Allgemeines Deutsches Kommersbuch:217

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Schauenburg:
Allgemeines Deutsches Kommersbuch
Seite 432, 433
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hat viel grü=ne Äst; da bin ich schon viel
tau=send=mal bei mei=nem Schatz ge=west.

     2. Da sitzt ein schöner Vogel drauf, er pfeift gar wunderschön;
ich und mein Schätzlein lauern auf, wenn wir mitnander gehn.

     3. Der Vogel sitzt in seiner Ruh wohl auf dem höchsten Zweig;
und schauen wir dem Vogel zu, so pfeift er allsogleich.

     4. Der Vogel sitzt in seinem Nest wohl auf dem grünen Baum:
Ach Schätzel! bin ich bei dir g'west, oder ist es nur ein Traum?

     5. Und als ich wieder kam zu ihr, gehauen war der Baum; ein
andrer Liebster steht bei ihr: o du verfluchter Traum!

     6. Der Baum, der steht im Odenwald, und ich bin in der Schweiz,
da liegt der Schnee, und ist so kalt! Mein Herz es mir zerreißt!

Wunderhorn.


          478.     Der König in Thule.     (III. 130.)

     Sanft und frei erzählend. K. Fr. Zelter. 1812.

     1. Es war ein Kö=nig in Thu=le gar treu bis an das
Grab, dem ster=bend sei=ne Buh=le ei=nen
gold=nen Be=cher gab.

     2. Es ging ihm nichts darüber, er leert ihn jeden Schmaus, die
Augen gingen ihm über, so oft er trank daraus.

     3. Und als er kam zu sterben, zählt er seine Städt im Reich,
gönnt alles seinen Erben, den Becher nicht zugleich.

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     4. Er saß beim Königsmahle, die Ritter um ihn her, auf hohem
Vätersaale dort auf dem Schloß am Meer.

     5. Dort stand der alte Zecher, trank letzte Lebensglut und warf
den heilgen Becher hinunter in die Flut.

     6. Er sah ihn stürzen, trinken und sinken tief ins Meer. Die
Augen thäten ihm sinken, trank nie einen Tropfen mehr.

Goethe. 1774



          479.     Si tacuisses.     (II. 30.)

     Im Volkston.

     1. Es wa=ren mal drei Ge=sellen, sellen, die thäten sich war er=
zählen, zählen, sie hielten un=ter sich wohl ei=nen weisen Rat, wer
un=ter ih=nen wohl das schön=ste Mädchen hat.

     2. Da war auch einer drunter, drunter, und nichts verschweigen
kunnt er, kunnt er, |: dem hatt auf diese Nacht sein Liebchen zugesagt,
daß er bei ihr sollt sein in stiller, trauter Nacht. :|

     3. Des Morgens um halb viere klopft er an ihre Thüre, er klopft
ganz leise an mit seinem Siegelring: Schläfst oder wachest du, herz=
allerliebstes Kind?

     4. Mag schlafen oder wachen, ich thu dir nicht aufmachen, geh du
nur immer hin, wo du gewesen hast, und binde deinen Gaul an einen
dürren Ast!

     5. Wo soll ich den hinreiten? Es schlafen alle Leuten, es schlafen
alle Leut, Vieh, Menschen, Weib und Kind, es regnet und es schneit
und geht ein kühler Wind.

     6. Das thut mich gar nicht rühren, daß dir das thut passieren;
denn wer ein Mädel hat und sagt es jedermann, der klopft dann auch,
wie du, sehr oft vergebens an.

     7. Da sprachen die Herrn Hausknechte: „Dem Kerl geschieht ganz
rechte, hätt er geschwiegen still und ’s Maul gehalten fein, so wär er
heute nacht beim schönsten Mägdelein.“