Textdaten
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Autor: Karl Weiß
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Titel: Feuerliesl
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11–13, S. 178–180, 198–203, 211–216
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[178]

Feuerliesl.

Erzählung von Karl Weiß.
1.

Feuerliesl! Die so genannt wurde, war ein hochaufgeschossenes Ding von kaum vierzehn Jahren, schmalschultrig und ein wenig nach vorn gebeugt. Sie hieß eigentlich Elisabeth Grundner und war die einzige Tochter des reichen Himmelbauers, der diesen Namen nach seinem Anwesen, dem Himmelbauernhofe, führte. Der lag etwa zwei Steinwürfe von der Bösenbachbrücke entfernt, hart an die Himmelsleiter, eine kahle steile Felswand, gedrückt, und lieh seinen Besitzern seit Menschengedenken den Namen.

Liesl’s Vater hieß nach seinem Taufzettel, den er freilich nicht entziffern konnte, weil dieses Document lateinisch abgefaßt war, und nach seinem Trauscheine, der für ihn jedoch gleichfalls stumm blieb, da der Himmelbauer Geschriebenes überhaupt nicht lesen konnte: Joseph Grundner, und nie fühlte er sich glücklicher, nie gehobener, als wenn er diesen Namen, der für ihn etwas Außergewöhnliches, Geheimnißvolles hatte, mit schweren, nur Eingeweihten leserlichen Zügen unter irgend eine „Schrift“ setzen konnte. Doch verfehlte er dann nie, ein energisch geschnörkeltes „vulgo Himmelbauer“ darunter zu malen, womit er die Verbindung zwischen jenem Feiertags-Joseph Grundner und dem Alltags-Himmelbauer wieder herstellte.

Damit war die Grenze seiner Kenntnisse im Schriftfache erreicht, und wozu hätte er auch mehr gebraucht? Im Gemeinde-Ausschusse, dem der reiche Himmelbauer selbstverständlich angehörte, wurden alle Fragen mündlich abgehandelt; für das Schriftliche war der Schullehrer da und der Schneider, welch Letzterer seit Jahren das Amt des Gemeindeschreibers versah.

Im Uebrigen war der reiche Himmelbauer ein aufgeklärter Mann, der mit seiner Zeit vorwärts ging und sich allsonntäglich von seiner Tochter, der blondhaarigen Liesl, aus den letzten Nummern des „Neuigkeits-Weltblattes“ alle Ereignisse vorlesen ließ, die sich jenseits des Bösenbaches auf der weiten Erde zutrugen. Dazu setzte er die schwere, silbergeränderte Brille auf die knollige Nase, nahm das Gesangbuch hervor, in welchem alle Papiere des Himmelbauerhofes wohlverwahrt ruhten, und entfaltete langsam und feierlich den lateinisch geschriebenen Taufschein, den er vorsichtig und respectvoll glättete. Von Zeit zu Zeit warf er einen andächtigen Blick auf die Stelle, welche nach Angabe des Schullehrers seinen Namen enthielt, und saß nun, der Vorlesung harrend, würdevoll da, ganz der feiertägliche Josephus Grundner aus der geheimnißvollen, bereits ein wenig abgerissenen „Schrift“, die vor ihm ausgebreitet lag.

Hier und da fuhr er sich mit der flachen Hand über das an Sonntagen stets wohl rasirte Kinn oder lehnte sich bequemer in den Großvaterstuhl zurück, der unter der wuchtigen Körperlast des stämmigen Himmelbauers ächzte und knarrte. Das war dann der Tochter immer ein willkommener Vorwand, um mit einem „Was?“ oder „Hat der Vater was g’mant?“ die mühselige Leseübung zu unterbrechen, ein Versuch der aber stets mißlang; denn der Vater schenkte ihr doch nicht eine Silbe des Weltblattes und das „dumme Blattl“ war „gar so viel lang“.

Liesl stemmte dann mit einem unterdrückten Seufzer beide Hände unter’s Kinn und die Ellnbogen auf den Tisch, senkte die dunklen Augen wieder auf die Zeitung und las ingrimmig weiter:

„Feu–ers–brunst – in – Con–stan–ti–no–pel“ …

In der Fensternische saß die alte Veronika, eine weitschichtige Anverwandte des Himmelbauers, die dieser bald nach dem bei der Geburt der Tochter erfolgten Tode der Bäuerin zu seiner Unterstützung auf den Hof genommen hatte.

Die alte Veronika, die gleich dem Himmelbauer eine schwere Brille, aber nur eine Hornbrille aufgesetzt hatte, horchte nicht auf die Schreckensnachrichten aus Constantinopel. Die kleinen, tiefliegenden Aeuglein waren fest auf das Gesangbuch gerichtet, das sie, soweit die ausgestreckten Arme reichten, von sich entfernt hielt, und der zahnlose, eingefallene Mund bewegte sich murmelnd:

„O Mutter! voll der Huld und Gnade!
Der Sünder süßer Zufluchtsort!
O Meeresstern! O sich’re Pfade!
Der Scheiternden ihr erster Port!“

Dazu nickte sie und schlug von Zeit zu Zeit andächtig ein Kreuz.

Sonst rührte sich nichts in der warmen Stube; der Ofen surrte und schnurrte behaglich, und draußen wirbelten lustige Schneeflocken vom Himmel zur Erde nieder.

Endlich, endlich neigte das „Weltblatt“ seinem Ende zu – noch eine interessante Mittheilung über das neuerliche Auftauchen der Seeschlange an der australischen Küste – und Liesl hatte es für heute überstanden.

Jetzt las sie noch: „Ge–druckt – bei – Hum–mel in – Wie–n“, denn auch das schenkte ihr der Vater nie; dann sprang sie auf, fuhr sich mit beiden Händen über Augen und Wangen und reichte dem Vater das Zeitungsblatt, das dieser sorgfältig zusammenlegte. Indessen drückte sich Liesl vorsichtig an der alten Veronika vorbei, die noch immer weltvergessen in das Gesangbuch blickte … und husch, war die Dirne aus der Stube.

„Der Wildling!“ sagte der Himmelbauer laut.

„In Ewigkeit, Amen!“ murmelte die Alte, bekreuzigte sich und klappte das Buch zu. „Wer?“ fragte sie dann, die Brille abnehmend.

„Wer? – D’ Liesl!“

Die Alte erhob sich eilig, strich sich die wenigen Strähne grauen Haares zurecht, die unter der Sonntagshaube hervorguckten:

[179] „Die Liesl? Wo steckt denn das Dirndl wieder?“ fragte sie.

„Draußen is sie,“ erwiderte der Bauer, indem er bedächtig Brille und Gesangbuch weglegte.

„G’wiß wieder bei die Teichbauerbub’n drüben,“ murrte die Alte und trollte sich eilig aus der Stube.

Vor dem Hofthor spähte sie, die braune Hand schützend über die Augen haltend, die Dorfstraße hinauf und hinab. Vergebens – nirgends von Liesl eine Spur!

Von der Bösenbachbrücke her kam eine Gestalt durch den Schnee geschritten, die sich langsam näherte. Es war der Schullehrer, der sich das „Weltblatt“ zu holen kam, das ihm der Himmelbauer zu leihen pflegte, wenn Liesl die Vorlesung beendet hatte. Schon von weitem grüßte der Lehrer gar ehrerbietig die Verwandte und Haushälterin des reichen Himmelbauers; die Alte dankte grämlich und humpelte dann die Straße entlang einer niederen Hütte am oberen Ende des Dorfs zu. Dabei mußte sie tüchtig durch den Schnee stampfen und immer wieder die dicht fallenden Flocken vom Sonntagsvortuche wegblasen. Das verbesserte ihre Stimmung nicht eben, und während die Alte sich mühselig einen Weg bahnte, knurrte sie unausgesetzt. „Der Wildling! Das Rabenbratl! Aber wart! Dir werd’ i’s zeigen.“

Endlich hatte sie ihr Ziel, das Teichbauerhaus, erreicht. Sie öffnete die morsche Thür, an welcher der Drücker gebrochen herabhing, trat aber nicht über die beschneite Schwelle, sondern rief, außen stehend, in den dunkeln Vorraum hinein. „Teichbäuerin! Is unser Liesl bei Euch?“

„D’ Himmelbauer-Liesl?“ tönte eine schrille Weiberstimme aus dem Dunkel heraus. „Die war net da. Wird leicht mit die Bub’n bei die drei Teich’ sein und Schlitten fahr’n.“

„Bei die drei Teich’!“ Der alten Veronika fuhr es in alle Glieder. Sie warf die Thür zu, ohne „B’hüt Gott!“ zu sagen, und brummte etwas vor sich hin, was wohl ein Fluch gewesen sein mußte; denn gleich darauf erschrak sie heftig, bekreuzigte sich und sagte im Weiterhasten geschwind zwei Vaterunser und einen Glauben her als selbstauferlegte Buße.

Bald war sie auch schon bei den drei Teichen angelangt, und dort stand richtig die Liesl mitten unter einer Bubenschaar und schrie und fuchtelte mit den langen Armen durch die Luft, daß die schweren blonden Zöpfe mit den breiten rothen Schleifen, die ihr die Veronika noch heute vor dem Kirchgang so sorgfältig gebunden hatte, um den kleinen Kopf nur so herumflogen. „Na wart’, Wildling!“ drohte die Alte und watete näher.

Hier erst sah sie die ganze Bescherung. Der älteste Bub der Teichbäuerin, der schwarze Toni, und der Bachschneider-Loisl, ein großer, flachshaariger Bengel, balgten sich im Schnee, daß es „frei eine Schand“ war. Die andern Buben standen herum und hetzten, allen voran aber Liesl. Die schrie unablässig:

„Halt’n fest, Loisl! ’nunter muß er, ’nunter muß –“ Da hatte sie auch schon eine tüchtige Ohrfeige weg, und die Veronika stand vor ihr. Die Alte faßte sie ohne viel Umstände am Ohr und führte sie trotz aller Gegenwehr, so rasch der tiefe Schnee es erlaubte, auf die Dorfstraße und in den Himmelbauerhof zurück. Doch ehe es ihr gelang, die heftig widerstrebende Liesl fortzuziehen, gewann der Toni Luft, duckte seinen Gegner unter und schrie der ingrimmig zurück drohenden Liesl ein höhnisches, heiser hervorgekeuchtes „Feuerliesl!“ nach.

Liesl stampfte in ohnmächtiger Wuth mit den Füßen, aber die alte Veronika hielt sie fest und schleppte sie mit sich fort nach Hause. Dort zerrte sie die arg zerzauste Liesl in die Stube, in welcher der Himmelbauer mit dem Schullehrer in ein politisches Gespräch vertieft saß, und nun erzählte sie ingrimmig, wo und wie sie das „nixnutzige Ding“ gefunden habe. „Und aus dem Wildling soll amal a Bäuerin werd’n!“ schloß sie ihren zornig hervorgepolterten Bericht.

„I mag ka Bäuerin werd’n,“ trotzte Liesl.

„So! Und was willst nachher denn werd’n?“ keifte die Alte.

„A Soldat oder a Jager!“

Die Veronika bekreuzigte sich. Aber der Himmelbauer lachte dröhnend, und der Schullehrer kicherte pflichtschuldigst mit.

„Das Dirndl is narrisch word'n,“ meinte der Bauer dann, und der Schullehrer fragte mit sanfter Stimme^

„Warum denn just ein Jäger oder ein Soldat?“

„Weil i nachher a G’wehr hätt’ und dem Teichbauer-Toni was anthun könnt’.“

„Jesus Maria!“ kreischte die Veronika und schlug rasch noch ein Kreuz. „Jetzt glaub’ i ’s frei selber: sie is überg'schnappt!“

„Was hat Dir der Toni denn so Fruchtbares angethan?“ fragte der Schullehrer wieder recht liebevoll und schielte dabei auf den reichen Himmelbauer hinüber.

„‚Feuerliesl‘ hat er mi g’haßen z’wegen meine rothen Maschen (Schleifen),“ platzte Liesl wüthend heraus und wurde selbst so roth wie ihre unglücklichen „Maschen“. Dann fuhr sie laut weinend fort. „Und der Bachschneider-Loisl hat sich ang’nommen um mi – und g’raft (gerauft) haben’s mit einand’ – und der Toni war der Stärkere – – und anthun muß i ihm was, oder i erstick’.“

Der Schullehrer verwies ihr sanft die unchristliche Rede, der Vater scholt sie ein „dalkertes Ding“, und die Veronika zahlte ihr oben in der Schlafkammer den weiten Weg bis zu den drei Teichen, die Flecken am Vortuch und den Sonntagsfluch mit ein paar tüchtigen Püffen heim.

Aber Liesl fühlte von alledem nichts, sie schlief mit dem einzigen Gedanken ein und erwachte mit ihm am Morgen wieder: „Der Toni hat mi Feuerliesl g’haßen, und i muß ihm was anthun, oder i erstick’.“

Der Name Feuerliesl blieb aber unabstreifbar an ihr haften; dafür sorgten schon die Buben, die ihn gehört, nicht minder als der Teichbauer – Toni selbst, der ihn erfunden und mit einer blutigen Schramme an der Stirn bezahlt hatte, die ihm von der Balgerei mit dem Bachschneider-Loisl geblieben war.

