Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau/§. 2. Diaconissenanstalt Neuendettelsau


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§. 2.
Diaconissenanstalt Neuendettelsau.
     Ehe wir nun zur Erzählung unsrer ersten Diaconissenzeit übergehen, dürfen wir nicht leugnen, wie wenig uns von Anfang an daran gelegen war, andern Diaconissenanstalten ähnlich zu werden. Wir haben keine Reise gemacht, um Fliedner’s große und mit Recht berühmte Arbeit anzusehen; wir haben kaum einen Bericht gelesen, wir haben uns die Gedanken je nach unsern Bedürfnissen gemacht und haben recht wohl gewußt, daß wir die Leute nicht waren, andern nachzufolgen. Obendrein waren wir ja Lutheraner, die bereits ihre Geschichte gehabt und abgeschloßen hatten, die nichts gewisseres wußten, als daß man ihnen von vielen Seiten her schon um ihrer Vergangenheit willen wenig Vertrauen schenkte. Dennoch sahen wir selbst in unsrer Vergangenheit gar kein Hindernis, unsrer Heimath zu dienen, sondern im Gegentheil glaubten wir, derselbigen unsern praktischen Dienst schuldig zu sein und es dabei getrost erwarten zu können, bis unsre Misgönner an dem von uns zu leistenden Dienst klar würden, was und wie wir es meinten. Was wir je und je gewollt hatten, schien uns recht zu sein, und daß man uns von vornherein weder glaubte noch zutraute, daß wir es gut meinten, schien uns nicht an unserm Verhalten, sondern an den Verhältnissen zu liegen, unter denen| wir nach Gottes Willen zu leben und die wir durch seine Gnade zu überwinden hatten. Es schien uns, als sei von uns geschrieben: „dazu seid ihr berufen.“
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     Wir haben schon bemerkt, daß der Verein für weibliche Diaconie gleich in seiner ersten Zeit drei Vorsteherinnen berief, welche für seine gesammte Thätigkeit die eigentliche Mitte bilden sollten. Die ersten beiden waren Memmingerinnen, zu denen man deshalb ein besonderes Vertrauen hatte, weil sie sich in einer wichtigen Zeit vorher, da das confessionelle Leben bei uns in Bayern kräftiger emporgegangen war, trotz der schwierigen Umstände, die damals stattfanden, sehr wohl und ernst benommen hatten. Die eine von diesen, Caroline Rheineck, war zwei Mal in Kaiserswerth gewesen und hatte sich wegen ihrer Augenleiden wieder zurückziehen müßen. Sie hatte hernach mit großem Beifall die Kinderschule ihrer Heimathstadt Memmingen übernommen. Bei den bedeutenden Talenten, die sie hatte, und ihrer sittlichen Haltung, hatte sie großen Anklang gefunden, und sie war es, die zur ersten Vorsteherin des Diaconissenhauses berufen wurde. Eine zweite, eine Tochter des Kirchenraths Rehm zu Memmingen, hatte ganz andere Gaben und Talente und trat nach dem schnellen Tode der ersten Vorsteherin an deren Stelle, und sie ist es, die seitdem nicht blos die Stelle der ersten, sondern geradezu die Stelle der Vorsteherin bekleidet und mit großem Verstand und Würde als Hausmutter das Ganze regiert hat. Die Stelle der dritten Vorsteherin ging nach dem Tode der ersten, Caroline Reineck, ein und wurde nie wieder besetzt, so daß es eine längere Zeit nur zwei Vorsteherinnen gab. Die dritte Vorsteherin schied später ohne äußere Ursache, blos nach eignem Ermeßen, aus dem Diaconissen-Verbande aus, bis sie dann späterhin auch freiwillig wieder eintrat. Die ersten drei Vorsteherinnen kamen zuerst im November des Jahres 53 versuchsweise| hierher und traten darauf im April 1854 definitiv ihren Beruf hier an. Bei dem großen Mangel an Platz, der hier je und je gewesen, wohnten sie zuerst mit sechs Diaconissenschülerinnen und zwei Hospitantinnen in den oberen Räumen des Gasthauses zur Sonne, wo früherhin auch Inspector Bauer und seine Missionsschüler gewohnt hatten, ehe er sich ein eignes Wohnhaus gekauft hatte. Überhaupt war das hiesige Gasthaus zur Sonne lange Jahre mit den hiesigen Anstalten verbunden, und was man auch an dieser Wohnung auszusetzen hatte, immer war sie den Anstalten erträglich und diese fanden ihr Gedeihen darin. So war es auch mit der werdenden Diaconissenanstalt. Bis zur Genehmigung des Programms und der Statuten der Anstalt wohnten die drei Vorsteherinnen mit ihrer kleinen Schaar, in der Sonne, als Privatanstalt, und man wagte es von hier aus am 9. Mai des Jahres 1854, am Tage Hiob, die Anstalt feierlich zu eröffnen. Nachmittags um 2 Uhr versammelten sich die Männer im dortigen Pfarrhause, Frauen und Jungfrauen der theilnehmenden Kreise in der Wohnung der drei Vorsteherinnen zur Sonne. – Von da aus zog man in die dicht besetzte Kirche, wo sich ein zahlreiches Publicum der Umgend versammelt hatte. Nach dem Orgelpräludium brach die Versammlung in die beiden ersten Verse des Liedes: „Komm heiliger Geistes“ aus. Zwei Zöglinge der Missionsanstalt vertraten die Stelle von Lectoren und lasen vom Orgelchor herunter als Evangelium des Tages Matth. 25, 31–46. und als Epistel Röm. 16, 1–16. Diese Lectionen fanden so tiefen Anklang im Herzen der Hörer, daß man hernach beschloß, sie beide als stehende Lectionen für den 9. Mai in der Anstalt zu behalten. Wirklich klingen seitdem die beiden großen Lectionen an Feiern und Feiertagen des Diaconissenhauses immer wieder. Darauf sang man V. 1 und 2 des Liedes| „Nun bitten wir den heiligen Geist.“ Hierauf Rede des Decans Bachmann als Vereins-Vorstandes, an deren Schluß derselbe Namens der Muttergesellschaft dem leitenden Collegium der Diaconissenanstalt in Neuendettelsau die letztere feierlich und förmlich übergab. Nach dem dritten Verse des angefangenen Liedes antwortete der Pfarrer Löhe als Vorstand des leitenden Collegiums dem Decan und acceptirte die geschehene Übergabe der Diaconissenanstalt, redete auch bei dieser Gelegenheit die Vorsteherinnen und die Schülerinnen der Anstalt, die sämmtlich am Altare versammelt waren, an. Nach dem vierten Verse jenes Liedes folgte noch eine Ansprache des erwählten Anstaltsarztes, Dr. Schilffarth. Darauf sang der Windsbacher Sängerchor „exaudi nos domine“ und Katechet Bauer sprach Gebet und Segen, worauf die Versammlung den ersten Vers des Liedes „Wie schön leucht uns der Morgenstern“ sang, und darauf zog man sich an die Orte zurück, von denen man ausgegangen war, und blieb vergnügt, bis nach 6 Uhr abends zusammen.

