Friedrich der Große in Kamenz

Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Friedrich der Große in Kamenz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 579–583
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Friedrich der Große in Kamenz.

Eine Skizze von Rudolf von Gottschall.

Hell tönten die Glocken des Cisterzienserklosters von Kamenz in die klare Winterluft – die sonst im duftigen Blau verschwimmenden Berge des schönen Glatzer Landes hingen jetzt mit ihren Schneerücken wie weißes Gewölke am Horizont – und auf dem nahen Kamme der Eule schien die Bergfestung Silberberg, deren Bastionen sich sonst scharf abzeichnen, im Schnee der Winterlandschaft verschüttet zu sein.

Doch es war nicht jener winterliche Frieden der Natur, den sonst nur der Schrei der Schnee-Amsel zu unterbrechen pflegt. Wer aus der Vogelschau auf die Berge und Thäler des Schlesier Landes herabgesehen hätte, der würde viele bunte Punkte und Linien bemerkt haben, die sich durch den Schnee dahinschlängelten – die Uniformen der Kaiserlichen und der Königlichen, Patrouillen und Heereszüge hüben und drüben und Geschütze, die von keuchenden Rossen durch den Schnee geschleppt wurden. Der Preuße war ins Land gebrochen, seine Fahnen wehten den Bergen zu; Breslau hatte dem jungen König gehuldigt und jene stolze schöne Fürstin, zu welcher der Prinz einst flüchten, welcher er Hand und Herz bieten wollte, sandte ihre besten Feldherren und Truppen dem kühnen Eindringling entgegen.

Die Glocken von Kloster Kamenz läuteten, es war eine feierliche Messe, welche der würdige Abt, Tobias Stusche, celebrirte. Anlaß dazu gab die Anwesenheit eines anderen Abtes des Cisterzienserordens, der von einer französischen Abtei herübergekommen; wohl im Auftrage des hohen Rathes, welcher in diesem Orden das Regiment führte. Neben der kräftigen Gestalt des Tobias Stusche, der ein vierschrötiger Mann war und um Haupteslänge hervorragte über die andern Mönche, die unter seiner Botmäßigkeit standen, machte der französische Abbé einen fast unscheinbaren Eindruck; seine Gestalt erschien klein und schmächtig in dem weißen Ordenskleide mit schwarzem Skapulier; aber seine Züge hatten etwas Feines und Vornehmes – und es mußte ein vornehmer Herr sein, der schon in so jungen Jahren die Würde eines Abtes erlangt hatte. Den Namen des französischen Grafen sprachen die Mönche verschieden aus: Tobias Stusche hatte sich keiner besonderen Deutlichkeit beflissen, als er den fremden Gast den Klosterherren vorstellte.

Nach der Messe führte er denselben in seine Zelle; während die andern Mönche im Refektorium sich gütlich thaten nach des Tages Last und Mühen, hatte der Abt für ein kleines köstliches Mahl gesorgt, das er in seiner Zelle rüsten ließ, der Bruder Kellermeister aber schleppte die seltensten Weine herbei, und der feurigste Tokaier funkelte in den werthvollen Krystallgefäßen des Klosters.

[580]

Friedrich der Große unter seinen Grenadieren.
Originalzeichnung von R. Warthmüller.

[581] Kaum hatte der Kellermeister die Zelle verlassen, als die mächtige Gestalt des Tobias Stusche auf einmal alle gebieterische und imposante Würde einbüßte, sein ganzes Wesen einen sehr unterthänigen und dienstbereiten Ausdruck annahm, so schwer es ihm wurde, seinen Stiernacken zu beugen und den ungelenken Gliedern die Geschmeidigkeit zu geben, deren ein unterwürfiger Sinn bedarf, wenn er dem Höherstehenden huldigen will.

War es ein vornehmer Kirchenfürst, der den wackeren Tobias in diese unbequeme Lage versetzt hatte? Mindestens nahm der Fremde diese Huldigungen so gelassen hin, als ob sie ihm zukämen – und doch wird die hohe kirchliche Würde niemals der Jugend zu Theil. Grau und verwittert muß sein, was zum Felsen Petri gehört.

