Friedrich Hecker (Gartenlaube 1873/40)

Textdaten
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Titel: Friedrich Hecker
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 658
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[658] Friedrich Hecker, der in dieser Stunde auf dem Meere nach seiner Heimath schwimmt, hat vor seiner Abreise noch ein Abschiedsschreiben an den Redacteur dieses Blattes gerichtet, welches Zeugniß von dem reichen Gemüthsleben dieses vielfach verketzerten Mannes ablegt. Wenn wir auch den Inhalt des Schreibens, soweit er privater Natur ist, nicht veröffentlichen können, so glauben wir doch das Interesse unserer Leser durch Mittheilung eines Auszuges aus dem Briefe, der eine Art Glaubensbekenntniß enthält, anzuregen. Nachdem er mit warmen Worten für die ausdauernde Freundschaft gedankt, die das alte Vaterland ihm treu bewahrt, fährt er fort:

„Es ist in dieser materiellen, erwerbjagenden Zeit wohlthuend und den Glauben an die Menschheit stärkend, daß auch unter auseinandergehenden politischen Ansichten die gegenseitige Achtung, Freundschaft und Zuneigung unberührt stehen bleibt, fest und sonder Wanken. So wir zu einander. Mag nach Ihrer Ansicht das Heil unserer Nation in einer Verfassung mit constitutionell-monarchischer Spitze bestehen, so ist mein Arcturus auf der Steuerfahrt durch’s Leben die Republik. Ich habe keinen Glauben an die Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit der Monarchie gegenüber dem zur Mittheilnahme an der Regierung berufenen Volke. Es ist diese Form ein steter Kampf um die Oberherrschaft, ein Kampf, dessen Endziel immer die Vernichtung der andern Gewalt ist, sein wird, sein muß. Von Trugspielen, politischer Heuchelei und Winkelzügen bin ich kein Freund, nein, ein offener ehrlicher Feind. Eine Mischung von Absolutismus und Republicanismus (Demokratie) ist eine Unmöglichkeit, und früher oder später endet die sich wechselseitig täuschende Komödie oder Tragödie, wie sie will.

Ich habe mich eingehend mit dem Studium der Gesetze des heutigen Deutschlands befaßt, denn die Gesetze eines Volkes sind die ehernen Tafeln seines Lebens in der Zeit. Blicke ich auf dieselben, soweit sie politischer Natur sind, so entsprechen sie meinen Begriffen von republikanischer, von bürgerlicher Vollfreiheit nicht, es fehlt eine bill of rights, es fehlen sogar die wirklichen constitutionellen Garantien, das gepriesene System der Theilung der Gewalten ist nicht vorhanden; die Herrschaft und Macht ruht auf der einen Seite der Wage. Ich will das hier nicht erörtern; es genügt zu sagen, daß das Strafgesetz, soweit es den politischen Theil derselben angeht, hinter dem zurücksteht, was wir 1846, wenigstens in der südlichen Hälfte Deutschlands, errungen hatten. Es mag ein Fortschritt in Preußen gegen jene Zeitepoche vorliegen, in Süddeutschland nicht, welches schon 1846 alle Fragen constitutionell-monarchischen Staatsrechts durchgekämpft hatte, als in Preußen noch nicht einmal eine Volksvertretung bestand. Dasselbe gilt vom Gemeindeleben.

Schon 1830 bis 1846 war die Selbstständigkeit und die Selbstverwaltung der Gemeindeordnung mehr oder minder zu Recht beständig und lebendig. Heute will man das Bevormundungssystem, die herrschende Oberhand einer beschränkenden Städteordnung, auf diese freie Selbstbestimmung legen. So könnte ich in’s Vielfache ausführen, wie es um politische Freiheit und Fortschritt steht. Was Befreiung des Verkehrs, Handel und Wandel, Arbeitsbewegung anbetrifft, wer wollte da den Fortschritt leugnen? Aber dieses ist nicht das Product einer Bewilligung von oben, sondern einer Entwickelung, gegen welche jeder Machtspruch, jede Schraube, jede Gewalt vergeblich kämpft. Es ist der Industrialismus unserer Zeit, es sind die neuen Verkehrsmittel, es liegt in der Annäherung der Nationen und dem Austausch ihrer Producte der arbeitenden Kraft. Diese unwiderstehliche, demokratische Bewegung des Handels- und Verkehrslebens ist bis tief in die asiatischen Reiche eingedrungen, hat sich Geltung verschafft, durchsickert und reformirt sie. Es ist kein specifisch einem oder zwei Nationen angehöriger Fortschritt.

Es mag ein politischer Fortschritt, verglichen mit der düsteren Reactions-Periode der fünfziger Jahre, vorliegen. Einen Weiterbau, einen stetigen freiheitlichen Weiterbau auf dem 1846, 1847, 1848 bereits Errungenen kann ich nicht sehen, denn ich bin kein Epigone, dem die frühere Zeit so fremd ist, wie der jungen Generation, die zur Schule ging in der Zeit der fünfziger Reactions-Periode.

Wer mir die Sprache, das Treiben der sogenannten Socialdemokraten vorhält zum Beweise nationaler Duldung, dem diene einfach: Man läßt sie als abscheuliches Exempel gewähren, um die Andern in Furcht und Zittern zu erhalten. Man ist gewiß, daß die Anarchisten sich selbst todt machen, und bereits zeigt sich die Richtigkeit der Calculation an der Zersetzung der Internationalen.

Zu lange habe ich Sie schon mit diesen Zeilen aufgehalten. Nehmen Sie mich wie ich bin, durch und durch Republikaner, Feind jedes Vorrechts, jeder Gewalt, die nicht im Volke wurzelt und von ihm ausgeht, drüben sowohl als anderwärts. Sie sehen, daß ich in der Antimonopolbewegung, die ich vor etwas länger als vierzehn Monaten aufgriff, die rechten Saiten angeschlagen habe und daß daraus eine gewaltige Reformbewegung entstanden ist. Ich glaube eben an die Freiheit, an das Volk und an den Sieg der reinen republikanischen Principien.“