     Von da an war die Diaconissenanstalt als eröffnet anzusehen. Der Arzt eröffnete am 12. Mai seinen physiologischen Einleitungsunterricht zur leiblichen Krankheitspflege. Ebenso begann schon vorher der Unterricht des Geistlichen, während der dritte Lehrer der Anstalt, Cantor Güttler, die Zeit zwischen Eröffnung der Anstalt und dem Beginn seines Unterrichts anwendete und zum Behuf der ihm neben dem Gesangunterricht übertragenen und bereits in’s Leben getretenen Blödenanstalt die Blödenanstalt zu Winterbach in Württemberg besuchte. Der erste Curs der Diaconissenschülerinnen bestand aus folgenden Schülerinnen:

     Anna Dorothea Kreißel aus Habburg,
     Margarethe Endres aus Schwabach,

     Ursula Tieb aus Memmingen,
|      Johanna Prey aus Augsburg,

     Emma Tintz aus Allstätt in Thüringen,
     Katharina Hommel aus Fürth,
     Maria Hörner aus Schillingsfürst.

     Sonst fanden sich gleich zum ersten Curse acht Schülerinnen ein, die nicht eigentlich in Absicht hatten, Diaconissen zu werden, sondern Diaconissenbildung für ihre heimathlichen Verhältnisse suchten.

     Es war damals ein überaus reges und fröhliches Leben in der Diaconissenanstalt. Die Lehrer lehrten, die drei Vorsteherinnen repetierten den gesammten Unterricht und regierten das Haus, und alle Schülerinnen fügten sich herzlich gern in die engen Verhältniße zur Sonne, und wer von ihnen noch jetzt übrig ist, erschöpft sich zuweilen in das Lob und die Schönheit der ersten Zeit. Man könnte spaßend und doch im vollen Ernste sagen, so wohl sei es der Diaconissenanstalt nie gewesen als in der Sonne. Aber freilich bei aller dieser Herrlichkeit sah man schon damals, daß man in der Sonne nicht bleiben könne, sondern daß man eine ordentliche Wohnung bedürfte. Dettelsau besitzt ein altes ziemlich großes Schloß der Freiherren von Eyb mit einem angenehmen und hübsch gelegenen Garten. Dieses hätte man einfach beziehen können, wenn die Besitzer geneigt gewesen wären, es dem Diaconissenhause zu vermiethen. Das aber und alles andere gieng nicht, so daß man nothgedrungen an das Bauen denken mußte. Der Arzt des Hauses und andere unter uns besahen die nächst gelegene Umgegend und am Ende wurden alle einig, daß man den Ort wählen müsse, auf dem hernach mit eilender Entschloßenheit das Diaconissenhaus wirklich gebaut wurde. Es war der höchste Ort der Umgegend, nah am Walde, wo alle Tage die Rehe Besuch machten, eine Spitze mitteninne des Waldweges und des Petersauracher Weges, der sogenannte| Förthner’sche Hopfenacker. Der wurde erkoren. Professor Böhrer in Nürnberg zeichnete den Plan, der bald obrigkeitlich genehmigt war. Meister Scheuenstuhl von Kloster Heilsbronn bekam die Aufgabe des Baues, die Schwestern machten eine hohe Flagge, welche die ganze Bauzeit über vom Bauplatz wehte, und es entwickelte sich nun eine rasche und unaufhaltsame Thätigkeit, die keine Ruhe mehr hatte, bis der Grundstein zum Bau gelegt wurde und bis das Gebäude selber eingeweiht werden konnte. Die Grundsteinlegung geschah bereits am 23. Juni, St. Johannis des Täufers Vorabend. – Die Leiter und Freunde der Sache erachteten es für angemeßen, daß es auf eine würdige Weise unter Gebet und Segen aus Gottes Wort geschehe. Am Freitag nach Trinitatis, Nachmittags 4 Uhr, zogen sie, begleitet von einer ansehnlichen Zahl Theilnehmender aus der Nähe und Ferne hinaus zum Bauplatze. – Voran der Ortspfarrer mit dem Cantor der Missions– und Diaconissenanstalt, den Schülern der erstern und den Zöglingen des Pfarrwaisenhauses zu Windsbach, welchen sodann die anwesenden Geistlichen aus der Umgegend, die Vorsteherinnen mit den Diaconissen und Schülerinnen und die mitfeiernden Freunde und Freundinnen der Sache sich anreihten. Als der Zug dem emporwachsenden Gebäude sich etwa auf 100 Schritte genähert hatte, begann man mit dem Liede: „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld.“ An der südöstlichen Ecke des Baues machte man Halt, und Inspector Hensolt von Windsbach sprach: „Unsere Hilfe stehet im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ und verlas sodann die erste biblische Lection Evang. Matth. 20, 20–28. von den Kindern Zebedäi. Sodann betete Pfarrer Löhe die Collecte:
„Herr Jesu Christe, der du nicht kommen bist, daß du dir dienen laßest, sondern daß du dienest und gebest dein| Leben zu einer Erlösung für viele und bist ein Herzog worden aller derer, die da lieb haben und ihr Leben für die Brüder laßen: verleihe uns, deinen Knechten und Mägden, daß wir dir zu Dienst und denen, die nach deinem Willen leiden, dies Haus bauen und, wie wir es angefangen haben, es auch zu Ende bringen. Amen!“