Am nächsten Sonntage drückte sich Liesl, nachdem sie die neue Nummer des „Weltblattes“ wieder vom Titel bis zum „Gedruckt bei Hummel in Wien“ mühselig durchbuchstabirt hatte, nicht, wie sonst, aus der Stube, sondern setzte sich still neben Veronika in’s Fenster und blickte in den klaren Wintertag hinaus. Die ganze Woche war sie schon anders als sonst gewesen; sie tobte nicht mehr in Haus und Hof umher, quälte nicht mehr Thiere und Menschen, störte die Mägde nicht mehr beim Melken und hatte seit vollen acht Tagen keinen einzigen Topf vom Brett geworfen, noch ihn zerbrochen. Eine schier unheimliche Stille herrschte jetzt im Himmelbauerhofe, welcher sonst von ihrem hellen Lachen, ihrem Tollen und Lärmen wiederhallt hatte, und Knechte und Mägde waren einig darin, daß die Liesl krank sein müsse, ja die alte Resi hatte sie insgeheim, während sie schlief, mit geweihtem Essig bespritzt, welcher bekanntlich die bösen Geister gründlich austreibt. Aber es half nicht; die „Feuerliesl“, wie sie allgemach selbst von den Hausleuten genannt wurde, blieb still und verschlossen.

So saß sie denn auch am Sonntage schier bewegungslos neben der alten Veronika, die Brauen zusammengezogen und die Lippen fest auf einander gepreßt. Plötzlich zuckte sie zusammen, sprang auf und starrte, geduckt wie eine wilde Katze, die zum Sprunge ansetzt, durch’s Fenster.

Draußen stampfte der Teichbauer-Toni, seinen Schlitten nachziehend, wohlgemuth durch den Schnee.

Mit einem Satze war Liesl zur Thür hinaus, und wenige Augenblicke später tönte von der Straße her ein mörderisches Geschrei in die stille Stube.

Die alte Veronika sah vom Gesangbuche auf und warf über die Brille hinweg einen Blick durch die Scheiben.

„Jesus Maria!“ schrie sie auf. „Himmelbauer! Der Phylax is los und auf’n Teichbauer-Toni.“

Der Bauer wurde blaß, sprang gegen seine sonst bedächtige Weise hastig vom Stuhle und eilte hinaus.

Es war höchste Zeit, daß Hülfe kam; denn schon lag der Teichbauer-Toni am Boden und Phylax zähnefletschend über ihm. Die Liesl aber stand dabei, schüttelte die langen Zöpfe mit den rochen Maschen, klatschte in die Hände und hetzte das Thier zu noch wüthenderem Angriffe.



2.

Jahr um Jahr war seitdem vorübergezogen und hatte manche Veränderung in's Dorf gebracht. Der Teichbauer, Toni’s Vater, war plötzlich gestorben, und mit dem kleinen Anwesen, das schon zu seinen Lebzeiten nicht eben glänzend bestellt war, ging es nun vollends bergab. Die Teichbäuerin stand ganz verlassen ohne Rath und Hülfe da denn auch ihren Aeltesten, den Toni, hatte sie so gut, oder vielmehr so schlimm wie verloren.

[180] Der war noch vor des Vaters Tod zum Militär genommen und an die hundert Meilen weit, gar in’s Böhmische, geschickt worden. Ob und wann er von dort wiederkehren werde, wußte sie nicht, inzwischen aber häuften sich Schulden auf Schulden; rückständige Steuern kamen dazu, die unbarmherzig eingetrieben wurden, und so fiel allmählich Stück um Stück von dem Besitze ab, heute ein Feld, morgen eine Wiese, endlich sogar ihr Antheil an dem Gemeindewalde, und immer noch drohten Klagen und Pfändungen. Die Bäuerin wußte sich nicht mehr zu helfen. So schmal sie auch die Bissen für sich und die drei unmündigen Buben, die ihr noch geblieben waren, zuschnitt, so inbrünstig sie in der Kirche zur heiligen Jungfrau und zu allen ihr nur halbwegs bekannten Heiligen um Hülfe in ihrer schweren Noth betete, so ingrimmig sie daheim auch fluchte und die Kinder prügelte – nichts wollte helfen. Der letzte Besitz, ein kleiner Rübenacker hinter dem Hofe, ward endlich auch versteigert, und das baufällige Haus selbst blieb ihr vorerst wohl nur deshalb, weil kein Gläubiger den morschen werthlosen Bau hatte nehmen wollen, so lange es noch Besseres zu erhaschen gab.

Nun aber mußte denn wohl auch an diese letzte Zufluchtsstätte die Reihe kommen. In dumpfes Hinbrüten versunken saß die Teichbäuerin vor ihrer Thür auf der Steinbank, die Hände in den Schooß gelegt. Was hätten sie auch schaffen sollen?

Die Buben trieben sich irgendwo im Dorfe umher; sie saß einsam da und starrte trüben Blickes in den klaren Frühlingsabend, der sich allmählich über Dorf und Feld gesenkt hatte. Noch lag die Erde kahl und schmucklos; noch ragten die unbelaubten Zweige der Bäume winterlich dürr in den Abendhimmel, aber hier und dort schimmerte es schon wie sprießendes Grün auf der grauen Fläche, und die Weiden drüben am Ufer des Bösenbaches prangten, wenn auch noch laublos, doch schon im frühen Blüthenschmucke.

Ostern stand vor der Thür. Im Schulhause übte der Lehrer mit den Dorfkindern das Auferstehungslied. Die reinen Kinderstimmen und der klagende Fiedelton klangen hell durch die stille Abendluft herüber. Die Bäuerin hörte sie nicht. Sie saß bewegungslos und brütete über ihre und ihrer Kinder Zukunft.

Da kam bedächtigen Schrittes ein Mann die Dorfstraße herauf, und als er ganz nahe war, so nahe, daß sie sein starkes Athmen hören mußte, sah sie auf. Der Himmelbauer war’s. Sie wandte den Kopf und starrte wieder in den Abend hinein.

„Grüß Gott, Teichbäuerin!“ sagte der Bauer.

„Grüß Gott!“ erwiderte sie, ohne aufzublicken.

Der Bauer sah prüfend zum Himmel empor.

„Wird heuer a schöne Osterzeit geben,“ fuhr er fort.

Sie nickte nur. Nach einer Weile begann er wieder:

„Feierst schon?“

„Muß wohl.“

Der Himmelbauer betrachtete eifrig ein Spatzenpaar, das auf der Straße um ein Körnlein stritt.

„Is jetzt a harte Zeit für Di!“ sagte er plötzlich.

„Mein’s wohl.“

Wieder eine Pause. Der Bauer schickte sich zum Gehen an, that einen Schritt, blieb aber wieder stehen und klimperte mit ein paar Geldstücken in der Tasche.

„Kann i Dir leicht was z’ Nutz sein?“ fragte er und versuchte recht gleichgültig drein zu sehen.

Die Bäuerin hob den Kopf und blickte ihn groß an.

„Du? Der Himmelbauer?!“

„I hab’ nur g’mant,“ murmelte er verlegen.

Die Teichbäuerin ließ ihn nicht zu Ende kommen:

„I brauch’ ka Manung und ka Hülf’ von Dir. Hab’ mir’s a net verlangt, daß i wüßt’ … B’hüt Gott, Himmelbauer!“

Der Himmelbauer wollte noch etwas erwidern, besann sich aber, zuckte die Achseln und setzte mit einem leisen „B’hüt Gott!“ langsam seinen Weg fort.

Von der Schule klangen die hellen Kinderstimmen herüber:

„O du liebliche,
O du herrliche,
O du fröhliche
 Osterzeit!“

Die Bäuerin hatte die Hände in einander gepreßt und nickte von Zeit zu Zeit ingrimmig mit dem Kopfe.

Da kam wieder eine Gestalt die Straße herauf, doch raschen, elastischen Schrittes. Es war ein junger Bursche, der einen grauen Soldatenmantel umgeworfen hatte; auf den krausen, schwarzen Locken saß schief gedrückt eine verblichene Soldatenmütze, und über die Achsel geworfen trug er einen derben Knotenstock, an dem ein kleines Bündel hing. An der Biegung der Dorfstraße, just dort, wo der Bursche des Teichbauerhauses und der davor sitzenden Bäuerin ansichtig wurde, entrang sich ein heller Juchzer seinen Lippen.

Die Bäuerin hörte ihn nicht. Jetzt stand der Bursche vor ihr, nahm die Mütze ab und sagte laut: „Grüß Gott, Mutter!“

Die Bäuerin fuhr sich mit beiden Händen an die Schläfen.

„Jessas!“ stammelte sie.

Sie wollte aufstehen, vermochte es aber nicht; die zitternden Glieder versagten den Dienst. Der Bursche ließ Mütze, Stock und Bündel fallen und wiederholte leise: „Mutter!“

Dann stürzte er der Bäuerin zu Füßen, umklammerte ihre Kniee und verbarg heftig schluchzend den Kopf in ihrem Schooße. Es war der Toni. Sie hatten ihn heimgeschickt, einstweilen nur auf Urlaub, aber da er jetzt nach des Vaters Tode die einzige Stütze seiner Mutter und seiner unmündigen Brüder war, so solle er nur ein Gesuch abfassen, hatte der Hauptmann gemeint, und sie würden ihn gänzlich freilassen.

Bald saßen Mutter und Sohn, Hand in Hand, wie zwei Liebesleute, neben einander auf der Steinbank, und die Mutter erzählte dem heimgekehrten Aeltesten von allem Jammer, den sie seit des Vaters Tod ausgestanden hatte, und der ihr und ihm wohl noch bevorstand. Der Toni war still geworden. Er hörte der Mutter zu und sah ihr dabei innig in die Augen.

Als sie geendet hatte, drückte er fest ihre Hand, die in der seinen ruhte, stand dann auf, hob die Mütze vom Boden auf und sagte ruhig:

„I muß mi a Bissel umschau’n im Dorf, ob no a Jed’s am alten Fleck steht. In aner Stund bin i wieder da. B’hüt Gott derweil, Mutter!“ Und fort war er.

Nach einer Stunde kam er auch wirklich wieder. Die Mutter war indessen in’s Haus gegangen und hantirte am offenen Feuerherde. Er legte ein paar Silberstücke auf den Tisch.

„Woher hast denn das viele Geld?“ fragte die Mutter, bei dem Klange des Geldes erstaunt aufsehend. Der Toni lachte.

„Mei Angeld is’; i hab’ mi verdungen.“

„Verdungen – Du?!“

„Seid’s g’scheidt, Mutter. Von der Luft können wir net leb’n Alle mit einand’; ’s Anwesen is a hin – so muß i halt in Dienst gehn.“

Die Mutter schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Du, der Teichbauer-Toni!“ stieß sie mühselig hervor.

„Na, was is denn weiter dabei?“ beruhigte er sie. „Arbeiten muß i so wie so!“

„Aber daß das so g’schwind kommt!“ klagte sie wieder.

„’S hat si just so g’schickt, daß Aner grad an Knecht braucht hat. Da hab’ i halt zug’schlag’n – und morgen steh’ i ein.“

„Morgen schon! – Und bei wem denn?“

„Beim Himmelbauer. – – Jessas und Josef, Mutter – was habt’s denn?“

Die Mutter tappte unsicher nach der Tischkante, um sich daran festzuhalten, verfehlte sie aber und sank lautlos auf den Boden der Stube hin.

[198]
3.

Der Morgen graute eben, ein klarer, kühler Frühlingsmorgen und sein fahler Schimmer blickte in das niedrige Stübchen unter dem Dache des Himmelbauerhofes. Drin schlief und träumte das einzige Kind des Bauers, die Feuerliesl. Was sie träumte? Recht wirres, ungereimtes, wohl auch närrisches Zeug, in das sich alle Menschen und Dinge verwoben, die sie liebte oder haßte. Nur von Einem träumte sie nicht, hatte sie noch nie geträumt. von ihrem Bräutigam, den Bachschneider-Loisl. Weshalb nur gerade von Diesem nicht? Seit Kathrein war sie mit ihm versprochen, und zu Peter und Pauli sollte die Hochzeit sein; der Vater und Veronika sprachen tagsüber oft genug von ihm; sie sah ihn auch häufig – vielleicht ein wenig zu häufig – dennoch verwob sich seine Gestalt niemals in ihre Träume. Sie war überdies dem leidlich hübschen, gutmüthigen Burschen ganz gut und ließ sich seine guttäppische Art, ihr seine Neigung zu bekunden, lachend und nicht ungern gefallen. Warum nur träumte sie nie von ihm? Das beschäftigte sie ernstlich.

Auch jetzt, da der hereinlugende Morgen sie aus dem Schlummer weckte, fragte sie sich: warum nur nicht von ihm? Sie sprang aus dem Bette, wusch und kämmte sich, legte dann eilends die schlichten Alltagskleider an und gedachte dabei unausgesetzt des eben unterbrochenen Traums. Der war auch seltsam genug gewesen. Kein Geringerer als der Gottvater leibhaftig war ihr erschienen – das lohnte doch. Aber vom Bachschneider-Loisl hatte er nicht mit ihr gesprochen; von dem war wieder gar nicht die Rede gewesen.

Sie ging hinunter, um nach den Mägden zu sehen, die schlaftrunken an ihre Morgenarbeit schlichen; auch der alten Veronika, die schon seit einer Stunde im Hause rumorte und schaffte, mußte sie zur Hand sein.

Die Sonne kam über den Bösenbergen herauf, und die Knechte sammelten sich im Hofe um den Bauer, der Jedem sein Geschäft für den Tag anwies. Allmählich zogen sie, die Pfeife im Munde, nach einander mit einem lauten oder stillen, heiteren oder mürrischen „B’hüt Gott, Bauer!“ aus dem Hofe hinaus auf’s Feld, oder in den Wald, oder zur Bösenbachmühle hinab, je nach der erhaltenen Weisung. Nur Einer blieb ruhig zuwartend noch zurück. Er hatte eine Soldatenmütze auf das schwarze Kraushaar gedrückt und hielt, der Einzige, keine Pfeife im Munde.

