Textdaten
Autor: Friedrich Kapp
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Titel: Reinhold Solger
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aus: Aus und über Amerika, Kapitel 9
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Entstehungsdatum: 1876
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Verlag: Julius Springer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf Reinhold Solger (1817–1866) und Gedanken über die Deutschen in Amerika
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[I.356]

9.

Reinhold Solger.

(1866)



Die Monatshefte haben sich das schöne Ziel gestellt, „einen literarischen Sammelpunkt der deutsch-amerikanischen Intelligenz zu bilden; sie wollen ein Mittel sein, die Errungenschaften des deutschen Geistes auf dem Boden Amerikas zu erhalten, mit Liebe zu pflegen und zur Geltung zu bringen.“ Reinhold Solger war hier zu Lande einer der bedeutendsten Träger dieses Geistes, ja mehr als das, er schuf sogar in englischer Sprache deutscher Wissenschaft und Kritik eine heimische Stätte unter den gebildeten Amerikanern. Wegen dieser seiner Doppelstellung hat er ganz besondern Anspruch auf die dankbare Anerkennung jedes Deutschen und auf einen ehrenden Nachruf in den Spalten dieser Zeitschrift, zu deren Mitarbeitern er von Anfang an gehört hat.

Das Leben und geistige Streben eines Mannes von seiner Bedeutung und seinen Talenten läßt sich natürlich nicht auf ein paar Seiten erschöpfend behandeln; die folgenden Mittheilungen, flüchtig hingeworfen bei dem Empfang der Nachricht von seinem Tode, wollen deshalb auch nur als ein bescheidener Baustein zu einer größern Charakteristik des Verstorbenen betrachtet sein.

Reinhold Solger ward am 5. Juli 1817 in Stettin geboren, wo sein Vater damals Regierungsrath war. Seine Familie gehörte den höheren preußischen Beamten- und Gelehrtenkreisen an. Sein einziger Bruder ist, so viel ich weiß, zur Zeit Oberregierungsrath in Danzig. Am bekanntesten von seinen Verwandten ist sein Onkel, der berühmte Philosoph und Berliner Professor, geworden. Kaum neun Jahre alt verlor Solger seinen Vater, ein doppelt großes Unglück für den begabten [I.357] Knaben, da dieser fortan bei der Mittellosigkeit der Mutter von der Gunst und Unterstützung seiner Verwandten abhing und schon in früher Jugend in drückenden Verhältnissen vielfach hin und her geschleudert wurde. Die letzten Schuljahre verbrachte Solger auf dem Pädagogium in Züllichau, von wo er im Herbste 1837 die Universität Halle bezog, die er später mit Greifswald vertauschte. In Halle schloß er sich vorzugsweise an den anregenden und geistig bedeutenden Kreis an, welcher damals unter der Führerschaft von Arnold Ruge die Hallischen Jahrbücher in’s Leben gerufen hatte und die äußerste Linke der Hegel’schen Schule bildete. Auf der einen Seite das Studentenleben mit vollen Zügen genießend, auf der andern geistig gehoben durch die bedeutenden Männer, mit welchen er verkehrte, trat Solger hier zuerst an das Studium der Philosophie heran und legte den Grund zu seiner umfassenden und gründlichen klassischen Bildung. Anfangs als Theologe, im zweiten Semester aber schon als Philosoph immatrikulirt, widmete er sich neben seinen geschichtlichen und philosophischen Studien auch den Kameralien und versuchte sich in verschiedenen lyrischen Dichtungen, deren einzelne in dem Ruge’schen Musenalmanach von 1840 veröffentlicht wurden. Von Halle ging er 1840 nach Greifswald, wo er im Mai 1842 mit einer historischen Dissertation über die Sicambern promovirte. Solger gedachte sich nunmehr der akademischen Laufbahn zu widmen und zur Uebernahme einer Professur an der landwirthschaftlichen Schule in Eldena vorzubereiten. Der damalige preußische Kultusminister Eichhorn war ein Freund seines Vaters und nahm besondern Antheil an dem Fortkommen des talentvollen Sohnes. Er veranlaßte Solger’s Eintritt bei der Regierung in Potsdam, wo dieser zu seiner praktischen Ausbildung einige Zeit lang als Referendar arbeitete. Er konnte sich jedoch, unbefriedigt von dem dortigen büreaukratischen Treiben, bedrängt von seinen Gläubigern und im Stich gelassen von seinen Verwandten, nicht lange halten und beschloß, sein Glück im Ausland zu versuchen.

Solger wollte direkt über England nach Amerika gehen, kam damals, 1843, aber nur bis Liverpool. Ein Makler hatte ihm nämlich ein gefälschtes, werthloses Fahrbillet aufgehängt, für welches Solger sein letztes Geld hingegeben hatte. Er mußte also nothgedrungen bleiben. Zu seinem Glück erhielt er eine Stelle als Hauslehrer bei einem Landedelmann, [I.358] in dessen Familie er fast vier Jahre lang blieb. In äußerst sorgenlosen, dabei äußerlich angenehmen und reichen Verhältnissen lebend, fand er hier die hinreichende Muße, sich nicht allein die volle Kenntniß und Beherrschung der englischen Sprache anzueignen, sondern auch seine früheren historischen und philosophischen Studien mit verdoppeltem Eifer wieder aufzunehmen und sich der Poesie inniger als in einer frühern Periode seines Lebens zuzuwenden. Außer verschiedenen Aufsätzen, wie der vortrefflichen Abhandlung über den Einfluß des Theaters auf die Engländer, entstanden in jener Zeit die zwei ersten Gesänge seines komischen Epos „Hans von Katzenfingen“, welches leider nicht über die beiden ersten Gesänge – die Verhöhnung des damaligen preußischen Militär-Junkerthums – hinauskam, indessen im Geiste des Byronschen Don Juan als großes Gedicht angelegt war. Es sollte die allmälige Entwicklung eines unter blasirter Scheinkultur, Rekrutenwirthschaft und Pietismus herangewachsenen jungen Mannes schildern, welcher sich zuletzt aus dem Kampfe mit dem Byzantinerthum seiner Zeit siegreich emporarbeitete und selbstbewußt in die höchsten Aufgaben der Menschheit mit eingriff. Sein Held Hans sollte veranschaulichen, wie unser Leben in allen seinen Beziehungen wieder zur Wahrheit zurückstrebt, wie die Menschheit sich von der Herrschaft der Affektation und Ueberschwenglichkeit befreien will und als ihr Ideal nicht mehr ein, dem Leben feindliches Jenseits, sondern die Quintessenz ihres eigenen Lebens sucht. Solger selbst war voller Behagen im Strome jener wilden, thatendurstigen und ungestümen vorachtundvierziger Zeit mit dahingeschwommen und hatte sich von ihm, eigentlich ohne äußere Noth, nach England treiben lassen. Er empfand den innern Widerspruch zwischen seinem Wesen und den in seinen Augen nur geistlosen Einrichtungen des Staates zu subjektiv, zu wenig historisch, als daß er je ein brauchbarer Beamter geworden wäre; er war eine zu wahre Natur, als daß er sich selbst und Andere belogen, und zu sehr vom Ernste seiner Ueberzeugung durchdrungen, als daß er sich einer sogar liebevollen Gängelei gefügt hätte. „Wir sind Alle – sagte er einmal – zu Berlinern erzogen, jener vernacula multitudo des Tacitus, welche freilich nicht durch den Ernst unabhängigen Charakters furchtbar, aber durch die frivole Lust an der Widersetzlichkeit dennoch gefährlich wird. Nur Klötze ergeben sich willig [I.359] darein, wenn man sie mit der Nase auf Alles stößt, was Jeder selbst finden kann. Wer aber die Fähigkeit der eigenen Wahl in sich spürt, der wird lieber freiwillig das Unrechte, als gezwungen das Rechte ergreifen.“ So war Selbstbestimmung ihm Bedürfniß und Gesetz. Er wollte eine Person für sich sein, und grade alle diese Seiten seines eignen Wesens und Strebens im Katzenfingen poetisch verklären. Feine Beobachtung, freier politischer und geistiger Blick vereinigen sich in diesem Gedichte mit dem übermüthigsten Witze, dem liebenswürdigsten Humor und der graziösesten Form. „Mein Model war ein Lieutenant v. Sch.....g – erzählte mir Solger einmal – ein prächtiger jovialer Kerl, mit welchem ich in Potsdam zusammen wohnte und täglich von unseren Fenstern aus das erste Garderegiment exerzieren sah.“ Eine bessere Zeichnung von einem alten preußischen Obersten als die von Hans’ Vater, und zwar in wenigen Versen, läßt sich gar nicht denken. Die ersten beiden Gesänge erschienen in „Deutsches Taschenbuch aus der Schweiz“ 1845 und 1846, und erregten das größte Aufsehen. Man zerbrach sich lange in Deutschland den Kopf über den Verfasser. Einige hielten Prutz dafür, der zu jener Zeit grade die „Politische Wochenstube“ gedichtet hatte. Dieser antwortete, er würde sich freuen, wenn er einer solchen Leistung fähig wäre. Leider blieb Solger bei den ersten beiden Gesängen stehen, in deren letzten er den leichtsinnigen, jungen Offizier, welcher der romantisch pietistischen Strömung jener Zeit folgte, zum Gnadendurchbruch gelangen und dadurch seine nächste Zukunft sicherstellen läßt. „Es gehört der lebendige Gegensatz zwischen der engen Potsdamer Atmosphäre und der freien englischen Luft dazu, um derartige Gestalten hervorzubringen“, meinte er später mit Recht, und grade weil der zweite Gesang später als der erste geschrieben war, wo sich dieser Gegensatz schon mehr verwischt hatte, hielt er von ihm auch viel weniger als vom ersten. Es ist charakteristisch für Solger und seinen gänzlichen Mangel an jeder Schriftstellereitelkeit, daß er in Amerika kein Exemplar des Katzenfingen besaß. „Auch so eins der ante-diluvianischen Kinder meiner Muse“, pflegte er sarkastisch lächelnd zu antworten, wenn man ihn danach fragte, „dem ich zuletzt im Jahre 1848 in Berlin begegnet bin.“ Ueberhaupt konnte es kaum einen Schriftsteller geben, der weniger eitel und sich klarer über sein Können oder Nichtkönnen gewesen [I.360] wäre wie Solger. Er besaß in dieser Beziehung eine Aufrichtigkeit gegen sich selbst, welche oft an Naivetät gränzte. Eine andre, nicht minder bedeutende Schöpfung seines Aufenthalts in England ist die eigentlich als ein Gesang für den Katzenfingen bestimmte Elegie „Der Untergang“, mit dem den Inhalt des Ganzen rekapitulirenden Schlusse: „Hier gehst du unter, Licht, auf steigst du da: Europa stirbt – Heil Dir, Amerika!“ Es spiegelt sich in diesem, von philosophischer Freiheit und tiefer Weltansicht getragenen Gedichte leider jene falsche Richtung wieder, welche in thatenloser Zeit an der Kraft des eignen Volkes verzweifelt und sogar der ganzen europäischen Kulturwelt die Existenzberechtigung abspricht. Es sind dieselben Geistesströmungen, deren Vertreter, die Panslavisten und amerikanischen Demokraten, in Rußland den östlichen und in Amerika den westlichen Riesen, sich selbst aber als die Helden der Zukunft feiern und den an der Peripherie modernen Kulturlebens sich bewegenden Satelliten den baldigen Sieg über das „altersschwache“ Europa weissagen. Die erste große That einer der westeuropäischen Nationen wird diese hohlen Gebilde knabenhafter Einbildung wie Nebel vor der Sonne zersetzen. Damals jedoch dachten viele der bedeutendsten Geister unsers Volkes so. Arnold Ruge z. B. sagte von diesem Gedichte, die Phantasie des Untergangs der europäischen Welt erweitere den Blick und das Interesse zu gleicher Zeit; es setze in seiner erhabenen Form die Geistesbewegung der neuesten Zeit voraus.

