Erinnerungen aus meinem Leben/Vor der Entscheidung

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aus: Erinnerungen aus meinem Leben
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von: Willibrord Benzler
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Vor der Entscheidung


Während der Jahre, da Abt Willibrord die Laacher Klostergemeinde führte, glaubten die Zeitungen mehrmals berichten zu können, er sei für diesen oder jenen unbesetzten deutschen Bischofsstuhl ausersehen. Niemand freute sich mehr über die Grundlosigkeit solcher Vermutungen als Abt Willibrord.

Anders war es, als die Metzer Zeitung „Lorrain“ am 23. Juni 1901 die Nachricht brachte, in Rom heiße es allgemein, Abt Willibrord von Maria-Laach sei dafür bestimmt, der langen, zweijährigen Verwaisung des Metzer Bischofsstuhles ein Ende zu machen.

Diesmal war es keine falsche Nachricht. Am selben 23. Juni war Abt Willibrord von Kardinal Kopp von Breslau auf den 25. Juni zu einer „wichtigen Besprechung“ nach Hildesheim berufen worden[1]. Dort eröffnete ihm der Kardinal, die langen Verhandlungen über die Besetzung des Metzer Bischofsstuhles seien nun endlich zum Abschluß gekommen. Rom habe sich mit der preußischen Regierung dahin geeinigt, daß er, Abt Willibrord, den Bischofsstab übernehmen solle. Es handle sich jetzt noch nicht um seine Einwilligung, an der er nicht vorbeikommen werde, sondern um eine andere Frage, die mit der Bischofsernennung eng zusammenhänge. Abt Willibrord schrieb am folgenden Tag an Erzabt Plazidus, die ganze Sache komme ihm wie ein Traum vor. Da die Entscheidung, ob er die Bischofswürde annehme, noch nicht drängte, überlegte er sichs reiflich. Bei seiner zur Ängstlichkeit neigenden Veranlagung ist es verständlich, daß ihm starke Zweifel aufstiegen, ob er das Amt übernehmen dürfe; er bekannte am 30. Juni in einem Briefe an den Erzabt, die Seelsorge sei nicht sein Feld, er verstünde nicht, eine Pfarrei zu leiten, wie sollte er sich an die Leitung einer Diözese wagen können!

Das Oberhaupt der Beuroner Kongregation war anderer Meinung. Erzabt Plazidus schrieb ihm unter dem 30. Juni: „Da dieser neue [136] Ruf so klar die Signatur des Kreuzes trägt, so muß er eine ganz besondere Gnade in sich bergen. Gott will Ihnen ganz besonders wohl. Sagen Sie Ihr Fiat im Gehorsam gegen den Heiligen Vater von ganzem Herzen.“

Am 5. Juli entschloß er sich dazu. In einem Schreiben an den Kardinalstaatssekretär Rampolla legte er schlicht und einfach die Schwierigkeiten dar, die für ihn mit der Ernennung verbunden seien, erklärte sich jedoch bereit, sich der Entscheidung des heiligen Stuhles zu fügen und in ihr den Willen Gottes zu sehen. Er wußte wohl, was kommen werde; deshalb begab er sich am folgenden Tage zu seinen Mitbrüdern in die Abtei Mont César nach Löwen, um sich in aller Ruhe auf das hohe Amt vorzubereiten und zugleich in der französischen Sprache zu vervollkommnen.

In Löwen erhielt er am Schutzfest des heiligen Benedikt (14. Juli) das vom 10. Juli datierte Antwortschreiben des Kardinalstaatssekretärs. Es lautet: „Ich habe mich beeilt, Ihren Brief vom 5. dieses Monates Seiner Heiligkeit vorzulegen. Die Gesinnungen der Demut und Bescheidenheit, die Sie darin aussprechen, haben dem Heiligen Vater bestätigt, daß die Wahl Ihrer Person für das Bistum Metz, die er soeben getroffen hat, wirklich eine glückliche gewesen ist. Doch darf die Demut nicht getrennt sein vom Vertrauen auf Gott; auch versagt der Herr die Hilfe Seiner Gnade denen nie, die dem Rufe des Gehorsams folgen. Ihr Brief zeigt, daß Sie selber dieses erfahren haben, da Sie sagen, daß der Gedanke Sie an Ihrem Platze zurückgehalten hat, der Wille Gottes habe Sie auf ihn berufen. Sehen Sie darum der Zukunft mit denselben Gesinnungen entgegen, mit denen Sie die Vergangenheit betrachten. Der Unterschied besteht nur darin, daß, wenn in der Vergangenheit der Wille Gottes Ihnen durch Ihre Oberen kundgetan wurde, in Zukunft dies durch das Oberhaupt der Kirche geschehen wird. Ich brauche Sie nicht darauf hinzuweisen, daß dieser Unterschied die Eindringlichkeit und Deutlichkeit des göttlichen Willens womöglich noch steigert. Sie [137] werden also immer in den Armen des Gehorsams bleiben: lassen Sie sich tragen von dieser Mutter des guten Ordensmannes und seien Sie sicher, daß jede Schwierigkeit schwinden wird. Der Heilige Vater sendet Ihnen gleich jetzt seinen ganz besonderen Segen. Ich hoffe, daß derselbe Ihnen helfen wird, den guten Entschluß zu fassen, den man von Ihnen erwartet, und daß Sie mich so bald als möglich in den Stand setzen werden, Seiner Heiligkeit zu versichern, daß alle Ihre Unentschiedenheit geschwunden ist.“

