stadt festgesetzt worden, und begreiflicher Weise interessirte dieses Ereigniß Mimi sehr; der Wunsch erwachte in ihr, sie möchte lieber der Feier anwohnen und sie vorbereiten helfen, als noch so lange das Schulmädchen machen.

Man nutzte die letzte Zeit noch gehörig aus; die ganze herrliche Umgebung Berchtesgadens wurde nun durchstreift und dann zuletzt noch für ein paar Tage an den Königssee gegangen.

Was Mimi auch bisher gesehen, tiefer prägte sich ihr kein Bild ein, als der wunderbare, klare, tiefgrüne See, eingerahmt von fast senkrecht herabfallenden Kalkfelswänden, über welche des Watzmanns glitzernde Eiskrone ragt.

Es war an einem schönen etwas schwülen Augustnachmittage, als die Baronin Waldenburg mit ihren jungen Verwandten – Mr. Billings war schon abgereist – nach dem westlichen Ende des Sees, nach Bartholomä, fahren wollte. Ein passendes Boot war gerade nicht vorhanden und nur noch drei Plätze in dem großen Fahrzeuge frei, das von einer anderen Gesellschaft schon in Beschlag genommen war und von vier tüchtigen Mädchen gerudert wurde. Es blieb nichts übrig, als sich zu theilen. Zwei von der Gesellschaft mußten es in einem kleinen Boot wagen, das nur von einem Schiffer gerudert wurde.

„Wer hat Muth genug, das kleine Ding da mit mir zu besteigen?“ fragte Felix.

„Ich,“ entgegnete Bertha ohne Zögern und stieg zu dem Vetter in's Boot. Elfriede lächelte malitiös.

Die Fahrt war sehr angenehm, der Spiegel des Sees ruhig; nur die Sonne stach unangenehm und machte die Luft träge.

Im großen Boote herrschte munteres Leben; heitere Lieder wurden gesungen, und war Mimi nun auch geschult genug, um nicht gleich mit der fremden jungen Gesellschaft zu singen, so konnte sie sich doch nicht enthalten, die Melodien ganz leise mitzusummen; sie fand es unbeschreiblich schön, so bei des Gesanges Wogen über die Fläche des Sees hinzugleiten.

Eine Art von Heimweh ergriff sie, wenn sie daran dachte, dieser Herrlichkeit alsbald Valet sagen zu müssen.

Wie ganz anders Bertha! Sie freute sich als echtes Stadtkind auf die Rückkehr in die Stadt; die Natur ließ ihr Herz kalt; sie sehnte sich nach den belebten Promenaden, auf denen sie hoffentlich bald an seinem Arme glänzen sollte. Erst heute hatte sie wieder einen herzlichen Brief von der Mutter Felix’, die von jeher für die verwaisten Nichten ihrer Schwägerin warmes Interesse gezeigt hatte, erhalten. Sie erzählte ihrem jungen Begleiter von diesem Briefe. Er lächelte.

„Mama correspondirt gern,“ sagte er, „die Einsamkeit ihres Gutes ist so recht darnach angethan, diese Leidenschaft auszubilden; auch ich habe einen Brief erhalten, und er ist nicht weniger als zehn Seiten lang.“

„Das muß denn doch aber eine wichtige Angelegenheit sein, die Ihre Mama zu einer so langen Epistel veranlaßte.“

„Ja, eine sehr wichtige. Es handelt sich um nichts mehr noch weniger, als um meinen Abschied. Mama dringt allen Ernstes darauf, daß ich, sobald meine Ernennung zum Premier eintrifft, was vielleicht schon im Herbste, jedenfalls aber beim Armeebefehl des Frühjahrs erfolgen wird, aus dem activen Heere scheide, zur Reserve übertrete und nach Hause komme, um meinen Kohl selbst zu pflanzen, wie meine Vorfahren gethan haben.“

„Und was werden Sie auf solche Zumuthung erwidern?“ fragte Bertha erschreckt.