Solger verließ England im Frühjahr 1847 und ging, nachdem er einige Monate mit Bakunin, Herzen, Herwegh, Bernays u. A. in Paris verlebt hatte, nach Deutschland. Hier traf ich ihn zufällig zuerst in Heidelberg, wo ich grade ein paar schöne Sommerwochen zubrachte. Ihm war die Stadt gänzlich fremd, während ich aus meiner studentischen Zeit namentlich in ihrer herrlichen Umgebung wie zu Hause war. Ich machte also auf seinen Wunsch gern den Führer und half ihm zunächst eine Wohnung suchen. Nachdem unsere Bemühungen lange vergeblich gewesen waren, fanden wir eine prachtvolle Etage in der am Ausgang des Schloßgartens, rechts vom Thore gelegenen Falknerei. Die Einrichtung war elegant, der Blick auf’s Schloß und in das Thal entzückend; aber die sechs großen Zimmer sollten nicht getrennt abgegeben [I.361] werden. Gleichwohl nahm Solger, ohne sich lange zu besinnen, das Ganze. Wir eilten also sofort in den Gasthof zurück und schafften sein Gepäck hinauf. Den Hauptsaal richteten wir mittelst der Möbel der übrigen Räume möglichst künstlerisch und komfortabel ein. In das eine Zimmer stellte Solger einen Koffer, in das andre einen großen Blechkasten mit steifen Halsbinden und Stehkragen nach der neuesten englischen Mode, in ein drittes ein paar Bücher und so fort, bis der Inhalt sämmtlicher Koffer vertheilt war. Dann wandelten wir befriedigt in der langen Flucht der Zimmer auf und ab, traten auf den Balkon und erfreuten uns am Sonnenuntergang. Beim Dunkelwerden steckte Solger alle Lichter auf den Kronleuchtern an und las mir, behaglich auf ein Sofa hingestreckt, einzelne Stellen aus Parny’s „Guerre des dieux“ vor, welchen ich durch ihn erst kennen lernte. Da ich nichts zu thun hatte und nichts andres wollte, als die Zeit in guter Gesellschaft und in der schönen Natur todtschlagen, und da wir außerdem viele gemeinschaftliche Freunde und geistige Beziehungen hatten, so wurden wir sehr bald genau mit einander bekannt und streiften mehrere Tage in den schönen Bergen und Thälern von Heidelberg umher. Es war eine schöne und genußreiche Zeit, welche zugleich sehr lehrreich für mich wurde. Mir gefiel besonders Solger’s sicheres und bestimmtes Urtheil, sein kategorisches Eintreten für seine Ansichten und ihre klare ruhige Begründung, wenn ihm Widerspruch begegnete. Namentlich eröffneten mir seine anschaulichen und anziehenden Schilderungen des englischen Wesens, welches ich bisher nur nach der konstitutionellen Schablone zu beurtheilen gelernt hatte, ganz neue Blicke in den thatkräftigen Realismus dieses Volkes, von welchem Solger’s mannhafter Charakter sich besonders angezogen fühlte. „Trotz ihres furchtbaren Egoismus[1] – das [I.362] ungefähr ist der Grundton seiner Ausführungen – nöthigen Einem die Engländer wider Willen Achtung ab, nicht nur der politischen Größe ihrer Nation wegen, sondern um der Klarheit ihres ganzen Wesens willen, und einer treuen Anhänglichkeit an die Natur, welche sich in Einfachheit der Sitten, Häuslichkeit und was damit zusammenhängt, und durchgehender Wahrhaftigkeit äußert, so daß man sagen kann, sie sind noch wahr, wo sie betrügen, d. h. gewisse Betrügereien werden im Handel und Wandel öffentlich zugelassen. Alle diese Widersprüche finden ihre Erklärung darin, daß die Engländer, vermöge der Energie ihres Charakters, das germanische und mittelalterliche Prinzip, „die Freiheit des Einzelnen“, von allen europäischen Nationen am vollständigsten durchgeführt haben. Die Engländer sehen den Staat wirklich als einen Kontrakt an, der die rein negative Aufgabe hat, Alles, was den Einzelnen in seiner Bequemlichkeit stört, wegzuräumen; für den Einzelnen ist alles da, der Einzelne darf, nach dem Prinzipe der freien Konkurrenz, was er mit Hilfe des gemeinsamen Zusammenwirkens „erlistet und errafft“ hat, beliebig verwenden und sich mit seiner Beute aus dem Staube machen. In dieser Geltung des Individuums liegen alle englischen Fehler und alle englischen Tugenden. Das Prinzip aber ist seinem Untergange nahe.“ –

