Textdaten
Autor: August von Schindel
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Titel: Fanny Tarnow
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aus: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts. Zweiter Theil, M-Z,
Nachträge aus dem Dritten Theil
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1825
Verlag: F. A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Digitalisat auf Commons
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[354] Tarnow (Fanny), geb. zu Güstrow, im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, am 17. December 1783. Sie ist die Tochter des damals dort mit dem Titel eines Commissionsraths angestellten Stadtsecretairs Joh. David Tarnow, der seit vielen Jahren als praktischer Jurist, ritterschaftlicher Einnehmer und Notar zu Neubuckow in Mecklenburg-Schwerin lebt. Ihre [355] Mutter Amalie Justine war die zweite Tochter des Landraths Franz Heinrich v. Holstein auf Großen-Buckow.

Im zarten Kindesalter von noch nicht vollen vier Jahren hatte sie das Unglück, aus dem zweiten Stockwerk des älterlichen Hauses zum Fenster herauszustürzen. Aeußerlich zwar, wie es schien, ohne Verletzung, raubte ihr doch dieser Fall ihre Gesundheit: sie verfiel in eine auszehrende Krankheit, die sie von allen Spielen und Freuden der Kindheit schied: sie wurde auf lange Zeit taub und konnte aus Schwäche nur auf Krücken gehen; an Unterricht war dabei nicht zu denken. Zum Glück konnte sie schon lesen, was sie bei sehr schlechter Anweisung in 4 Wochen gelernt hatte, und Lecture ward und blieb ihr einziger Zeitvertreib. Die Wahl der Lecture wurde von Niemanden geleitet. – Bis zum 9ten Jahr hielten die Aerzte sie für hoffnungslos krank; dann erklärten sie sie für gerettet. Aber bei dem tiefen Gefühl, das dem kleinen Wesen eigen war, litt sie schon damals durch manches, was ihr Kinderleben verdüsterte, so sehr, daß jene Entfernung aus dem väterlichen Hause und Genuß der Landluft für sie forderten. Ihre Tante, die Baronin Wilhelmine Lefort, die damals noch unverheirathet im Hause ihres Vaters, des Barons Lefort auf Müllenhagen lebte, nahm sie zu sich. Sie verlebte dort 2 Jahre, ohne Unterricht, ohne daß etwas Bestimmtes für ihre Erziehung und Bildung geschah; aber ihre Tante war ein vortreffliches Frauenzimmer, reich an Geist und Talent. Sie ließ die Kleine ungestört, und die innige Liebe, mit der diese der Tante zugethan [356] war, wurde für sie zu einem geistigen höchst wohlthuenden Lebenselement. Nach zwei Jahren verheirathete sich die Tante mit dem Major v. Winanke, der in Potsdam wohnt, und wünschte Fanny bei sich zu behalten: aber da deren innigste Liebe sich nicht zu längerer Trennung entschließen konnte, so kehrte sie ins älterliche Haus zurück; – ohne die geliebte Tante, die ihr immer ein Gegenstand inniger Verehrung und Liebe blieb, die sie mit der zärtlichen Liebe für ihre Mutter vereinigte. In diesem Zeitpunct fing sie an ihre Empfindungen in kleinen Liedern und Aufsätzen auszusprechen, die sie zum Einrücken in die Monatsschrift v. u. f. Mecklenburg an die Redaction sendete: allein die Freude selbst, etwas von sich gedruckt zu sehen, entriß ihr das Geheimniß ihrer Schreiberei nicht; sie wollte keine Schriftstellerin werden, und mit größtem Fleiß suchte sie Fertigkeiten in weiblichen Handarbeiten und alle zur Führung eines Hauswesens nöthige Kenntnisse sich einzusammeln. Ein Lächeln mag es wohl erregen, daß sie in ihrem 11ten oder 12ten Jahre unter der Maske eines alten Landpredigers lebhaften Antheil an einem Streite nahm, der in der erwähnten Monatsschrift über die Einführung eines neuen Gesangbuchs geführt wurde. Einsam und unbeachtet wie sie es war, übersehen im Kreis ihrer blühenden talentvollen Jugendgespielinnen, schüchtern, schwermuthsvoll und voll schwärmerischer Begeisterung für alles, was sich ihrem Sinn als schön und gut entgegenstellte, ahnte keinem, was sie sorgsam zu verbergen strebte. Seit ihrem 12ten Jahre genoß sie einer seltnen Unabhängigkeit, da sie fast immer [357] bei ihrem Großvater, dem Landrath von Holstein, lebte, der sie allen seinen Enkeln vorzog und jeden ihrer kaum ausgesprochenen Wünsche befriedigte. Zwischen ihrer Mutter, einer trefflichen, allgemein geliebten Frau, und Fanny Tarnow fand das schönste Verhältniß statt, das man sich zwischen Mutter und Tochter nur denken kann. Jene hatte große Freude an dem Geist der Tochter und sprach gegen sie den Wunsch aus, etwas von ihr gedruckt zu lesen. Dies bewog diese, eine im Journal f. deutsche Frauen erschienene Erzählung: Alwina von Rosen, zuerst mit ihrem Vornamen zu unterzeichnen. Rochlitz, der Herausgeber, munterte die ihm unbekannte Verfasserin zu fernern Beiträgen auf, und wurde bei fortgesetztem Briefwechsel ihr ernster, strenge tadelnder und freundlich ermunternder Freund. Sie ward als Verfasserin bekannt, und die Freude der Mutter für sie Veranlassung, ihre Mußestunden mehr literarischen Arbeiten zu widmen. Zum Frühaufstehen gewöhnt, wandte sie die Zeit vor dem Frühstück zu diesen Beschäftigungen an; der ganze übrige Theil des Tages von 9 Uhr Morgens an, gehörte der Handarbeit, den häuslichen Geschäften und der geselligen Unterhaltung, da ihre Verhältnisse viel und oft in glänzend geselligen Kreisen zu erscheinen forderten.