„Diese Zumuthung ist doch im Grunde ein so natürlicher Wunsch von Mama, daß mir nichts anderes übrig bleibt, als Ja dazu zu sagen.“

„Ich dachte, Sie wären Soldat mit Leib und Seele.“

„Das bin ich auch und werde niemals fehlen, wenn das Vaterland ruft. Das Soldatenleben im Frieden aber kenne ich jetzt genug und sehe ein, daß Mama Recht hat: es giebt auf unserem Gute genug für mich zu thun, und so werde ich denn den bunten Rock ausziehen und ein Bäuerlein werden.“

„Wie kann man nur in aller Welt in der Blüthe der Jahre daran denken, sich auf dem Lande zu begraben?“ entgegnete Bertha, und ein Zug des Unmuths streifte ihr hübsches Gesicht; die lebensvollen Lippen warfen sich schmollend auf, und die fein behandschuhte Hand zupfte ungeduldig an den rothen Schleifen des grauen Sommerkleides.

[638] „Sie finden ein Leben auf dem Lande dem Begrabensein gleich?“ fragte Felix.

Bertha biß sich auf die Lippen; sie hatte zu viel gesagt, ihr heftiges Temperament hatte sie verrathen, ohne daß sie es wollte.

„Das nicht,“ antwortete sie, sichtbar bemüht, den Eindruck ihrer Worte zu mildern. „Aber ich hätte allerdings nie gedacht, daß Sie, der Sie alle Aussicht haben, eine glänzende Carriere zu machen, der Sie das enfant chéri Ihres Corps sind – daß Sie so bald auf alle die vielen Annehmlichkeiten verzichten würden, die sich Ihnen darbieten. Warum veranlassen Sie nicht lieber Ihre Mutter, die Einsamkeit aufzugeben und zu Ihnen nach der Stadt zu ziehen?“

„Warum sollte sie unser Waldenburg verlassen, an dem ihr Herz mit jeder Faser hängt? Da kennen Sie sie schlecht.“

„Aber Ihre Mutter ist so frisch, nahm so lebhaft an Allem Theil, was sich von Vergnügen darbot, als sie im vorigen Jahre bei uns zu Besuch war, daß ich denke, sie müßte sich leicht an das Leben in der Stadt gewöhnen.“

„Nein, Cousine, da irren Sie, in uns Allen fließt echtes Landblut, und im Grunde freue auch ich mich darauf, auf unserem alten Gute herumzuwirthschaften nach Herzenslust.“

„Nun, vor der Hand ist der Premierlieutenant ja erst in Aussicht,“ tröstete sich Bertha, „und ich hoffe, Sie nehmen bald Urlaub und kommen zu uns nach W. Sie wissen, Sie haben versprochen, mich reiten zu lehren, und das ist seit lange mein Herzenswunsch; es mangelte mir nur bisher an einem passenden Begleiter. Gott, Vetter, Sie können es sich nicht vorstellen, welche Pein ein Leben ist, das man nur in weiblicher Umgebung verbringt.“

Felix lachte.

„Wenn Sie reiten wollen, Bertha, so veranlassen Sie die Tante, nach L. zu kommen! Es lebt sich angenehm in unserer Garnison, und nur so könnte ich den Lehrer machen – –“

„Das ist ein Gedanke. Helfen Sie mir, die Tante überreden! Es lebt sich gewiß angenehm in einer kleinen Garnisonstadt.“

„O ja! Man kann sich mit einem Schlage zur Löwin des Tages machen. Und erst auf Bällen – auf jede einzelne Tänzerin kommt mindestens ein Dutzend tanzlustiger Lieutenants.“

„Nun, was das betrifft, so habe ich nicht nöthig nach einem Orte zu gehen, wo der Einäugige König ist. – Zweifeln Sie etwa, daß ich auch bei uns meine Tanzkarten doppelt füllen kann?“

„Sehe ich aus, als ob ich solchen Verbrechens fähig wäre?“

Bertha war versöhnt und ganz auf ihrem Terrain, das heißt in der Beschreibung der winterlichen Feste; sie verstand es meisterlich, durch leise hingeworfene Andeutungen zu verstehen zu geben, welche reichen Triumphe sie gefeiert hatte.