     Darauf zog die Versammlung unter dem Gesang des 5. und 6. Verses vom angefangenen Liede an der Südseite des Baues weiter bis zur Stelle des Haupteinganges. Hier folgte der 2. biblische Abschnitt Joh. 13, 4–17. vom Fußwaschen, und es wurde die weitere Collecte gesprochen:

„O Herr, der du, obwohl ein Herr und Meister, deinen Jüngern die Füße gewaschen und deiner Knechte Leib und Seele mit deinem Blute gereinigt hast: gib allen denen, die in dies Haus eingehen wollen, dir in deinen Leidenden dienen zu lernen oder zu dienen, daß sie gesinnet seien, wie du, und es für Gewinn achten, deinen geringsten Brüdern die Füße zu waschen. Amen!“

     Darauf bewegte sich der Zug um die südwestliche Ecke des Baues bis zur Nordseite, wobei man V. 1–3 des Liedes: „Herzlich lieb habe ich dich, o Herr“ sang und darauf die berühmte 3. Lection Matth. 25, 31–46. gelesen und die Collecte gesprochen wurde:

„O Herr, der du alle Dienste, die man den geringsten deiner Kinder thut, ansehen willst als dir gethan: verleihe allen deinen Christen, daß sie deines großen Tages denken und von Herzensgrund voll himmlischer Begier nach deinen süßen Worten eifrig dienen deinen Armen. Amen!“
     Hierauf sang die Versammlung V. 1–3 des Liedes: „Fang dein Werk mit Jesu an“ und zog nach der nordöstlichen| Ecke des Baues, wo der Schluß des Grundsteines zu geschehen hatte, da an den übrigen Seiten der Bau bis über den Sockel hinausgediehen war. Hier ergriff nun Decan Bachmann von Windsbach als Vorstand des Vereins das Wort und sprach die Versammlung in der nachfolgenden Weise an:
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     „Es ist noch nicht lange her, meine Lieben, daß wir dort in jenem freundlichen Kirchlein versammelt waren und in Gedanken herausgeblickt haben auf dieses Feld, das dazumal noch voll roher Stöcke und Steine lag. Wir haben da einem im Interesse der leidenden Menschheit gefaßten Liebesgedanken durch Eröffnung unserer Diaconissenanstalt den ersten thatsächlichen Ausdruck gegeben und dabei wie aus weiter Ferne noch nach einem Hause hinausgesehen, das dieser Anstalt wiederum zur Vermittlung ihrer Zwecke dienen möchte. Und siehe! jetzt, nach Verlauf von einigen Wochen schon, stehen wir da – nicht, um etwa erst den Grundstein dieses Hauses zu legen, sondern um dieses bereits einige Schuh hoch über die Erde heraufgewachsene Gemäuer mit unsern Liedern und Gebeten zu begrüßen. Ist das nicht ein sprechender Beweis, daß der Herr Wohlgefallen hat an unserm Werk und Wege – nicht ein sichtbares Unterpfand, daß Gott auch weiterhin uns gnädig sein und seine Hand nicht von uns abthun werde? Und wie könnte es auch anders sein – bei einer Sache, wie die ist, der dieser Hausbau dienstbar werden will – die eben darum, weil sie im Interesse der leidenden Menschheit betrieben wird, zugleich auch recht eigentlich die Sache Dessen ist, der gesagt hat: „Was ihr der Geringsten Einem unter meinen Brüdern thuet, das thut ihr mir?“ Fürchtet nicht, daß ich mich auf’s Neue in eine Darlegung der Bestimmung dieses Hauses oder in Lob und Preis des Segens verlieren werde, den wir von demselben erwarten – nein, es sind das schon wiederholt besprochene und Euch zur Genüge geläufig gewordene Dinge. Lediglich den Gefühlen, die sich beim Rückblicke in die Vergangenheit und beim Hinausblick in die Zukunft in meinem Herzen bewegen, einen kurzen schwachen Ausdruck zu geben, bin ich gegenwärtig vor Euch aufgetreten. Indem ich zu dem Ende diese Hand zum Himmel erhebe, um – wenn es möglich wäre, Gottes Hand zu ergreifen und dankbar für die Freundlichkeit zu küßen, mit der Er sich bis jetzt schon zu unserem Unternehmen bekannt hat, strecke ich meine andere segnend über dieses Gemäuer aus, in der getrosten| Zuversicht, daß, der das gute Werk angefangen hat, es auch vollführen wird bis an den Tag, von welchem an man keiner solchen Häuser mehr bedürfen, sondern in jenen Hütten wohnen wird, da kein Tod und kein Leid und kein Geschrei und kein Schmerz mehr ist, da Gott abwischen wird alle Thränen von unseren Augen. Aber nicht meinen Segen allein soll und will ich auf diese Stätte legen, sondern auch den all der lieben Brüder und Schwestern, die mit mir zu dem Liebeswerke, dem dieses Gebäude dienen soll, verbunden sind. Vernehmet deshalb mit Aufmerksamkeit den Inhalt dieses Actenstücks in meinen Händen hier, das eine wortgetreue Abschrift ist des in diese Kapsel verschloßenen, zur Einlegung in diesen Eckstein bestimmten Originals. Dasselbe ist von allen Unternehmern, Lehrern, Helfern und Helferinnen unsres Vereins für weibliche Diaconie, sowie der Diaconissenanstalt dahier unterzeichnet und lautet folgendermaßen.“

     Decan Bachmann las hier das Document nach seinem folgenden Wortlaut:


