Euphrosyne
Auch von des höchsten Gebirgs beeisten zackigen Gipfeln
Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne hinweg,
Lange deckt Nacht schon das Thal und die Pfade des Wandrers,
Der am tosenden Strom, auf zu der Hütte sich sehnt,
Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus,
Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch heute,
Segnend, kränze das Haupt mir mit dem heiligen Mohn!
Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber?
Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und Klüfte?
Denn kein irrdischer Glanz ist es der wandelnde dort.
Näher wälzt sich die Wolke! sie glühet. Ich staune dem Wunder!
Wird der rosige Strahl nicht ein bewegtes Gebild?
Suchet den treuen Freund, selbst in dem grausen Geklüft?
Schöne Göttin! enthülle dich mir, und täusche, verschwindend,
Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte Gemüth.
Nenne, wenn du es darfst, vor einem Sterblichen, deinen
Daß ich fühle welche du seyst von den ewigen Töchtern
Zeus, und der Dichter sogleich preise dich würdig im Lied.
„Kennst du mich Guter nicht mehr? und käme diese Gestalt dir,
Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes Gebild?
Schon der schaudernde Geist jugendlich frohem Genuß,
Aber ich hoffte mein Bild noch fest in des Freundes Erinnrung
Eingeschrieben, und noch schön durch die Liebe verklärt.
Ja schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt es die Thräne,
Sieh! die Scheidende zieht durch Wälder und grause Gebirge,
Sucht den wandernden Mann, ach! in der Ferne, noch auf.
Sucht den Lehrer, den Freund, den Vater, und blicket noch einmal
Nach dem leichten Gerüst irrdischer Freuden zurück.
Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht.
Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren Umstands.
Ach! wer ruft nicht so gern unwiderbringliches an!
Jenes süße Gedränge der leichtesten irrdischen Tage,
Klein erscheinet es nun, doch ach! nicht kleinlich dem Herzen;
Macht die Liebe, die Kunst jegliches Kleine doch groß.
Denkst du der Stunde noch wohl, wie auf dem Brettergerüste,
Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt?
Und belebtest in mir brittisches Dichtergebild,
Drohtest mit grimmiger Gluth den armen Augen, und wandtest
Selbst den thränenden Blick, innig getäuschet hinweg,
Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges Leben,
Freundlich faßtest du mich den gestürtzten, und trugst mich von dannen
Und ich heuchelte lang, dir an dem Busen, den Tod,
Endlich schlug ich das Aug auf und sah dich, Geliebter, in ernste,
Stille Betrachtung versenkt, über den Liebling geneigt.
Reichte, zum reinen Kuß, dir den gefälligen Mund.
Fragte: warum so ernst mein Vater? und hab ich gefehlet,
O! so zeige mir an, wie mir das beßre gelingt.
Keine Mühe verdrießt mich bey dir, und alles und jedes
Aber du faßtest mich stark und drücktest mich fester im Arme,
Und es schauderte mir tief in dem Busen das Herz.
Nein mein liebliches Kind, so riefst du, alles und jedes
Wie du es heute gezeigt, zeig es auch morgen der Stadt.
Dir von dem trockensten Aug’ herrliche Thränen herab.
Aber am tiefsten trafst du mich doch, den Freund, der im Arm dich
Hält, den selber der Schein früherer Leiche geschreckt.
Ach! Natur wie sicher und groß in allem erscheinst du,
Jahre folgen auf Jahre, dem Frühlinge reichet der Sommer,
Und dem reichlichen Herbst, traulich, der Winter die Hand.
Felsen stehen gegründet, es stürzt sich das ewige Wasser
Sich aus bewölkter Kluft, schäumend und brausend hinab,
Hegen, im Winter schon, heimlich, die Knospen am Zweig
Alles entsteht und vergeht gesetzlich, doch über des Menschen
Leben, dem köstlichen Schatz, herrschet ein schwankendes Loos.
Nicht dem blühenden nickt der willig scheidende Vater,
Nicht der jüngere schließt dem älteren immer das Auge,
Das sich willig gesenkt, kräftig dem schwächeren zu.
Oefter ach! verkehrt das Geschick die Ordnung der Tage
Hülflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst,
Um die Seiten umher strömende Schlossen gestreckt.
Und so, liebliches Kind, durchdrang mich die tief Betrachtung,
Als du zur Leiche verstellt über die Arme mir hingst;
Aber freudig seh ich dich nun, in dem Glanze der Jugend,
Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe, das Mädchen
Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran.
Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben
Bilde bey jeglichem Schritt steigenden Lebens, die Kunst.
Wünsch ich dein schönes Talent glücklich vollendet zu sehn.
Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen Stunde,
Deutend entwickelt ich mich an dem erhabenen Wort.
O! wie sprach ich so gerne zum Volk die rührenden Reden,
O wie! bildet ich mich an deinen Augen und suchte
Dich im tiefen Gedräng staunender Hörer heraus.
Doch dort wirst du nun seyn und sitzen, und nimmer bewegt sich
Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick,
Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! gestimmt,
Andere kommen und gehn, es werden dir andre gefallen,
Selbst dem großen Talent, drängt sich ein größeres nach.
Aber du vergesse mich nicht! wenn eine dir jemals
Deinem Winke sich fügt, an deinem Lächeln sich freuet,
Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt,
Wenn sie Fleiß nicht spart noch Mühe, wenn sie die Kräfte,
Selbst bis zur Pforte des Grabs, freudiges Opfer dir bringt
Euphrosyne, sie ist wieder erstanden vor mir!
Vieles sagt ich noch gern, doch ach! die Scheidende weilt nicht
Wie sie wollte, mich führt, streng, ein gebietender Gott.
Lebe wohl schon zieht michs dahin in schwankendem Eilen,
Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn!
Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod.
Denn gestaltlos schweben umher in Persefoneias
Reiche, massenweiß, Schatten, vom Nahmen getrennt.
Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.
Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet,
Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir.
Mild empfängt sie mich dann und nennt mich, es winken die hohen
Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber,
Auch Evadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl.
Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter gesandte,
Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick.
Und Polyxena trüb noch von dem bräutlichen Tod;
Seh ich als Schwestern sie an, und trete würdig zu ihnen,
Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie.
Bildete doch ein Dichter auch mich! und seine Gesänge,
Also sprach sie und noch bewegte der liebliche Mund sich
Weiter zu reden, allein schwirrend versagte der Ton.
Denn aus dem Purpurgewölk, dem schwebenden, immer bewegten,
Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor,
Wachsende Wolken, im Zug, beyde Gestalten vor mir.
Tiefer liegt die Nacht um mich her, die stürzenden Wasser
Brausen gewaltiger nun, neben dem schlüpfrigen Pfad,
Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender Jammer,
Wehmuth reißt durch die Saiten der Brust, die nächtlichen Thränen
Fließen, und über dem Wald kündet der Morgen sich an.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ WS:Druckfehler (Mil) ausgebessert.