Unter solchen heiteren Gesprächen erreichte man St. Bartholomä, aber der Himmel blickte nicht mehr so lachend, er hatte sich trüb gefärbt, und die Schiffer warfen besorgte Blicke nach oben; sie meinten, daß es am gescheidtesten wäre, die Rückfahrt sogleich anzutreten. Davon aber wollte kein Mensch etwas wissen; sollte man sich vergebens auf die herrlichen Laiblinge gefreut haben?

Aber das lustige Fischessen wurde auf die unliebsamste Weise gestört, als der Himmel immer schwärzer und schwärzer wurde und die Ruderknechte und Mägde energisch erklärten, allein mit ihren Booten zurückfahren zu wollen, wenn die Herrschaften noch länger zögerten, da ein schlimmes Wetter im Anzuge sei und im Wirthshause – das eigentlich ein königliches Jagdschloß war – Niemand übernachten dürfe.

Ein heftiger Aufbruch, ein wirres Durcheinander von Bedauern, Fürchten und Zögern – so kam man an den See; verschwunden war seine märchenhafte Farbe, wie seine schmeichelnde Glätte; dunkel wälzten sich jetzt schwere Wogen, und das farbenkräftige Bild schaute wie eine Decoration der Unterwelt aus. Alles beeilte sich, die Schiffe zu besteigen.

„Nicht um die Welt fahre ich wieder in dem kleinen Kahn,“ rief Bertha und drängte rücksichtslos die Schwestern bei Seite.

„Was soll nun werden?“ fragte die Baronin rathlos.

„Vielleicht geht es an, daß das große Boot eine Person mehr einnimmt?“ wandte sich Felix an die Alpenmädchen.

Die Antwort war eine entschieden verneinende.

„Ich fürchte mich nicht,“ rief nun Mimi in alle diese Unentschlossenheit hinein, „ich fahre mit dem Vetter.“

„Recht so, Mimi!“ meinte Felix, „und wer weiß, ob wir unser kleines Fahrzeug nicht eher in Sicherheit bringen und vor dem Gewitter im Hafen anlangen, als jenes stolze Boot.“

Aber keines der Boote noch die unzähligen weiteren Kähne sollten dieses Ziel so glücklich erreichen; noch war kein Schiff auf der Mitte des Sees, als der Regen in Strömen zur Erde floß, ein stoßweise dahersausender Wind die Wellen peitschte, grelle Blitze den schwarzwolkigen Himmel durchzuckten und der Donner in der rabengefiederten Nacht seine grausige Stimme erhob.

Die kleine Flotille war mit Windesschnelle zerstoben und aus einander geflohen; wie eine Nußschale tanzte das kleine Schiff, das Felix und Mimi trug, auf den wildbewegten Wellen.

Der Fischer ruderte mit Anspannung aller Kraft.

„Lassen Sie mich mit Ihnen abwechseln!“ bat Waldenburg, aber der wetterbraune Mann schüttelte den Kopf und sagte:

„Das ist meine Sache.“

Gesprochen wurde wenig; die Lage war eine zu ernste; nur als ein greller Blitzstrahl das geisterbleiche Antlitz Mimi’s beleuchtete, die Felix gegenüber saß, da nur je eine Person auf den kleinen Brettern Raum hatte, da sagte dieser:

„Fürchten Sie sich sehr, Mimi?“

Sie schüttelte ihr umhülltes Köpfchen:

„Nein, gar nicht, mir ist nicht bang; ich möchte mich auch so gern muthig benehmen, aber meine Glieder sind eiseskalt. – Freilich, wenn der Kahn umschlüge, ich käme schlimm weg – schwimmen kann ich nicht.“

„Ich auch nicht; hilft auf dem See auch nichts,“ entgegnete der Schiffer. „Es geschieht uns nichts.“

„Nur ruhig sitzen bleiben und nicht verzagen!“ mahnte Felix.

Das wollte Mimi auch nicht, gewiß nicht. Aber als nun eine große Woge in’s Boot schlug, da schrie sie doch auf, und unwillkürlich streckte Felix seine Arme aus, sie zu halten.