Als wir uns in Heidelberg trennten, begab sich Solger nach Bruckberg zu Ludwig Feuerbach, um dem großen Denker seine Huldigungen darzubringen. Dieser sprach sich ganz entzückt über den erfrischenden und anregenden Besuch aus, welcher ihn aus der Einförmigkeit seines Daseins heraus für einige Tage in die große bewegte und glänzende Welt versetzt habe. Beide lebten fortan in lebhaftem geistigem Verkehr mit einander. Solger aber reiste weiter nach Berlin, um sich hier wo [I.363] möglich eine unabhängige literarische oder wissenschaftliche Existenz zu gründen. Indessen wollten dort seine literarischen und persönlichen Pläne nicht gelingen, weshalb er denn auch gegen Ende des Jahres nach Paris zurückkehrte. Hier überraschte ihn die Februarrevolution, ein paar Tage nach seiner Hochzeit mit einer Pariser jungen Dame, die ihn jetzt als Wittwe sammt vier Kindern überlebt. Seine an die Ergänzungshefte des Wigand’schen Konversations-Lexikons geschriebenen Berichte über die Februartage sind die spannendste und lebendigste Schilderung jener halb poetischen, halb politischen Revolution. Im April 1848 kehrte Solger noch einmal nach Berlin zurück. Er schloß sich hier als eifriges Mitglied einem entschiedenen demokratischen Klub an, betheiligte sich aber nur als Beobachter und Zuschauer, nicht als Redner und Agitator an der politischen Bewegung. Wir mußten zwei Jahre später in der Schweiz laut auflachen, als in dem Prozesse Waldeck der biedere Hinkeldey und seine schlechtbezahlten, also auch schlecht unterrichteten Spürhunde aus Solger, weil er direkt von Paris nach Berlin gekommen war, einen französischen agent provacateur Saulier gemacht hatten. Im August siedelte er nach Frankfurt a. M. über, wo ich wieder mit ihm zusammentraf. Ich fand ihn hier sehr herabgestimmt und unbefriedigt, wenn er auch seine literarische und politische Thätigkeit in Verbindung mit der äußersten Linken bis zum Ausbruch der badischen Revolution fortsetzte. In Carlsruhe fand er keine Verwendung für sein eigentliches Talent, das sich im Ministerium des Auswärtigen am vortheilhaftesten verwerthet hätte. So mußte er sich damit begnügen, lediglich wegen seiner Sprachkenntnisse und Gewandtheit als Adjutant und Uebersetzer Mieroslawski’s zu dienen.

Nach kurzen zwei Monaten ging Solger im Juli 1849 dann mit der flüchtenden Armee in die Schweiz, wo er zuerst in Bern und später in Zürich lebte. In der erstgenannten Stadt hielt er während des Winters 1849-50 eine Reihe von Vorträgen über englische Literatur, in Zürich war er einer der Begründer und fleißigsten Mitarbeiter der deutschen Monatsschrift, herausgegeben von A. Kolatschek, eines Organs der demokratischen Frankfurter Linken. Solger’s und C. Vogt’s Beiträge sicherten vor allen dieser Zeitschrift eine geachtete Stellung und einen großen Leserkreis in der Tages-Literatur. Von seinen kritischen Aufsätzen [I.364] sei hier die Abhandlung „Wir“ erwähnt, in welcher er die geschlagene Partei gleichsam anatomisch zergliedert und streng kritisirt; von seinen poetischen Schöpfungen ist aus jener Periode nur „Der Reichstagsprofessor“, Posse in einem Akt, anzuführen, die ja auch den Lesern der Monatshefte aus dem Abdruck im Septemberhefte von 1864 bekannt ist. Wie jener Aufsatz gegen die eigene Partei gerichtet war, so verhöhnt diese Posse die Gothaer, die besten, die edelsten Männer des Volkes, wie sie sich selbst nannten. Der feige Berliner Philister, Herr Heuler, der vor jedem Schutzmann in die Ecke kriecht und dafür zu Hause den Tyrannen spielt, der große Staatsmann Professor Duselmann, der sich etwas darauf einbildet, daß er bewußt und unbewußt der Reaktion in die Hände arbeitet, der gegen die, ihm applizirten Fußtritte protestirt und wieder protestirt, im Grund seines Wesens aber ebenso hohl und feig, aber äußerlich gebildeter als Heuler ist, das schnippische und freche Dienstmädchen Hanne (ein wenig zu stark aufgetragen), sind die Hauptträger dieser Posse; die eigentlichen Helden, der demokratische Abgeordnete Oertel und seine Braut, treten ein wenig zu sehr in den Hintergrund. Der Dialog ist gewandt, scharf und voll sprudelnden Witzes, die Handlung natürlich und das Ganze eine Persiflage der damals tonangebenden politischen Kreise. Das Gedicht war ein Labsal und Trost für die zahlreichen Flüchtlinge in der Schweiz, die es Abends in ihren Kneipen lasen und sich über die Flüche und Hiebe freuten, mit welchen der Dichter die erfolgreichen Gegner heimsuchte. Seine Wirkung und sein Geist kann nur richtig gewürdigt werden, wenn man den Zusammenhang mit seiner Zeit im Auge behält.

Nach dem Staatsstreich blieb Solger nicht lange mehr in Zürich. Im Sommer 1852 ging er über Paris nach London, wo er den Winter verbrachte und wenig in deutschen, dagegen desto mehr in den alten, ihm befreundeten englischen Kreisen verkehrte. Dickens, Carlyle und Bulwer, die ihn von seinem ersten Aufenthalte in England her noch kannten und hoch schätzten, suchten ihm durch Empfehlungen die Wege zu ebnen; allein ein Kursus von Vorlesungen, zu denen Dickens selbst mit einlud, hatte trotzdem nicht den gewünschten Erfolg, überhaupt waren die Schwierigkeiten bei dem kolossalen Andrange von Flüchtlingen größer als zu gewöhnlichen Zeiten. So entschloß sich Solger im Frühling [I.365] 1853, nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Er landete in Philadelphia, von wo er im Herbste 1853 bereits nach Boston übersiedelte. Hier, resp. in Roxbury behielt er seinen Wohnort bis zum Frühling 1861, wo er nach New-York kam, welches er im Winter 1862–63, zum Schatzamtsbeamten ernannt, mit Washington vertauschte. Es ist eine eigenthümliche Ironie des Schicksals, daß derselbe Mann, der immer arm war und stets mit den Sorgen des Lebens zu kämpfen hatte, im Schatzamt die Aufgabe zugewiesen erhielt, die damals grade massenhaft ausgegebenen Vereinigte-Staaten-Obligationen durch seine Unterschrift zu gesetzlichen Schuldtiteln zu machen. Die ganze dritte Serie der sogenannten Fünfzwanziger, mehr als 100 Millionen Dollars, sind von ihm unterzeichnet. Ich besuchte ihn öfter bei seiner rein mechanischen Arbeit, während welcher er mir aus dem Homer, Sophokles, Shakespeare, Schiller oder Göthe deklamirte oder bewies, daß Cartesius Recht gehabt habe, daß man im Lärm der Welt, an der Börse am ungestörtesten seinen Gedanken Audienz geben könne. Er hatte dort – um an dieser Stelle gleich seine äußeren Lebensschicksale zu Ende zu erzählen – etwa anderthalb Jahre lang als Hilfsregistrator gearbeitet, als ihn Mitte April 1864 ein Schlaganfall auf der ganzen rechten Seite lähmte und dem Grabe nahe brachte. Erst allmälig erholte er sich wieder; indessen genas er nur theilweise, und auch eine längere Kur, welcher er sich vom Januar bis Juni 1865 in Boston unterwarf, blieb erfolglos. Den Gebrauch der Sprache fand er nur theilweise und höchst mangelhaft wieder. Französisch und Englisch, zwei Sprachen, die er natürlich sich später erst angeeignet, aber vollkommen beherrscht hatte, vergaß er ganz; er vermochte seit April 1864 nur kurze deutsche Worte zu sprechen. Am 11. Januar 1866 traf ihn um 10 Uhr Abends ein erneuerter Schlaganfall, der seinem Leiden ein Ende machte. Am 13. Januar haben sie unsern Freund in Washington begraben.