Jetzt fiel der Blick des Bauers auf ihn. „Ah so, Du wart’st no,“ sagte der Himmelbauer und sog eifrig an seiner Pfeife. „Auf Di hätt’ i bei’m Haarl vergess’n – kannst derweil mit nauf geh’n in’s Pendlwaldl un ’s Kleinholz abräumen helfen. Der rothe Peter ist schon vorauf; sag’ ihm nur, daß i Di nachschick’. – So, jetzt b’hüt Gott!“

„B’hüt Gott!“ erwiderte der jüngste Knecht des Himmelbauerhofes, machte militärisch Kehrt und schritt zum Thore hinaus. Der Himmelbauer sah ihm nach. Da kam seine Tochter aus dem Hause und wollte zur Milchkammer hinüber.

„Wer ist denn Der?“ fragte sie den Vater und wies mit dem Kopfe nach dem Hofthore hin, durch das der junge Knecht eben entschwand.

„Kennst’n denn nimmer?“ meinte der Bauer und wandte sich ab, um nach dem Stalle zu sehen, „’s is ja der Teichbauer-Toni.“

„Der Teichbauer-Toni!“ Liesl faßte unwillkürlich nach ihren langen Zöpfen, an deren Ende noch immer, wie in der Kinderzeit, zwei mächtige feuerrothe Maschen prangten. „Der Teichbauer-Toni!“ wiederholte sie sinnend, „is der wieder z’ruck? Und was hat er denn woll’n?“

„Dalkerte Frag!“ brummte der Bauer. „Er is eing’standen als Knecht statt’n Hiesl“ Damit verschwand er in der Stallthür.

Liesl stand noch eine Weile allein im Hofe und spielte nachdenklich mit den rothen Maschen, die sie in den Händen hielt. Dann eilte sie in’s Haus zurück.

„Veronika!“ rief sie schier athemlos, „Veronika!“

Die Alte zankte eben mit einer Magd.

„Was is?“ fragte sie, mürrisch ihr Schelten unterbrechend.

„I hab’s, Veronika – i hab’s. Der schwarze Soldat aus mein’ Traum, den i Euch verzählt hab’ … der Teichbauer-Toni war’s und ka Anderer.“

Gegen Abend kam der Bachschneider-Loisl, um seine Braut heimzusuchen, fand sie aber nicht. Auch den Himmelbauer fand er nicht, nur die Veronika war daheim und schaute sich schier die Augen aus nach dem „Wetterdirndl“, der Liesl. Endlich gab sie das Suchen auf und setzte sich zu Loisl auf die Thürbank, um ihm die Wartezeit zu verkürzen, bis die Dirn’ wieder heimkäme.

„Wo die wieder herumsteigt!“ murrte sie und wischte mit der Schürze erst fein säuberlich die Bank ab, ehe sie sich zu Loisl setzte, der ungeduldig an der Quasten seiner silberbeschlagenen Pfeife zupfte. „Mußt halt amal mit aner Alten verlieb nehmen,“ lachte sie, wobei ihr schrumpfliges Gesicht noch faltiger als sonst erschien. Loisl schwieg eine Weile; dann meinte er:

„’S wird si bald finster mach’n; es sollt do ausg’schaut werd’n nach der Liesl.“

Die Alle guckte wieder die Straße hinab.

„Wo ’s nur alle Zwei so lang stecken?“ sagte sie. „Der Bauer kommt a net ham.“

[199] „Wo is er denn hingangen?

„In’s Pendlwaldl, nachschau’n, wie sich der neue Knecht anstellt.“

„Habt’s ein’ neuen Knecht?“

„Ja, statt’n Hiesl. Kennst ’n ah … den Teichbauer-Toni.“

Der Bachschneider-Loisl blies eine dicke Wolke aus seiner Pfeife. „Is der wieder da?“ fragte er dann gedehnt.

„Seit gestern auf d’ Nacht.“

„Und bei Euch in Dienst?“

„Seit heut in der Fruh.“

Wieder hüllte sich der junge Bauer in eine Rauchwolke.

Die alte Frau hustete.

„Wie Du wieder dampfst!“ brummte sie und wehrte ärgerlich dem Rauche. Der Bachschneider-Loisl schien sie nicht zu hören. Er paffte weiter und sagte dann langsam:

„Und – d’ Feuerliesl, was sagt denn die zu dem neuen Knecht?“

„Meinst leicht z’weg’n den Nam’, den er ihr aufbracht hat? Geh, das san Kinderg’schichten; sie denkt nimmer d’ran. Der Toni is recht zum bedauern, daß er in Dienst geh’n muß. Wär’ wohl a lieber a Bauer wie Du, als a armer Knecht.“

„Glaub’s wohl!“ lachte Loisl plump und betrachtete wohlgefällig die schwere silberne Kette, die an seiner Weste baumelte.

„’S kann halt net Jeder a Bauer sein,“ meinte er dann.

„Und wann Dir Dei Vater selig statt’n Bachschneiderhof nur Schuld’n z’ruckg’lass’n hätt’, wärst Du halt a Kauer,“ erwiderte die Alte ungeduldig, stand auf und ging in’s Haus.

Als sie zurückkam, war die Bank leer, der Loisl verschwunden.

Sie schüttelte den Kopf.

„Der eifert a mit an Jed’n,“ brummte sie, lugte noch einmal nach allen Richtungen scharf aus und ging dann wieder in’s Haus zurück, um mit den Mägden zu zanken.

Der junge Bauer schritt unterdessen den schmalen Weg hinan, der dem Bösenbachufer entlang zum Pendlwalde führt. Wollte er dem Himmelbauer begegnen? Oder der Liest? Oder dem Toni? Er hatte die Richtung eingeschlagen, ohne recht zu wissen weshalb. Der Weg führt zuerst sachte bergan, dann eine Weile eben fort und zuletzt, immer dem hurtig herabschießenden Bache entgegen, ziemlich steil über Steine und Geröll in den hochgelegenen Wald hinauf. Dort am Saume des Gehölzes begegnete Loisl dem Himmelbauer, der vom Pendlwalde in’s Dorf niederstieg.

„No, wo steigst denn Du heut no hin?“ fragte dieser erstaunt, als ihn der Gruß Loisl’s aus seinen Gedanken aufscheuchte.

„I – i will a Bissel ausschau’n, wie d’ Witterung morg’n wird,“ erwiderte Loisl stockend und wollte weiter steigen.

Der Alte aber hielt ihn zurück. „Was is denn?“ fragte er überrascht, „kommst heut gar net zu uns?“

„War schon bei Euch,“ war die lakonische Antwort.

„Aha! Habt’s Euch g’stritten, Du und d’ Liesl?“

„O na. D’ Liest is gar net daham.“

„Net daham? Und wo wär’s denn nachher?“

„I waß net. Bist ja Du der Vater,“ erwiderte der junge Bauer trocken und schritt weiter.

Der Himmelbauer sah ihm verdutzt nach und schüttelte mißmuthig den grauen Kopf.

„He! Du, Loisl!“ rief er dem rasch Hinansteigenden nach. „Schaust beim Hamgeh’n no amal ’nein bei uns?“

Der junge Bauer hörte ihn aber nicht mehr oder wollte ihn nicht hören; er hatte eben die Höhe erreicht und trat in den Schatten des dichteren Waldes.

Der Himmelbauer wartete noch eine Weile vergeblich auf Antwort; dann brummte er ärgerlich: „Lauf zu, Grasteufel!“ und setzte langsam den Abstieg in’s Dorf fort.

Der Bachschneider-Loisl verfolgte unterdessen, weit ausschreitend, den stillen Waldweg. Der Abend war vollends hereingebrochen und hatte das Dunkel des Waldes schier undurchdringlich gemacht. Nur aus der Ferne schimmerte dem einsamen Wanderer ein Heller Punkt entgegen; das war die Lichtung, die den tiefer gelegenen Gemeindewald vom Gipfel der Anhöhe, dem Pendlwalde, trennte. Nach einer Weile kamen dein Loisl schwere Tritte entgegen; der rothe Peter kehrte mit zwei anderen Knechten des Himmelbauers von der Arbeit heim. Loisl hielt sie an – der Teichbauer-Toni war nicht unter ihnen. Der junge Bauer wollte fragen, wo der Toni geblieben sei, aber ehe er sich noch recht zu der Frage entschlossen hatte, waren die Leute, welche sich nach der schweren Arbeit des Tages heimsehnten, längst seinen Blicken entschwunden.

So schritt er denn weiter. Der helle Punkt vor ihm kam immer näher und näher, ward immer größer und größer; nun sah Loisl auch schon die Lichtung vor sich liegen, wo nur hier und dort ein paar vereinzelte Stämme Wache standen und die dürren Aeste wie drohend in den Abendhimmel streckten.

Aus dem Bösenbachthale, über das sich leichte wogende Nebelschleier gelagert hatten, lugte die Kirchthurmspitze des Dorfes herauf. Einige verstreute Gehöfte waren drunten noch sichtbar, drüben die Mühle, die zum Himmelbauerhof gehörte, und am obern Ende des Dorfes der Teichbauerhof.

Loisl sah eine Weile gleichgültigen Blickes in sein Heimaththal hinab; dann schaute er um sich. Lehnte dort an der alten Fichte, die durch ein „Marterl“[1] weithin kenntlich war, nicht der Teichbauer-Toni? Gewiß, er war’s. Die Axt neben ihm und die Soldatenmütze, die er, wie ein Betender in der Kirche, abgenommen hatte, verriethen ihn.

Der Bachschneider-Loisl trat, die Fichte fest im Auge behaltend, vorsichtig in den schützenden Schatten des Waldes zurück; da rührte sich etwas wenige Schritte von ihm entfernt. Er sah hin – die Himmelbauer Liesl saß auf einem Baumstrunk und blickte, gleich dem Toni drüben, nachdenklich in das Thal hinab. Sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien weder den Toni noch den Loisl zu bemerken. Was wollte sie hier?

„Z’weg’n der Aussicht wird’s net auffa kraxelt (gestiegen) sein,“ dachte Loisl und blieb unschlüssig stehen.

Jetzt setzte der Toni drüben hastig die Mütze auf, warf die Axt über und schritt auf den Waldweg zu. Loisl hatte stehen bleiben und die Begegnung der Beiden belauschen wollen, aber nun überlegte er’s in aller Hast. Der Toni sollte ihn und die Liesl hier beisammen finden – das schien ihm nun besser. Hastig trat er aus dem Schatten hervor und rief die Liesl an. Die Dirne erschrak heftig und sah ihn groß an.

„Du bist’s,“ sagte sie dann gedehnt und stand langsam auf.

„Hast leicht wem Andern d’rwart’?“ meinte er lauernd, indeß er neben ihr her dem Walde zuschritt.

„Wem denn?“ fragte sie abweisend zurück.

Er schwieg. Da kam auch schon der Teichbauer-Toni, der eiliger ausschritt, an ihnen vorüber. Ihr schoß das Blut in die Wangen, als sie einen Augenblick stille stand, um den Toni vorbei zu lassen, der Beide mit einem flüchtigen Blick streifte und mit ruhigem Gruße weiterging. Ehe sie den Gruß noch erwidern konnte, rief ihr Begleiter schon laut:

„Schau, meiner Seel’, das is ja der Teichbauer-Toni. No, kennst mi wohl nimmer? I bin der Bachschneider-Loisl.“

Das klang so freundlich, daß Toni überrascht stehen blieb und sich zurück wandte.

„Grüß Gott, no amal!“ sagte er warm und streckte dem jungen Bauer herzlich die Hand entgegen. Dieser ließ seine Hand langsam in der Tasche verschwinden und sagte plötzlich hochmüthig:

„Scho recht! Schau nur, daß D’ jetzt ham kommst, Toni! Der Himmelbauer wird scho wild sein z’weg’n Dein’ langen Ausbleiben. Jetzt B’hüt Gott!“

Auch der Teichbauer-Toni ließ seine Hand langsam sinken, aber sie hatte sich zur Faust geballt. Er trat hart an Loisl heran – da fiel sein Blick auf das einsame Teichbauerhaus unten im Thale, aus dessen Fenster ein Licht empor schimmerte. Die alte gramgebeugte Mutter, die dort kümmerlich hauste, die hülflosen Brüder, für die er ja sorgen mußte, standen mit einmal vor seiner Seele.

Er sah dem Hochmüthigen ernst in die Augen, so fest und ernst, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat; dann wandte er sich schweigend ab und schritt langsam seines Weges, bald in den Schatten des Waldes untertauchend.

Auf dem Heimwege wechselten Liesl und ihr Bräutigam kein Wort, und als sie vor dem Himmelbauerhofe angelangt waren, streckte ihr Loisl die Hand zum Abschiede entgegen. „Schlaf g’sund!“ sagte er. Sie fuhr wie aus einem Traume auf, sah erst ihn, dann seine ausgestreckte Hand mit großen Augen schier feindselig an und ging dann langsam, ohne seinen Gruß zu erwidern, in’s Haus.

Loisl stand eine Weile sprachlos vor der schallend in’s Schloß fallenden Thür und glotzte der Dirne verdutzt nach. Dann ballte er die vergeblich ausgestreckte Hand zur Faust, murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen und verschwand endlich langsam im Dunkel der Nacht.

[200]
4.