Der französische Abt war einer jener Männer, über welche ein flüchtiger Blick leicht achtlos hinwegstreifen kann, aber nähere Betrachtung fühlte sich gefesselt und angezogen. Und wenn man anfangs nicht recht wußte, worin dieser Zauber beruhte – man blieb nicht lange darüber im Unklaren. Es war die Macht dieses großen sonnenhaften Auges, der sich Niemand entziehen konnte: es sprach daraus ein überlegener, beherrschender Geist. Bald war es ein feuriger Adlerblick, welcher die Herzen zündend traf; bald hatte dies Auge einen sanften, tiefen, schwärmerischen Ausdruck, der überaus sympathisch wirkte.

Es war das Auge des Genius! Mag wer da will an ein Genie mit nichtssagenden grauen Augen oder funkelnden Katzenaugen glauben – ohne den tiefen Blick, der in die Seelen hineinleuchtet, giebt es kein Genie.

„Ich danke Ihm,“ sagte der Gast, indem er mit dem Wirthe anstieß; „Er hat mir einen großen Dienst geleistet, und das soll Ihm unvergessen bleiben.“

„Stets Eurer Majestät getreuer Diener,“ versetzte der Abt mit einem etwas ungeschickten Bückling, „ich leere dies Glas auf Euer Wohl, Sire!“

Friedrich blieb eine Zeitlang in Gedanken versunken.

„Habe zu sehr diese Panduren mißachtet ... ganz unerwartet kamen sie hervorgeschwärmt aus den Glätzer Bergen – ein wahrer Heuschreckenschwarm. Ich hatte mich zu weit entfernt von den Schulenburger Dragonern. Diese geriethen in einen Hinterhalt, setzten sich tapfer zur Wehr … ich hörte das Musketenfeuer … da tauchten zur Rechten und zur Linken von mir an den Waldrändern die Panduren auf. Es galt Eile … ich war mit meinem Adjutanten allein … wir jagten auf Waldwegen thalwärts … überall hinter den schneebelasteten Bäumen sahen wir die glitzernden Musketen. Daß Er mir so rasch und ohne Bedenken auf Anfrage und Wunsch die Pforten des Klosters öffnen ließ, insgeheim, ohne daß außer dem Bruder Pförtner irgend Jemand etwas davon erfuhr: das war meine Rettung; denn in den Gehöften der Hörigen ringsum tummeln sich die Rothhosen, man hört ja die Musketenschüsse selbst hier im Kloster, und bei Gott, Meister Tobias, es war Hilfe in der Noth! Ob Er damit ein gutes Werk gethan hat, weiß ich nicht, aber die Welt hätte ein anderes Aussehen erhalten, wenn ein Musketenschuß jener Räuberbande mir den Garaus gemacht hätte!“

„Wir sind noch immer nicht sicher,“ versetzte der Abt, „daß sie ins Kloster dringen. Der Bruder Pförtner plaudert zwar nicht; ihm hab’ ich’s auf die Seele gebunden – und sonst weiß Niemand im Kloster von der Anwesenheit Eurer Majestät. Mein Vorgänger im Amt war von Eurer Statur – so konnte ich rasch aus der Nachbarzelle, wo der Schrank mit den Klostergewändern steht, das seinige entnehmen und Eurer Majestät übergeben. Hier sind Eure Majestät in sicherer Obhut und außer Gefahr, entdeckt zu werden; doch ich kann nicht dafür einstehen, daß uns die Panduren noch einen Besuch machen; ich werde Erkundigungen einziehen lassen, Tag für Tag, wo sie umherschwärmen, wo sie sich hingewendet.“

„Tag für Tag,“ rief Friedrich aus, „o nein, der König von Preußen darf nicht auf Tage verloren gehen. Sie harren meiner Befehle … vor Glogau, vor Neiße … ich erwarte Nachrichten von Winterfeld aus Petersburg – vom Grafen von Rothenburg aus Paris: hier oder dort kann im Spiele der Diplomatie eine Karte aufschlagen zu meinen Gunsten! Und ich hier im Kloster – ich habe nicht Zeit und Muße, Uhren zu stellen wie Kaiser Karl im Kloster von St. Just: ich hab’s gewagt, den Zeiger zu stellen auf der Uhr der Geschichte, und muß angstvoll lauschen auf ihren Schlag!“

Ungeduldig sprang der König auf, des weiten Gewandes ungewohnt warf er anstreifend das Weinglas um, und der feurige Tokaier wurde verschüttet.