Solger hatte, um zum Schlusse seine wissenschaftliche und politische Thätigkeit in ein paar Worten zusammenzufassen, einen großen Vorzug vor den übrigen deutschen Flüchtlingen: er las, sprach und schrieb das Englische ebenso fließend und elegant, wie die Eingeborenen des Landes. „He uses the English language – meinte ein bedeutender Dichter Neu-Englands – with an idiomatic correctness, power and elegance, [I.366] unusual even among those born and bred to it.“ Er war deshalb auch von seinem ersten Aufenthalt in Amerika an ganz vortrefflich im Stande, die Resultate seiner Studien und Beobachtungen dem hiesigen gebildeten Publikum vorzutragen und sich mit dessen Geiste zu verständigen. Natürlich setzte das einen höhern Grad der Bildung und geistigen Freiheit voraus, als bei der Mehrzahl der politischen Flüchtlinge zu finden war, welche sich in der beschränkten Naturwüchsigkeit ihrer Nationalität den Amerikanern aufdrängen zu können glaubten. Solger erkannte ganz richtig, daß diese gar keinen Grund hatten, sich von der deutschen Individualität terrorisiren zu lassen, denn er wußte besser als seine Gegner, welche ihn als „Aristokraten“ verdächtigten, daß unsre deutsche Auffassung ebensogut ihre Vorurtheile hat wie die amerikanische, und daß andrer Seits der amerikanische Geist ebenso gut seine Berechtigung hat wie der deutsche. Der Deutsche stemmt sich gegen den schroffen Amerikanismus ebenso und mit demselben Rechte, wie sich der Amerikaner gegen den schroffen Germanismus stemmt. Durch solche gegenseitige Schroffheit werden die Parteien durchaus nur fremder und störriger gegen einander. Selbstredend verhalten sich die Amerikaner als die im Lande älteren und mächtigeren gegen den deutschen Nativismus rein abweisend und schweigen die Angriffe auf ihre Vorurtheile einfach todt. Weil Solger dieser Erkenntniß entsprechend handelte, machten ihm deutsche radikale Schreier, welche keinen zusammenhängenden englischen Satz schreiben oder sprechen konnten, den wohlfeilen Vorwurf der Gesinnungslosigkeit, der Prostitution seines Geistes oder gaben ihm wohl zu verstehen, er wolle von den Amerikanern nur ein Amt haben. Es ist ein übles Zeichen für den Charakter und Verstand solcher Neider, daß sie nach niedrigen Beweggründen spüren müssen, um sich die berechtigten Ansichten oder Schlußfolgerungen eines freiern Geistes zu erklären. Wenn irgend etwas dem Deutschen hier zu Lande zur Unehre gereicht, so ist es dieser bornirte Fanatismus der Verketzerungssucht, der bei jedem Schritte aus seinem lieben Ich heraus nichts als schwarze Tücke und grausen Unsinn erkennen kann.

Solger machte also aus innerm Beruf zu seiner Lebensaufgabe die öffentlichen Vorlesungen, in welchen ihm namentlich in den ersten Jahren seines Wirkens ein seltener Erfolg zur Seite stand. Den Amerikanern [I.367] waren noch nie von einem ihrer Landsleute, geschweige denn von einem Ausländer die Errungenschaften deutscher Philosophie und historischer Forschung und Kritik in einer so fesselnden Form dargelegt worden. Außer diesen Thematen las er über Ethnographie, vergleichendes Staatsrecht und einzelne Fragen der Tagesgeschichte, wie z. B. 1854 und 1855 über den Krimkrieg. Er wandte sich vor Allem an die hiesigen Träger idealen Strebens und freierer Bildung, die Geistlichen der aufgeklärten Sekten, durch welche seine Lehren in die weitesten Kreise drangen. Die Vereinigten Staaten stehen in dieser Beziehung noch auf dem Standpunkte, welchen Deutschland vor zweihundert Jahren einnahm, als die Land-Pastoren die Stützen der Literatur waren. Solger’s wissenschaftliche Vorlesungen zählten selten mehr als 60–100 Zuhörer, allein unter diesen befanden sich stets die geistigen Kapazitäten des betreffenden Ortes. Wenn er z. B. in Cambridge las, so waren die Professoren des Harvard College, ihren Präsidenten an der Spitze, seine begeisterten Zuhörer. „Ich habe erst aus des Doktors Vorlesung gelernt, was die römische Geschichte ist und bedeutet“, sagte mir, am Schlusse eines seiner Vorträge über das sinkende Römerreich, der Präsident einer höhern New-Yorker Unterrichtsanstalt, der selbst zehn Jahre lang römische Geschichte gelehrt hatte. Ein nicht geringer anzuschlagendes Verdienst erwarb sich Solger endlich dadurch, daß er den Amerikanern den Entwicklungsgang und die Ziele der deutschen philosophischen Bewegung klar machte, daß er an den Protestantismus, als den ersten Anfang modernen, freien Denkens die geistige Entwickelung Europa’s anknüpfend, die Eroberungen und den Siegeszug des freien Gedankens in den deutschen philosophischen Schulen nachwies und die Befreiung und sittliche Autonomie des Individuums als den mehr denn gleichberechtigten Faktor neben die äußerliche politische Freiheit Amerika’s stellte. In Boston wurde ihm die seltene Ehre zu Theil, daß er zwei Winter hinter einander eine Reihe von Vorlesungen in dem sog. Lowell Course hielt. Sein letztes öffentliches Auftreten daselbst fand beim Ausbruch der Rebellion im Frühjahr 1861 statt. Er redete nämlich in Theodor Parker’s Kirche und zu dessen Gemeinde, verglich die Erhebung des amerikanischen Volkes mit derjenigen des preußischen von 1813 und entrollte seinen Zuhörern in mächtigen Zügen das Bild eines großartigen Volkskrieges.

[I.368] Die geistige Atmosphäre von Washington sagte Solger im Ganzen wenig zu. „Leider bin ich hier unter Larven die einzige fühlende Brust“, schrieb er mir einmal, „d. h. Gläubige finde ich wohl, aber keinen Freund, keinen Gefährten.“ „Ueber die Möglichkeit gegenseitiger Verständigung zwischen dem deutschen und amerikanischen Geiste“, bemerkte er ein ander Mal, „habe ich meine wohlbegründeten Zweifel. Ich aß gestern Abend bei dem Minister Ch. Nach Tische sprachen wir von den Chinesen. Ch. und ein Senator B. bewunderten diese Asiaten natürlich wegen ihrer hohen Zivilisation und Kunstfertigkeit. Ich sagte ihnen, es fehle denselben das Ideale, worauf mir entgegnet wurde, sie machten doch ausgezeichnete Bilder. Mein Gastfreund führte dann die Autorität eines Optikers an, wonach die Bilder keines Volkes das Mikroskop so aushielten wie die chinesischen. Ich ließ den Gegenstand fallen. Uebrigens kommt es unter dem vereinten Einflusse der Demokratie und des Industrialismus mit Deutschland noch einmal ganz eben dahin. Die einzige Hoffnung ist dann, daß die Italiener und die Neger zu viel liederliches Blut haben, um in dem Chinesenthum aufzugehen. – Im Uebrigen befestigt sich hier meine Stellung. Ich werde in den verschiedenen Bureaus als allgemeines Wörterbuch betrachtet, was hier der Begriff vom Universalgenie ist. Heute soll ich eine Entscheidung abgeben, in welcher es sich um Zink handelt. Der betreffende Kommissär ließ mich ausdrücklich als Experten dazu rufen. Mit dem Amte kommt natürlich der Verstand. Oxenstierna war ein weiser Mann, ein großer politischer Denker, aber er kannte Washington nicht, denn sonst hätte er gesagt, daß die Welt mit gar keiner, statt mit wenig Weisheit regiert wird.“

Englisch geschrieben hat Solger hier zu Lande wenig. Seine bedeutendste Leistung sind seine Briefe über den Krimkrieg, welche er 1855 im N. Y. Independent veröffentlichte; sie bilden einen der werthvollsten Beiträge zur Tagesgeschichte jener Zeit und zeichnen sich ebenso sehr durch großartige politische Gesichtspunkte, als philosophische Tiefe und wahrhaft klassischen Stil aus. Die Redaktion jenes Blattes honorirte jeden Brief doppelt so hoch als die übrigen Beiträge, ein deutlicher Beweis dafür, welchen Werth sie darauf legte, Solger zu ihren Mitarbeitern zu zählen. Im Jahre 1860 übersetzte und übertrug er seinen Reichstagsprofessor hier in’s Englische unter dem Titel: „The Hon. Anodyne Humdrum, or [I.369] the Union shall and must be preserved.“ Statt des Gothaers wurden jetzt der Bell-Everett-Mann und der Douglas-Demokrat verhöhnt. Der Verfasser beabsichtigte, das Stück auf die Bühne zu bringen und auf diese Weise in dem Präsidentenwahlkampf politisch zu wirken. Die bedeutenden Theaterdirektionen lehnten aber – charakteristisch für die Zeit! – die Annahme der gelungenen Posse ab, weil ein Neger nicht neben einem Weißen auf die Bühne gebracht werden dürfe.