Liesl hatte sich behutsam in ihre Dachkammer geschlichen, nicht weil sie dem Vater oder Veronika zu begegnen fürchtete – sie lief ja gar oft in Wald und Feld umher, ohne daheim Rechenschaft über ihr Ausbleiben ablegen zu müssen, aber sie wollte allein sein. In ihrer Kammer war es warm und dumpfig, sie öffnete das Fenster und ließ die feuchte kühle Abendluft hereindringen. Dann löste sie langsam die breiten rothen Maschen von den langen Zöpfen und ließ diese nachdenklich durch die Finger gleiten. Ueber den Bösenbergen kam der Mond herauf, und sein weißes mattes Licht spiegelte sich in den dunklen Augen der Dirne, die gar seltsam funkelten und leuchteten. Waren es Thränen, die da glitzerten? Liesl’s jugendfrische Züge sprachen nicht von Schmerz. Um die festgeschlossenen Lippen zuckte vielmehr ein trotziges, herausforderndes Lächeln, das dem nichts Gutes bedeuten mochte, dem es galt. Aber der feuchte Glanz des Blickes, das Zittern der dunklen Wimpern widersprach gar eindringlich diesem Trotze, und der stürmisch wogende Busen schien die Fessel des engen Mieders schier sprengen zu wollen.

– Liesl! Wem gilt dieses Pochen deines jungen Herzens? Wem gelten die Thränen, die deinen trotzigen, klaren Blick sänftigen und umschleiern? Liesl! Arme Liesl! Blick nicht so starr die Dorfstraße hinauf! Der dort vom Teichbauerhause langsam herabwandelt, der schlanke Bursch mit den krausen schwarzen Haaren und der leichten Soldatenmütze daraus – der Teichbauer-Toni, was gilt er dir, was darf er dir gelten? Er, der arme Löhner, dir – der Braut? Du hast Ja gesagt zur Werbung eines ehrlichen Mannes, hast ihm vor dem Pfarrer und vor dem Vater die Hand zum Gelöbnisse gereicht, und wie lang dauert’s noch, so bist du sein Weib und kein Engel im Himmel macht dich frei, so frei, daß der Blick, mit dem du jetzt den einsamen Burschen da unten auf der Straße schier verschlingst, keine Sünde wär – und keine Schande! Liesl! Liesl! Ja, drück nur die Hände auf’s Mieder, versuche es nur, dem störrischen Ding da drinnen Ruhe zu gebieten, preß nur die Lippen noch fester zusammen, so fest, daß alles Blut aus ihnen entweicht – es steigt Dir nur um so wilder zu Kopf und Herz.

Blick hinunter! Schau, der Toni denkt ja gar nicht an dich; er wandelt still, Schritt für Schritt, im Mondschein und wirft keinen Blick, keinen einzigen, zu Dir herauf, die wohl möchte, daß er heraufsähe, und es doch wieder fürchtet. Wer weiß, woran er so verbissen denkt! Vielleicht an ein Brautpaar, das ihn heute Abend, dort oben an der Waldlichtung verhöhnt hat, verhöhnt, weil er jetzt arm ist und in Dienst hat gehen müssen, verhöhnt, weil er seine alte Mutter und seine jungen hülflosen Geschwister mit seinem sauer erworbenen Knechtlohne vor Hunger und Elend schützen muß! Vielleicht denkt er, daß die Braut gerade so schlecht und herzlos ist, wie ihr Bräutigam, weil sie kein einziges Wort für ihn hatte und keines gegen den protzigen Bauer neben ihr, dem sie sich versprochen hat, und der bald kommen wird, sie in sein reiches, stolzes Haus zu holen.

Jetzt steht der Toni dem Hause und dir gegenüber still, aber noch immer haftet sein Blick am Boden – er sieht dich nicht. Langsam geht er auf die Thür zu – noch ein Schritt und du kannst ihn von deinem Fenster aus nicht mehr erspähen …

Liesl! Was treibst du?! – Lege dich, wie sonst, still auf dein Lager, das dich so verlockend anlächelt und dir flüsternd von den süßen Träumen erzählt, mit denen es dich so oft beglückte! Undankbare, du hast kein Ohr für seine Sprache. Du öffnest die Thür … stürmst die Treppe hinab … wohin? Ist’s dein Schicksal, das dich ruft?

Liesl! Arme Liesl!! – –

In dem dunkeln Gange stößt der heimkehrende Toni auf einen weichen Arm, der seine Schritte hemmt.

„Wer is?“ fragt er.

„Bst! Sei stad!“ antwortet es aus dem Dunkel heraus, und eine heiße Hand erfaßt die seine. „Komm!“ flüstert es weiter, und er fühlt sich durch den Gang fortgezogen bis zu der Thür, die nach dem Hofe führt. Er will reden, will fragen, aber dieselbe weiche Stimme bittet flehentlich:

„Sei stad! Sonst weckst die Veronika, die neben in der Kammer schlaft.“

Die Stimme klingt ihm bekannt, und doch weiß er nicht, wem sie gehört. Schweigend gehorcht er und folgt seiner Führerin in den Hof, der noch halb im Dunkel liegt; denn der Mond steht noch tief und wirft den Schatten des Hauses scharf begrenzt über den Raum. Nur drüben in den erblindeten Stallfenstern spiegelt er sich matt.

„Liesl, Du bist’s?“

Der Teichbauer-Toni zieht überrascht seine Hand zurück.

„Schrei nit so! Sonst weckst die Leut’,“ flüstert Liesl ängstlich und fügt dann noch leiser hinzu. „I … i hab’ mit Dir red’n woll’n, weil … weil i Dir was sagen muß.“

„Du mir?“

„Ja, i Dir.“

„So red’!“

Wie ernst, ja rauh Toni’s Stimme klingt! Es schnürt der armen Dirne, die ganz verschüchtert und beklommen vor ihm steht, schier die Kehle zusammen. Am liebsten lief sie davon, aber nun muß sie ja wohl sprechen – und so spricht sie denn. Erst langsam und stockend, dann immer rascher und hastiger stottert sie hervor, was ihr durch Kopf und Herz zieht: daß sie keinen Theil habe an der hochmüthigen Rohheit des Bachschneider-Loisl, daß sie vor Scham habe kein Wort hervorbringen können, daß sie den Loisl, der ihr bislang nur „so gleich“ gewesen sei, nunmehr hasse und verabscheue, daß … ja daß … !

Dieses Letzte will nicht über ihre bebenden Lippen, aber die Hand, die sie dem Toni reicht, ist heiß und zittert so heftig, daß er sie in seine beiden Hände einschließen und darin festhalten muß, damit sie ihm nicht entschlüpfe. Sie schweigt, und er antwortet nicht, aber ihre Blicke begegnen sich, und Liesl könnte die Antwort in seinen Augen lesen, wenn sie überhaupt etwas sähe. Doch sie sieht nichts; wie ein Schleier liegt es über ihr; sie hört nichts; das stürmische Pochen ihres Herzens, das ihr die Besinnung rauben will, übertönt jeden Laut – mit einem jähen Ruck liegt sie an Toni’s Brust, umklammert seinen Kopf mit beiden Händen und drückt einen glühenden, schier wilden Kuß auf seine Lippen. Dann wieder ein Ruck – und sie ist verschwunden.

Der Teichbauer-Toni steht lange still, wie betäubt, ohne sich zu rühren. Dann fährt er jählings an Wangen und Augen, als wollte er prüfen, ob es kein Traum gewesen ist, was er erlebt hat. Nein, es war kein Traum. Er lächelt, nickt mit dem Kopfe dem Monde zu, der unvermerkt über das Hausdach geklommen ist und Alles mit angesehen hat – dann sucht er schwankend seine Schlafstätte auf.

Droben aber, in der Dachkammer, liegt Liesl fiebernd auf ihrem Bette und wacht mit geschlossenen Augen.




5.

Am Bachschneiderhof ging Alles seinen gewohnten ruhigen Gang, obwohl der Bauer den ganzen Morgen über nicht sichtbar wurde, sondern trotz aller Tageshelle in seinem Bette lag und schlief. Er war erst tief in der Nacht heimgekommen und obendrein nicht ganz gerade, wie der Roß-Jackl, pfiffig blinzelnd, den anderen Knechten aus einander setzte. Nebenan standen die Mägde beim Scheuern und schwatzten dazu.

„Wird scho klein beigeb’n, wann erst die Bäuerin auf’n Hof kommt,“ meinte Rosl, eine von den Hofdirnen.

„D’ Feuerliesl?“ spottete eine andere. „Na, die wird schon a saubere Bäuerin abgeb’n. So a Wildling mit Zöpferln und Mascherln wie a Stadtfräul’n!“

„Und wie ’s hupft und wie ’s d’ Augen verdraht – a schöne Bäuerin!“ fiel eine Dritte ein, und Alle schüttelten sich vor Lachen.

„Vor der krieg’ i mein Leb’n kan Respect!“ pflichtete die vierschrötige Kuhdirn bei und stemmte die rothen Arme herausfordernd in die breiten Hüften.

Da fiel ein Schatten zwischen die schwätzenden und lachenden Mägde.

„Ist Euer Bauer daheim?“ fragte eine helle Stimme.

„Der schlaft no,“ antwortete Rosl über die Achsel hin, ohne sich umzusehen, und plauderte weiter.

„So weckt’s ihn und sagt’s ihm, daß i mit ihm red’n will!“

Das klang so energisch und so sicher, daß Rosl sich überrascht umwandte und auch die übrigen Mägde unwillkürlich die Köpfe hoben, um sich den ‚raschen‘ (schneidigen) Besuch anzusehen. Hei, wie erschraken sie, als sie sahen, daß keine Geringere denn [201] die künftige Bäuerin selber, die Feuerliesl, vor ihnen stand! Sie starrten dem überraschenden Besuche verdutzt in’s Gesicht, doch vor Verblüffung rührte sich Keine vom Platze.

Die Himmelbauer-Liesl stand eine Weile ruhig zuwartend da; endlich fragte sie ungeduldig. „Wo is denn die Cilli?“

Die Wirthschafterin, nach der sie fragte, kam eben von der Wäschkammer herübergetrippelt.

„Jessas, d’Himmelbauer-Liesl!“ rief sie näherkommend und schlug in die Hände. „Ja, is das aber was Seltsam’s!“

„Grüß’ Gott, Cilli! I möcht mit’n Bauern red’n; i hab' ihm was Nothwendig’s zum sag’n.“

Die Alte schien verlegen.

„Der Bauer - ja, der Bauer -“ stotterte sie, „’s is so a Sach’. Er is a wen’g unpaß, aber wann er hört, wer ihm die seltsame Ehr’ erweist, da wird er, man i, glei g’sund werd’n. G’schwind sag’ i’s ihm.“ Und damit trippelte die Alte dem Hause zu.

Die Mägde hatten sich, sobald sie der Alten ansichtig wurden, zurückgezogen doch nicht ohne einander allerlei Bemerkungen über den merkwürdigen Besuch zuzuflüstern der ihnen völlig „aus der Weis“ schien.

So blieb Liesl allein zurück. Sie sah sich in dem Hofe um, in den sie nach der Leute Meinung bald als Bäuerin einziehen sollte. Als Bäuerin! Sie mußte jenes Sonntags aus der Kinderzeit gedenken, an welchem der Bachschneider-Loisl sich für sie mit dem Toni gebalgt und die Veronika sie von den drei Teichen heimgezerrt hatte. Damals hatte sie trotzig erklärt, keine Bäuerin werden zu wollen – und heute? Was führte sie heute hierher?

Der junge Bauer sah recht blaß aus, als er jetzt eilfertig aus der Thür trat und auf sie zuschritt, das Haar ungeordnet, die Miene erschlafft und die Augen von dem hellen Sonnenlichte geblendet. Verlegen streckte er ihr die Hand entgegen und stotterte einen Willkommengruß.

Liesl stand aufrecht vor ihm und schien fast größer als er, so unsicher war seine Haltung.

„Kommst leicht z’wegen gestern?“ fragte Loisl und lachte laut, wie Verlegene pflegen. Sie sah ihn an. „Lach’ nit!“ sagte sie, „’s is a ernste Sach’, was i mit Dir red’n muß.“

Loisl ließ die noch immer ausgestreckte Hand sinken. Er sah der Dirne überrascht in die Augen und sagte leise. „Setz’ Di nieder oder komm in d’ Stub’n nein!“

„Schön Dank,“ erwiderte sie, „i bleib lieber da steh’n.“

Dann glättete sie die Falten ihrer Schürze, holte tief Athem und sagte:

„Loisl – i kann Di nit heirathen.“

Der junge Bauer riß die Augen auf und starrte seine Braut sprachlos an. Auch Liesl sprach nicht weiter. Jetzt, da das entscheidende Wort gefallen war, verließ sie plötzlich der Muth, mit dem sie es gesprochen hatte, gesprochen im Vollgefühle ihrer Liebe, die ihr das einzige Recht auf der Welt schien. Fühlte sie nun mit Eins das Unrecht, das sie damit den Anderen zufügte: ihrem Verlobten – ihrem Vater?! Heftiges Zittern überfiel sie, und weinend drückte sie die Hände vor die Augen.

Da geschah ein Wunder. Nicht mehr Loisl stand vor ihr, sondern Toni, der schlanke kraushaarige Toni; der sah sie mit seinen lieben, klaren Augen so zärtlich an, daß ihr das Herz stille stehen wollte. Er breitete die Arme aus und rief: Liesl! – Sie wollte auf ihn zu fliegen, wollte sich an seiner schützenden Brust bergen und ihm zurufen: Du, nur Du allein bist’s, den i gern hab’, Dir allein nur folg’ i auf der weiten Welt …! - Da öffnete sie die Augen, und das Wunderbild zerstob – Loisl stand wieder vor ihr. Er war es, der ihren Namen gerufen hatte.

„Liesl!“ wiederholte er jetzt, „das kann Dei ernstliche Mahnung net sein. Geh’, Du weißt gar net, was D’ sagst.“

„I waß, was i sag,“ entgegnete sie, „I kann Di net heirath’n.“

Der Bauer trat einen Schritt zurück.