„Ich hoffe, die Reiterscharen werden sich bis morgen zerstreuen,“ versetzte der Abt; „jedenfalls sollen mir die Laienbrüder draußen genaue Auskunft erstatten.“

„Dank, Meister Tobias! Wie sorglos kann Er seine Herde lenken mit dem frommen Stäbe. O neid’ Er nicht eines Königs Scepter. Allzuschwer oft ist seine Wucht, und auch die starke Hand beginnt zu zittern und wird kraftlos, doch nur auf Augenblicke! Auch Könige sind Menschen, aber der Staat, dem wir dienen mit Leib und Seele, duldet kein langes Ermatten; er setzt uns rasch wieder in den Sattel zum Sieges- oder Todesritte!“

Es schien dem Abt, als wolle der König sich zur Ruhe begeben; er nahm die Kerze zur Hand und geleitete ihn ehrfurchtsvoll in die Zelle gegenüber, die für den hohen Gast bestimmt und eingerichtet war. Mit tiefer Verbeugung wünschte er ihm eine ruhige Nacht.

Doch den König quälte die innere Unruhe, sorgenvolle Gedanken waren in ihm wachgerufen worden; er ging in seiner Zelle hin und her.

„Ein braver Mann, der Abt Tobias,“ sagte er sich, „was wagt er nicht Alles für den fremden, den ketzerischen König … und wie kann ich’s ihm lohnen? Und warum wagt er dies? Bin ich seines Gleichen nicht ein Gräuel? Was er gethan, er that’s aus Menschlichkeit; er sah mich in Gefahr und wollte mich erretten. Aller Ordensregeln spottet ein redlich Gefühl, das nur sich selbst gehorchen will.“

Der Vollmond stand hell am Himmel – das Fenster von Friedrich’s Zelle ging auf den Klosterhof. Da war Alles so still und friedlich … die winterlichen Skelette der Kastanien und Ulmen waren mit Schnee bedeckt … die Pfeiler der offenen Halle, die sich im Viereck hinzog um das im Sommer so freundliche, jetzt so öde Plätzchen Erde, warfen ihre Schatten auf die Schneefläche … ein leichtes, weißes Gewölk stob vom Wipfelgeäst einer Kastanie herunter … eine Krähe scharrte dort den Schnee und flog dann krächzend in den kalten Winterhimmel empor.

So freudlos das Alles war: einen Augenblick überkam’s den König, als könne er glücklich sein in solcher von der Welt abgeschlossenen Einsamkeit. Er würde hier nicht fromm in den Tag hineinleben wie die Andern … er würde denken und dichten ungestört. Nicht um die Kronen Europas brauchte er sich zu kümmern, nicht um die tugendstolzen oder verworfenen Frauen, die offen oder geheim das Scepter führten, nicht um die Heere seiner Feinde … kein Kriegsplan, kein Schlachtplan brauchte ihn zu beschäftigen … nie würde ihn der Jammer quälen, daß das kühn Entworfene scheitert an der Ungunst des Glückes und an thörichter Ausführung. Wieder kam ihm der spanische Karl in den Sinn … doch hatte dieser nicht ein reiches Leben hinter sich, als er an die Pforten des Klosters klopfte? Er war mächtig und groß gewesen, und der Glanz vieler Kronen hatte seine Stirn geschmückt. Wie durfte sich ein junger Fürst dem lebensmüden Weltbeherrscher vergleichen! Es galt ja erst Ruhm und Macht zu erringen, ein schönes Land im Sturm zu erobern und dann siegreich zu behaupten, der Welt zu zeigen, was das gute Preußenschwert vermag und welch hohen Flugs der Aar der Hohenzollern fähig sei.

Alles war noch auf die Zukunft gestellt … auf ein rastloses Streben. Hier fühlte er sich eingeengt, gefangen. Es duldete ihn nicht länger in der Zelle, er schritt die langen Korridore hindurch; sie waren taghell durch den Vollmond erleuchtet. Er gelangte wieder in die Klosterkirche … durch das Hauptschiff ging er dahin, dem Hochaltar zu; er stieg die Stufen empor zum goldfunkelnden Krucifix, verloren in Gedanken, die fern abschweiften von den heiligen Räumen, die er durchwandelte. Die bunten Glasmalereien der hohen Kirchenfenster strömten ein träumerisches Licht aus im Mondenschein; aber nicht auf die Heiligen und Märtyrer, deren Gestalten in so lichten Regenbogenfarben schimmerten, blickte der junge Fürst … in dem phantastisch bunten Schein, der sein Haupt umwob, zogen glänzende Zukunftsträume durch seine Seele. Da, am Hochaltar stehend, besann er sich plötzlich darauf, wo er sich befand … er mußte lächeln, als er sein weißes Mönchskleid betrachtete; was würde er dazu sagen, sein Freund, der größte Mann des Jahrhunderts?