Einem durchaus andern Gebiete angehörend, aber mit Gelehrsamkeit, Geist und Schärfe geschrieben ist Solger’s Denkschrift über Schleswig-Holstein, die er 1861 auf Antrieb einiger New-Yorker Freunde für den damals nach Kopenhagen neu ernannten amerikanischen Gesandten B. R. Wood schrieb. Diese hatten es schon lange als einen schweren und verhängnißvollen Fehler erkannt, daß die deutsche Politik die öffentliche Meinung der zivilisirten Welt über jene verwickelte Frage aufzuklären verabsäumt hatte. Unmittelbar nach dem Erscheinen des berüchtigten offenen Briefes von Christian VIII. hatte die Londoner Times in zwei sehr energischen und mit großer Sachkenntniß geschriebenen Artikeln noch Partei für die Sache der Herzogthümer genommen. Ja noch zu Anfang des Jahres 1848 neigte sich Lord Palmerston, durch Bunsen’s ausgezeichnetes „Memoir“ unterrichtet und gestimmt, der Seite Preußens gegen Dänemark zu. Dieser günstige Stand der Dinge änderte sich plötzlich mit dem Erscheinen Orla Lehmann’s in London. Die dänischen Staatsmänner wußten die Bundesgenossenschaft der öffentlichen Meinung, als der mächtigsten aller Großmächte in unseren Tagen, zu schätzen. Der gewandte Agent öffnete sich durch die unbedenklichsten Mittel die Spalten der Times wie der französischen Regierungsblätter. Die aufgewandten Summen waren nicht verloren. Fast die ganze Tagespresse in jenen beiden Ländern überließ sich mit williger Unwissenheit dem Anstoß, welchen sie von den leitenden Organen empfing. Die Pressen der anderen Länder folgten. Bald nahm das ganze außerdeutsche Publikum Partei in einer, ihm bis dahin gleichgültigen und unverständlichen Sache für das „kleine, ruchlos in seinem Besitzstande angegriffene Dänemark“ gegen „die übermüthigen und übermächtigen“ Angreifer Deutschland und Preußen. Die Sache der Herzogthümer, die deutsche Sache stand isolirt in der ganzen Welt und ist es seitdem geblieben. Die Folgen sind nur zu bekannt: das Londoner [I.370] Protokoll, der Hohn auf Deutschland, die Kränkung der Rechte Holsteins und der Angriff auf Deutschlands Integrität und nationale Entwicklung sind einige der schlimmsten Früchte dieser Unterlassugssünden. Was auch immer in Europa geschehen mag oder geschehen kann, um die so unverzeihlich vernachlässigte Unterstützung der öffentlichen Meinung wieder zu gewinnen, Solger und seine hiesigen Freunde erkannten es als ihre Aufgabe, hier zu wirken und betrachteten es schon als einen ungeheuren Schritt vorwärts, wenn die eine der drei großen Mächte des Westens sich mit ihren Sympathien an die deutsche Sache binden ließe, wodurch möglicher Weise zugleich der unmittelbare Rückschlag auf Europa bewirkt werden konnte. Solger hatte einige Monate vorher zwei Artikel „The Sleswick Holstein Question“ für die N.-Y. World geschrieben, welche allgemeines Aufsehen erregten. Seine klare und eindringliche, bewunderungswürdig auf das amerikanische Verständniß berechnete Darstellungsweise veranlaßte den genannten amerikanischen Gesandten in Kopenhagen, sich um weitere Aufklärung über die deutsch-dänische Frage an Solger zu wenden. Sofort setzten diesen seine Freunde in den Stand, eine ausführliche Denkschrift über diese Angelegenheit auszuarbeiten, welche als Grundlage zu einem, vom Gesandten an das Kabinet in Washington zu erstattenden Berichte dienen konnte. Solger löste die Aufgabe vortrefflich und wirkte namentlich zwei Jahre später, als der Tod des Königs von Dänemark diese Frage wieder in den Vordergrund drängte, auch in weiteren Kreisen für die deutsche Auffassung.

In der amerikanischen Politik nahm Solger natürlich in den Reihen der republikanischen Partei von ihrem ersten Auftreten an eine entschiedene Stellung ein. Er betheiligte sich lebhaft an der Kampagne von 1856 und 1860, hielt in verschiedenen Staaten Reden, „stumpte“ sogar für Lincoln in ganz Indiana (wofür ihm die Partei nie einen Heller seiner Auslagen bezahlt hat), hatte aber auf diesem Felde verhältnißmäßig geringen Erfolg, weil er nicht populär sprach und die Massen nicht zu entzünden vermochte. Solger wurde in einer Volksversammlung nicht warm, der Katheder klebte ihm zu sehr an, er wollte überzeugen, belehren und wußte nicht hinzureißen. Er war zu abstrakt, zu ernst trocken und in seiner Erscheinung zu aristokratisch. Das Volk nahm den sarkastischen [I.371] Zug um seine Mundwinkel für Hohn oder gar Verachtung, ja es kühlte sich noch mehr ab, wenn er einmal eine populäre Wendung gebrauchte, weil sie wie die Herablassung eines vornehmen Gönners aussah.

Unter den hiesigen Deutschen wurde Solger allgemein durch sein vom New-Yorker Komite gekröntes Preisgedicht zu Schillers hundertjährigem Geburtstag bekannt. Es ist eines der besten, wenn nicht das beste, welches hüben und drüben bei jener Gelegenheit veröffentlicht wurde, und nimmt als Lehrgedicht einen hohen Rang ein[2]. Von gleichem Schwunge ist die Rede, welche er am 10. November 1859 zur Feier des Tages in Boston gehalten hat. Er führt darin den Nachweis, wie die beiden Freunde Schiller und Göthe die Lösung der großen Lebensfragen [I.372] des menschlichen Geschlechts zum ersten Mal ernstlich durch die Dichtkunst versucht haben, wie sie an Spinoza anknüpfend und in Kant sich vertiefend, durch das Studium der Naturwissenschaften und der Geschichte hindurchgehen, die ästhetische Bildung des Menschen als ihre Aufgabe erkannt und für die deutsche Poesie dem Durcheinander religiöser, sittlicher und wissenschaftlicher Instinkte gegenüber den Standpunkt genommen haben, wo all dieses chaotische Gewirr sich in göttliche Harmonien auflöst. Grade auf diesen philosophischen Geist der deutschen Literatur legt Solger seinen amerikanischen Zuhörern gegenüber mit Recht das Hauptgewicht, hier wo selbst die angeblich Gebildeten häufig nicht anstehen, die deutsche Philosophie für Tollheit zu erklären. Ich kann mir nicht versagen, wenigstens die Schlußsätze der Solger’schen Rede wiederzugeben:

„Man wirft sich jedem neuen Reformator der Gesellschaft, jedem Propheten, jedem Wunderdoktor an den Hals, – man beschwört Geister! – alles aus der Angst nach dem Gott, den Wissenschaft und Leben verloren haben, und den die Theologie, jene Philosophie der Vergangenheit, nicht wieder finden kann.