„Z’weg'n ein’ Andern!“ rief er wild und ballte die Faust.

Das ernüchterte Liesl völlig.

„Ja, z’weg’n ein’ Andern!“ erwiderte sie hart, und ihre dunklen Augen blitzten herausfordernd. „Und wann Du’s wissen willst: Z’wege dem Toni, der mei Schatz is und den i so lieb hab’, daß Ihr mir eher ’s Herz selber herausreißen könnt’, als die Lieb’ daraus zu mein’ Toni.“

Hochaufgerichtet stand sie da, die Hände auf’s Herz gedrückt, als müsse sie die süße Liebe, die sie darin verwahrte, gegen die ganze feindliche Welt vertheidigen.

„Und jetzt b’hüt Gott, Loisl!“ schloß sie nach einer Weile und wandte sich dem Thore zu. Aber sie ging noch nicht. Einer plötzlichen Mitleidsregung folgend legte sie die Hand auf Loisl’s Schultern und sagte sanft. „Sei g’scheidt, Loisl! Schau, wir Zwei hätten ja do nit z’samm g’paßt. Da, gieb’ mir jetzt d’ Hand! d’ Lieb’ fragt halt amal nach kan Verlöbniß.“

Und damit ging sie. –00

„Den Bauern müssen’s gestern aber ordentli zugedeckt hab’n,“ dachte der Roß-Jackl, als er von der Schwemme heimgeritten kam und den Bauer an derselben Stelle stehen sah, an welcher ihn Liesl eben verlassen hatte. „Der sieht ja aus, als ob er für a ganze Wochen g’nug kriegt hätt’.“ Und lustig pfeifend führte er die Pferde in den Stall. –00

Der Liesl wartete daheim noch eine schwere Aufgabe; sie mußte den Vater von dem entscheidenden Schritte verständigen, den sie gethan hatte. Ohne Zagen ging sie auch daran. Der Himmelbauer stand eben in der Stube und blickte durch das geöffnete Fenster zur Hügelhöhe empor, die der Pendlwald krönt. Wen suchte sein Auge dort oben? Woran dachte er? Es war sonst nicht [202] seine Weise, untertags müßig in der Stube zu stehen. Was beschäftigte ihn?

Liesl ging auf ihn zu und sagte ihm gerade heraus, wie es ihre Art war, von wo sie komme und was sie gethan habe. Zu ihrem freudigen Erstaunen war der Vater weniger aufgebracht, als sie erwartet hatte. Er schalt sie zwar, weil sie den Schritt vorschnell und ohne seine Einwilligung gethan hatte, allein er nahm das Geschehene doch hin, ohne darüber sonderlich erzürnt zu sein.

„Wir hätten ewig net zu einand’ g’paßt,“ sagte Liesl und sah ihm treuherzig in die Augen.

Der Himmelbauer schwieg eine Weile, dann meinte er: „So hat’s do was Ernstlich’s geben zwischen Euch?“

„Ja, Vater, i – i hab’ an Andern gern.“

„An Andern?!“

„Ja, Vater. Und so gern, so närrisch gern, daß i den kriegen muß, oder ...“

„Oder? He he! Was wär’ denn das wieder für a neue Red’? An Andern! Und das so g’schwind, wie ’s D’ an Krug leerst und wieder anfüllst! Geh, Du dumm’s Dirndl! Du weißt ja selber net, was D’ willst.“

„I man’, Vater, jetzt waß i’s.“ Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, ergriff seine Hand und drückte sie an ihr Herz. „G’spürst Du ’s schlag’n, Vater?“ fragte sie. Dann hing sie sich an seinen Hals und küßte ihn trotz seiner verdrießlichen Abwehr.

„Er is zwar nur a armer Bub’ – er!“ flüsterte sie, „aber ...“

„So! Das a no!“ grämelte der Alte. „A armer Bub, dem mei Hof und mei Dirn’ g’rad recht wär’n – ’so zum Mitnehmen!“

„Seid’s Ihr net der reiche Himmelbauer,“ redete Liesl drein, „der sein’ anziges Kind dem Mann geb’n kann, der ’s glückli macht? Und ward’s Ihr nit selber a armer Knecht, wie Ihr d’ Mutter selig g’heirath’ habt’s, die do a das anzige Kind vom Himmelbauerhof war, grad als wie i?“

Der Himmelbauer zuckte bei diesen Worten zusammen.

„Red’ net davon!“ sagte er barsch und wandte sein Gesicht ab. „Das g’hört net daher.“

„Das g’hört doch daher,“ meinte Liesl. „O, die Veronika hat mir’s oft g’nug verzählt, wie selig Ihr mit der Mutter ward’s und die Mutter mit Euch, weil Ihr Euch gern g’habt habt’s, und weil nur die wahre, die echte Lieb’ die Menschen glücklich und herzensgut mach’n kann.“

Der Himmelbauer schwieg und sah wieder zu der Hügelhöhe empor, von welcher die Tannenwipfel des Pendlwaldes herabgrüßten. Dann sagte er milder: „Und wer is denn der ,Andere‘, der Di so völli närrisch g’macht hat?“

Liesl trat zu ihm in’s Fenster und wollte eben den Namen des Geliebten aussprechen; da bog dieser selbst, den Waldweg herabhastend, in die Dorfstraße ein. Sein jüngster Bruder, der Sepp, sprang athemlos hinter ihm her.

„Verzeiht’s, Bauer,“ keuchte der Toni, „daß i von der Arbeit wegg’laufen bin, aber d’Mutter liegt z’Haus – sie is von der Himmelsleiterwand ’runter g’stürzt...“

„ .. und is todt,“ heulte der kleine Sepp im Weiterlaufen dazwischen. „Und der Pfarrer is kommen und der Bader .... aber sie is todt - sie is todt.“

Und fort waren die Beiden.

Der Himmelbauer stand wie betäubt. Er war bleich geworden bis in die Lippen und murmelte tonlos: „Todt! ... todt! ...“

Er streckte die Hände tastend nach seiner Tochter aus, aber auch diese war verschwunden – dort flog sie um die Ecke der Dorfstraße, dem Teichbauerhause zu.

Der Himmelbauer war allein. Er starrte stier vor sich hin, wischte die schweren Schweißperlen von der Stirn und wiederholte dabei sein tonloses: „Todt! ... todt! ...“

Die Veronika kam herein und erzählte ihm, daß die Teichbäuerin am Morgen auf die Himmelsleiterwand gestiegen sei, um Kräuter zu suchen für einen Brustthee, weil ihr in der Nacht gar so schwer und ängstlich gewesen war. Oben war sie dann wahrscheinlich ausgeglitten und tief hinab in den Bösengraben gestürzt, aus dem die Leute sie erst vor einer Stunde todt herausgebracht hatten. Nun liege sie im Teichbäuerhause auf ihrem Bette, und der Toni sei schier wahnsinnig vor Schmerz. Es sei ein Anblick zum Erbarmen, fügte sie hinzu – und schluchzte laut auf.

Der Himmelbauer antwortete nichts; er hörte sie wohl kaum.

Nach einer Weile verließ er langsam die Stube, trat vor das Haus und schritt sachte die Straße hinab, scheinbar ziellos.

So kam er an das Teichbauerhaus. Er biß sich in die Lippen, krampfte die Hände zusammen und ging weiter, hastig, fast als ob er fliehe. Dann – seltsam! – kehrte er wieder um und ging denselben Weg zurück, langsam und mit Widerstreben, wie gegen seinen Willen, aber auch wie von einer stärkeren Hand getrieben. So kam er wieder an das Teichbauerhaus, und wieder wollte er daran vorübergehen, aber er vermochte es nicht – noch wenige Schritte und schon stand er mitten in der Stube, und vor ihm lag, auf ihr ärmliches Lager hingestreckt, die todte Teichbäuerin. Die Arme um ihren Hals geschlungen, das Gesicht an ihrem kalten, stillen Herzen, kniete Toni an ihrem Bette; die jüngeren Brüder standen mit bestürzten Gesichtern umher und wagten kaum zu athmen.

Der Himmelbauer wandte sich schaudernd ab, als er die bleichen finsteren Züge der Teichbäuerin erblickte, deren Ernst der Tod nicht gemildert hatte; da rührte es sich in der dunklen Ecke zu Häupten des Bettes; einem Schatten gleich glitt Liesl daraus hervor, beugte sich über die Todte und drückte einen Kuß auf ihre blassen Lippen.

„Mutter von mein’ Toni!“ sagte sie bebend, „i schwör Dir’s in Dein’ letzten Schlaf, daß i treu bei Dein’ Toni ausharr’n und ihn lieb hab’n will, so lieb – daß Du uns segnen wirst, dort dröb’n im Himmel.“

Toni hob mühselig den Kopf und blickte dankbar in die feuchten Augen Liesl’s. „Vergelt’s Dir Gott, Liesl!“ flüsterte er; ihre Hände fanden sich in einem innigen Drucke, und sein Kopf fiel wieder kraftlos auf die Leiche der Mutter herab. Der Himmelbauer hatte Alles gesehen und gehört.

„Jessas und Maria, Liesl!“ schrie er auf.

Die Dirne erhob sich langsam, und Toni’s Hand festhaltend sagte sie: „Ja, Vater, i hab’ dem Toni Lieb’ und Treu zug’schwor’n an der Leich’ von seiner armen Mutter. Der Toni is der, von dem i Euch heut g’sagt hab’ …“

„Liesl!“ wiederholte der Himmelbauer und wollte auf sie zutreten, aber der Anblick der Todten hemmte seinen Fuß. „Komm’ jetzt z’Haus!!“ sagte erbebend, sich abwendend. – „Komm’!–“




6.

Als der Himmelbauer aus dem Todtenhause wieder in’s Freie trat, athmete er tief auf. Dann schritt er heimwärts, doch vor dem Thore seines Hofes zögerte er einzutreten, schlug sich vor die Stirn und ging hastig, das Dorf auf einem Feldwege umkreisend, auf den Bachschneiderhof zu. Er trat in denselben ein und verweilte dort fast eine Stunde. Als er, von Loisl bis auf die Straße begleitet, wieder heraustrat, war seine Miene erhellt, sein Gang wieder sicher geworden. Mit einem fast fröhlichen „B’hüt Gott!“ verabschiedete er sich und ging nun langsam und würdevoll, wie es sonst stets seine Art war, mitten durch’s Dorf nach Hause.

Wer ihm begegnete, Jung und Alt, grüßte respektvoll; nun wußte er, wie der unheilvollen Verirrung seiner Tochter zu begegnen war. Der Toni mußte fort, weit und auf lange Zeit, mochte es kosten was es wollte. Inzwischen mußte Liesl Bäuerin auf dem Bachschneiderhofe geworden sein und die Narrheit mit dem Toni längst vergessen haben, wenn dieser in’s Dorf zurückkehren sollte. „Und wenn einst –“ sagte er zu sich selbst. Er fuhr sich mit der Hand über die heiße Stirn – die Märzsonne brannte ja recht empfindlich herab.

„Ah bah!“ fuhr er fort, „bis zu diesem Einst is wohl no lange, recht lange hin, und dann is ja immer no Zeit, Alles aufz’klär’n und alt Unrecht wieder gut z’ mach’n. Für den Toni will ja sorgen und ihn g’wiß net vergessen, wenn einst –“ dieses unselige „Einst“ wollte ihm heute durchaus nicht aus dem Kopfe – die Märzsonne stach aber auch wirklich ganz unerträglich.

Den ganzen Tag über kam Liesl nicht heim; der Himmelbauer schien es gar nicht zu bemerken. Eine ängstliche Frage der alten Veronika beantwortete er nur mit einem Achselzucken und meinte dann gleichgültig: „Wird scho hamkommen.“

Gegen Abend kam sie auch wirklich heim, blaß, abgehärmt, zum Tode ermüdet, und doch mit dem feuchtverklärten Blicke der Glücklichen. Sie wollte ungesehen und unbemerkt in ihre Dachkammer [203] schlüpfen, aber im Vorhause traf sie auf den Vater, der auf sie gewartet zu haben schien. Er nahm sie, ohne ein Wort zu sprechen bei der Hand und führte sie in die Stube. Dort schloß er vorsichtig die Thür hinter sich und sagte dann langsam. „I muß a Wörtl mit Dir red’n Liesl.“

„Ja, Vater.“

Der Himmelbauer räusperte sich, sog an seiner Pfeife, schob sein Sammetkäppchen vom linken Ohr auf’s rechte und dann wieder zurück, paffte eine tüchtige Rauchwolke vor sich hin und sagte plötzlich. „Du Liesl, i hab mit’n Loisl g’red’t. Der arme Dalk der barmt mir do. – G’than hat er Dir eigentli nix.“

Liesl erwiderte müde. „A abg’machte Sach’, Vater. Z’was no d’rüber red’n?“

Der Bauer hustete geräuschvoll und meinte. „No, abg’macht is wohl nur Euer Verlöbniß; das Andere –“

„Abg’macht, Vater!“ wiederholte Liesl und setzte dann matt hinzu: „Schad’ um jed’s Wört’l, wenn Ihr da d’rüber mit mir habt’s red’n woll’n.“

„No, Du bist hübsch kurz anbunden heut.“

„Müd’ bin i, Vater – und schlafen möcht’ i.“

Der Bauer sah sie von der Seite an und schwieg. Nach einer Pause begann er von Neuem: „A recht’s Elend bei so nothige (arme) Leut!“

Wieder fuhr sein Blick hastig über die scheinbar theilnahmlos vor ihm stehende Tochter hin. Da diese nicht antwortete, fuhr er fort: „’S größte Elend is do d’Armuth. Jed’s bissel Z’widrigkeit is für die armen Leut’ glei a Unglück, weil sie si net helfen können.“

Liesl rührte sich noch immer nicht. Hörte sie, was der Vater sprach? Sie hatte die Hände gefaltet und blickte zu Boden.