Dann hörte er sie murmeln.

„Sagten Sie etwas?“ fragte er.

„Nein,“ entgegnete sie einfach, „ich bete.“

Es ward Felix ganz eigen um’s Herz, als er bei dem fahlen Scheine des Blitzes Mimi’s todesbleiche Lippen sich im Gebet bewegen sah.

„Ich habe für uns Beide gebetet,“ sagte sie, als sie geendet.

Waldenburg wußte, daß seine Mutter allabendlich für ihn betete, aber der Gedanke daran hatte ihn nie ergriffen; warum that es denn Mimi’s Gebet? –

Wieder flog das kleine Schiff auf einer großen Welle jäh hinauf und dann wieder hinab. Mimi zitterte.

„Kleine, geben Sie mir Ihre Hände!“ sagte er.

Mimi that es.

Er hielt die kleinen Finger ganz fest, und es war, als ströme von ihm eine magnetische Kraft aus, sie sich dem zitternden Mädchen mittheilte; denn mit jedem Augenblick ward Mimi ruhiger, und als wieder ein Blitzstrahl ihr Antlitz streifte, da lächelte sie; die dunklen Augen blickten den jungen Begleiter vertrauungsvoll an, und der noch immer bleiche Mund versicherte: „Jetzt fürchte ich mich gar nicht mehr.“

Nun galt Mimi’s Sorge den Anderen.

„Die arme Tante, wie wird sie diese Fahrt bestehen?“

„Ich hoffe, sie ist in Sicherheit! Das große Boot hat so viel mehr Widerstandsfähigkeit, als das unsere, ist nicht so leicht ein Spiel der Wogen. – Wie schade, daß meine arme, kleine Mimi keinen Platz mehr darin finden konnte!“

„Aber dann wären Sie ja ganz allein gewesen, und ich glaube – ich hätte Todesangst um Sie ausgestanden!!“

Mimi sagte das gerade in dem Momente, wo der Sturm wieder einmal seine volle Kraft entwickelte: es heulte, es donnerte, es schnob und rollte in den Lüften, und das tückische Element drohte das kleine Boot hinab in die Tiefe zu ziehen, und bei dieser grausigen Aussicht dachte Mimi nur an eins – welch Glück es bei allem Unglück doch war, an seiner Seite zu sein!

Ihre einfachen Worte trafen Felix bis in’s Innerste; ergriffen zog er die kalten Hände der Durchnäßten an seine Lippen.

Wäre es nicht so dunkel, so stockdunkel um ihn her gewesen, Waldenburg hätte das heiße Erglühen sehen müssen, das Mimi’s Antlitz überzog; es überlief sie „siedend heiß“ – die Knospe öffnete sich dem Lichte, und zum ersten Male sprach die Stimme der Jungfrau vorwurfsvoll: „Was hast du gethan!“ -

Scheu kauerte Mimi in sich zusammen; sie wollte ihre Hände [639] aus den seinen ziehen, aber er hielt sie fest, als wollte er sie halten für immer, und bald jubelte er: „Mimi, die Lichter unseres Hafens!“

So war sie denn nahezu überstanden, die gefahrvolle Fahrt; nur noch wenige Minuten Geduld – und gottlob ! – das kleine Boot landete; erleichterten Herzens stieg man an’s Land.

„Adieu, Fischer, Ihr habt uns wacker gerudert. Habt Dank, Braver!“

Mimi und Felix wanderten am Ufer entlang; noch strömte der Regen; noch tobte das Gewitter; von Mimi’s Tante und Schwestern war nichts zu sehen; sie hatten sich wohl längst unter Dach und Fach gerettet.