Alles das ist Flickwerk. Was uns fehlt ist eine Ueberzeugung, welche fähig ist, jede Faser, jeden Nerv unsrer heutigen Kultur, mit Einem Lebenspulse zu durchdringen; eine Ueberzeugung, welche sich nicht jedesmal zu schämen braucht, wenn sie der Wissenschaft unter die Augen tritt, noch sich jedesmal zu entschuldigen braucht, wenn sie Gott unter die Augen tritt. Solche Ueberzeugung gibt es in diesem Augenblicke nicht. Wissen Sie, woran noch alle Nationen zu Grunde gegangen sind? Daran, daß sie an der Aufgabe erlahmten, den Idealismus des Herzens mit den Thatsachen eines verständiger gewordenen Lebens und einer fortgeschrittenen Wissenschaft zu versöhnen. Dadurch spalteten sich die Ernsteren in zwei fanatische Parteien, der Altgläubigen und Atheisten, während die große Masse täglich gleichgültiger, täglich frivoler wurde. Alle Völker sind an der innerlichen Indifferenz ihrer Ueberzeugungen zu Grunde gegangen. Kein Volk hat je als durch einheitliche Ueberzeugung geblüht. In der Jugend der Völker ist diese Ueberzeugung naiv. Aber es kommt die Zeit, und sie ist jetzt da, wo sie durch den Zwiespalt zwischen Wissen und Glauben hindurch sich zur bewußten [I.373] Philosophie erheben muß, wenn nicht alle sittliche und geistige Energie hinsiechen soll. Sie haben gesehen, welche neue Schöpferkraft Schiller und Göthe aus der Verschmelzung ihrer entgegengesetzten Prinzipien für sich selbst erwuchs, welche ungeheure Triebkraft sie damit zugleich der ganzen deutschen Wissenschaft mittheilten. Und doch war die Verständigung nur eine vorläufige, nur auf dem ästhetischen Gebiete. Wenn die poetische Verständigung zwischen Naturnothwendigkeit und sittlicher Freiheit schon solche Wunder wirken konnte, was darf man dann erst von der direkten vollseitigen Verständigung zwischen dem sittlichen und wissenschaftlichen Bewußtsein, zwischen dem Ideal und der Empirie des Lebens erwarten!

Geben Sie Gedankenfreiheit“ – ! – ruft Schiller’s Marquis Posa König Philipp zu. Von der Gedankenfreiheit erwartete der Maltheser die neue Blüthe des Menschengeschlechts. Haben wir sie hier? Gedankenfreiheit? Alle ihre Gaben hat eine gütige Macht über dieses Volk ausgeschüttet. Freie Institutionen, um deren Erringung andere Völker vergebens ihre besten Kräfte vernützen, sind ihm in der Wiege zugefallen; vielseitiges Talent, welches bei jedem Unternehmen in jedem Gebiete menschlichen Strebens den schnellen Vorsprung sichert, ein unbezwinglicher Idealismus, der noch immer eiserne Männer hervorbringt, Simsons, die den Löwen in seiner Höhle aufsuchen, die allein Tausende von Philistern mit Schrecken schlagen und stehend sterben. Hier denn, soll der große Gedanke der Menschheit, wie er aller frühern Geschichte vorgeschwebt, endlich verwirklicht werden? Hier wo es freie Institutionen, Fülle von Talent, heilige Gluth des Herzens gibt? Ach leider fehlt nur Eines: Gedankenfreiheit – und die Freiheit der Institutionen wird zum bloßen Mittel der Bereicherung; das Talent erzielt seine höchsten Triumphe im Schachspiel, die heilige Gluth des Herzens wird zum unfruchtbaren Fanatismus. Alles das, weil es an Muth zu denken, an philosophischem Ueberblick des Ganzen fehlt; weil man nicht einsehen will, daß wenn es Allen Ernst um die Wahrheit ist, es auf hunderttausend Irrthümer gar nicht ankommt; während zwischen dem praktischen Atheismus und dem einseitigen Idealismus für den anständigen Mann, wie für die Masse, gar nichts andres übrig bleibt, als die allgemeine respektable oder rohe Gleichgültigkeit, die man euphemistisch Toleranz [I.374] nennt, und woran alles geistige und sittliche Streben an der Wurzel verdorrt.

Geben Sie Gedankenfreiheit! – Ich fordre sie wie Marquis Posa von Philipp, als Weltbürger – und zwar als ein Weltbürger, der sein persönliches Schicksal, seine Gegenwart wie seine Zukunft an die Gegenwart dieses Landes geknüpft hat. In diesen Boden hat sich mein Herz mit allen seinen Fasern eingesenkt; hier ist die Luft, welche meine Hoffnung athmet – von der sie leben oder an der sie ersticken muß. Und hier, wenn es hier nicht noch dahin kommt, daß jeder Athemzug des Volkslebens zur Apologie des Unendlichen wird, so ist die ganze Pracht und Herrlichkeit nichts als übertünchte Gräber. Bei dem Gedächtniß Schiller’s, der ob zwar Channings Bruder im Geiste, dennoch Göthe’s Freund und Herzensverbündeter war: Geben Sie Gedankenfreiheit!“

Ein nicht so unbedingte Anerkennung verdienender Erfolg dagegen war sein „Anton in Amerika“, jener Roman, welchen Solger auf das Preisausschreiben des Eigenthümers des „Belletristischen Joumals“ für die beste Novelle aus dem deutsch-amerikanischen Leben einreichte und welchen die Preisrichter einstimmig vor dreiundzwanzig Mitbewerbern krönten. Die Auffassung und der eigentliche Entwurf sind vortrefflich; die Ausführung aber ist vielfach flüchtig, oft unmotivirt und ungleich gearbeitet, während man sich mit den Gesichtspunkten und Zielen des Dichters unbedingt einverstanden erklären muß.

Die Aufgabe, das deutsch-amerikanische Leben oder doch ein Stück desselben darzustellen, ließ sich mehr oder weniger äußerlich, mehr oder weniger innerlich fassen. Die höchste Art aber, sie zu fassen, war die, die Spannung aus dem innerlichen Konflikte der deutschen und amerikanischen Bildung herzuleiten und die Versöhnung als Versöhnung der Bildung zu zeigen. Die beiden Regeln für den Dichter waren dabei, diesen innerlichen Konflikt in anscheinend zufälligen, die Phantasie des Lesers angenehm beschäftigenden und die psychologische und philosophische Anatomie verdeckenden Ereignissen zum Ausbruch und zur Versöhnung zu bringen, dann aber dabei die amerikanischen und deutsch-amerikanischen Gesellschaftsverhältnisse gewähren zu lassen, wie sie wirklich sind, ohne Deutelei und Zwang, wozu natürlich völlige Vertrautheit mit den Dingen und weltmännische Auffassung der Verhältnisse gehörte. In [I.375] diesen Beziehungen ist die Solger’sche Novelle ganz vortrefflich. Der Konflikt wird scheinbar nur als Kriminalgeschichte eingeführt; allein der Held wird verurtheilt, nicht wegen der gegen ihn vorliegenden Beweise, sondern auß Wuth des bornirten Amerikanerthums gegen die deutsche Bildung, welche sich in der Rede des Staatsanwalts ausspricht. Die Heldin ist von Anfang an das Opfer amerikanischer Verziehung, in gewohnter Mischung mit religiösem Vorurtheil. Dagegen arbeiten in ihr die edlen und befreienden Elemente des amerikanischen Lebens und tragen zuletzt den Sieg davon. Die psychologische Entwicklung des Charakters von Ellen scheint mir ganz meisterhaft zu sein. Die Versöhnung und Rettung werden herbeigeführt durch Bildung und Seelenadel.

Dennoch bleibt der tragische Zug, daß für den gebildeten Deutschen in Amerika keine Stätte ist. Ein gewöhnlicher Romanschreiber hätte natürlich den Helden mit der Heldin glücklich verheirathet. Für Antonio, einmal von Deutschland losgerissen, gibt es keine Heimath, kein Weib, keinen Hausstand mehr; für das amerikanische Mädchen, welches ihr Leben an das seinige kettet, ebensowenig. Aber dennoch haben sie einen Anker im Geiste und im Herzen, durch die höchste Bildung, das Resultat der doppelten, besten Erziehung, welche Deutschland und Amerika zusammen ihnen geben konnten. Die Aufgabe ließ sich nicht höher noch feiner fassen, ja sie konnte nicht gewaltig ergreifender gefaßt werden. Dabei kommt das mittlere und untere Leben ebenfalls zu seinem Rechte: die schnelle Fäulniß des amerikanischen Materialismus in den Dawson’s, Vater und Sohn, und das gesundere Element in den Cartwrights. Alle diese tiefsten Blicke in das Innerste des deutsch-amerikanischen Lebens werden durch eine Erzählung eröffnet, aus welcher der oberflächliche Leser nur eine Folge spannender Abenteuer und eine fürchterliche Kriminalgeschichte herauslesen und gesellschaftlich mit photographischer Treue und zwangloser Vertrautheit geschilderte Verhältnisse und Szenerien kennen lernen wird. Trotz des tiefen sittlichen Ernstes und des erschütternden Pathos, welcher den Grundton der Erzählung bildet, hinterläßt das Ganze zuletzt den Eindruck fast idyllischer Heiterkeit. Viel tragen dazu bei eine feine Ironie, ein breiter Humor und ein tiefes Naturgefühl, welches Einem wie eine frische Bergluft aus der Erzählung [I.376] anweht und sich gelegentlich in herrlichen Naturschilderungen, namentlich der neuenglischen Landschaft, äußert.

