Frauenleben in Konstantinopel
[919] Frauenleben in Konstantinopel. Der geistreiche italienische Schriftsteller Edmondo de Amicis hat eine lebendige Schilderung der türkischen Hauptstadt veröffentlicht und ein Kapitel auch den Frauen gewidmet, welche ja von den türkischen Dichtern als „Herzenseroberinnen“, „Mannaquellen“, „kleine Rosenblätter“, „frühreife Trauben“, „strahlende Monde“, „Lebenserweckerinnen“, überhaupt in einer Fülle von Bildern gepriesen werden, wie sie die reiche Phantasie des Orients liebt. Amicis findet die Beschränkungen, welche den Frauen auferlegt sind, in Konstantinopel nicht so übertrieben groß: zwar müssen sie verschleiert gehen, aber man befolgt die Vorschriften des Koran, ohne es gerade zu genau damit zu nehmen: je schöner und jünger die Türkin, desto luftiger und durchsichtiger der Schleier. Gleichwohl ist das Haremsleben traurig und langweilig, und das Bild, welches der italienische Reisende von ihm entwirft, würde für die Frauen des Abendlandes wenig Verlockendes haben. Auf Polstern oder Teppichen mit ihren Sklavinnen sitzend, säumen die Damen von Konstantinopel zahlreiche Taschentücher zum Geschenk für ihre Freundinnen, sticken Schlafkappen oder Tabaksbeutel für Gatten, Väter, Brüder, lassen die Perlen des türkischen Rosenkranzes durch ihre Finger gleiten, zählen bis zur höchsten Zahl, die sie kennen, folgen mit dem Auge den Schiffen, die auf dem Bosporus oder dem Marmorameer dahinsegeln, beschwören Phantasiebilder des Reichthums, der Liebe und Freiheit herauf, indem sie gedankenlos den bläulichen Rauchkreisen ihrer Cigarrette folgen. Sind sie der Cigarrette überdrüssig, rauchen sie einen Tschibuk; dann schlürfen sie eine Tasse aromatischen Kaffee, naschen Obst und Süßigkeiten, brauchen eine halbe Stunde, um ein Glas Gelée zu leeren, genießen durch Nergilehs parfümirtes Rosenwasser, saugen ein wenig Mastix, um den Geschmack des Rauchens zu dämpfen, und trinken Limonade, um den des Mastix los zu werden. Sie machen Toilette, kleiden sich wiederholt um, probiren alle Gewänder ihres Schrankes an, versuchen verschiedene Schminken, Schönpflästerchen, stellen ein Dutzend große und kleine Spiegel so zusammen, daß sie sich selbst von allen Seiten betrachten können, bis sie sich nicht mehr sehen mögen. Stundenlang sitzen die gelangweilten Damen an den vergitterten Fenstern, zählen die vorübergehenden Leute und Hunde, lehren den Papagei ein neues Wort, oder sie schaukeln sich im Garten, verrichten ihre Gebete, strecken sich auf dem Divan aus, um Karten zu spielen – müdes Lachen, lautes Gähnen – so ist das Leben in den Harems. †