[582] Und er sah ihn wieder vor sich, wie er ihn vor Kurzem in den Niederlanden gesehen, den dürren gespenstigen Voltaire mit seinem böswilligen Grinsen auf den Lippen und den Karfunkelaugen … welche Pasquille würde er ausschütten über den Mönchkönig, den Antimacchiavell im Gewand der Cisterzienser … den Ungläubigen, der sich in die fromme Herde gedrängt! Friedrich sah sich auf einmal selbst in dieser Beleuchtung … und der Geist des kecken Spötters kam über ihn. Könnte er nicht jetzt als legendarischer Heiliger der Pucelle von Orleans auf ihren Esel helfen? Oder selbst auf einen Esel steigen, wie der Mönch, der den heiligen Kreuzzug predigte? Fürwahr, ein wunderlicher Heiliger, mit dem schwarzen Skapulier um die Lenden und in der Seele die schwarzen ketzerischen Gedanken!

*  *  *

Die Ankunft des tief in den Mantel gehüllten Officiers im Kloster war nicht unbemerkt geblieben; ein Späherauge hatte sie belauscht. Dore Schloßmann, des Klosterbauern Tochter, träumte Tag und Nacht von preußischen Uniformen und harrte auf allen Wegen, ob ihr Geliebter, der sie im Zorn verlassen, nicht wieder zu ihr zurückkehren werde. Es war ein tapferer Schulenburger Dragoner, nicht dieses Landes Kind, sondern vom Kriegssturm hergeweht, von der Ostsee-Insel, an deren Kreidefelsen sich die lärmende Brandung bricht. Martin Sture hatte bei flüchtiger Einquartierung ihr Herz erobert: er war ein stattlicher Pommer, die schmucke blaue Uniform hob seine kräftige Gestalt, seine grauen Augen konnten recht siegesgewiß funkeln, wenn er einer Schönen gegenüber stand. Auch waren alle Soldaten des jungen Königs verwegen wie er, und wie er zögerten sie nicht zuzugreifen, wo sie vermeinten, sie hätten ein Recht dazu. Und solche Meinung hat jeder tapfere Kriegsmann, wenn ihm auf seinen Fahrten ein hübsches Mädchen begegnet. Dore war ein echtes Schlesier Kind, nicht drall und prall, wie die Dirnen aus den Hochgebirgen, ein wenig weich und schmachtend und empfänglichen Gemüthes; sie hatte ein paar fragende Augen, die mit jeder Antwort zufrieden waren; denn die Schlesier sind ein träumerisches Völklein, weßhalb auch so viele Dichter in ihrer Mitte erstanden; schroffe Kernnaturen giebt es nicht unter ihnen, und auch die Töchter des Landes haben ein versöhnlich Gemüth und zürnen dem Fremdling nicht, der um sie freit.

So begab es sich denn, daß der Schulenburger Dragoner schon bei seinem ersten Vormarsch Dorens Herz eroberte; sie saßen zusammen auf der Bank am Kachelofen; Martin verzehrte mit Andacht den Sträußelkuchen, den Dore für ihn gebacken, und erquickte sich an einem köstlichen Kirschbranntwein, den auch die Klosterherren nicht verschmähten. Dann patrouillirten Beide zusammen die Dorfgassen hindurch, und so vertraulich war bereits ihr Verkehr geworden, daß sie sich mit Schneebällen warfen und daß Dore mit einem süßen Schauer den kalten Wurf empfing, mit dem Martin den Nacken der Enteilenden traf; denn auch wenn Liebe sich so feindlich gebärdet und wehe thut, strömt sie doch immer ihren geheimen Zauber aus.