Dagegen ist an der Novelle auszusetzen, daß der ursprüngliche Entwurf zu breit gefaßt und offenbar auf einen größern Raum berechnet war. Es werden Anlagen von Charakteren und Situationen gegeben, welche später entweder gar nicht oder in kurzen philosophischen Abhandlungen, statt in dem Interesse der Erzählung selbst ihre Erledigung finden. Dieser Fehler, welcher in deutschen Romanen so gewöhnlich ist, fällt in dem vorliegenden besonders wegen des Kontrastes mit der vollkommenen Leichtigkeit der Behandlung im letzten Theile auf, welcher wieder mit steigender Spannung der Katastrophe entgegeneilt. Schließlich kann aber nur rühmend anerkannt werden, daß die Nachahmung der englischen Manier und ihrer hausbackenen Moral, welcher einige der berühmtesten deutschen Romane der neuern Zeit ihre Erfolge verdanken, hier, wie die ironische Einleitung zeigt, mit Bewußtsein verworfen ist. Der Verfasser selbst aber tritt uns als das Produkt der Verschmelzung deutschen und amerikanischen Geistes in voller Originalität entgegen.

Solger arbeitete sehr schnell und leicht; allein er hat fast keinen seiner eigenen literarischen Pläne ausgeführt, weil er stets für den Lebensunterhalt arbeiten, jede Art literarischen Verdienstes mitnehmen mußte. Außer seinen Büchern hatte er wenig oder gar keine Bedürfnisse; er lebte vielmehr äußerst mäßig, trank nie oder höchst selten Wein, gab nichts auf Aeußerlichkeiten, allein er kannte nie den Werth des Geldes und den Segen einer geordneten festen Wirthschaft. Dazu kam, daß ihn anfangs seine Vorlesungen und später sein Amt nie recht zur Sammlung und behaglichen Thätigkeit gelangen ließen. Sobald er Ruhe hatte und einmal wieder einige Monate seinen Studien leben konnte, entwarf sein immer reger, geschäftiger Geist sofort größere Arbeiten, welche stets wieder durch die gebieterischen Forderungen des Augenblicks unterbrochen wurden. Nachdem er Boston verlassen hatte, und ehe er nach Washington zog, lebte Solger fast ein Jahr lang in New-York, wo ich fast täglich mit ihm verkehrte und namentlich Abends viel mit ihm im Zentral Park spazieren ging. Ich rechne diesen Verkehr zu meinen genußreichsten und anregendsten Stunden. Als wir uns eines Abends oder vielmehr spät [I.377] Nachts über eine Menge kleiner Verdrießlichkeiten unterhalten hatten, brach Solger diesen Gegenstand unsers Gesprächs plötzlich mit den Worten ab: „Trotz aller dieser kleinen Leiden geht mir der Gedanke an ein größeres Gedicht im Kopfe herum. Ich kann ihn seit einigen Tagen nicht mehr los werden. Ich bin jetzt zu dem Schlusse gekommen, daß ein ganz moderner Stoff, die Tagesgeschichte selbst, wie der amerikanische Krieg, sich meiner Hand fügen wird. Sie werden gewiß vor dem Gedanken erschrecken, aber ich weiß, was ich will. Es wird vielleicht dabei eine wahrhaft neue Stufe in der Poesie betreten werden, d. h. in dem Sinne, daß nichts dabei konventionell, Alles unmittelbar aus dem Geiste der Zeit geschöpft ist. Unser Zeitalter und besonders unser amerikanisches Zeitalter glaubt an die alten poetischen Effekte nicht – man muß in der Poesie dieselben Effekte anstreben, wie in der Beredsamkeit. Diese versteht das Volk. Vorerst lese ich Alles über den Krieg und die amerikanischen Zustände, ja selbst amerikanische Novellen, wo ich ihrer habhaft werden kann. In dem schlechtesten Zeug spricht sich grade der Geist des Volkes und der Zeit am Reinsten aus. So wird sich allmälig etwas bilden; die Frage für mich ist nur, soll mein Held ein Südländer oder ein Nordländer sein? Das Erstere ist sehr verführerisch, weil tragisch. Einen deutschen Helden nehme ich nicht, denn mein Held muß mehr repräsentiren, als wir hier sind; aber natürlich kommt unsere Stellung darin vor und spielt eine Haupt-Nebenrolle. Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir mein Thema. Ich fürchte zwar, daß mein Pegasus, so lange in den Karren der Gelehrsamkeit gespannt, etwas steif geworden ist; allein er wird sich meinem ernsten Willen wohl wieder fügen lernen. Ich habe mich hier zwar ziemlich eingelebt, aber nur, um mir selber bewußt zu werden, daß ein deutscher Kern in mir es zu keiner innigen Versöhnung mit dem englisch-amerikanischen Wesen kommen läßt. Vielleicht gelingt es mir durch mein Gedicht, mir in dem, uns zur Zeit umwogenden gewaltigen Kampfe ein neues großes Interesse an Amerika zu geben und mich sowohl hier als in Deutschland wieder einzubürgern.“

Auch dies Mal kam er jedoch nicht zur Ausführung seines Planes, weil seine Anstellung in Washington für geraume Zeit alle wissenschaftliche Arbeit ausschloß.

Im vollen Gefühl seiner geistigen Kraft sah ich Solger zum letzten [I.378] Mal in den ersten Tagen des Jahres 1864 in New-York, wohin wir ihn als den Hauptredner zu einem großen Schleswig-Holstein-Meeting eingeladen hatten. Da er den Stoff vollständig beherrschte, so gab er den Tausenden von Zuhörern eine vortreffliche Uebersicht des bisherigen Verhältnisses, der Schwierigkeiten der Lage und betonte schließlich mit warmer Begeisterung die Nothwendigkeit der deutschen Initiative. Auf dem Heimwege vom Cooper Institut, wo die Versammlung stattfand, besprachen wir die glückliche Wendung, welche in dieser großen nationalen Frage durch den Tod des Königs Friedrich VII. von Dänemark für uns herbeigeführt war. Solger folgerte aus der politischen Konstellation, daß Bismarck losschlagen werde und müsse. „Dann,“ schloß er, „können wir uns wieder mit Deutschland versöhnen, dann gehen wir zurück. Gütiger Himmel, ich wage es kaum zu denken, welche Seeligkeit steht uns noch bevor!“ Als die Siegesnachrichten von Düppel und Alsen eintrafen, war er leider geistig schon todt.

Für seine Rückkehr nach Washington hatte mich Solger um ein gutes Buch, als Trost gegen die damals anscheinend unthätige, aber zum letzten großen Schlage ausholende amerikanische Kriegführung gebeten. Ich gab ihm Droysen’s Leben York’s mit. Ein paar Tage später schrieb er mir, daß dieses Werk ihn mächtig angeregt und über seine dichterischen Plane klar gemacht habe. York sollte sein Held für ein Drama werden. In den letzten Briefen, welche ich von ihm erhielt, kam er mit immer alter und neuer Begeisterung auf dieses Drama zurück, bat sich Stein’s Leben von mir aus, erzählte von seinen Studien aus der Geschichte der Freiheitskriege und glaubte im Laufe des Sommers mit der Arbeit fertig zu werden. Ich ließ mir unmittelbar nach seinem Tode seine nachgelassenen Papiere kommen, fand darin aber nur Entwürfe, jedoch keine ausgearbeiteten Szenen. Ich will hier nur einige der wesentlichsten daraus mittheilen, um wenigstens den Plan des Ganzen anzudeuten, wobei ich bemerke, daß die Zitate dem Droysenschen Werke entnommen sind.

