Textdaten
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Autor: Gustav Duill
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Titel: Erzählung der Mutter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 4–6
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[004]

Erzählung der Mutter.[1]

Ach, liebe Frau, der Augen Licht
Ist sicher hohe Himmelsgabe,
Jedoch die höchste ist es nicht;
Es sind acht Jahre, seit ich habe

5
In dieser Stube blind gesessen –

Ich hatte, daß ich blind, vergessen.
Denn seht, sobald der Abend kam,
Ich einen raschen Schritt vernahm –

Ich kannte ihn von Weitem schon –

10
Da trat mein guter, treuer Sohn

Zu mir mit liebem Gruße schnell,
Und o, dann ward es um mich hell,
Als sähe ich des Himmels Licht;
Ich fühlte meine Blindheit nicht,

15
Wie Sonnenwärme mich durchdrang

Der trauten, treuen Stimme Klang.

Ich saß und harrte Tag für Tag
Getrost auf jener Stunde Schlag
Und dachte oft an einen Baum,

20
Den ich, als ich noch sehend war,

Geschaut vor manchem langen Jahr;
Der stand in einem engen Raum,
Den man mit Häusern ganz umbaute
Daß nicht hinein die Sonne schaute,

[005]

Wieder bei der blinden Mutter.
Originalzeichnung von Berthold Woltze in Weimar.

[006]
25
Nur eine Spalt’ in Mannesbreite

Blieb offen an der Abendseite,
Durch die, wenn sie zur Neige ging,
Ihr Strahl den alten Baum umfing;
Der schien dann neu sich zu beleben,

30
Denn seine Blätter, die noch eben

Hernieder hingen, farblos ganz,
Erschienen nun in grünem Glanz.
Oft stand ich damals in dem Raum
Und schaute sinnend auf den Baum –

35
Nun saß ich selbst so Tag für Tag

Und harrte auf der Stunde Schlag,
Wo auch zu mir kam meine Sonne,
Zu bringen Wärme mir und Wonne.

Da kam der Krieg – und Kampfeslust

40
Zog auch in meines Sohnes Brust.

Er freute sich auf diesen Krieg
Und träumte hoch von Ruhm und Sieg,
Ich glaub’, er hätt’ nicht mit gemußt,
Wenn meine Lage man gewußt,

45
Doch ach, ich konnt’ ihm Nichts versagen,

Ich hab’ ihn gar nicht drum befragt
Und ihn zu stören nicht gewagt,
Ich ließ ihn ziehen ohne Klagen.
Mir war das Herz von Weh so voll,

50
Doch seins in Muth und Hoffnung schwoll:

„Als Sieger kehr’ ich bald zurück,
O Mutter, denk’ an solches Glück!“
Ich fühlte seiner Küsse Flammen,
Ich nahm all’ meine Kraft zusammen,

55
Und ließ ihn. Als sein Schritt verhallt,

Da sank ich nieder. Die Gewalt,
Womit ich selber mich bezwang,
War nun zu End’. So lag ich lang’
Und langsam bin ich aufgewacht

60
Aus meiner Ohnmacht tiefer Nacht.

Und wieder saß ich Tag für Tag,
Und kam der Abendstunde Schlag,
Dann hob ich leis mein Haupt empor – –
Es horcht’ auf seinen Schritt mein Ohr;

65
Obwohl, daß er nicht kam, ich wußte,

Ich dennoch wieder lauschen mußte.
Und wieder dacht’ ich an den Baum
In jenem engen, dunkeln Raum,
Dem schien ja auch nicht jeden Abend

70
Die Sonne, ihn mit Wärme labend,

Mit Wolken war ja oft bedeckt
Der Himmel und die Sonn’ versteckt,
Dann kam sie später doppelt labend
Dem Baum, wenn wieder hell der Abend.