Im Namen Jesu.
Im Jahre des Heils 1854,
     am 23. Junius an St. Johannis des Täufers Vorabend, an einem Freitag Nachmittags 5 Uhr,
ist der Grund und Sockel dieses Diaconissen- und Krankenhauses feierlich geschloßen und durch Gebet und Gottes Wort geweiht worden.
     In demselbigen Jahre herrschte über diese fränkischen Gaue König Maximilian II., Herzog von Bayern. Derselbe war, obwohl der römisch-katholischen Kirche zugethan, menschlichen Rechtes summus episcopus der lutherischen Kirche in seinem Königreich, regierte aber dieselbe Kirche durch ein Oberconsistorium ihres eigenen Glaubens, an dessen Spitze er als Präsidenten gesetzt hatte den lutherischen Dr. theologiae Adolf Harleß von Nürnberg. Dieser war der erste Oberconsistorialpräsident geistlichen Standes, nachdem alle seine Vorgänger Juristen gewesen waren. Der HErr wolle das Wort der Wahrheit durch die Hand dieses Mannes fortgehen laßen und siegen in dieser armen bayerischen Landeskirche!
     Neuendettelsau war zur selben Zeit eine lutherische Parochie, in deren Mitte die Pfarrkirche St. Nikolai zu Neuendettelsau stand. Zu dieser gehörten als Filialkirchen die Kirche St. Laurentii zu Wernsbach und die Kirche zu Reuth, auf deren Altar das Bildnis Johannis des| Täufers stand. Außer den genannten Dörfern pfarrten nach Neuendettelsau das Dorf Bechhofen an der Rezat, das Dorf Haag, der Birkenhof, die Geichsenhöfe sammt Mühle und die Froschmühle. Pfarrer zu Neuendettelsau war Johann Conrad Wilhelm Löhe, von Fürth gebürtig. Cantor und Schullehrer war Andreas Kamberger von Großgründlach.
     In dem Orte Neuendettelsau war damals eine Missionsschule, welche bereits viele Gemeinden von ausgewanderten Deutschen in Nordamerika mit Predigern und Schullehrern versehen hatte. Vorsteher der Missionsschule war der ordinierte Predigtamtscandidat Friedrich Bauer von Nürnberg, welcher in Gemeinschaft mit dem genannten Pfarrer und dem dritten Lehrer und Cantor der Anstalt Georg Güttler von Neuendettelsau in jenem Jahre neun Schüler für den Dienst der nach Nordamerika ausgewanderten Deutschen und der Heiden unterrichtete. Beihilfe in der Lehre leistete auch Pfarrer Johann Tobias Müller zu Immeldorf.
     Auch war zu Neuendettelsau in dem genannten Jahre eine Diaconissen- und Krankenanstalt errichtet worden, die erste lutherische Anstalt für diesen Zweck in Bayern. Der genannte Pfarrer im Verein mit dem praktischen Arzte Dr. Schilffarth von Windsbach und dem Anstaltscantor Georg Güttler von Neuendettelsau unterrichtete bereits zwölf Schülerinnen, von denen sich sieben dem eigentlichen Dienste der Diaconissen geheiligt hatten, fünf aber dieselbe Ausbildung genaßen, um in ihren gewöhnlichen heimatlichen Lebenskreisen, in den Häusern ihrer Eltern oder, wohin sie Gott führen würde, zum Dienste der Unmündigen und der Leidenden tüchtig zu werden.
     Damit diese Diaconissenanstalt ihre Zwecke desto beßer erreichen möchte, baute der im heutigen Jahre entstandene Verein für lutherische Diaconie in Bayern dieses Haus.
     Vorsteherinnen dieses Vereins und der Diaconissenanstalt waren Jungfrau Karoline Rheineck von Memmingen, Jungfrau Amalie Rehm von Memmingen und Jungfrau Helene v. Meyer von Nürnberg. Vorstand im Helfercollegium des Vereins war Eduard Bachmann, Decan der lutherischen Diöcese Windsbach und Stadtpfarrer zu Windsbach. Vorsteherin des Collegiums der Helferinnen war dessen Gattin, Frau Emilie Bachmann.
     Dieses Haus ist gebaut nicht aus dem Reichthum der Unternehmer, sondern auf Wagnis des göttlichen Wohlgefallens. Die Kosten| des Baues wurden durch Geschenke, unverzinsliche und verzinsliche Darlehen aufgebracht. Durch nach und nach einkommende Geschenke sollen die Schulden bezahlt werden. Am Tage der heutigen Feier, wo bereits Keller und Sockel sammt dem Brunnen fertig waren, und die westliche Mauer sammt einem Theile der südwestlichen mehr als Fensterhöhe erreicht hatte, war Hoffnung vorhanden, daß der Herr der barmherzige Gott alle Sorge auf sich nehmen und unserem Vorhaben sein gnädiges Gedeihen schenken werde.
     Dies Haus soll sein wie ein Altar des Zeugnisses auf dieser Höhe dem HErrn, dem dreieinigen Gott, dem Vater, Sohne und Geiste, zum Ruhm und Preis und Dank für seine ewige Barmherzigkeit und Gnade gegen uns arme Menschen auferbaut. Der Herr laße sich unsere arme Stiftung wohlgefallen und laße dies Haus Sein Haus sein, bis seine Zeit vorüber ist, und es wie alle irdischen Dinge dahin fallen wird. Es kann niemand einen andern Grund legen, als den, welcher auch diesem Hause gelegt ist, unseren einigen hochgelobten HErrn und Heiland Jesum von Nazareth, den Christus Gottes. Auf diesem Grunde soll bleiben dies Haus bis an sein Ende. Gesegnet seien die in diesem Hause und über diesem Grunde wohnen, wandeln, dienen, leiten und lehren! Gesegnet seien die Lernenden, die Übenden, die Kranken, die Sterbenden auf diesem unserem einigen Grunde! Der Segen gehe aus von diesem Hause rings in dies Land wie die Quelle Siloah, die still ist und klein, und dennoch reich und hochberühmt im Hause Gottes! Gottes Gruß und Segen gehe in barmherziger dienender Liebe von diesem Hause aus in die vier Winde auf die Berge und in die Thäler und in die Breiten unseres Heimatlandes! Es sei auch Friede mit diesem Hause und mit denen, die drin wohnen, und das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes reinige uns von aller unserer Sünde! Amen.
     Neuendettelsau, den 23. Juni am Johannisvorabend 1854.
Karoline Rheineck. Amalie Rehm. Helene v. Mayer. Eduard Bachmann, Decan und Pfarrer von Windsbach. Dr. Schilffarth. Müller, Pfarrer zu Immeldorf. Kündinger, Pfarrer zu Petersaurach. Hensolt, Inspector des Pfarrwaisenhauses zu Windsbach. Fischer, Pfarrvicar zu Weißenbronn. Friedrich Bauer, Inspector der Missionsanstalt. Johann Georg Güttler, Anstaltscantor. Löhe, Pfarrer von Neuendettelsau. Wilhelmine Hensolt. Sophie v. Tucher. Julie Bauer.