Lächelnd zog die Kleine ihren dünnen Sommershawl um die Schultern, um sich, so gut es ging, in denselben einzuhüllen, aber Felix zog ihren Arm in den seinen und sagte:

„Es war ein böses Abenteuer, Cousinchen, das wir da standhaft mit einander erlebt haben. Mir hat es Lust gemacht, mit der kleinen, muthigen Mimi noch manche Fahrt zu wagen. Sie dürfen die Schwestern getrost ihrer Mattherzigkeit halber verspotten. – Für heute aber verschreibe ich uns Beiden gleich ein warmes Bett und einen heißen Thee; denn das Andenken dieser Stunde wollen wir uns doch durch keinen unpoetischen Schnupfen verkümmern lassen; nicht wahr, kleine Leidensgefährtin?“

Wie eine Träumende kam Mimi auf ihr Zimmer, wo sie die Tante in herzklopfender Angst fand; man überhäufte die glücklich Gerettete mit Fragen, aber Theilnahme wie Neugierde fanden heute keine Befriedigung, Mimi sehnte sich allein zu sein, und da Alle darnach strebten Ruhe zu finden nach den Aufregungen des Tages, so genoß sie dieses Glückes sehr bald.

Groß war Mimi’s Erschöpfung, aber kein Schlaf wollte ihre Augen schließen; halb wachend, halb träumend lag sie da. Noch immer befand sie sich auf dem schwankenden Fahrzeuge; ihr war’s, als ob die Wogen sie hin- und herschaukelten, aber kein Bild der Furcht nahm ihre Seele gefangen; sie fühlte allein das Erschreckende, Beseligende des einen Augenblicks, wo er ihre kleinen nassen Hände wärmend in die seinen schloß.



7.

Und nun geschah mancherlei Ungeahntes; das Erste war, daß Felix sich ein paar Tage Nachurlaub geben ließ und nicht mehr daran dachte, vor der Familie Waldenburg abzureisen. Dann erfuhren die eifrig forschenden Damen, daß er, der Schreibeträge, der gern mit Egmont zu sagen pflegte: „Unter vielem Verhaßten ist mir das Schreiben das Verhaßteste,“ einen ganzen Vormittag mit Schreiben zugebracht hatte und daß der Brief, den sie ihn in den Kasten werfen sahen und der an seine Mutter adressirt war, sehr voluminös erschien.

Alle außer Mimi, die wie im Traume umherging und es kaum wagte, Felix anzusehen, waren äußerst gespannt; denn man fühlte, daß irgend etwas in der Luft lag, das Entscheidung bringen sollte, und da Felix in nichts sein Benehmen änderte und der natürlichen Lage nach Bertha’s ständiger Begleiter war, so hob diese siegesgewiß das Haupt.

Aber Alles kam anders: ein paar Tage später saß Mimi allein in der Laube des Gärtchens und recitirte ihre Ferienaufgaben, für die sie, wenn man ehrlich sein will, gar kein Interesse mehr hatte. Die Tante war mit den Schwestern und Felix spazieren gegangen, Mimi hatte zu Hause bleiben müssen; denn endlich war es wohl an der Zeit, sich für die Schule vorzubereiten.

Da trat der junge Officier zu ihr.

„Gut, daß ich Sie allein finde, Mimi! Ich habe mich losgemacht, um ernst und ungestört mit Ihnen zu reden.“

„Mit mir?“

„Ja, sehen Sie mich nur so verwundert an! Ich habe nichts mehr, noch weniger im Sinne, als Sie für alle Zeiten Ihrer Gelehrsamkeit untreu zu machen. Alles hat seine Zeit; ich finde es naturgemäßer, die Schulbücher bei Seite zu legen, wenn die Kinderschuhe ausgezogen sind, und sich in anderen Dingen zu unterrichten die dem Beruf des Weibes näher liegen.“

„Ich verstehe Sie nicht!“

„Nun, sagen Sie einmal aufrichtig: würde es Ihnen nicht mehr Freude machen, in Küche und Keller herumzuhantiren, als wieder auf der Schulbank zu sitzen und höchst unnütze Aufsätze über Gott weiß was für tiefsinnige Themen zu fabriciren?“

„Ja das wohl! Davon aber kann nicht die Rede sein; noch kann Tante mich nicht brauchen.“

