Ersch-Gruber:Gisilbert (von Bremen)

Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste
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Gisenius (Johann)
Section 1, Theil 68 (1859), ab S. 241. (Quelle)
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Giselbert von Brunkhorst in der Wikipedia
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GISILBERT, Erzbischof von Bremen von 1273 bis 1306. Er war der Sohn eines Herrn von Brunkhorst und einer Tochter des Grafen Moritz von Oldenburg, Namens Kunigunde. Als der ihm nahe verwandte Erzbischof Hildebold am 11. Ort. 1273 gestorben war, ward er von den Kanonikern des Erzbisthums einstimmig zu dessen Nachfolger erwählt. Gisilbert nahm die Wahl an und begab sich bald darauf nach Lyon zu einer Kirchenversammlung, um die Bestätigung des Papstes Gregor X. zu erhalten. Sein dortiger Aufenthalt fällt in den Juni 1274: vergl. Pertz, Monum. IV. p. 396 seq. Er soll sich daselbst an den Verhandlungen über die kaiserliche Bestätigung der Rechte der römischen Kirche zu Lyon und jedenfalls auch an denen, welche dem Beschlusse, von der gesammten Kirche auf sechs Jahre einen Zehnten als Beihilfe für einen neuen Kreuzzug zu erheben, vorausgingen. Seine Hauptthätigkeit scheint er dann aber weniger auf die geistlichen Angelegenheiten seiner Zeit, als vielmehr auf die weltlichen Händel seiner Kirchenprovinz gerichtet zu haben, und daß er in dieser Hinsicht sich geltend zu machen verstand, zeigt ziemlich deutlich der Umstand, daß Kaiser Rudolf I. ihn auszeichnete und ihm auch die weltliche Gerichtsbarkeit in seinem Sprengel verlieh. Bald nach dem Antritte seiner Regierung (1280) bereitete er einen Kriegszug gegen die Kedinger, eine noch völlig unabhängige Gemeinde an der Unterelbe, vor. Im J. 1275 war allen Strandfriesen bei 100 Mark Strafe die Verpflichtung auferlegt worden, auf der Elbe keinen Raub zuzulassen (vergl. Cassel's Samml. 44), und doch hatten nach einer hamburgischen Geschichtsquelle diese Kedinger dem hamburgischen Handelsbetriebe auf der Elbe durch Räubereien Schaden zugefügt, und Gisilbert verband sich nun mit dieser Stadt, um die Räuber unschädlich zu machen. Vom Rathe zu Hamburg mit Geld unterstützt, lud er die Ritter und Vasallen seines Erzbisthums zu einem Turniere nach Stade ein, und bestimmte dann die zahlreich eintreffenden Kriegsleute, an einem Ueberfalle gegen die Kedinger Theil zu nehmen. Plötzlich angegriffen, erlitten diese auch bedeutenden Verlust, indem Viele gefangen oder getödtet wurden: dennoch konnte nur eine vorübergehende Unterwerfung erzwungen werden. Wie Gisilbert hier räuberische Scharen unschädlich machte, so zeigte er sich vielfach thätig, wo es galt, den Handelsverkehr und Wohlstand seiner Städte, besonders Bremens, sicher zu stellen und fester [242] zu begründen. Selbst mit eigener Aufopferung wirkte er auf Beilegung ihrer inneren Streitigkeiten und somit aus die Hebung ihrer Macht hin, und Nichts ist im Stande, für die Gunst, welche er dem dritten Stande zu Theil werden ließ, ein unzweideutigeres Zeugniß abzulegen, als die ihm beigelegte Bezeichnung als „Bauernbischof,“ durch welche die Adeligen ihn herabzusetzen meinten. Im J. 1288 erließ Gisilbert den bremischen Kaufleuten die Abgabe, welche an den Jahrmärkten alle Verkäufer für die Verkaufszelte zu entrichten