So ging es Tag für Tag; an einem Ruhetag der Schwadron widmete Martin alle Zeit, welche die Reveille und Parade, das Striegeln und Putzen des Pferdes übrig ließ, seiner anmuthigen Wirthstochter. Da begab es sich, daß das friedliche Glück in grausamer Weise gestört wurde; Dore erhielt den Besuch einer Muhme, die ihr sonst eine theure Freundin war; doch jetzt war ihr jede Dritte unwillkommen. Das sollte aber noch schlimmer werden; denn die Muhme war ein sehr stattliches Mädchen, hoch und schlank von Gestalt, mit feurigem Blick und bei Weitem nicht so entgegenkommend wie Dore; sie hatte etwas Zurückhaltendes, etwas Ablehnendes in ihrem Wesen. Ihre Mutter stammte aus nördlichen Gegenden, wo so schroffes Wesen zu Hause ist, und die Tochter hatte es von ihr geerbt. Das reizte aber den Schulenburger; er entwickelte alle seine Liebenswürdigkeit, um der schönen Susanne zu gefallen – und für Dore blieb sehr wenig übrig. Je spröder die Muhme war, desto eifriger warb Martin um ihre Gunst. Am Nachmittag war er ganz verschwunden; über Dore kam eine bange Ahnung; sie empfand einen grausamen Schmerz. Und doch war sie zu stolz, Susanne zu besuchen, um nachzusehen, ob er bei ihr sei; sie war schon einmal unterwegs, doch sie kehrte wieder um: lieber sich vergrämen, als sich so fortwerfen an den Ungetreuen. Abends war Tanz in der Scheune; die Schulenburger Trompeter spielten auf: es war viel Lust, Gejauchze und Sporenklang. Doch Martin mied jetzt absichtlich Dore, deren verdrossenes Gesicht ihm mißfiel; immer walzte er mit Susanne, und diese war nicht mehr so abweisend spröde; ihre Augen flammten, ihre Züge bedeckte eine feurige Röthe; sie hing in Martin’s Arm, als gehöre sie für immer dorthin; ja es geschah das Unglaubliche: nach einer wilden Tour drückte Martin sie an sich und küßte sie, und sie ließ sich das ruhig gefallen. Da brach alles verhaltene Weh in Dorens Herzen los; das stille Mädchen stürzte zornentbrannt auf den Dragoner los und warf ihm seine Untreue in den heftigsten Worten vor, leider ohne den gewünschten Eindruck auf den Frevler zu machen. In seinen grauen Katzenaugen leuchtete eine heimliche Schadenfreude auf, und als Dore ihren Sermon geendet, winkte er seinen Kameraden von der Trompete, einen Tusch zu blasen; unter lärmendem Gelächter und schmetterndem Halloh erfüllten diese seinen Wunsch, und laut weinend verließ Dore die Scheune, außer sich über diese Demüthigung, und im Herzen von bitterem Haß erfüllt gegen die Schulenburger und alle Preußen, in denen sie auf einmal nichts sah als freche Ruhestörer, Plünderer und Beutemacher und Verwüster des schönen Schlesiens.

Am nächsten Morgen brachen die Dragoner in aller Frühe nach Wartha auf, dem Städtchen, welches am Eingang des Hauptthals liegt, das ins Herz des Glatzer Gebirgslandes und zur starken Festung Glatz führt. Dort, hieß es, sei der König selbst, um die feindliche Stellung auszukundschaften. Dore hatte von Martin, obschon er bei ihrem Vater im Quartier lag, keinen Abschied genommen; im Laufe des Tages machte sie die unangenehme Entdeckung, daß Susanne verschwunden und, wie sie erfuhr, auch nach Wartha gefahren war. Sehr erklärlich – sie wollte dem Geliebten nahe sein, und da eine Tante von ihr, bei der sie öfters zum Besuche war, in Wartha lebte, so benutzte sie eine Fahrgelegenheit, die sich ihr darbot, um durch die Schneelandschaft nach dem Bergstädtchen zu fahren.