„Aber es ist ja nicht absolut nöthig, daß Sie zu dieser Tante gehen; wenn meine Mutter auch nur eine weitläufige Verwandte ist, so würde sie Sie doch mit Vergnügen in ihr Haus aufnehmen, und es ist jedenfalls dankbarer, zu ihr zu gehen, da sie es seit so lange ersehnt, ein junges Mädchen bei sich zu haben! Sehen Sie mich nicht so verwundert an, Mimi! Ich spreche nicht in’s Blaue hinein – da ist ein Brief meiner Mutter, der Sie in optima forma auffordert, nach Waldenburg zu kommen.“

Mit wachsendem Erstaunen las Mimi diesen Brief; er war so lieb, so innig; er sagte, wie die Schreiberin so einsam sei, wie sie mit offenen Armen die junge Verwandte empfangen werde, die ja „ein so holdes, gutes, warmherziges Mädchen“ sein solle.

Ein Erröthen überflog beim Lesen dieser Briefstelle Mimi's Züge. Felix sah sie innig an und sagte:

„Ich habe Sie recht schlecht gemacht – nicht wahr?“

Mimi las weiter.

„Sie sollen in Allem wie eine liebe Tochter gehalten werden,“ schrieb die Baronin, „und um Ihre weitere geistige Ausbildung braucht Ihnen auch nicht bange zu sein. Mir selbst wird es eine Freude sein, gute Bücher mit Ihnen zu lesen.

Nach meinen Begriffen, die vielleicht ein bischen altmodisch sind, gehört freilich zum Leben einer Frau, wie es sein sollte, noch viel mehr, als die sogenannte ‚geistige Ausbildung‘, nämlich: Bescheidwissen im Hause, und haben Sie Lust und Liebe dazu, sich die hierher gehörigen Kenntnisse zu erwerben, so sollen Sie an mir, die ich Hausfrau mit Leib und Seele bin, die mütterlichste Unterweiserin haben.

Nun denken Sie einmal mit der Tante über meinen Vorschlag nach, der, ich will es nur verrathen, von Felix ausgegangen ist, und dann eile ich selbst herbei, mir mein neues Haustöchterchen zu holen.“

„Nun, was denken Sie, Mimi?“ fragte Felix.

„Daß Ihre Mutter die reizendste, liebenswürdigste Frau der Welt sein muß. Wie in aller Welt konnten Sie es wissen, daß ich mich so sehr, so schrecklich trotz aller Pensionsfreundinnen nach einem Familienleben gesehnt habe?“

„Das fühlt man! Die Garantie aber, daß Sie sich glücklich auf Waldenburg fühlen werden, übernehme ich. Ich weiß es, ich werde mein Bäschen vollständig eingebürgert finden, wenn ich zu Weihnachten nach Hause komme.“

In Mimi’s Augen leuchtete es auf.

„Nein,“ sagte sie dann wieder zweifelnd, „es wäre zu schön – die Tante giebt es nicht zu.“

„Das soll meine Sache sein,“ entgegnete Felix, und ein ganzer Schelm sprach aus seinen Augen. „Autorisiren Sie mich, die Erlaubniß zu erwirken? Und soll Mama an Ihnen ein Töchterchen haben?“

Seine Stimme klang ganz harmlos, und doch erröthete Mimi bis in den Nacken, und nicht um die Welt hätte sie anders als durch schweigendes Kopfnicken ihre Zustimmung zu erkennen geben können. – –

Das Erstaunen der Baronin war maßlos, als sie, zurückkehrend, nun ebenfalls einen Brief ihrer Schwägerin erhielt, der dieselbe Bitte aussprach. Was sollte das heißen? Sie begriff es nicht. Auf die Rede des Neffen, die lebhaft schilderte, wie die Mama sich lange nach einer jungen Gesellschaft sehne, entgegnete sie etwas scharf:

„Nun, ich denke, endlich wirst Du Dich doch entschließen zu heirathen; dann hat Deine Mutter eine wirkliche Tochter.“

„Tantchen, ich will eine Wette mit Dir eingehen, daß das in den ersten anderthalb Jahren nicht geschieht.“

Es kochte in der armen, in ihren schönsten Hoffnungen betrogenen Pflegemutter, und selbst ihrer Beherrschung gelang es nicht, den Verdruß, den sie empfand, ganz zu verschweigen.