| Nach geschehener Vorlesung des Documents richtete Decan Bachmann an Pfarrer Müller von Immeldorf die Aufforderung, die Kapsel mit dem Originale in das Gemäuer einzulegen und ein Wort der Weihe darüber zu sprechen. Demgemäß sprach dieser darauf die folgenden schönen Worte:
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     „Im Namen des dreieinigen Gottes schließen wir nun diesen Grundstein und befehlen, wie es Christen geziemt, das Werk unserer Hände der gnädigen Hilfe dessen, der gesagt hat: „Ohne mich könnet ihr nichts thun.“ Ganz abgesehen von der besondern Bestimmung des Hauses, das hier erbaut werden soll, führt an sich schon dieser, wie jeder andere Bau uns auf geistliche Betrachtungen, die wohl werth sind, daß wir, die leibliche Arbeit unterbrechend, einige Augenblicke dabei verweilen. Wer die heilige Schrift kennt, der weiß, wie so viele lehrhafte, mahnende, trostreiche Gleichnisse dieselbe von menschlichen Bauwerken hernimmt, Bilder, in welchen Leibliches geistlich gedeutet, das Irdische und Vergängliche im Lichte des Ewigen und Unvergänglichen verklärt wird. Können wir, meine Lieben, an die Aufgabe denken, der wir uns unterzogen haben, an das Wenige, was bereits gethan, und an das Viele, was noch zu thun ist, bis wir werden sagen können: „Nun Gott lob! es ist vollbracht“ – ohne uns des Psalmspruchs zu erinnern: „Wo der HErr nicht das Haus bauet, da arbeiten umsonst, die daran bauen?“ Ja freilich, wenn Er zerbricht, so hilft kein Bauen: darum eben heben wir jetzt betende Herzen und Hände zu dem großen Gotte Himmels und der Erde empor, damit Er zu unserm Werke seinen Segen, zu unserm Wollen das Vollbringen gebe nach seinem Wohlgefallen. Der Grund des Hauses ist gelegt, und einen guten, sichern, festen Grund, wie ihn kluge Bauleute nur immer wählen können, haben wir hier gefunden; denn diese Steine ruhen auf Felsen, die unter ihrer Last nimmer weichen werden. Aber dieser Grund genügt uns nicht; wir wißen, daß wir eines noch festern, eines unbeweglichen bedürfen. Darum freuen wir uns der Verheißung: „Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist.“ (Jes. 28, 16.), und weil wir wißen, daß unsere Sache des HErrn ist, so dürfen wir Ihn, JEsum Christum, im Glauben bitten, daß Er selber mit seiner schaffenden, wirkenden, erhaltenden Gnade der Grund und Eckstein dieses Hauses sein wolle, damit es in seiner heiligen Obhut bleibe und bestehe.| Des Sinnes sind wir ja doch alle, daß wir in Amt, Haus und Herz keinen andern Grund legen wollen, als den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau in einander gefüget, wächset zu einem heiligen Tempel des HErrn. Das wollen wir also, neben unserm Unvermögen, ohne Gottes Hilfe etwas ausrichten zu können, laut bezeugen, daß dieses Haus nur dann seiner Bestimmung werde genügen können, wenn Christus der HErr in demselben und in allen denen wohnt, wirkt und lebt, die in diesen Räumen wohnen, wirken und leben werden. So wird dieses Haus, wie wir es ja herzlich wünschen, der Gemeinde, in deren Mitte es aufgerichtet wird, der Umgegend, welcher es einen geistlichen Halt gewähren soll, der ganzen Landeskirche, der es dienen will, und über die engen Grenzen desselben hinaus noch vielen Andern zum Segen gereichen und ein Geruch des Lebens zum Leben wird von demselben ausgehen zur Ehre des HErrn, dessen Name hier bekannt wird. Eine Anstalt, welche wie diese dem Dienste geistlich und leiblich Leidender gewidmet ist, hat man schon lange als ein Bedürfnis für unsere Zustände erkannt; aber darauf kommt es an, daß das erkannte und tiefgefühlte Bedürfnis auch in rechter Weise befriedigt werde. Nun, der Anfang dazu ist im Glauben gemacht, im Glauben soll das Werk fortgeführt werden, damit es bestehe im Lichte der göttlichen Gnade. Heute, da wir dem bereits gelegten Grunde den Schlußstein einfügen, sprechen wir: Bis hieher hat der HErr geholfen! Und dabei haben wir die Zuversicht, daß hier Seine Hilfe noch nicht aus sein, Seine Barmherzigkeit noch kein Ende haben werde. Nein, wir wißen, sie wird auch ferner alle Morgen neu werden über die, so an dem Bau mit irdischem Material arbeiten, daß kein Unfall beim Fortführen desselben sie betreffe und Schaden und Gefahr von jedem ferne bleibe; sie wird immer wieder neu werden, die Barmherzigkeit unseres großen Gottes und Heilandes über die, so in dieses Haus dereinst einziehen werden, dem HErrn in seinen armen Gliedern da zu dienen, und zumal an denen wird Seine Liebe und Treue sich nicht unbezeugt laßen, die hieher ihre Zuflucht nehmen werden, um, wie sie’s bedürfen, leibliche und geistliche Genesung hier zu suchen und, will’s Gott, auch zu finden. Wir leben alle von der Gnade des HErrn, welche bei denen ist, die Seinem Namen trauen. Laßet uns Ihm die Ehre geben, so läßt Er uns nicht zu Schanden werden; laßet uns auf Ihn uns gründen und bauen, so wird unsere Arbeit nicht vergeblich sein in dem| HErrn! Wie dieser Bau in die Höhe steigen wird, so müße unser Glaube, unsere Liebe, unsere Hoffnung wachsen; wie da Stein an Stein gefügt wird, so müßen wir als die lebendigen Steine uns bauen zum geistlichen Hause und zum heiligen Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind, durch JEsum Christum, und wie wir dieses Hauses uns freuen werden, wenn es mit des HErrn Hilfe aufgerichtet stehen wird, so müßen wir uns noch vielmehr freuen, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Spreche der HErr dazu sein gnädiges Amen! Unsere Hilfe stehet im Namen des HErrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Und der HErr, unser Gott, sei uns freundlich, und fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das Werk unserer Hände wolle Er fördern.“ –