Dore saß mehrere Tage lang verzweifelt in ihrem Kämmerlein … auch am Altar hatte sie gebetet und der heiligen Jungfrau ihr Leid geklagt; doch sie konnte den Schimpf nicht verwinden, den man ihr angethan. Da klopfte es bei ihr, und als sie öffnete, stand Susanne vor ihr. Drohte ihr ein neuer Schimpf? Sie hatte nicht übel Lust über sie herzufallen und ihr ein Leides anzuthun; denn diese war ja die Ursache von all dem Schlimmen, das ihr widerfahren, doch Susanne sah durchaus nicht triumphirend aus; sie kam nicht, um ihre Muhme zu verhöhnen; sie hatte etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen und streckte ihr zur Versöhnung die Hand entgegen. Dore zögerte, sie anzunehmen, und betrachtete Susanne mit mißtrauischen Blicken; doch diese offenbarte sich bald als eine Leidens- und Gesinnungsgenossin. Martin Sture hatte auch sie nicht im Geringsten beachtet; es schien ihm unbequem, als sie in Wartha auftauchte; ein vornehmes Mädchen, des Apothekers Tochter, hatte dem schmucken Dragoner ihre Gunst zugewendet; er hatte es kaum bemerkt, als er alle möglichen Avantagen davon zu ziehen wußte und den Kameraden gegenüber fast eine hoffährtige Miene annahm. In stürmischen Zeiten kommt Liebesglück im Fluge wie Kriegsglück. Wie lästig mußte es Martin Sture sein, als ihm von Kamenz die Dirne nachgelaufen kam! Er machte kein Hehl daraus und gab’s ihr rundweg zu verstehen, so daß sie in ihrem Stolz sich tödlich gekränkt fühlte. Sogleich trat sie den Heimweg an, zu Fuß, trotz des Schneesturms, der ringsum das Land in seinen Wirbeln zu begraben schien. Gleiches Leid machte die beiden Muhmen wieder zu Freundinnen, sie küßten sich und drückten sich die Hände und gestanden sich, daß sie gleichen Groll gegen den verrätherischen Fremdling im Herzen hegten.

Doch so seltsam ist das menschliche Herz … kaum hatte Dore erfahren, daß Martin auch Susanne im Stich gelassen; als etwas in ihr auftauchte, wie eine leise Hoffnung: er könne wieder zu ihr zurückkehren. Das Kriegsgetümmel ging herüber und hinüber; warum sollte der Schulenburger Vortrab nicht wieder nach Kamenz versprengt werden?

Sie liebte ihn und haßte ihn zugleich … o, sie hätte ihn strafen, sich an ihm rächen, aber ihn dann wieder versöhnt ans Herz schließen mögen. Nur den Andern, den Schulenburgern gegenüber, die sie verspottet, wollte sie nichts von Versöhnung wissen. Susanne wohnte abseits vom Dorf mit ihrer Mutter in einem einsam gelegenen Häuschen. Dore hatte sie besucht, um [583] wieder ihr Herz vor ihr ausschütten zu können. Der Rückweg führte sie dicht am Kloster vorbei: da sah sie auf dem Feldweg in der winterlichen Dämmerung mitten im Schneegestöber zwei Reiter nahen … war es ein Traum? Waren dies nicht preußische Uniformen? Sie hielten an der Klostermauer. Dore lauschte hinter einem Mauervorsprung: der eine Reiter sprang vom Pferd und klopfte an die Klosterpforte. Der Bruder Pförtner öffnete, ein kurzes Gespräch – sie konnte zu ihrem Bedauern nicht die Worte verstehen, der Wind mit dem Schneegewölk verwehte sie – sie konnte nur sehen mit angestrengter Sehkraft. Der Pförtner verschwand … Alles war still ... die Reiter schüttelten den Schnee von ihren Mänteln. Die Pforte vor ihnen hatte sich wieder geschlossen; doch sie verließen ihren Posten nicht. Eine geraume Zeit verging so … ungeduldig stampften die Pferde. Da wurde wieder geöffnet – der eine Reiter, der sich fester in den Mantel hüllte, trat ein – der andere sprengte querfeldein mit den Pferden des Weges, welchen sie gekommen waren.