„Das glaubte ich allerdings nicht annehmen zu müssen. Dein Benehmen berechtigte –“

„Niemanden, zu glauben, daß mein Herz irgendwie und irgendwo gefesselt sei – will ich hoffen,“ fiel Felix mit jenem Zucken der Brauen ein, das deutlich verrieth, daß er in diesem Augenblicke keinen Scherz verstand. „Ich würde die reichen Güter [640] die mir das Leben gab, nicht verdienen, wenn ich das Köstlichste, meine Freiheit, leichtsinnig verschleuderte, ohne die vollste Ueberzeugung zu haben, daß ich ein Wesen gefunden, mit dem ich vollständig übereinstimme, das aber kann ich bisher von keiner der vielen jungen Damen sagen, die man so liebenswürdig war mir auf meinem jungen Lebenswege entgegenzuführen – damit ich mich in sie verlieben möchte.“

Die letzten Worte waren bitter gesprochen, mit Schrecken sah die Baronin, daß unter dieser harmlosen Außenseite gleichwohl die Erkenntniß des Neffen geschlummert habe, wie schwer er in der Wagschale der Heirathscandidaten für besorgte Mütter und Tanten falle.

„Mangel an Selbstbewußtsein kann Dir Niemand vorwerfen, Felix,“ sagte die Baronin.

„Ist es etwa Selbstbewußtsein, Tante, wenn ich mir klar und deutlich vor Augen halte, daß der Erbe des stattlichen Gutes von Mancher geheiratet würde, der es ganz gleichgültig ist, ob er die Fähigkeit besitzt, glücklich zu werden und zu machen?“

„Derartige romantische Ideen hätte ich bei Dir nicht gesucht. Was in aller Welt verlangst Du denn? Ist es Dir nicht genug, wenn Du eine schöne, geistreiche, liebenswürdige Frau aus vornehmer Familie bekommst, die zu repräsentiren versteht, die –“

„Verzeih, liebe Tante, daß ich Dir in’s Wort falle! Sieh, ich bin weit anspruchsloser, als Du glaubst, und zumal an die Repräsentation meiner Zukünftigen habe ich noch gar nicht gedacht. Auch verlange ich gar nicht, daß sie besonders geistreich sei. So gern ich mich mit klugen Frauen unterhalte, so wäre es mir sehr unbequem, eine Frau zu besitzen, vor der ich gewissermaßen immer geistig Toilette machen müßte, um ihre brillanten Einfälle zu pariren. Ein mittleres Wissen, ein gesunder Menschenverstand und ein bischen Mutterwitz, vor Allem aber ein treues, gutes Herz – das ist Alles, was ich begehre.“

„Eigenschaften, die auch ein Bauermädchen besitzen kann.“

„Vergiß nicht, Tantchen, daß meine Zukünftige eine Bauersfrau werden wird! Es ist beschlossene Sache, ich baue meine eigene Hufe.“

„Was kümmert mich das? Du bist ein so verwöhnter, eigensinniger Mensch, daß es um jede Mühe, die man sich um Dein Glück giebt, schade ist. Brechen wir ab!“

„Ja, thun wir das und kehren wir zu unserem ersten Thema zurück! Du hast nichts dagegen, liebe Tante, daß Mimi zu Mama geht?“

„Doch!“ entgegnete die Baronin und machte eine sehr würdige Miene. „Du hast mich eben wieder überzeugt, wie unberechenbar die Männer sind, wie selbst die reizendsten Mädchen ihren Ansprüchen nicht genügen. Mimi ist die am wenigsten hübsche der Schwestern, es ist natürlich, daß sie keinen Mann bekommen wird; sie besitzt ja kein Vermögen. Ich folge also nur einer vernünftigen Sitte unserer Zeit, wenn ich sie das Gouvernantenexamen machen lasse, um ihre Zukunft – –“

„Verzeih!“ unterbrach sie Felix, „wenn Mama Mimi zu sich entbietet, so ist es selbstverständlich, daß sie für ihre Zukunft sorgt.“

„Wer bürgt dafür, daß des Mädchens ungestümes Wesen Deiner Mutter behagt, daß diese nicht bald danach strebt, sie wieder zu entfernen?“

„Ich! – Nur an Mimi wird es liegen, daß Waldenburg stets ihre Heimath bleibt.“

Diese Worte wurden mit so gewichtiger Betonung gesprochen, daß die Baronin frappirt aufblickte.