     Hiemit wurde die Kapsel in den Grundstein eingelegt und derselbe „Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ mit den drei üblichen Hammerschlägen geschloßen, auf welches sodann die Hammerschläge der übrigen Anwesenden in herkömmlicher Weise folgten.

     Nachdem in solcher Weise der Grundstein geschloßen war, intonirte Herr Katechet Bauer die Schlußliturgie:

Einen andern Grund kann niemand legen, denn der gelegt ist.     Chor: Hallelujah!
Es ist in keinem andern das Heil.     Chor: Hallelujah!     Der Herr sei mit euch.     Chor: Und mit deinem Geiste.
Laßet uns beten:
     O HErr, allmächtiger Gott, verleihe, daß alle, die aus diesem Grunde bauen und solchem Bau mit reinem Herzen dienen, am Leibe stark und heil an ihren Seelen ihrer Hände Arbeit im Segen thun und wohl vollbringen. Durch unsern HErrn JEsum Christum, Deinem Sohn, der mit Dir lebet und herrschet immer und ewiglich. Chor: Amen.
Der HErr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände.     Chor: Hallelujah.     Ja das Werk unserer Hände wolle Er fördern.     Chor: Hallelujah.
Der HErr sei mit euch.     Chor: Und mit deinem Geist.
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Laßet uns beten:
     All unser Thun, o HErr, wollest Du mit Deinem Geiste beginnen und durch Deine Hilfe fördern, auf daß unser Thun und Vornehmen stets mit Dir beginne und durch Dich zum guten End und Ziel gelange. Durch unsern HErrn JEsum Christum.     Chor: Amen.
Laßet uns benedeien den HErrn.     Chor: Gott sei ewiglich Dank.
Der HErr segne euch und behüte euch. Der HErr erleuchte sein Angesicht über euch und sei euch gnädig. Der HErr erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden.     Chor: Amen.


     Der Gesang von V. 4 u. 5 des Liedes: „Fang dein Werk mit Jesu an“ schloß den Act.

     Auf diese Weise wurde die Feier der Grundsteinlegung des Diaconissenhauses gehalten.

     Der Bau nahm seinen erwünschten Fortgang, so daß man hoffte, ihn bis Ende Juli unter Dach zu sehen. Das 100 Fuß lange, zweistöckige Hauptgebäude nebst dem 65 Fuß langen Flügelbau glaubte man noch frühzeitig im Herbste beziehen zu können und auch den andern Flügel wollten Freunde auf ihre Kosten gerne noch herstellen laßen, wenn es nur möglich gewesen wäre. Allein man sah voraus, daß außer den 125,000 Backsteinen, die zu dem Hauptgebäude und dem einen Flügel noch erforderlich waren, für dieses Jahr kein weiteres Baumaterial mehr herbeizuschaffen war und mußte daher den Eifer bis in das nächste Jahr kühlen.