Die alte Veronika kam in die Stube und sah die Beiden so still und ernst neben einander stehen.

„Da setzt’s was,“ dachte sie und drückte sich kopfschüttelnd hinaus. Vater und Tochter blieben wieder allein in der Stube zurück. Der Bauer ging zum Fenster und sagte. „Schau’, dort kommt der Loisl. ’S is do a grundgute Seel’, daß er Dir nix nachtragt und wieder kommt.“

Liesl fuhr auf. „Der Loisl? Was sucht denn der no bei uns?“

„Dumme Frag’!“ lachte der Vater, ohne sich umzusehen. „Was halt so a verliebter Kater sucht!“

„I geh’ ’nauf,“ sagte die Tochter hastig und eilte zur Thür. „Sagt’s ihm, Vater –“

Der Bauer wandte sich zurück. „Du bleibst,“ herrschte er.

Der ungewohnte Ton verfehlte seine Wirkung nicht. Liesl ließ die Thürklinke, die sie schon ergriffen hatte, wieder los und sah erschreckt zum Vater auf. Dieser war hart an sie herangetreten und sagte, seinen Zorn mit Mühe bemeisternd:

„Du bist mit’n Loisl versprochen und wirst Bachschneiderin – dös sag’ i Dir, i, der Himmelbauer. Und daß i in der Sach’ kan G’spaß versteh’, wirst jetzt endli amal g’merkt hab’n. – So, jetzt gehst ’naus und’n Loisl entgeg’n und giebst ihm freundli d’Hand – hast mi verstand’n? – Glotz mi net an, als ob’s D’ net Deutsch verständ’st, und schlag’ Dir die narrischen Gedanken aus’n Kopf, sonst – sonst schlag’ i Dir’s heraus – und das könnt’ am End’ a wen’g unsanft ausfall’n. – So, g’red’t hab’ i; daß Du Dir’s a merkst, dafür werd’ i schon sorg’n.“

Liesl war es, als ob ein Blitzstrahl plötzlich neben ihr niedergefahren wäre. Sie war so voll ihres Gefühles für Toni, daß sie an den Vater und gar an Loisl längst nicht mehr gedacht hatte. Lebte sie doch, seit ihr Mund Toni’s Lippen berührt hatte, nur in einer Traumwelt, aus der selbst die Schauer des Todes, die sie an der Leiche der Teichbäuerin so furchtbar nahe umweht hatten, sie nicht zu erwecken vermochten. Er war ihr ja in dem Todtenhause nahe gewesen, und sie hatte sich auch dort glücklich und froh gefühlt. Das war nicht Fühllosigkeit gegen den unsäglichen Jammer um sie her; das war nur Liebe, die unbewußt jede andere Empfindung selbstsüchtig erstickende Liebe.

Von einer Wunderblume des fernen Ostens erzählt die Sage, daß ihre Blüthe sich mit einem hellen, weithin tönenden Glockenklange erschließe. Solch eine Wunderblume war Liesl’s Herz, und der Glockenton, mit dem es sich jählings erschlossen hatte, zitterte durch ihre Seele so mächtig nach, daß ihr klares Auge blind, ihr kluger Sinn stumpf geworden war für die rauhe Mahnung des Alltagslebens um sie her.

Der ernste, drohende Ton des Vaters erweckte sie jetzt, und plötzlich sah und fühlte sie die schwere Wetterwolke, die an ihrem jungen Liebeshimmel emporstieg. Doch mit der Erkenntniß der Gefahr war auch der Muth, sie zu bekämpfen, erwacht. Liesl richtete sich hoch auf, sah dem Vater fest in’s drohende Auge und erwiderte mit zuckender Lippen „Dem Toni g’hört mei Herz. Ihr wißt’s eh, Vater, i hab Euch’s g’sagt. Und Bachschneiderin werd’ i mei Lebtag net!“

„Mach mi net verruckt, Liesl!“ schrie der Himmelbauer, dem die Zornader an der Stirn schwoll. „Du gehst jetzt dem Loisl freundli entgegen, oder –“ Er hob drohend die schwere Hand.

Liesl ließ die Arme schlaff herabsinken. „Schlagt’s zu Vater!“ sagte sie ruhig. „I geh do net ’naus.“

Er schlug nicht zu. Hatte ihn ihre Ruhe überzeugt, daß es auf diesem Wege nicht möglich sei ihren Starrsinn zu brechen? Oder hatte er ein wirksameres Mittel sie zu zwingen gefunden? Sich von ihr abwendend, sagte er mit erzwungener Ruhe: „Geh ’nauf in Dei Kammer. I red allein mit’n Loisl.“

[211] Ohne ein Wort zu erwidern, verließ Liesl die Stube. Der Bauer folgte ihr bald und trat auf die Straße hinaus. Dort traf er den Bachschneider-Loisl, der mit drolliger Miene, in welcher sich die krampfhaft festgehaltene Würde des Beleidigten und die ängstliche Erwartung des Liebenden bekämpften, der Begegnung mit Liesl harrte. Auf Loisl’s fragenden Blick erwiderte der Himmelbauer verlegen lachend. „Narrische Weiberleut! – Jetzt schamt sich das dumme Dirndl wieder.“

„Soll i ’nein geh'n?“ fragte Loisl erwartungsvoll.

„Heut net mehr.“

Der Junge stutzte.

„Versamst ja nix!“ besänftigte ihn der Alte. „Mei Dirndl wird Bachschneiderin; da drauf hast mei Wort.“ Und er hielt ihm die Hand hin.

„Wär mir ihr Wort schon lieber,“ murrte Loisl.

„Z’weg’n der Hand!“ lachte der Alte.

Loisl schlug ein, und Beide standen eine Weile neben einander.

Dann verabschiedete sich der Bachschneider mit einem kurzen „B’hüt Gott!“, aus dem die Verstimmung recht deutlich herausklang.

„Auf morg’n!“ ruf ihm der Alte nach.

Loisl nickte nur und verschwand dann zwischen den Zäunen.

„Vertrackt’s Weibervolk!“ murrte der Himmelbauer. „’'s is a wahr, a jed’s Unglück auf der Welt kommt von dem verteufelten Kittelvolk her.“

Dabei schüttelte er drohend die Faust.

In der Thür des Himmelbauerhofes wartete Veronika, die mit dem Bauer sprechen wollte. Als sie ihn zurückkommen sah, die buschigen Brauen finster zusammengezogen da zog sie sich behutsam zurück und wartete ab, bis er in’s Haus getreten war und die Stubenthür hinter sich zugeschlagen hatte. Dann schickte sie vorsorglich erst den Oberknecht zu ihm hinein, der denn auch nach einem heftiger Wortwechsel bald wieder aus der Stube herausgepoltert kam und laut fluchte, er wolle keine Stunde länger auf diesem Hofe und unter einem so „narrischen“ Bauer im Dienste [212] bleiben, Dann wartete die Alte nach ein Weilchen, und nun erst öffnete sie langsam die Thür. Der Bauer saß in seinem Lehnstuhle, kaute an den Nageln und starrte finster vor sich hin.

„Was wollt’s?“ fuhr er die Alte unwirsch an.

„Mit Euch red’n, Bauer.“

„Z’weg’n was?“

„Z’weg’n der Liesl.“

Der Bauer fuhr auf.

„Was is denn scho wieder mit dem vertrackten Dirndl?“

„Verliebt is’.“

„Geht’s!“ höhnte der Bauer. „Was Ihr net all’s wißt’s! Und in wem denn?“

„In Teichbauer-Toni.“

Der Himmelbauer sprang auf.

„Is das Euere ganze Neuigkeit?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. Der Bauer stutzte.

„So redt’s!“ sagte er und warf sich wieder in den Lehnstuhl, der in allen Fugen krachte. Die Alte glättete ihre Schürze.

„D’ Liesl is ka Dirndl wie die Andern,“ begann sie dann zögernd, „wann die amal Ja sagt, so is Ja, und wann’s Na sagt, so is Na in alle Ewigkeit. Mit’n Derzwing’n geht’s da net.“

„No, dös möcht i sehn!“ polterte der Bauer dazwischen.

„Werd’s es a sehen,“ erwiderte die Alte trocken. Und näher an den Bauer herantretend, fuhr sie halblaut fort: „Die rennt Euch davon oder ’s giebt sonst a Unglück, wann’s den Toni net kriegt – i kenn’s.“

Der Bauer schwieg und nagte heftig an der Unterlippe. Durch sein Schweigen kühner gemacht, trat die Alte noch näher an ihn heran und sagte herzlich: „Gebt’s ihr den Toni, Bauer! Schaut’s, er is ja a braver Bursch, wenn er a arm is.“

„I kann net,“ ächzte der Himmelbauer. „I kann net,“ schrie er plötzlich auf und faßte die Alte an der Schulter. „Macht mi net Alle verrückt – i kann net, ewig net!“

Veronika flüchtete erschrocken zur Thür. „So thut’s, was wollt’s!“ keuchte sie. „I hab’s Euch g’sagt; jetzt kann i nix mehr thun als beten, daß der liebe Herrgott Euch a Einsehn eingiebt; denn sonst giebt’s a Unglück – und a schwer’s a no.“

Der Himmelbauer war wieder ruhiger geworden.

„Geht’s nur!“ meinte er höhnisch. „Könnt’s a mein’tweg’n beten, aber net z’weg’n dem Unglück – das nimm schon i auf mi.“

Die Alte schlug bei diesen lästernden Worten hastig ein Kreuz und ging betrübt hinaus; der Bauer schritt einige Male in der Stube heftig auf und nieder; dann schlug er plötzlich mit der Faust auf den Eichentisch, daß es dröhnte, und murmelte dabei: „’s muß gehn, so oder so. I derzwing’s schon, i – der Himmelbauer.“

Dann packte er seinen Hut und polterte hastig aus der Stube und aus dem Hause. Diesmal schritt er ohne Zagen geradewegs auf den Teichbauerhof zu. Erst an der Schwelle des Hauses überkam ihn die Erinnerung an den Anblick der Todten, die da drinnen ruhte. Er blieb stehen, wartete eine Weile unschlüssig, trat dann wieder zurück und spähte durch’s Fenster in die Stube. Dort saß der Toni noch immer zu Häupten seiner Mutter und starrte, den Kopf in die Hand gestützt, auf die Todte herab. Der Himmelbauer klopfte leise an’s Fenster. Einer von den jüngeren Buben sah auf und kam heraus.

„I muß mit’n Toni red’n,“ erklärte ihm der Bauer, „sag’ ihm’s!“

Hineingehen mochte er nicht wieder. Bald darauf erschien der Toni, bleich und hohläugig, auf der Schwelle. Der Alte nahm ihn bei der Hand und führte ihn, wie man ein Kind leitet, eine tüchtige Strecke weit die Straße hinauf.

Lange schwiegen Beide; dann sagte der Himmelbauer: „Was wirst denn jetzt mach’n mit die Bub’n?“

Toni blickte zur Erde und sagte leise: „I waß no nit.“

„Knecht kannst nit leicht bleib’n.“

Toni sah auf. Der Alte schien es nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: „und wirthschaft’n wär scho recht – aber mit was?“

Hier hielt der Himmelbauer inne. Da Toni nichts erwiderte, fuhr er fort: „Der Fuchsbichler drüben in der Kalkleiten is d’ vorige Wochen gestorben – das wär a Anwesen für Di. Da könntest hausen mit die Buben und rechtschaffene Burschen aus ihnen machen – gelt?“

Der Teichbauer-Toni zuckte die Achseln.

„Der Fuchsbichlerhof!“ meinte er matt. „Wie sollt’ i zu dem kommen?“

„Kannst’n pachten von mir – i werd’n übernehmen.“

„Himmelbauer, is das Euer ernstliche Manung? Ihr treibt’s net Euern G’spaß mit mir?“

„Wann’st mei Hand drauf willst, da hast’s! Schlag’st ein?“

„Himmelbauer! Na, dös kann ja net Euer Ernst sein. Ihr wollt’s uns wirkli aus’n Elend heraushelf’n, wollt’s wie a Vater an die armen Bub’n handeln, die kan Vater – und jetzt a ka Mutter mehr hab’n – Himmelbauer! Dös muß Euch der Gottvater im Himmel verlohnen.“

Der Teichbauer-Toni ergriff die dargebotene Hand und drückte sie fiebernd. Eine Weile schritten die Beiden wieder schweigend neben einander her.

„A Beding is freili dabei,“ fing dann der Himmelbauer wieder an.

„A Beding? Redt’s, Himmelbauer, ’s wird nix Unrechtschaffen’s sein.“

„G’wiß net, g’wiß net!“ versicherte der Alte. „’s is nur - heirathen mußt, Toni. No ja, die Bub’n müssen a Mutter krieg’n.“

Der Teichbauer-Toni sah auf und blickte dem Himmelbauer fest in die Augen. Dieser wich seinem Blicke aus.

„No ja,“ wiederholte er unsicher, „allein kannst do net wirthschaften – und a junger rechtschaffener Bursch wie Du wird wohl leicht a brav’s Dirndl finden, das …“

„Das net g’rad das anzige Kind vom reichen Himmelbauer is,“ fiel ihm Toni in’s Wort. „Dessentweg’n hätt’ i g’schwind’ fort soll’n aus’n Dorf und in d’Kalkleiten nauf?! Himmelbauer, das war net rechtschaffen von Euch. Sagt’s g’rad heraus: Toni, mei Liesl gieb i Dir net.“

„Ewig net!“ schrie der Himmelbauer, seiner Erregung nicht mehr Herr. „Ewig net – mei letzt’s Wort – eher derwürg’ i ’s.“

Toni wehrte ihn mit der Hand.