„Felix?!“

„Laß' unausgesprochen, Tante, was Du sagen willst! – Mimi ist noch zu jung, als daß ich den Frieden ihrer Seele stören möchte, gönnen wir ihr, sich in ihrer Harmlosigkeit zu entwickeln! – Bewahre mein Geheimniß, liebe Tante, und wünsche mit mir, daß diese Fahrt in’s frische freie Land doch eine Art Brautfahrt gewesen sei – wenn auch in anderer Weise, als Du und ich gedacht!“




Mimi lebte sich bald in ihrer neuen Heimath ein. Es wurden wohl anfangs noch lange Episteln in's Fräuleinstift nach M. geschrieben, allmählich aber hörten sie auf. Die Vergangenheit versank immer mehr vor der Glücklichen, die ihr Leben erst recht empfangen zu haben meinte, als sie in Waldenburg eine zweite Heimath gefunden hatte.

In einfacher, naturgemäßer Weise und Beschäftigung vergingen die Tage; was es lernend empfing, das gab das junge Mädchen in Fülle zurück durch ihr heiteres, anschmiegendes Wesen – ja, Frau von Waldenburg hatte eine Tochter gefunden. –

Felix kam sich so groß, so verständig vor, als er sich vorgesetzt, zu warten, mindestens ein ganzes langes Jahr zu warten, bis er der kleinen Mimi sagte, daß er sie wolle und keine Andere, aber Theorie und Praxis sind zweierlei – als die Bäume blühten, da streuten sie ihren Schmuck auf ein junges Paar, das Arm in Arm mit glückstrahlenden Mienen unter den grünen Zweigen dahinschritt.

„Zur Strafe, daß Du mich einst aus der Sonne weggelockt, sollst Du jetzt selbst mein Sonnenschein sein, Dein Lebelang! Willst Du's, kleine Mimi?“ hatte er gefragt.

„Ob ich’s will?!“ war die zwischen Weinen und Lachen ertheilte Antwort gewesen. „Aber ich werde es nicht können, ich bin nichts als ein unwissendes Mädchen, das gar kein Zeug in sich hat, eine große Dame zu werden.“

„So gerade will ich Dich. Ein zu fein geschliffener Diamant verliert seine schönsten Strahlen. Ich bin ein einfacher, natürlicher Mensch, und so soll auch mein Weibchen sein. Ich ging aus, um zu suchen, und fand nicht, aber ich fand, wo ich nicht suchte; so muß es sein:

Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götterhand das Glück!“

Noch ein Jahr bräutlichen Wartens, und dann reichte der Herr Premierlieutenant seinen Abschied ein, um hinfort als ehrsamer Gutsherr auf seinem Gute zu leben.

Bei der fröhlichen Hochzeit, die im nächsten Frühjahre stattfand, hatte Mimi nur eines zu vermissen – die Gegenwart der Schwestern. Aber Mistreß Billings, weiland Elfriede, hob gerade ihr erstes Kindchen aus der Taufe und fühlte sich nicht stark genug zu einer Reise. Und Bertha konnte es Felix denn doch nicht verzeihen, daß er die kleine, unbedeutende Schwester, der doch noch so gar nichts am Heirathen gelegen gewesen war, ihrer stolzen Schönheit vorgezogen hatte. –

Augenblicklich ist für Fräulein Bertha ein noch immer stattlicher Major in Sicht, hoffen wir, daß er, der auch lange vergeblich gesucht hat, in Mimi’s Schwester endlich sein Ideal gefunden haben möge! Bis zur Stunde aber kann das noch Niemand verbürgen.