Textdaten
Autor: Maria Lazar
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Titel: Gas-Manöver
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aus: Der Wiener Tag, 1. Jänner 1931, Seite 7-8
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Erscheinungsdatum: 1931
Verlag: Tag Verlag AG
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: ÖNB-ANNO
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Aus Cambrai wird berichtet, daß in der dortigen Gemeindeschule seit einiger Zeit militärischer Unterricht zur Verteidigung gegen den Gaskrieg erteilt werde. Die Kinder müssen sich dabei sogar im Tragen von Gasmasken üben. Der Gemeinderat soll übrigens gegen diese eigenartige Unterrichtsmethode protestiert haben.[WS 1]

Aus Coburg wird berichtet, in großen, deutlichen, geschickt aufgenommenen Photographien, daß die Bevölkerung, vor allem aber die Schulkinder, zur Abwehr künftiger Gasangriffe systematisch gedrillt werden.[WS 2]

Der Papst hat erklärt, daß er an die Möglichkeit eines künftigen Kriegs nicht glaube. Er würde, falls ein Staat wahnwitzig genug sein sollte, zu einem neuen Krieg zu rüsten, das Verderben dieses Staates vom Himmel herabflehen.

Im Maastal sterben Menschen am Nebel. Es ist ein neuer Nebel, der Todesnebel. Er verbrennt die Menschen inwendig. Die Ärzte haben erklärt, es sei ein gefährlicher Nebel. Ein Nebel – oder wagt vielleicht jemand daran zu zweifeln?

Die Zahl der Wahrsagerinnen, die den Weltuntergang für 1931 prophezeien, soll beträchtlich gestiegen sein.

Wir gehen also, stolz gestützt auf die Errungenschaften der Technik, frisch und fröhlich einem neuen Krieg, einer neuen Kriegsform entgegen. Und der Papst wird bißchen viel Verderben vom Himmel herabflehen müssen, wenn man ihn beim Wort nimmt. Vielleicht sogar so viel, daß der nächste Gaskrieg sich dadurch erübrigt.

Wichtig ist: wir haben bereits Manöver. Neue Manöver, Manöver mit Kindern. Manöver in den Städten, Manöver in den Schulen. Geh, leih mir jetzt mal bißchen deine Gasmaske. Nee, laß doch, die sitzt ja nicht. Seht doch nur, wie Lottchen dort die Sterbende markiert. Einfach toll. Habt ihr schon gehört? Marktplatz vergast. Runter in die Kellers. Achtung, Achtung, dort kommt der Photograph! Nur nicht lachen!

Und der Photograph nimmt die auseinander stiebende Volksmenge auf [WS 3]und den fröhlichen kleinen Pfadfinder, der voll Wichtigkeit auf seinem Rad herangesaust kommt,[WS 4] und die vielen Schulkinder, die die Verwundeten markieren,[WS 5] und das alles kommt in die „Illustrierte“, habt ihr schon gesehen, gib doch mal her, reißt sie mir nicht aus der Hand, Mutter hat noch keinen Blick hineingetan. (Und, wenn man bißchen weiter blättert, sieht man den kleinen zehnjährigen Berliner Schauspieler, den Liebling des Kinderpublikums, der seinen kleinen Verehrerinnen Autogramme schreibt.[WS 6] Bekanntlich leben wir im Zeitalter des Kindes.)

Manöver waren immer schon was überaus Vergnügliches. Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, die Mädels an Fenstern und Türen, ei warum, ei darum: lustig ist's Soldatenleben und vor allem das Soldatenspiel. Warum sollen es nicht auch die Kinder einmal spielen. So erzieht man sie am ehesten zu Helden. Es ist nämlich gar nicht so schlimm - das Manöver. Ach wo. Man übt ja doch nur Abwehrmaßnahmen, Abwehrmaßnahmen gegen die Schrecken, die man kennt, die man erwartet. Hat man denn vor dem Weltkrieg Abwehrmaßnahmen gegen Hunger und Kohlenmangel geübt, gegen Tanks und Flammenwerfer, gegen die spanische Grippe? Man dachte nicht einmal daran, wie man sich gegen Brunnenvergifter schützen könnte. Gab es doch in den altmodischen Vorkriegszeiten noch die naive Anschauung, daß ein Brunnenvergifter kein ehrlicher Feind, fondern ein gemeiner Verbrecher ist. Nun aber scheint es selbstverständlich, daß nicht nur das Wasser zum Trinken, sondern sogar die Luft zum Atmen verpestet wird. Weit haben wir's gebracht.