„Ka Sorg, Bauer!“ entgegnete er erblassend. „I nimm net, was net mein g’hört, aber in d’ Kalkleit’n geh’ i a net. Das is mei letzt’s Wort. Jetzt b’hüt Gott!“

Damit wandte er ihm den Rücken und ging festen Schrittes in’s Teichbauerhaus zurück. Der Himmelbauer sah ihm lange nach.

„D’ ganze Mutter!“ murrte er vor sich hin und schüttelte ingrimmig den grauen Kopf.



7.

Es war indessen wieder Abend geworden, ein unfreundlicher, stürmischer Abend. Ueber den Bösenbergen thürmten sich, dräuenden Riesen gleich, schwarze Wetterwolken auf, die der kalte scharfe Märzwind heulend und pfeifend vor sich her trieb. Liesl stand am Fenster ihrer Dachkammer und blickte die Straße hinauf bis zur Biegung, die ihr neidisch den Anblick des Teichbauerhauses entzog. Sie dachte an Toni. Vergessen war der schwere Zwist mit dem Vater, vergessen das Herzeleid des Tages. Der Gedanke an den Geliebten glich der Hochfluth, die, ihre Dämme überwogend, in ein stilles Thal dringt und alles Leben um sich her verschlingt und überdeckt. Woran nur hatte sie gedacht, ehe sie ihn liebte? Sie wußte es nicht mehr, wußte nichts mehr, als daß sie ihn liebte.

Im Hause ward es still und stiller. Die Knechte und Mägde gingen zur Ruhe; ihr Lachen und Streiten verstummte allmählich; von Zeit zu Zeit klang noch eine Schelle aus den Ställen herüber oder ein Hahn krähte halblaut im Traum.

Nach einer Weile hörte Liesl die alte Veronika zur Ruhe gehen und die Thür ihrer Kammer schließen – nun war jeder Laut im Hause erstorben.

Sie setzte sich still auf ihr Lager und stützte den brennenden Kopf in die Hand. Wieder flogen ihre Gedanken zu dem Geliebten hin … Er saß wohl noch an der Leiche seiner Mutter und gedachte nur seines Schmerzes. Fast haßte sie diese Mutter, die ihr noch im Tode so viel seiner Liebe raubte. Wie sie ihn liebte! Der Gedanke’ überkam sie, daß solche glühende, berauschende Liebe sündhaft sei. Der Herr Pfarrer hatte erst kürzlich gepredigt: Liebe sei Gott, Leidenschaft aber der Teufel; der Mensch glaube oft Gott in sich aufzunehmen und umarme den Teufel. – Sie dachte an Toni’s liebe, treue Augen. Nein, es konnte nicht sündhaft sein, in diesen klaren Spiegel zu schauen und immer wieder zu schauen und glücklich zu sein. Und wenn’s sündhaft war, konnte sie denn anders als ihn dennoch lieben? Das war ja [213] unmöglich und Unmögliches konnte auch der liebe Herrgott nicht von ihm fordern. – Horch! Schritte auf der Straße! Kam er noch ihr gute Nacht zu sagen? Ihr Herz schlug so heftig, daß sie es bis in, den Hals spürte. Sie wollte aufstehen und zum Fenster eilen, aber sie vermochte es nicht; wie festgebannt saß sie auf ihrem Bette und horchte. Die Schritte kamen näher und näher. – Er war’s! … Nein, der Vater war’s; nun erkannte sie den Schritt. Er blieb vor dem Hause stehen dann im Vorhause; Endlich hörte sie, wie er die Dachtreppe zu ihr emporstieg. Was wollte er so spät noch bei ihr? Seine Miene versprach nichts Gutes, als er nun eintrat. Er sah blaß und verstört aus; die grauen Haare hingen ihm wirr in die Stirn, und seine Kniee wankten. – Er hatte getrunken.

„No, Liesl,“ lallte er, „hast Dir’s leicht besser überlegt? Giebst mir jetzt a g’scheidtere Antwort?“

Sie sah ihn nur an – ihre Augen antworteten.

„Net? Also net?“ knirschte er. „Willst net lassen von Dein – – Toni?! un Gott’sstraf’ Du!“ Er wollte auf sie eindringen, besann sich aber und lachte wild: „Dir werd’ i schon no g’wachsen sein, Du schlecht’s Kind Du! Morgen in aller Früh fahrst mit mir zum Höbibauer-Vettern nunter; dort bleibst so lang, bis d’ Aufkündzeit um is, und dann wirst Bachschneiderin. Und wenn i Di bei die Haar’ in d’ Kirchen schleppen muß – Du wirst’s. I bin Himmelbauer – i! Und was i will, das is g’wollt und das g’schieht, weil i waß, warum i ’s will. – Jetzt schlaf’ und bitt’ unsern Herrgott daß er Dir d’ Unvernunft austreibt und ein G’horsam beibringt gegen den Vatern! – – Reiz' mi net mit Deine Augen! Bet', sog i Dir – und schlaf'!“ Er wandte sich zur Thür. „Und z’weg’n dem Unglück,“ meinte er langsam, „was mir d’ Veronika so fein hätt’ beibring’n soll’n, da will i ein Riegel vorschieb’n“

Beim Höbibauern werden's schon gut aufpassen, daß der zukünftigen Bachschneiderin nix geschieht und – – heut’ Nacht wirst eing’sperrt.“

Damit polterte er hinaus, schlug die Thür hinter sich zu und schob außen den Riegel vor. Dann stolperte er fluchend die Treppe hinab.

Liesl blieb allein. Sie sprang auf und rüttelte an der Thür. Vergebliche Mühe – der Riegel hielt fest. Sie wollte aufschreien, aber die Stimme versagte ihre nur ein heiseres, ohnmächtiges Kreischen entrang sich ihrer Kehle. Sie knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände, warf sich wie wahnsinnig auf ihr Bett und zerwühlte ihr Haar. Dann schnellte sie wieder empor und schlug mit den Händen gegen die verschlossene Thür. Vergebens, alles vergebens! Die Thür hielt fest. Allmählich erlahmte ihre Kraft. Ermattet wankte sie van der Thür zu ihrem Lager, auf das sie erschöpft hinsank. Das Licht war zu Boden gefallene sie merkte es nicht; die Augen fielen ihr müde zu, und der traumlose Schlummern der Ermattung umfing sie. So lag sie eine ganze Weile, wohl – eine Stunde lang oder länger, regungslos, tief athmend, in bleischwerem Schlafe. – – Darm plötzlich – ein scharfer Brandgeruch und ein schwerer Rauch, der die Stube erfüllte! Liesl erwachte jählings. Sie öffnete müde die brennenden Augen und spähte durch den heißen Qualm. Zu Füßen ihres Bettes lag das Licht, das herabgefallen war und dessen Flamme nun am Boden weiterbrannte, der hier und dort bereits glimmte und gloste.

Rasch führ sie auf und wollte die kleine Flamme ersticken. Da fiel ihr Blick auf die Thür, an der die Flamme bereits empor zu züngeln begann. Die Hand, die nach dem Wasserkruge langte, sank herab. War diese kleine Flamme nicht ein Wink des Himmels, der sie zu ihrer Befreiung gesandt hatte? Morgen früh sollte sie [214] fort, sollte zum Höbibauer, dem alten griesgrämigen Vetter, und dann – dann sollte sie Loisl’s Weib werden und den Toni nicht wiedersehen – –

Den Toni! Sie legte die Hände über die schmerzenden Augen und lehnte sich auf’s Bett zurück. Wenn sie die Augen schloß, sah sie ihn stets; auch jetzt erschien er ihr wieder, mit flehenden Blicken und auf den Lippen ein rührendes: „Komm!“

„I komm,“ rief sie, „i komm.“

Die Flamme züngelte weiter; schon hatte sie den Thürstock ergriffen. Draußen heulte der Sturm; die Fenster klirrten, und der Wetterhahn auf dem Dache drehte sich kreischend.

In solcher Nacht hatte Toni wohl oft einsam auf Wache stehen müssen, allein, fremd in fernem Land. Armer Toni! Wie wollte sie ihn lieben für jene Zeit – und für alle künftigen! …

Immer weiter griff die Flamme; immer dichter erfüllte der Qualm die Stube; immer heißer wurde die Luft, die Liest athmete. Sie sprang auf und öffnete das Fenster, das, vom Sturme erfaßt und an die Mauer geschleudert, in tausend Scherben zertrümmert zur Erde niederstürzte. Der Sturm tollte nun frei in der Stube und blies in das glosende Feuer an der Thür, das lustig aufflackerte. Jetzt war das Schloß erreicht. Liest sah, wie die Flamme daran emporleckte – ein wilder Ruck, und der glimmende, halbverkohlte Thürstock gab nach – die Thür stand offen.

Der Sturm heulte hindurch und fachte die Flamme jählings an, die hochaufflackernd das Bettgestell ergriff und es im Nu in eine schwere, dunkle Rauchwolke hüllte.

Liesl sah es nicht mehr. Sie sprang über die brennende Schwelle und stürzte mit versengtem Rocke die Treppe hinab, durch das dunkle, stille Vorhaus hinaus – hinaus! In’s Freie!

Jetzt fiel die Thür hinter ihr in’s Schloß; der Hund schlug im Hofe an; sie stand auf der Straße, war – frei. Sie sah auf das Haus zurück, schüttelte sich wild und sagte: „Brenn’ zu!“

Der Sturm erfaßte ihre langen Zöpfe und peitschte sie ihr in’s Gesicht. Sie faßte die flatternden Maschen mit beiden Händen und lief mit dem Sturme die einsame Dorfstraße hinauf, dem Teichbauerhofe zu. – –

Der Himmelbauer lag indessen in seiner Stube nur halb entkleidet auf seinem Bette. Er konnte nicht schlafen. Erst hatte ihn Liesl’s Lärmen und Toben gestört; dann war er eingeschlummert und jählings wieder aus einem beängstigenden Traume aufgefahren. Die todte Teichbäuerin war ihm erschienen, bleich und finster, wie er sie heute auf ihrem letzten Lager gesehen hatte, und mit ihr waren alle die längst begrabenen Gestalten und Erinnerungen aus seiner Jugendzeit wieder erwacht.

Die Teichbäuerin! Sie war einmal schön gewesen, die alte, finstere Teichbäuerin – schön und jung. Er sah sie wieder wie einst, drüben in seinem Heimathsdörfchen „An der Lehn“, viele Meilen von seiner jetzigen Heimath entfernt. Welch eine schmucke, kernfrische Dirne das Höller-Nannerl war, und wie glockenhell ihre Stimme klang, wenn sie mit ihm des Abends lustige G’stanzeln sang! Freilich war auch er damals ein blutjunger Bursche gewesen – und das junge Volk sang und scherzte so lange von Liebe und Liebeslust, bis aus dem Scherze Ernst wurde. Trotz ihrer Armuth hatten die Beiden doch treu bei einander zu bleiben und sich endlich, wenn’s anging, auch heirathen zu wollen geschworen – es kam anders. Er fand einen Dienst im Himmelbauerhofe, und sie blieb daheim bei ihrer alten Mutter zurück. Die Tochter des Himmelbauers fand Gefallen an dem schmucken, jungen Knechte, und da der Bauer plötzlich starb, bot sie ihm ihr Herz und den schönsten Bauernhof im Dorfe als Morgengabe an. Die Wahl war rasch genug geschehen. Der simple Sepp verwandelte sich in den reichen Himmelbauer, und als das arme Dirndl von der „Lehn“ drüben den drei Tage weiten Weg herüberkam, um einen Dienst zu suchen, da ihre Mutter gestorben war, gab es just eine Hochzeit im Himmelbauerhofe. Als sie erfuhr, wer der schmucke, junge Hochzeiter sei, ging sie droben bei den drei Teichen in’s Wasser. Der Teichbauer, der eben des Weges kam, um nach seinen ausgesteckten Fischnetzen zu sehen, zog die fremde Dirne heraus und brachte sie in sein Haus, wo sie wieder zum Leben erwachte. Der Teichbauer war ein häßlicher, roher Bursche, der gerne spielte und trank; dennoch blieb die Gerettete bei ihm, und ehe der Herbst in’s Land zog, war sie Teichbäuerin – Wohl des Buben wegen, den sie kurz vorher geboren hatte. - -

Der Himmelbauer ächzte und wälzte sich schweißtriefend auf seinem Lager hin und her. Vergebens! Die Schatten jener längst entschwundenen Zeit verfolgten ihn wie gehetzte, kläffende Hunde. Das Bild des furchtbaren Brandes, der den Himmelbauerhof fast vollständig eingeäschert hatte, trat vor seine Seele. Es war in seiner Brautnacht. Er hatte sich eben mit seinem jungen Weibe aus der großen Stube gestohlen, in der die Verwandten und Freunde noch saßen und tranken, und der wüste Lärm ihres Lachens und Johlens drang nur gedämpft zu ihnen herüber. Als das junge Paar über den dunklen Hof schlich, huschte eine Gestalt vorüber, eine junge blasse Dirne, deren Anblick ihm das Blut erstarren machte. Das Nannerl war’s.

Er wollte ihr nach, wollte Gewißheit haben, ob sie es sei, aber sein junges Weib, das die flüchtige Erscheinung nicht gesehen hatte, zog ihn mit sich fort. Er trat mit ihr in die stille Brautkammer, sie lag zitternd in seinem Arm – da zischte es hinter ihm auf, hier, dort; ein heller Schein drang durch das Fenster herein; Brandgeruch erfüllte das Haus, und „Feuer! Feuer!“ schrie es plötzlich gellend auf.