75
Und sieh, es kam ein Hoffnungsstrahl,

Zu mindern meine Angst und Qual:
Es kam ein Brief, von ihm geschrieben
– Der Bote hat ihn mir gelesen –
Mein Sohn war in der Schlacht gewesen

80
Bei Wörth und unversehrt geblieben.

Da bin ich in die Kirch gewankt,
Von einer Nachbarsfrau geleitet,
Und habe innig Gott gedankt,
Daß er mir diese Freud’ bereitet.

85
Dann saß ich wieder Monden lang,

Da – wieder neigte sich ein Tag
Und nah war jener Stunde Schlag –
Vernahm ich eines Mannes Gang.
Der Mann blieb an der Thüre stehen,

90
Als scheut’ er sich, herein zu gehen,

Doch öffnet er sie endlich leise
Und leise, leise tritt er ein.
Befremdlich war des Mannes Weise –
Was will er wohl, wer mag er sein?

95
Nach einer Weil’, als Nichts er sagt,

Hab’ leis ich, wer er sei, gefragt,
Jedoch kein Wort bringt er hervor,
Ein Schluchzen trifft mein lauschend Ohr.
Ein Mann, der weint?! Ich saß erstarrt

100
Und habe athemlos geharrt – –

Da hör’ ich draußen Viele kommen,
Die scheinen etwas herzutragen,
Und wie, wenn Weiber, Kinder klagen,
Hab’ ein Getöse ich vernommen.

105
Und jetzt sind sie hereingetreten

Geheimnißvoll mit Schlurfen, Schleichen –
Und mein Erstarren will nicht weichen;
Ich kann nicht sprechen, kann nicht beten,
Ich sitze, wie von Bann umfangen,

110
Bewegungslos, in Todesbangen.

Da hör’ ich wunderbarer Weise
Wie Kindeslallen einen Ton.

„Lieb’ Mutter!“ tönt es leise, leise –
Allmächt’ger Gott! Das war mein Sohn!

115
Und plötzlich, wie mit Blitzesschlag,

Als schaute ich’s im lichten Tag,
War nun mir Alles, Alles klar:
Es war mein Sohn, o Gott! er war
Verwundet, sterbend. O, und hier

120
Nur wollt’ er sterben, nur bei mir!

Cam’raden hatten ihn gebracht,
Und der zuerst erschien so sacht,
Der wollt’ mir bringen den Bericht,
Und konnt’s vor Schmerz und Rührung nicht.

125
Jetzt stand ich auf, befreit vom Bann,

Und meinen Arm ergriff ein Mann,
Der führte stumm mich zu dem Sohn.
Ich kniete an des Lagers Rand,
Fand seinen Mund und seine Hand,

130
Und wieder kam der Kindeston

„Lieb’ Mutter“ leise, leise; schwach
Und schwer ging schon sein Athem, – ach!
Nun ging’s zum Ende gar geschwind.
Ich glaube fest, das treue Kind

135
Hat liebestark den Tod gezwungen,

So lange noch bei Seit’ zu stehen.
Bis das Ersehnte ihm gelungen.
Die blinde Mutter noch zu sehen.
Und um so mehr nun ging’s in Eile:

140
Schon stockt der Athem eine Weile,

Es zuckt die Hand ihm in der meinen,
Die ringsum stehn, die schluchzen, weinen,
Ich nicht; ich mußte stark erscheinen,
Fest mußt’ ich seine Hand umfassen,

145
Damit er sich nicht fühlt’ verlassen.

Jetzt stockt der schwache Athem wieder
Und länger, kommt dann schwächer wieder,
Wird schwächer, schwächer – leiser – – still.
– – – – – – – – –
Ach, liebe Frau, ich kann nicht sagen,

150
Was sich mit mir dann zugetragen.

Ich lag wohl lange krank darnieder,
Ach, mir zum Leid genas ich wieder.
Als zum Bewußtsein ich erwacht,
Da war und blieb es um mich Nacht,

155
Die Sonn’ kam nimmer warm und lind,

Nun wußt’ ich, daß ich arm und blind.

Gustav Duill.



  1. Episode aus einem noch ungedruckten größeren Gedicht: „Des Helden Weib“. D. Red.