Da der Krieg, der künftige Krieg ganz direkt auch gegen Kinder geführt werden wird, ist der Gedanke ja nicht so fernliegend, die Kinder an den Manövern teilnehmen zu lassen. Warum nicht, sie sollen es nur rechtzeitig lernen. Aber dann, bitte, laßt sie es auch richtig lernen. Übt sie, den Anblick von wirklichen und nicht markierten Sterbenden zu ertragen, laßt sie zusehen, wie Menschen ersticken, zeigt ihnen täglich im Schulunterricht die Reliquien der Massengräber von Flandern, zeigt ihnen Mütter, die ihre Kinder verloren haben, zeigt ihnen Gesichter, verzerrt vor lebendigem Entsetzen, erfüllt ihre Ohren mit gellendem Angstgeschrei, stülpt ihnen Gasmasken auf, bis sie ohnmächtig werden, sperrt sie tage- und wochenlang in finstere, nasse Keller, zeigt ihnen die Gasmenge, die genügen würde, um das Schulhaus in wenigen Minuten in ein Leichenhaus zu verwandeln. Und vergeßt dabei nicht, ihnen zu sagen, daß das alles nur ärmliche Phantasie ist im Vergleich zu der Wirklichkeit, die sie erwartet. Das wären Manöver! Und wenn sie dann noch fragen: ei, warum, dann versucht es nur und antwortet: ei, darum!

*

Photographien sprechen ihre eigene Sprache. Zwischen ihnen läßt sich oft mehr lesen, als zwischen den Zeilen. Auf der einen Seite einer illustrierten Zeitung das Dorf Engis in Belgien: klein und unauffällig eine einfache Straße, aus den Fenstern hängen Trauerfahnen. Auf der andern Seite die Gasmanöver von Coburg: Schulkinder, die die Sterbenden markieren.[WS 7]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Siehe bspw. Wiener Allgemeine Zeitung vom 23. Dezember 1930, Seite 2: „Gasmasken für Schulkinder – Seltsame Unterrichtsmethode in einer französischen Gemeindeschule [...] Der ‚Populaire‘ berichtet aus Cambrai, daß in der dortigen Gemeindeschule seit einiger Zeit militärischer Unterricht zur Verteidigung gegen den Gaskrieg erteilt werde. Die Kinder müßten sich dabei sogar im Tragen von Gasmasken üben.“
  2. Berliner Illustrirte Zeitung Nummer 51, 21. Dezember 1930, Titelseite, S. 2291, „Gasübung in Coburg“
  3. Ebd., Titelseite, Bildunterschrift: „[...] Der Trommler verkündet die erste Alarmstufe. Das Publikum räumt die Straße.“
  4. Ebd., S. 2291, Bildunterschrift: „Ein Pfadfinder warnt die Bevölkerung durch Hornsignale.“
  5. Ebd., Bildunterschrift: „Kinder stellen die Verwundeten dar, die von den Rettungsmannschaften der Feuerwehr, der Sanitäts-Kolonnen und der Pfadfinderschaft sachgemäß behandelt werden.“
  6. Ebd., S. 2334, Bildunterschrift: „[...] Der kleine Schauspieler Gustl Stark-Gstettenbauer, Liebling aller Theaterfreundinnen von 6 Jahren an, gibt seinen kleinen Verehrerinnen während der Pause in seiner Garderobe Autogramme.“
  7. Ebd, S. 2290, Bildunterschrift: „Der tödliche Nebel. Schwarze Fahnen in der Hauptstraße der belgischen Ortschaft Engis im Maastal, wo sich viele Todesfälle in Folge eines rätselhaften Nebels ereignet haben.“