Der Himmelbauer führ jählings aus dem Schlafe empor. „Feuer! Feuer!“ War das noch sein lebhafter Traum? War es furchtbare, erneute Wirklichkeit?!

Er horchte. Tiefe Stille herrschte um ihn her; nur der Sturm heulte draußen, und der Hofhund schlug an. Ermattet lehnte sich der Bauer auf sein Lager zurück; die Erinnerung an jene gräßliche Nacht hatte ihn aus dem Halbschlummer aufgescheucht. Da gellte es von Neuem:

„Feuer! Feuer!“

Von der Straße leuchtete es wie Morgendämmerung in seine Stube; die Thür wurde aufgerissen, und die Veronika kreischte ein halbersticktes: „Feuer! Bauer! Es brennt.“

Der Himmelbauer kleidete sich schnell an und stürzte aus der Stube. Von der Dachstiege herab drang ihm dichter, erstickender Qualm entgegen – oben in der Kammer seiner Tochter brannte es. Plötzlich stand es furchtbar vor seiner Seele: Liesl war eingeschlossen; sie mußte verbrennen, war vielleicht schon in dem Qualme erstickt. Er wollte hinaufeilen, sie zu befreien, vermochte es aber nicht mehr; schon auf den ersten Stufen drang ihm eine neue, stärkere Rauchwolke entgegen, die ihm schier die Sinne raubte.

„Zu Hülfe! Zu Hülfe!“

Im Hause ward es jetzt lebendig. Von allen Seiten stürzten die Knechte herbei, noch schlaftrunken, kaum bekleidet. Sie taumelten an einander und fluchten wild; die Mägde kreischten und rannten wirr durch einander; von den Ställen tönte das Brüllen und Stampfen der geängstigten Thiere herüber, und inzwischen prasselte und zischte es oben immer furchtbarer und näher – und Keiner, der den Aufstieg in die Dachkammer gewagt hätte, Keiner der des Herrn achtete, Keiner der seinem verzweifelten aus Rauch und Qualm heraustönenden Rufe Folge leistete. Jeder suchte nur sich selbst und seine nächste Habe in’s Freie zu retten; die eigene Angst hatte sie Alle blind und fühllos gegen fremde Todesgefahr gemacht. Noch einmal versuchte der Himmelbauer die Treppe zu erklettern; er mußte hinauf, mußte sein Kind retten.

„Liesl! Liesl!“ kreischte er durch den Rauch. „I komm’, i komm’.“

Und Stufe um Stufe klomm er empor; da krachte es über seinem Haupte; er sah die Flamme auflodern, die aus der geöffneten Thür der Kammer schlug; die Stufen hoben sich unter seinen Füßen – ein furchtbarer Schlag, und er stürzte, in Rauch und Schutt gehüllt, mit der einbrechenden Treppe tief hinab. Im Sturze noch hörte er die gellende Stimme der Veronika, die „Bauer, Bauer!“ schrie; dann schwanden ihm die Sinne.




8.

Einsam und dunkel lag das Teichbauerhaus, auf das Liesl, vom Sturme getrieben, zulief. Keuchend hatte sie es jetzt erreicht. Sie pochte an die Thür und horchte. Im Hause rührte sich nichts. Noch einmal pochte sie, doch wieder vergebens – Alles blieb stumm und still.

„Schläft er?“ Konnte er schlafen, indeß sie in tödlicher Angst vor seinem Hause stand und auf ein Lebenszeichen harrte? Sie pochte an’s Fenster, dann mit verdoppelter Kraft an die Thür. Endlich, endlich rührte sich’s im Hause. Ein leiser Schritt näherte sich der Thür, und eine ängstliche Kinderstimme fragte: [215] „Wer is?“

„I bin's, i –“

„Wer?“

„I, d’ Himmelbauer-Liesl. Frag’ net solang! Weck ’n Toni und sag’ ihm, daß i da bin.“

„Der Toni is net z’ Haus,“ zitterte die Stimme zurück.

„Net z’ Haus? Wo is er denn hingangen

„I waß net.“

„Denk’ nach! I bitt’ Di um All’s – denk’ nach!“

Eine Pause trat ein, die Liesl endlos dünkte. Sie bog sich wieder zum Schlüsselloch herab und fragte ängstlich.

„No?!“

„I waß net!“ klang es weinerlich zurück.

„Denk’ nach – denk’ nach! Hat er nix. g’sagt? I schenk’ Dir mei golden's Kreuzl und a wunderschön's Bildl dazu … denk' nach!“

„I was net.“

„Jesus Maria! Er wird do was g'sagt hab'n“

„Zum Fischerjackl geht er, hat er g’sagt,“ mischte sich eine andere Bubenstimme in's Gespräch, „bei die drei Deich’, ’n Sarg für d’ Mutter b’stell'n.“

„Zum Fischerjackl bei die drei Teich’?“

„Ja, ’n Sarg b’stell’n.“

„Dank’ Dir, Sepp! Bist Du’s?“

„Ja, i“

„Kriegst mei Kreuzl, Sepp.“

„Und 's Bildl?“

„Kriegst a, morgen! Jetzt gute Nacht!“

Zu den drei Teichen! Sie eilte fort, den Teichen zu. Der Sturm hatte plötzlich umgeschlagen; er heulte und tobte ihr jetzt entgegen. Nur Schritt für Schritt konnte sie, gegen ihn ankämpfend, die Höhe erklimmen. Ihre Kraft erlahmte im Kampfe gegen das wilde Element; sie mußte immer häufiger stehen bleiben, um Athem zu gewinnen; endlich konnte sie nicht mehr weiter; die Kniee sanken ihr zitternd; ihr Kopf glühte, und ihr Herz pochte übermächtig.

Sie setzte sich im Straßengruben nieder – und weinte. Da kamen Schritte die Straße herab.

„Wenn’s der Toni“ dachte sie. Die Erinnerung überkam sie, wie sie das schon einmal gedacht hatte, und wie dann statt des Geliebten der betrunkene Vater gekommen war. Es überlief sie eisig. Die Schritte kamen näher; eine hohe schlanke Gestalt hob sich dunkle vom matt erleuchteten Nachthimmel ab.

„’s is der Toni,“ dachte sie, aber die Thränen flossen weiter. Jetzt war die Gestalt ganz nahe.

„Toni!“ rief sie. Der Stirn verschlang ihre Stimme. Eine namenlose Angst befiel sie. Wenn er vorüberginge, ohne sie zu bemerken und sie auf weiter öder Haide einsam und allein bliebe! „Toni!“ schrei sie auf, und die Angst gab ihrer müden Stimme die Kraft, das Geheul des Sturmes zu übertönen.

Der Toni war’s wirklich. Er hob sie zu sich empor und trug sie mehr, als er sie führte, die Straße zurück, dem Dorfe zu. Er hatte seinen Arm um sie geschlungen, und die legte ihren Kopf an seine Brust. Ihr war so wohl, so sicher, wie noch nie. Jetzt sahen sie das Dorf vor sich liegen. Vorn stand einsam und dunkel, wie ausgestoßen, das Teichbauernhaus, doch drüben – just an der Stelle, wo der Himmelbauerhof stehen musste, leuchtete es weit über den nächtlich dunkeln Himmel hin … Das war Feuer!

„Jesus!“ rief der Toni. „Schau, Liesl, schau dorthin!“ Euer Hof brennt.

„Laß brennen!“ hauchte sie und drückte sich fester an seine Brust.

„Komm, Liesl! Wir müssen hin, müss’n helf’n, wo z’ helf’n is …“

„Laß brennen, sag’ i!“ wiederholte die Liesl erschaudernd und umklammerte seinen Hals. „Komm!“ flüsterte sie, „führ mi zu Dir! I bin so matt … i kann net weiter.“

„Nimm Di z’samm’, Liesl!“ hastete er „wir müss’n hin – vielleicht hat’s Dein Vatern im Schlaf überrascht. I hol’n raus, und wenn er mitten im Feuer liegt … Komm!“

Er versuchte sie fortzuziehen. Liesl umklammerte seine Hand und drückte sie an ihr Herz.

„Spürst Du’s schlagen?“ flüsterte sie inbrünstig. „Das schlägt nur für Di, nur für Di allein auf der ganzen Welt“

Das kennt kein’ Vatern und kein Herrgott – nur Di, Toni, nur Di!“

Toni riß sich los.

„Liesl!“ schrie er auf. „Liesl! – Und Dei Vater?!“

Noch einmal versuchte sie es, ihn zu umklammern. Ihr heißer Athem zitterte auf seinem Munde.

„Laß brennen, was brennt!“ sagte sie.

Er aber stieß sie von sich. „So nit!“^ rief er. „Der ganzen Welt zum Trutz solltest mein g’hör'n - aber so nit! So nit!“

Sie erwiderte nichts mehr. Bleich, mit weit geöffneten Blicken stand sie vor ihm und starrte ihn, wie aus einem schweren Traume erwachend, an.

„So komm!“ sagte sie endlich mit rauher Stimme.

Er wollte ihr die Hand reichen; sie stieß sie zurück und eilte vor ihm her, dem brennenden Himmelbauerhofe zu.

Verworrene Stimmen tönten ihr schon auf halbem Wege entgegen; dunkle Gestalten drängten und hasteten im weiten Kreise um das Haus, aus dessen Giebel die hellen Flammen aufschlugen und in den Nachthimmel emporzüngelten.

Vor dem Hause, an allerlei herausgerettetes Geräthe gelehnt, lag der Himmelbauer mit zerschmetterter Brust, wie ihn einige der Beherztesten auf den gellenden Hülferuf der alten Veronika doch endlich unter den Trümmern der eingestürzten Dachtreppe hervorgeholt hatten. Die Alte kniete neben ihm und hielt seinen Kopf in ihrem Schooße; der Bader untersuchte seine Wunden. Er schüttelte den Kopf.

„Holt’s den Hochwürdigen!“ flüsterte er den Umstehender zu.

Noch lebte der Himmelbauer. Die schwer verletzte Brust hob und senkte sich mühselig; die Augen standen weit auf, und ihr starrer ängstlicher Blick schien etwas zu suchen. Er öffnete wiederholt die Lippen und wollte sprechen, aber kein Laut kam heraus. Da plötzlich bäumte er sich mit letzter Kraft empor; die Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen die Hände zuckten krampfhaft. Er hatte Liesl erblickt, die sich durch die Umstehenden Bahn brach.

„Jesus Maria!“ schrie sie auf und stürzte in’s Knie. „Vater! Vater! Ihr werd’s do net sterbn woll’n?“ Sagt’s na, Vater – sagt’s na – oder i werd’ verrrückt … Vater, i hab' ja net g'dacht, daß´’s so schreckhaft werd’n wird … I hab’ja nur brennen lass’n, was eh’ scho brennt hat; i hab’ nur net g’löscht, weil i los hab’ kommen woll’n. Vater! Vater! Ihr dürft’s net sterben … Vater, i stirb mit Euch.“

Der Bauer streckte dir Hand nach seiner Tochter aus und zog sie zu sich nieder. „Laß – ab – von – dem da!“ flüsterte er ihr in's Ohr und deutete mit den Augen auf den Toni, der entsetzt seitab stand. „Er – is – sag i'hm's net wieder – i – will’s net – es – is –“ die Stimme verließ ihn.

„Vater!“

Der Alte richtete sich noch einmal auf.

„Laß Noch einmal versuchte sie es, ihn zu umklammern vom Toni!“ hauchte er dringender. „D’rin – in der Stub’n – in meinem Betbuch – find’st Alles schriftlich – der Toni is – is – Dei Bruder

Sein Kopf sank zurück, noch ein Röcheln, ein Krampfhaftes Zucken – nun war’s zu Ende mit ihm.

Liesl schnellte wie wahnsinnig empor.

„’s is net wahr,“ schrie sie in die Nacht hinaus. „’s is net wahr.“

Und ehe Einer ahnte, was sie beginnen wollte, sprang sie mit einem wilden Satze mitten durch die herabstürzenden brennenden Balken und Splitter in's Haus hinein und verschwand im Rauche.

„Liesl!“ rief ihr eine entsetzte Stimme nach. „Liesl!“

Der Toni war’s, er wollte ihr folgen, aber die Burschen hielten ihn zurück. Trotz aller Kraft, die sie anwendeten, riß er sich endlich los und sprang auf das Haus zu.

Zu spät. Ehe er es noch betreten konnte, stürzte das Dach mit einem furchtbaren Krach ein und begrub das Haus und alle Umstehenden in einer Wolke von Rauch, Schutt und glühender Asche.


***

Am nächsten Morgen, als der Brand ausgetobt hatte, suchten sie nach der unglücklichen Liesl. Sie fanden sie in der Stube des Bauers, von der herabgestürzten Asche versengt und erstickt, [216] stickt, doch vollkommen kenntlich, ja dem Anscheine nach fast unversehrt. Zu ihren Füßen lag, halb verkohlt, das Gebetbuch des alten Himmelbauers.

Einer der Knechte meinte, die Feuerliesl lebe noch. – Sie lebte nicht mehr. – Als die Weiber sie zu entkleiden begannen, um ihr das Sterbehemd anzuziehen, fanden sie ein Blatt in ihrem Mieder stecken. Auf dem Blatte stand, von einer fremden, im ganzen Dorfe unbekannten Hand geschrieben: „Der Teichbauer-Toni is mein und der Höller-Nannerl ihr Kind.“

Und darunter die Allen wohlbekannten, energisch verschnörkelten Züge: „Joseph Grundner, vulgo Himmelbauer.“



  1. Bild aus der Leidensgeschichte Jesu.