„Gegen York“, heißt es in den mir vorliegenden flüchtig hingeworfenen Bemerkungen, „steht Franzosenthum, Russenthum, Deutschthum, Demokratie, Philosophie und Kosmopolitismus. Er kämpft sich durch Franzosenthum und Russenthum bis zum dritten Akt. Die anderen Elemente [I.379] stehen daneben; der Konflikt aber wird für den Augenblick durch den großen patriotischen Schwung beigelegt.

„York hat kein Interesse für seine Frau, welche vergebens nach einem letzten Gefühl von ihm lechzt, er empfiehlt seinen Sohn nicht ihr, sondern irgend einem Soldaten. Er empfindet es bitter, daß er nicht auf dem Schlachtfeld gestorben, daß er das Gift nicht genommen. Es ist zu spät. Er stirbt im Bette, aber zu einer Zeit, wo Preußen jede Demüthigung empfängt und sich selbst erniedrigt. Der Tod darf aber erst in einem Moment eintreten, wo York nöthig ist. Man muß die größte Beunruhigung daran knüpfen. Um ihn sind die Enttäuschten. Er wird vom König zurückgesetzt, von den Schwärmern für Deutschland beschuldigt, von den burschenschaftlich Gesinnten verflucht, ja von der verbreiteten französisch-demokratischen Gesinnung (Börnescher Geist!) beleidigt und verhöhnt. Was hat das Volk davon? – von den Philosophen verkannt.

Alle diese Elemente kündigen sich schon im ersten Akte an.

Freundschaft zwischen York und Seidlitz. Ihre Trennung II, 126, ein rührender Moment, um so mehr als York eine harte Natur ist. Der brave Hiller, dessen schroffe Antwort. Hier ist Othello zu benutzen. Die Unterhaltung mit dem König in Potsdam muß ausgeführt werden. York’s Einzug am 17. März. Sein kalter Stolz.

Der Harz muß unsre große Räuberhöhle werden II, 157. Wer sammelte die preußischen Truppen bei Frohburg und ordnete den Rückzug?II, 179. Der kaltblütige Feldherr hing nachlässig auf seinem Pferde, die Tabacksdose in der Hand, das Auge fest auf den anrückenden Feind gerichtet, II, 199. Irgend ein Getreuer steht an seinem Grabe, und eine hoffende Stimme spricht hier den Trost der Zukunft: daß auf den gegenwärtigen Krieg ein andrer folgen und daß als herrliche Frucht daraus die Einheit und Freiheit Deutschlands hervorgehen wird.

Grundton: In unsrer Zersplitterung, im Gefühl dieser Ohnmacht sind wir an Allem irre geworden, an deutscher Geschichte, an deutscher Philosophie, an deutschem Idealismus. Man gebe uns nur das Gefühl der materiellen Kraft, und wir haben Alles wiedergewonnen. Kant lebt noch II, 80. Nehmt diese Ohnmacht weg aus allen unseren sonstigen Herrlichkeiten, und wir sind ohne Frage das erste Volk der Welt. Man muß uns im Auslande haben, um zu sehen, was wir sind.“ Am Rande [I.380] stehen dann auch die verschiedenen Dramen angeführt, welche besonders nachzulesen sind, wie Coriolan, Heinrich VIII., Julius Cäsar, Wallenstein und Plan zu Demetrius. „Schreibe, lautet die letzte Randbemerkung, die Momente der Handlung alle im Auszug nieder, wähle die Hauptmomente zusammenhängender Handlung aus und vertheile dieselben dann in die Akte!“

Wir stehen am Ende dieses unablässigen Strebens und vielbewegten Lebens, dessen reichen Kräften es leider nie vergönnt war, sich andauernd auf einen Punkt, auf ein Ziel zu beschränken. Ob dieses Ziel mehr die dramatische oder lyrische Dichtung als die Geschichtschreibung war, wage ich nicht zu entscheiden. Ich glaube aber, daß Solger bei mehr Ruhe, weniger Nahrungssorgen und größerer Freiheit der Bewegung auf beiden Gebieten Bedeutendes geleistet haben würde. Am Gründlichsten waren seine Vorarbeiten auf dem Felde der römischen Geschichte, welcher er Jahrzehnte lang die eingehendsten Studien gewidmet und, von ihrer Verwandtschaft mit dem amerikanischen Staatsleben angezogen, bis zuletzt seine besten Mußestunden zugewandt hatte. Leider war es ihm aber nicht mehr vergönnt, sein reiches Talent in einer größern Schöpfung zusammenzufassen und zu verewigen. „Ich habe gründliche Quellenstudien gemacht,“ meinte er einmal, als auf diesen Plan die Rede kam, „und habe auch Ideen. Mit meinen Erfahrungen republikanischen Lebens muß ich noch einen ganz andern Effekt hervorbringen als Mommsen, der in Allem, außer in der Philologie, nur oberflächlich geistreich ist und in der alten Weise seinen Witz an den Parallelen leuchten läßt, statt einen wirklichen Gedanken zu verfolgen.“

Solger war unstreitig der begabteste, gelehrteste und in den weitesten Kreisen geistig wirkende Deutsche unter den sogenannten Achtundvierzigern. Der frühzeitige Tod eines solchen Mannes ist ein Verlust für seine zahlreichen Freunde und ein Unglück für das Land, in welchem wir Deutsche wenige ihm Ebenbürtige aufzuweisen haben. Ehre seinen Leistungen und seinem Andenken!


  1. So heißt es Stanze 14 und 15 des „Untergang“:

    England! Du hast gehammert und geschmiedet,
         Gestrickt, gewalkt, gewirkt, geappretir’t,
    Gebohrt, geschärft, gekocht, gedampft, gesiedet,
         Geschachert, prachert, wuchert, spekulirt,
    Gelogen und betrogen unermüdet,
         Geknechtet, blutgesogen, massakrirt,
    Verrathen, wo sich nur Profit dabei fand,
    Der Völker frommstes unter Gottes Beistand.

    [362]

    Schling! schling! – Du stachelst nur des Hungers Qualen,
         Und reizest nur zu heißrer Gier den Rachen,
    Dich sätt’gen nicht Minister, nicht die Skalen,
         Nicht freies Korn, noch andre freie Sachen.
    Schling! schling Dich fort bis zu der Grenze Malen,
         Wo des Barbaren Doppeladler wachen.
    Und da? – da heißt’s, die Schwerter aus der Scheide;
    „Die Welt hat keinen Raum mehr für uns beide.“

  2. Die drei Schlußstanzen mögen einen Begriff von dem Geiste geben, welcher das herrliche Gedicht durchdringt.

         „Als ich des neuen Bundes Tafelstein
    Errichtet an des Säkulums Portalen,
         Da, meint’ ich, solltet Ihr Apostel sein
    In alle Welt, im Dienst des Idealen:
    Und wo Ihr immer falsche Götter fändet,
         Da sollten Eure Scheiterhaufen prasseln,
         Und wo Ihr hörtet Sklavenketten rasseln,
    Da solltet rächen Ihr die Menschheit, die geschändet.

         Und wo sich Pöbelwahn allmächtig fühlt,
    Euch hüllen in den Ernst der Ueberzeugung;
         Und wo der Mensch im Schlamm der Erde wühlt,
    Aufrichten ihn von schnöder Nackenbeugung;
    Und wo die Wechsler schachern in dem Tempel,
         Der Schönheit keusches Götterbild errichten,
         Und all in Eurem Trachten, Eurem Dichten,
    Dasteh’n des freien Geist’s lebendiges Exempel.

         Wer fühlt sich rein? Wer von uns darf sich sagen:
    Ich ließ mir nicht das hohe Ziel verrücken?
         O! zürne dennoch nicht, wenn wir es wagen,
    Den hundertjähr’gen Kranz Dir aufzudrücken:
    Der Zukunft Pfand, nicht der Vergangenheit:
         Für was wir hofften, nicht, was wir verloren,
         Für den Geburtstag, der uns mitgeboren
    Zum neuen Geisteskampf, in einer neuen Zeit.“