Erste Liebe (Die Gartenlaube 1892/8)
[260] Erste Liebe. (Zu unserer Kunstbeilage.) Der Maler wird zum Dichter in der Allegorie. Wie dieser die Worte, so schafft jener körperliche Formen fur ideale Begriffe. Wie singt doch der Dichter, indem er die erste Liebe schildert:
„O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen!
Der ersten Liebe goldne Zeit!
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit –“
Der Maler aber zaubert uns ein kindliches Amorettenpärchen vor: mit Schmetterlingsflügeln, zarten duftigen Schmetterlingsflügeln, deren Schmelz jeder rauhe Griff zerstort, schwingt es sich durch den unendlichen Aether in seliger Weltvergessenheit, und sein einziger Halt auf dem schwindelnden Fluge – er ist eine Seifenblase, schillernd wohl in allen Farben des Regenbogens, lustig und schön, aber eben doch – eine Seifenblase. Ein Hanch nur, und sie zerplatzt – zerflossen ist der schone Traum, jäh zu Ende das verzückte Schweben im schrankenlosen Raume, mit gebrochenen Flügeln liegt das Glück.
So spiegelt sich die erste Liebe in den Gedanken des Malers, der unser Bild geschaffen. Aber er läßt uns das tragische Ende nur ahnen – schauen dagegen die blühende, glückliche Gegenwart, an die man glauben muß. „O daß sie ewig grünen bliebe!“