hatten, und 1289 kam er (nach Renner's Chron. fol. 186 b) mit dem Rathe überein, daß der Rath in den weltlichen Verwaltungssachen Vollmacht haben sollte: seitdem erhielten die Zünfte ihre Privilegien, der Rath übte die Marktpolizei, der Voigt trat aus den Rathsversammlungen zurück u. s. w. Aber trotz dieser mannichfachen Begünstigungen, die er der Stadt Bremen durch Vertrag zusicherte (vergl. Kobbe, Gesch. von Bremen und Verden I, 223), gab es eine Partei in der Stadt, die eine gänzliche Unabhängigkeit von der erzbischöflichen Oberhoheit erzielte. Um 1290 kam dieser drohende Zwiespalt zum Ausbruche, indem die Unabhängigkeitspartei unter dem Rathsherrn Reinecke Bruszehaver zu den Waffen griff, als einst bei einer kirchlichen Feier ein Dienstmann des Erzbischofs einen bremischen Bürger, einen Goldschmied, verwundet hatte. Der Erstere suchte im Palaste des Erzbischofs Zuflucht. Als darauf die Bürger sich bewaffnet versammelten und seine Auslieferung verlangten, verließ Gisilbert die Stadt, da er nicht nachgeben wollte. Die kleine Besatzung, welche er zurückließ, konnte das Eindringen der Bürger nicht lange hindern, und der völlige Bruch zwischen den streitenden Parteien erfolgte, indem die Aufständischen den erzbischöflichen Palast durch Feuer zerstörten und nur mit Mühe durch die Bürgermeister bewogen wurden, der Besatzung freien Abzug zu gewähren. Bald aber erzwang der Erzbischof mit Hilfe seiner Vasallen und Dienstmannen die Wiederunterwerfung der Stadt: Frauen und Männer mußten ihm mit bloßen Füßen entgegenziehen und ihn mit Kreuzen und wehenden Fahnen auf das Ehrenvollste in die Stadt zurückführen. Die Aussöhnung des Erzbischofs mit der Bürgerschaft war eine aufrichtige, und es muß als Irrthum zurückgewiesen werden, wenn die Historia archiepiscoporum Bremensium und nächstdem auch Kobbe in seiner Gesch. von Bremen und Verden (II, 185) angeben, das Bruszehaver als Hauptführer der Aufständischen damals durch das Rad hingerichtet worden sei: denn Bruszehaver's Name findet sich noch im J. 1307 in dem Verzeichnisse der damals verbannten Rathsherren [1]. Vielleicht also verhängte Gisilbert über ihn diese Strafe; möglich aber ist es auch, daß er erst 1307 wegen seiner unter besonders frevelhaften Umständen gebrochenen Urfehde verbannt wurde. Den Parteistreitigkeiten konnte aber Gisilbert nicht so schnell ein Ende machen, indem vielmehr mehr diese mit großer Erbitterung fortdauerten. Viele reiche und mächtige Bürger waren aus der Stadt vertrieben worden, und diese, verbunden mit einigen Dienstmannen des Erzbischofs, fügten der siegreichen Partei der Bürger durch Raub und Brand vielfachen Schaden zu. Ihre Gegner rächten sich dann dadurch, daß sie mit bewaffneter Hand die Angreifer zurücktrieben, sie nun zu ewiger Verbannung verurtheilten und ihre Güter einzogen und verkauften. Durch diese Parteikämpfe wurden die Bremer doch nur in geringem Grade geschwächt. Schon im J. 1291 konnten sie es unter Mitwirkung Gisilbert's unternehmen, Rachezüge gegen die Wurstfriesen und Rustringer auszuführen, welche mehre Schiffe von bremer Bürgern angegriffen und beraubt hatten. Der Kampf, welcher Anfangs günstig für die Bremer begann, scheint (nach Angabe einer Chronik) aber über zwölf Jahre fortgedauert und eine denselben ungünstige Wendung genommen zu haben: hiernach