     Eine vorzüglich dankenswerthe Gabe Gottes war schon damals ein ergiebiger Brunnen mit vortrefflichem Waßer. Bei der Höhe der Lage war man ängstlich geworden, als man 50 Fuß tief graben und arbeiten mußte, ehe sich nur Waßer zeigte. Die ganze Lage von Dettelsau ist so, daß man ringsum kein lebendiges Waßer zu finden wußte, denn die spärlichen Quellen, die man später fand, kannte man damals noch gar nicht, und wenn man sie gekannt hätte, hätten auch sie keine Hoffnung gegeben. Deshalb aber kam in die Seele| der Bauunternehmer nicht der geringste Zweifel. Man baute freudig fort und traute dem von Tag zu Tag sich mehr offenbarenden Gottessegen ohne Wanken, bis man endlich so weit gekommen war, daß man am 20. September 1854 in einer öffentlichen Ankündigung für den 12. October, den Maximilianstag, die Freunde unseres Unternehmens zur öffentlichen Einweihungsfeier einladen konnte.
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     Alles wurde angewendet, dies Ziel zu erreichen und wir hatten damals in der That nicht zu klagen, daß uns viele Hindernisse entgegengekommen wären. Einen solchen Fleiß und Eifer der Bauleute haben wir späterhin nicht wieder zu sehen bekommen. – Insonderheit hatten wir einen Haufen Schopflocher Maurer im Dienste, denen wir alles und jedes zumuthen durften, Arbeit des Nachts, wie Arbeit am Tage und eine ausnehmende freudige Willigkeit. Überhaupt aber sahen wir uns von allen Seiten unterstützt. Die Landleute der Gegend halfen und frohnten, wie man es aus früheren Zeiten bei Kirchenbauten zu hören gewohnt war, und wenn man sich zuweilen erinnerte, daß man am 9. Mai noch in der Sonne wohnte, am St. Johannisabend den Grundstein legte und nun bereits am 20. September die gesicherte Hoffnung hatte, am 12. October einen verhältnißmäßig so großen Bau einzuweihen und gleich zu beziehen, so schien es, als hätte Gott der Herr selbst unmittelbar zur Sache geholfen. Alles freute sich auf das schöne Ende der schön gewesenen Bauzeit. Als nun aber der Maximilianstag herzukam, da drohte die Freude zu Waßer zu werden. Der heitere Himmel umwölkte sich und die ganze Gegend wurde in strömenden Regen eingehüllt, so daß Weg und Land durchweicht wurden und bald ernstliche Zweifel erwachten, ob es wirklich zu einem Feste, geschweige zu einem großen Festzuge würde kommen können. Dennoch aber sammelte sich’s von nah und fern zur| Feier. Weg, Wetter und Regen boten kein Hindernis, und wir erlebten es, mitten im Schmutze eines armen Dorfes ein überaus fröhliches Freudenfest zu feiern. – Am ersten November des Jahres 1854 erschien in dem Correspondenzblatt der Gesellschaft für innere Mission eine Beschreibung des fröhlichen Festes, die wir hier wiedergeben wollen und die wir, wenn es nicht des Guten gar zu viel wäre, noch dadurch erhöhen könnten, daß wir sie mit manch schöner Stelle aus einer andern damals erschienen Beschreibung (siehe das Blatt Nr. 42 vom 19. October 1854 in Wiener’s evangelisch–lutherischer Kirchenzeitung in Bayern) versetzen würden. Das Correspondenzblatt referirt in folgender Weise:
     „Schon am Tage vor der Einweihung waren viele Freunde des Werks, so viel ihrer in den beschränkten Räumen des Dorfes Herberge finden konnten, eingetroffen. Der Nachmittag und Abend bot den versammelten Gästen, meist Geistlichen von nah und ferne, Gelegenheit, diese und jene wichtige Angelegenheit der Kirche zu besprechen und im brüderlichen Kreise der Einigkeit des Geistes und Glaubens sich recht bewußt und dessen froh zu werden.
     Der Morgen des Festtages brachte der Gäste mehr, und der Gottesdienst am Morgen des Maximilianstages vereinigte sie zu ernster Feier. Pfarrer Löhe predigte über Ps. 73, 25 und 26: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde etc.“ und führte mit eindringlichen Worten den Hörern die Wahrheit zu Gemüthe, wie wenig der Mensch Ursache habe, und wie wenig es Befriedigung gebe, mit Wohlgefallen in seinen Werken, statt allein in Gott, zu beruhen; wie der nur der Lehre von der Rechtfertigung mit ganzem Glauben zufalle, der in Abgeschiedenheit von allen Dingen aller Dinge wahren Werth erkennend sich allein an seinem Gott in Christo Jesu genügen laße; wie eben daraus das Maß und die Kraft und der Segen der rechten Liebe fließe, daß sie nichts anderes suche, als Jesu Ehre und der Brüder Heil etc.
     Mit jeder Stunde des Tages mehrte sich die Zahl der Festgäste, wiewohl vom frühen Morgen an der Himmel in Strömen sich ergoß, als wollte er Ströme des Gnadenregens für die junge Pflanzung| weißagen, für die heute so viele Gebete zum Himmel aufsteigen sollten. So manche Beschwerde dieser Umstand auch brachte, so war doch nicht zu bemerken, daß er die freudige Feststimmung bei Gästen und Einheimischen verscheuchte.
     Ein einfaches Mittagsmahl von ungefähr 80 Gedecken in dem Gasthause und in dem Locale, welches bisher den Vorsteherinnen und Schülerinnen der Diaconissenanstalt zum Aufenthalt gedient hatte, vereinigte die namhaftesten anwesenden Festgäste. Die Frauen des Hauses dienten zu Tische und alle freuten sich der lieblichen Tischgemeinschaft von glaubenseinigen Brüdern und Schwestern im HErrn.
     Um 2 Uhr Nachmittags sollte die eigentliche Festfeier beginnen. Der Regen hatte es unmöglich gemacht, sie vor dem Hause, das eingeweiht werden sollte, abzuhalten. Man versammelte sich daher zu der festgesetzten Stunde im Gotteshaus. Aber dieses vermochte die Menge der Theilnehmenden nicht zu faßen, so daß viele draußen im Regen stehen mußten. Die Feier wurde eröffnet mit Gesang und der Festrede des Herrn Decans Bachmann von Windsbach, in welcher er mit Anschluß an Luc. 5, 17–26. das Verhältnis des Festhauses zum Reiche Gottes auseinandersetzte und den Inhalt der Ermahnungen, die er mit wohlthuender Wärme allen an’s Herz legte, in die ähnlich klingenden und innerlich verwandten Worte „Gébet“ und „Gebét“ zusammenfaßte. Darauf folgte eine Reihe von Liedern und Lectionen, welche letztere theils aus der Schrift, theils aus den Vätern unserer Kirche genommen, theils eigens dazu gefertigt waren. Sie waren gedruckt in aller Händen und wurden mit spürbar steigender Erbauung aus dem Munde der verschiedenen dazu aufgestellten Lectoren, Schülern der Missionsanstalt, von der Versammlung vernommen und aus tiefster Seele mit mächtigem Liederschall erwiedert. Ein kräftiges von der ganzen Versammlung gesungenes Te Deum machte den Schluß dieses gewis an jeder Seele gesegneten Festtheiles. – Namentlich für diejenigen, welche nicht beiwohnen konnten und nicht in Besitz dieses Erinnerungsblattes sind, laßen wir den Gedankengang folgen, welcher der Wahl der Lectionen zu Grunde lag.
  1. Lect. Matth. 20, 20–28. Der Dienst des HErrn in der Erlösung der Welt.
  2. Lect. Joh. 13, 4–17. Der Dienst des HErrn im täglichen Fußwaschen.
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  3. Lect. Matth. 25, 31–46. Seine Forderung an die Kirche, Ihm im Dienste und in der Barmherzigkeit nachzufolgen.



  4. Lect. Aus Scriver’s Seelenschatz. Daß Anschlagen verwandter Saiten anzudeuten, daß die Noth des Christen im Herzen des HErrn und der Brüder wiederklingt.
  5. Lect. Aus Scriver. Der Barmherzigkeit Art, Beschaffenheit und verschiedene Erweisung.
  6. Lect. Aus Heinrich Müller. Freiwilligkeit der Barmherzigkeit.



  7. Lect. Das hohe Beispiel Jesu und seiner Apostel in der Barmherzigkeit.
  8. Lect. Das Beispiel der Helden in der Barmherzigkeit, die sich des fränkischen Volkes angenommen und es zu Christo und einem beßeren Leben führten.
  9. Lect. Das Beispiel heiliger Freunde, insonderheit der Diaconissin von Franken, der h. Walpurgis.