Dore eilte ins Dorf, um die wichtige Nachricht dort zu verbreiten. Da fand sie Alles in Unruhe und Aufregung … durch die Dorfgassen sprengten die Pandurhusaren, fremdartige Gestalten mit riesigen Schnauzbärten auf flüchtigen Rossen. Daneben zogen Trupps Panduren zu Fuß mit türkischen Pluderhosen und gewaltigen Musketen. Wenn sie sich nur mit ihnen hätte verständigen können, wenn sie’s nur gewagt hätte, sie anzureden, ihnen ein Zeichen zu geben: das waren ja die ersehnten Rächer; doch die grimmen Gesichter und die feurigen Augen schreckten das Mädchen zurück. Und gar die schnaubenden Rosse … sie trat geängstigt bei Seite. Und das flog an ihr vorüber wie Geisterspuk, wie es schien, wieder zum Dorfe hinaus. Dore theilte ihrem Vater mit, was sie gesehen – die Kunde kam zu spät. Die Panduren suchten die versprengten Schulenburger, sie wußten, daß der König unter ihnen sei; doch da die Bauern meldeten, daß sich kein preußischer Reiter im Dorf gezeigt, brausten sie weiter in wilder Hast. Hätte Dore früher das Abenteuer an der Klosterpforte erzählt – die Maus wäre in der Falle gefangen worden. Ja, wenn die Bauern nur gewagt hätten, den würdigen Mönchen Verlegenheit zu bereiten! Es gab im Dorf einen Schmied, der war lange in Ungarn gewesen und hatte, wie böse Zungen sagten, bei den Zigeunern seine Kunst gelernt. Er konnte sich mit den Panduren verständigen und kümmerte sich wenig um des Klosters Botmäßigkeit. Als um Mitternacht der wilde Schwarm zurückkam, weil der Hauptmann sich überzeugt, daß sie eine falsche Richtung eingeschlagen hatten, als das ganze Dorf in Unruhe und Aufregung versetzt worden, da eilte Dore zu diesem Schmied, er möge den Oesterreichern die Kunde bringen, daß ein preußischer Officier im Kloster versteckt sei. Der Hauptmann strich sich seinen Schnauzbart mit einem gewissen Behagen; doch da seine Truppe übermüdet war, begnügte er sich damit, vor das Hauptthor des Klosters und eine Seitenpforte desselben eine Reiterwache zu stellen und wachsame Patrouillen um die Mauern wandern zu lassen; er wollte sich den guten Fang zum Frühstück aufheben. Behaglich streckte er sich auf seinem Lager aus. Es mußte ja ein hoher Officier sein, vielleicht der König selbst, den sie im Kloster aufgenommen; denn einem gemeinen Reitersmann hätten die Mönche nimmer ihre Pforten geöffnet. Ein Ehrensäbel funkelte ihm vor den Augen, als er einschlief.

*  *  *

Ein fast undurchsichtiger Schneenebel hing über der Landschaft, als die Trompeter am nächsten Morgen die Reveille bliesen. Die Pferde wurden geputzt und gestriegelt, aber sie blieben im Stall; denn die Reiter schlossen sich mit ihren Musketen den Fußsoldaten an; Alles strömte dem Kloster zu, und während dumpfer Trommelwirbel dem bunten Kriegsvolke den Marschtakt angab, läuteten die Glocken vom hohen Klosterthurm, und feierlich ertönte der Orgel Klang aus der Kirche. Musketen klopften an die äußere Pforte der Ringmauer, und als sie geöffnet wurde, da stürmte der Schwarm herein, ohne viel zu fragen. Der Hauptmann ließ dem Abt vermelden, er müsse das Kloster durchsuchen, da er erfahren, daß ein feindlicher Officier sich hier versteckt habe. Und so gingen sie ans Werk ohne Zögern. Zelle für Zelle wurde abgesucht, alle Betten aufgewühlt. Ein Trupp mit dem tapfersten Korporal begab sich in den Keller, der Bruder Kellermeister mußte öffnen; die gewaltigen Stückfässer imponirten den Panduren so, daß sie fast versäumten, in den Verstecken dahinter nachzusuchen, und als sie gar von dem gastfreien Klosterbruder eingeladen wurden, an einem Holztisch Platz zu nehmen, der dicht vor den Riesenfässern zusammengezimmert war, und als aus dem geöffneten Spund derselben der feurige Trank hervorquoll und als ihre Gläser sich füllten mit dem ehrwürdig alten Wein, der so viele Jahrzehnte hindurch in dieser Tiefe geschlummert: da waren die Preußen und der ganze Krieg und das ganze Kloster vergessen; mit den Musketen wurde auf den Tisch getrommelt, und beim Säbelklirren erklangen wilde Kriegslieder, denen wilde Liebeslieder folgten, wie sie das Volk der Berge und der Steppen singt, das der Kaiserin Gebot von fernher unter Oesterreichs Fahnen gerufen.