Ein tiefer, hoffnungsloser und doch geliebter Gram führte Fanny in ihrem 24sten Jahre (im Jahr 1807) dem Grabe zu: sie glaubte sich dem Tod geweiht; und in dieser Ueberzeugung schrieb sie als Vermächtniß, nicht für Viele, sondern für Einen, ihre Natalie, ein Beitrag zur Geschichte des weiblichen Herzens. [358] Sie genaß und mußte sich des neugewonnenen Lebens freuen, da sie als Tochter und Schwester, durch ihrem Herzen eben so heilige als theure Pflichten an das Leben gebunden war: aber jeder Reiz des Lebens, jede Hoffnung auf Glück schien für sie erstorben, und nur durch die Prüfung vieler und schwerer Leiden erhielt sie zu dem Muth der Pflichttreue, der ihr geblieben war, auch die Freudigkeit des immer heitern Friedens wieder.

Durch ihre Natalie gewann die Verfasserin außer dem Mitgefühl vieler guten Menschen und einer ihr sehr wichtig und schätzbar gewordenen Freundschaft, die Theilnahme einer edlen deutschen Fürstin, der Erbgroßherzogin Karoline von Mecklenburg-Schwerin, geb. Prinzessin von Sachsen-Weimar. Die Huld und Großmuth dieser Fürstin sicherte Fanny eine Lage, in der sie es sich vergönnen durfte, einzig für die Pflege ihrer Mutter zu leben, die von einem unheilbaren Brustübel ergriffen, unter qualvollen Schmerzen langsam, mit geduldig frommer Ergebung am 9. December 1815 starb. Wenig Wochen nach dem Tode ihrer Mutter verlor sie auch ihre erhabene Beschützerin. – Sie war früher eine Zeit lang Erzieherin in der liebenswürdigen Familie des Landraths v. Oerzen auf Roggow in Mecklenburg-Schwerin gewesen. Nach dem Tode ihrer Mutter ging sie nach Petersburg, um dort ihre theuerste und liebste Jugendfreundin zu besuchen, und nach ihrer Rückkehr lebte sie abwechselnd in Lübeck und Hamburg, bis sie 1820 Dresden zu ihrem bleibenden Wohnort wählte. – Ihre Schriften und einzelnen Aufsätze zeichnen sich sehr vortheilhaft aus.

[359] §. §. Die von ihr erschienenen Werke sind:

* Natalie, ein Beitrag zur Geschichte des weiblichen Herzens, von Fanny. Berlin 1812. (oder Kleine Roman-Bibliothek v. u. f. Damen. 4te Lief.) (1 Thlr.)