scheint die Stadt in Folge großer Verluste und Geldausgaben endlich im J. 1304 einen Frieden abgeschlossen zu haben. Vergl. besonders Lappenberg’s Urkundliche Geschichte der deutschen Hansa, 2. Bd. S. 733 und Cassel’s Ungedruckte Urkunden S. 216 u. 218. Lange nach dem ersten Vertrage mit den Wurstfriesen, wodurch diese zur Aufhebung des Strandrechtes genöthigt werden sollten, kam 1304 wirklich ein modificirter Vertrag über Strandrecht und Räubereien zu Stande: vergl. Cassel’s Samml. S. 216 u. 219. Ein ähnlicher Vertrag wurde unter Gisilbert's kräftiger Mitwirkung den Bewohnern von Wetwarden (1291) auferlegt: Vergl. Pratje, Altes und Neues V, 309. Ferner wissen wir, daß damals zum Theil unter Mitwirkung Gisilbert's Bremen viele Handelsverträge abschloß, durch die seine Kaufleute bestimmte Privilegien erhielten, besonders Aufhebung des Strandrechtes, Herabsetzung der Eingangszölle, Befreiung von manchen bürgerlichen Lasten. Von neuen Verträgen dieser Art sind unter seiner Regierung die mit Norwegen in den Jahren 1279, 1292 (1294) und 1299 hervorzuheben. So hob sich Bremen in commercieller Beziehung zu großer Bedeutung und zu wachsendem Wohlstande. In dieselbe Zeit nun fällt sicher (wenn auch das Jahr nicht nachweisbar ist) sein Anschluß an den nordteutschen Hansebund. Hält man die Angaben zusammen, daß es im J. 1284 an den Kämpfen der Hansa im Norden noch nicht Theil nahm, dagegen nachweislich 1308 Beiträge der Bremer zu Kriegen der Hansestädte erwähnt werden, so wird man wol kaum irren, wenn man annimmt, daß Gisilbert's Regierungszeit für Bremen auch durch seinen Eintritt in den Hansebund wichtig erscheint. Das Nähere darüber vergl. bei Sartorius, Geschichte der Hansa I, 65 fg. Wie die Macht der Bürgerschaft auch dem Erzbischofe gegenüber gewachsen war, wie sie es damals dahin brachte, als thatsächlich selbständige Macht neben demselben zu stehen, das zeigen auch die Verträge Beider zu gegenseitiger Unterstützung in den Jahren 1295, 1301 u. s. w., deren in der Assertio etc. p. 480 Erwähnung geschieht. In dem Verlaufe seiner Regierung gingen noch die letzten [243] Reste der politischen Rechte der Erzbischöfe über die Stadt verloren, und seit seinem Tode kann von solchen kaum noch die Rede sein [2]. Ganz charakteristisch ist es in dieser Hinsicht, daß das erste eigentliche Stadtrecht Bremens [3] in das J. 1303, also in die letzte Regierungszeit Gisilbert’s gehört. Die Bremer fühlten sich in kräftiger Selbständigkeit, und nahmen die Gelegenheit wahr, derselben einen urkundlich feststehenden Ausdruck zu geben. Manche Rücksichten wirkten zusammen, um die Niederschreibung der städtischen Rechte zu empfehlen. Der Sachsenspiegel hatte seit fast 100 Jahren eine weitreichende Geltung erhalten, und die Bremer konnten leicht darin eine Gefährdung ihrer Selbständigkeit erblicken, wenn ihr Particularrecht von diesem mächtigen Landrechte absorbirt würde: wie andere Städte, so begegnete auch Bremen dieser Gefahr durch Niederschreibung seiner besonderen Rechtsgewohnheiten. Diese Maßregel erschien um so nöthiger, da die innern Zwistigkeiten auf das gesammte Rechtsleben zerstörend einzuwirken drohten und durch geschriebene Gesetze der Willkür der eben siegenden Partei ein Riegel vorgeschoben werden konnte. Endlich war es für alle Zukunft von Bedeutung, wenn man von dem Rechte, sich selbst Gesetze zu geben, welches Gisilbert zugestanden hatte, in recht offenkundiger Weise Besitz nahm, und es dadurch für die Folgezeit sich sicherte. Vergl. über dieses Stadtrecht besonders Donandt, Versuch einer Geschichte des Bremischen Stadtrechts. (2 Bde. Bremen 1830.) 