Anderer Art war das Bild, das sich droben in der Kirche darbot. Der Gottesdienst nahm dort seinen ungestörten Fortgang, als die fremden Krieger lärmend eingetreten; doch der Gesang der Priester, der Klang der Orgel, das Licht der Kerzen auf dem Altar, die aufsteigenden Weihrauchwolken: das mußte doch das wilde Feuer des Hauptmanns und der Seinigen mäßigen. Andächtig schlug er ein Kreuz, und Alle folgten seinem Beispiel – und indem sie den beiden Aebten – es standen zwei am Hochaltar im kirchlichen Ornat – die schuldige Reverenz bewiesen und vor jedem Heiligenbild und Krucifix sich ehrfurchtsvoll verneigten, durchsuchten sie alle Winkel der Kirche mit militärischer Pünktlichkeit. Es war ein eigenthümlicher Anblick, diese Krieger zu sehen, wie sie zwischen der soldatischen und kirchlichen Disciplin hin- und herschwankten, in fortwährender Angst, gegen die eine oder die andere zu verstoßen.

Der eine der beiden Aebte sah mit feinem Lächeln dem Gebahren der rauhen Krieger zu, die Mischung von Frömmigkeit und rauhem, kriegerischem Wesen erheiterte ihn. Das aber wußte er, daß seine pommerschen Grenadiere mit den Weißröcken weniger Federlesens gemacht hätten; denn sie kannten nur Trommelschlag und Kanonendonner und den Befehl ihres Kriegsherrn.

Die Durchsuchung des Klosters war vergeblich gewesen, kein feindlicher Officier entdeckt worden. Die Panduren verließen mißvergnügt die heilige Stätte – in rosiger Stimmung waren nur die Wenigen, welche in den Kellerräumen ihres Amtes gewaltet. Der Pandurenhauptmann war in böser Laune über die verlorene Zeit und Mühe. Dore, als die Anstifterin dieses Unheils, als falsche Angeberin, wurde in ihrer Behausung ergriffen und dem Profoß übergeben. Auf einem Bagagewagen wurde sie gebunden mit fortgeschleppt; sie ahnte, daß ihr etwas Grausames und Beschämendes bevorstehe, und sie sah mit geheimem Grauen auf den Stock des militärischen Gerichtsvollziehers. Doch ihre bangen Ahnungen sollten sich nicht erfüllen, auf der nach Wartha führenden Heerstraße wurden die Panduren von mehreren Schwadronen der Schulenburger Dragoner überfallen, nach tapferer Gegenwehr in die Flucht geschlagen, die Begleitung des Bagagewagens niedergemacht, und als Dore vor Schreck über die Schüsse und den Kampf in Ohnmacht gefallen war und wieder zum Leben erwachte, neigte sich über sie das Antlitz des wackeren Martin Sture, blutend von einem feindlichen Säbelhieb, aber mit dem wohlwollenden Lächeln, mit dem man eine alte Bekannte begrüßt, und als er sie ihrer Banden entledigt hatte, da fühlte sie nichts mehr von Haß und Zorn und Grimm, sondern nur inniges Dankgefühl, dessen Ausdruck Martin Sture mit liebenswürdiger Herablassung entgegennahm. Die Schulenburger rückten wieder in Kamenz ein. Er beschloß, sich mit Dore nicht mehr auf den Kriegsfuß zu stellen und statt des Schneeballenwerfens ein minder erkältendes Spiel zu wählen.

Von der Ankunft der treuen Truppen unterrichtet, konnte der König wieder seine Uniform anziehen. Erstaunt erfuhren die Mönche, welchen Gast sie in ihren Mauern bewirthet hatten. Friedrich dankte herzlich dem wackeren Abt; Tobias Stusche aber sprach die Hoffnung aus, daß der königliche Herr dieses Landes, wenn er es ganz seinem Scepter unterworfen, auch den Katholiken ein gnädiger Herrscher sein und ihren Glauben schützen möge.

„Fürchte Er nichts,“ sagte Friedrich, „in meinen Landen soll Jeder nach seiner Façon selig werden.“

Er sprengte von dannen – und bald verkündete der Kanonendonner von Mollwitz der erstaunten Welt, daß der junge Fürst zu siegen verstand und das schöne Juwel Schlesien von jetzt ab unentreißbar leuchte im Diadem der preußischen Könige.