     Von der Kirche aus setzte sich der Festzug in Bewegung in folgender Ordnung: Den Zug eröffneten die Werkleute, dann folgte der Chor: die Schuljugend der Gemeinde, die Schüler des Windsbacher Waisenhauses, die Missionszöglinge, dann die Kirchenvorstände der Gemeinde Neuendettelsau. Darauf folgten die Helferinnen der Muttergesellschaft, die Vorsteherinnen und Schülerinnen der Anstalt; sodann die Lehrer der Anstalt mit den Helfern der Gesellschaft. An sie schloßen sich in langen Zügen die weiblichen und endlich die männlichen Festgäste an. Der Anblick des festlich mit Blumen und Kränzen geschmückten Hauses, das in ländlicher Einfalt den erhabenen Ernst seiner Bestimmung unverkennbar an der Stirne trägt, – bewegte sichtlich alle Gemüther.
     Angesichts des wohlgelungenen Werkes, das aus seiner Höhe mit dem Panier des Kreuzes weit hin in die fränkischen Gauen leuchtet als ein Denkmal des Glaubens und aufopfernder barmherziger Liebe, war es ein Kleines, des durch den Regen verschlechterten Weges mit seinen Beschwerden zu vergeßen. Der Regen hatte nachgelaßen. Alles stellte sich vor dem Hause auf. Nach dem Liede „Jesu geh Voran,“ das für diesen Zweck wie gemacht schien, betrat Decan Bachmann die obersten Stufen des Eingangs, öffnete im Namen des dreieinigen| Gottes die Thüre und sprach in ergreifenden Worten den Segen über die Diaconissen mit ihren Vorsteherinnen, die unter allgemeiner Theilnahme und Bewegung der Versammelten ihren feierlichen Einzug in das Haus hielten. Man trat nunmehr in der Ordnung des Zugs in das Haus ein und besah sich die Räume desselben mit Lust. Von dem Betsaale, der besonders das Auge des Beschauers aus sich zog, erschallte lieblich und kräftig der Gesang geistlicher Lieder. Es waren Choräle und Sätze aus den Meisterwerken kirchlicher Tonsetzer des 16. und 17. Jahrhunderts. In einem der Zimmer, welche man durchwanderte, waren die Geschenke ausgestellt, welche die Lieben von nah und ferne dem Hause gespendet hatten. Was für Anklang dieses Werk der Liebe in den Herzen unseres Volkes gesunden, beweist der Umstand, daß an dem einzigen Tage an Geldgeschenken 433 fl. geopfert wurden.
     Nach der Besichtigung des Hauses begann mit eintretender Dunkelheit der dritte Theil des Festes, der erste Hausgottesdienst im Betsaale. Zum Gebete fühlten sich alle Herzen gedrungen, zum Gebete für das Haus und für alle, die in diesen Räumen Trost und Hilfe suchen würden. Dieser Stimmung gab Pfarrer Löhe den angemessenen Ausdruck. Nach dem Liede: „Christe, du Lamm Gottes“ setzte er in einem Vortrag auseinander, was dies Haus soll und will, zu keinem andern Zweck, als damit die Theilnehmenden recht einig um die Erfüllung der Ausgabe dieses Hauses beten könnten. Nachdem so die Andacht ihre bestimmte Richtung empfangen hatte, wurde die Litanei mit eingeschalteten Bitten, die sich auf den Zweck und das Leben in der Anstalt bezogen, von der feiernden Menge gebetet mit einer Macht und einträchtiger Gewalt der Stimmen, daß das Haus erbebte. Vaterunser und Segen und das Lied „Jerusalem du hochgebaute Stadt“ beschloß diese reich gesegnete Stunde.
     Die größte Lieblichkeit aber bot den Hausgenoßen und den ihnen zunächststehenden Freunden das Liebesmahl, welches die Herzen erst recht zur Freude und zum Dank gegen den HErrn für alle seine Liebe und Treue, die er an uns gethan und zu inniger Liebe gegen die Brüder und Schwestern, die sich nie so einig fühlten, erschloß. Angesichts des Altars mit den brennenden Kerzen, die Gegenwart des HErrn versinnbildlichend, saßen in dem geräumigen und wohlerleuchteten Betsaale die Wittwen und Armen der Gemeinde mit ihrem treuen Hirten in der Mitte, über hundert Tischgenoßen beim einfachen, aber| vom Geiste der Jesus- und Bruder-Liebe reichlich gewürzten Mahle. Das erste Gericht, welches die dienende Liebe auftrug, war eine wohlschmeckende kräftig bereitete Rumford’sche Suppe, – der Anfang einer besonderen Stiftung einer Suppenanstalt für die Armen und Kranken der Gemeinde und für die Kinder aus eingepfarrten Orten, welchen am Sonntag die Möglichkeit gewährt werden soll, zweimal den Gottesdienst zu besuchen. Mit lieblichen Gesprächen wechselten in kurzen Zwischenräumen Lob- und Danklieder, und die Verlesung etlicher zu diesem Zweck gesandter Gedichte voll geistlicher Salbung. Man konnte die Gemeinschaft der Heiligen spüren und genießen, man konnte ahnen, maß es um die geistlichen Liebesmahle in der apostolischen Zeit Erhebendes und Liebliches gewesen sein mag. Man trennte sich im Gefühle geistlicher und leiblicher Befriedigung und Erquickung mit Freude und Dank gegen Gott der auch diesen Tag so gesegnet hatte, daß nichts die reine Freude stören und trüben konnte, und mit dem innigsten Wunsche, daß der Geist der Liebe und Einigkeit von diesem Haus in’s ganze Land ausgehen und insonderheit den Armen und Elenden eine reiche Trost- und Segensquelle werden möge.“

     Damals erschien ein Erinnerungsblatt für Festgäste, welches von den Gästen nach allen Seiten hin mit fortgetragen wurde und das wir nach dem bereits oben seiner Erwähnung gethan worden ist, auch hier zur Erinnerung für unsere Freunde noch einmal abdrucken lassen wollen.


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