* Kleine Erzählungen von F. T. Berlin. 1817. 8. (1 Thlr. 18 Gr.)

Thorilde von Adlerstein, oder Frauenherz und Frauenglück, eine Erzählung aus der großen Welt, von F. T. Leipz. 1816. 8. (1. Thlr. 16 Gr.)

Mädchenherz und Mädchenglück, Erzählung für Gebildete, von F. T. Leipz. 1817. 8. (1. Thlr. 10 Gr.)

Briefe auf einer Reise nach Petersburg, an Freunde geschrieben, von F. T. Berlin. 1819. 8. (1 Thlr. 6 Gr)

Erzählungen. Leipz. 1820. 8. (1 Thlr. 18 Gr.) (Gemeinschaftlich mit A. Schoppe.)

Lilien. 2 Bde. Leipz. 1821. 8. (3 Thlr.) (Erzählungen: Erinnerungen aus Franziska’s Leben. Edle Minne. Eudoxia. Glaubensansichten. Erinnerungen aus dem Leben eines schwedischen Grafen. Treue und Dankbarkeit.) – 3ter u. 4ter Bd. Ebend. 1823. 8. (3 Thlr.)

Sidoniens Witwenjahre, nach dem Franz. frei bearbeitet. 2 Thle. Ebend. 1822. 8. (3 Thlr.)

Beiträge in sehr vielen periodischen Schriften:

* In d. Monatsschrift v. u. f. Mecklenburg in d. J. 1794, 1795. Kleine Lieder und Aufsätze; auch über die Einführung eines neuen Gesangbuchs, von einem alten Landprediger.

* Im Jornal für deutsche Frauen; herausg. von Wieland, Rochlitz. Leipzig. 1805, 1806. Alwine von Rosen, eine Erzähl. von Fanny.

* In Becker’s Rosen und Dornen, in Erzähl. und Scenen aus dem stillen häuslichen Leben. (2 Thle. Nürnb. 1817)

* Im Frauentaschenbuch. Jahrg. 1815. Augustens Tagebuch. – 1822. Amalia. – 1823. S. 197. f. Zwei Jahre aus Melaniens Leben. (Aus den Zeiten der Verschwörung) [360] des spanischen Gesandten zu Paris, Prinz Collemara. 1718.)

In d. Urania. Jahrg. 1812. S. 353–402. Cäcilie, eine Ehestandsgeschichte.

Im Frauen-Alman. z. Nutzen u. Vergn. Jahrg. 1818. Maria, eine Erzähl. – 1819. Fürst Olak und Fr. Lotte.

In d. Abend-Zeit. Jahrg. 1819. Nr. 114. Ueber das Theater in Lübeck. – 1820. Nr. 24–33. Dalinde von Linsingen.

In d. Zeit. f. d. eleg. Welt. Jahrg. 1819. Nr. 106–110. Chimene, Herz. v. Infantado. – 1824. Nr. 1. f. Die Freunde, eine Erzähl.

Im Morgenblatt. Jahrg. 1819. Nr. 232–238. Eudoxia, Peter des I. Gemahlin. – 1820. Nr. 164. Leo, Graf von Tönsberg.

In Uthe Sinnblüthen. Edle Minne, Bruchstücke aus den Memoiren des Grafen von Montbarry.

In d. Abendstunden, der geselligen Unterhaltung geweiht. (3tes Bdchen.) Franziska und Theodor (S. 1. f.)

In Gebauer’s Morgenröthe. Jahrg. 1819 u. 1821.

In d. Iduna. (An der sie bei dem 1sten Heft Mitarbeiterin war.) Bd. 1. S. 105–254. Karl von Bourbon und Margarethe von Valois, ein romantisches Gemälde.

In Philippi’s literar. Merkur. Jahrg. 1821. Nr. 21. Ueber die rohen Sitten der Hochschotten zu Anfang des 18ten Jahrhunderts. – 1822. Nr. 71. Frauenliebe und Frauenfreundschaft, eine Erzähl. – 1823. Nr. 73. f. Der Bettler, aus den Papieren des Grafen von L–m, Erzählung.

Vergl. Raßmann’s Gallerie. S. 34. 1.ste Fortsetz. S. 32. 2te Fortsetz. S. 71. u. Panthion S. 332.