2. Bd. S. 38 fg. Während aber Gisilbert auf der einen Seite dem Sinken der erzbischöflichen Gewalt ruhig zusah,. scheint er andererseits doch Manches gethan zu haben, was zu einer Kräftigung in politischer Hinsicht dienlich sein konnte. Nicht nur gegen offenbare Unbilden und Angriffe vertheidigte er die Angehörigen seines Erzstiftes, sondern auch durch die Erbauung von Schlössern und Gründung neuer Gebäude suchte er seine Macht zu befestigen: so legte er die Schlösser Thedinghausen, Otternberg, Rempempe und Langenwedel an, gründete die befestigte Stadt Buxtehude (vor 1286), legte einen festen Thurm im Schlosse Verden an und bauete Häuser von Stein in Bremen und Stade. Die eigentlichen geistlichen Verwaltungsgeschäfte nahmen ihn wenig in Anspruch: hier ist noch hervorzuheben, daß er 1282 das Kloster von Midlum in Wursten nach Altenwalde in Hadeln verlegte, und daß er zur Bereicherung der geistlichen Stiftungen und Kirchen theils aus eigenen Mitteln viel that, theils durch seine Verwendung zu diesem Zwecke wirkte.

Wie aber die Regierungsthätigkeit Gisilbert’s vorwiegend den weltlichen Handeln seiner Zeit zugewendet gewesen war, so war das noch in seinem letzten Lebensjahre (1306) der Fall. Die Kedinger und die Bewohner der sieben Kirchspiele Haseldorf, Seester, Langenbrok u. a., mit denen auch die Dithmarschen in Verbindung traten, machten einen neuen Versuch, ihre alte Unabhängigkeit wiederzuerkämpfen. Gisilbert erließ einen Warnungsbrief an die Aufständischen (vergl. in Lappenberg’s Urkundl. Gesch. der Hanse II. S. 234); da sie aber auf gütlichem Wege nicht zur Wiederunterwerfung gebracht werden konnten, versammelte Gisilbert mit Hilfe der Herzoge von Sachsen und Lüneburg, des Grafen von Holstein und seiner eigenen Dienstmannen ein beträchtlies Heer und erfocht am 8. Sept. 1306 einen blutigen Sieg. Als er diesen Kriegßzug unternahm, war er schon schwer krank, und lange überlebte er den Sieg nicht. Er mußte zurückkehren, begab sich nach Verden und starb daselbst am 17. Nov. 1306. Vergl. Necrolog. Hamburg. in Langebok, Scriptt. rer. Dan. t. V. Begraben wurde er in Bremen. — Wenn man heute auch über Gisilbert ein ungünstiges Urtheil fällen und zugestehen muß, daß bei aller Thätigkeit Gisilbert, indem er stets mehr individuellen Neigungen als festen Regierungsgrundsätzen folgte und selten strenge Consequenz und kluge politische Berechnung obwalten ließ, wenig durchsetzte, so soll doch nicht verschwiegen werden, daß seine Zeitgenossen ihn günstiger beurtheilten: ein sprechender Beweis dafür ist das Lobgedicht, durch welches Heinrich Frauenlob ihn ehrte (vergl. in Lappenberg’s Geschichtsquellen des Erzstiftes und der Stadt Bremen S. 178 fg.).

(Dr. H. Brandes.)

  1. Vergl. Delrichs, Brem. Gesetzbücher. 1.Bd. Donandt, Gesch. des Brem. Stadtrechts. 1. Bd. S. 140 fg.
  2. So erscheint der Vogt zum letzten Male in einer von den Hamburgern ausgestellten Urkunde vom Jahre 1297; später ist er verschwunden.
  3. Bei Oelrichs, Sammlung der Gesetzbücher Bremens S. 1 fg.