Über die Gesinnungen, mit denen er dieses Schreiben entgegennahm, gibt ein Brief Aufschluß, den er am 14. Juli an seine Schwester richtete: „Da ich nun nicht mehr zweifeln kann, daß es der Wille Gottes ist, daß ich nach Metz gehe, so werde ich ohne Zaudern einwilligen. Damit ist diese Angelegenheit aller Wahrscheinlichkeit nach entschieden.

Das ist wohl eine seltsame Wendung in meinem Leben, die ich nicht hätte ahnen können. Aber sie kommt von Gott, das ist ein großer und der größte Trost. Es ist ja auch eine ganz unverdiente Gnade, von Gott zu so hoher Würde berufen zu werden, über die wir uns wohl freuen dürfen. „Niemand nimmt sich die Ehre, wenn er nicht berufen wird wie Aaron“. Heute ist das Schutzfest unseres heiligen Vaters Benedikt, und auch das Kirchengebet des heutigen Sonntags, das mir auffiel, ist recht tröstlich: „O Gott, dessen Vorsehung in ihren Anordnungen nicht fehl geht, wir bitten Dich flehentlich, daß Du alles Schädliche von uns fern halten und alles Gute uns gewähren wollest“. Gewiß steht mir eine Bürde bevor, deren Schwere ich noch gar nicht kenne, aber mit Gott ist das Schwerste leichter, als das Leichteste ohne Gott. Wie ich mir deshalb keine unnötigen Sorgen zu machen suche, so wirst auch Du es nicht tun.“

Abt Willibrord zögerte nun nicht mehr; Schon am 15. Juli gab er dem Kardinalstaatssekretär seinen Entschluß kund, sich dem Wunsche des Heiligen Vaters zu fügen und den Metzer Bischofsstab zu übernehmen. Daraufhin schrieb ihm Erzabt Plazidus am [138] 16. Juli: „Wie Sie, so habe ich eben vor Gott mein Fiat gesprochen und als Haupt unserer Kongregation das große Opfer gebracht. Nun werde ich von heute an weniger an unseren Verlust … denken …, als vielmehr mit Ihnen und für Sie viel beten, daß der Herr, der Sie erwählt, Ihnen auch die Fülle Seines Geistes und Seiner Kraft schenke, voll und ganz Ihr schweres Amt zu erfüllen und sich zu heiligen und so auf neue Weise in allem Gott zu verherrlichen. Und so will ich als der erste, teuerster Vater Abt, Sie umarmen und von Herzen meine Glückwünsche darbringen und Ihnen danken für die große Liebe, die Sie mir und all Ihren Mitbrüdern so lange Jahre erwiesen, und für die vielen Verdienste, die Sie um Beuron und um die ganze Kongregation sich erworben und insbesondere für das, was Sie aus Maria-Laach gemacht. Waren die letzten acht Jahre auch reich gesegnet an Leid und Trübsal, so waren letztere bloß die Signatur des göttlichen Wirkens durch Ihre Hand, und in gewisser Beziehung ist ja die jetzige Wendung doch auch zu betrachten wie ein Beweis, daß Gott Ihre Leiden angesehen und wohlgefällig aufgenommen hat … So dürfen Sie also gewiß mutig das Wort aussprechen, welches Ihr Schutzengel Ihnen als Devise ins Herz senkte: In verbo tuo laxabo rete (auf dein Wort will ich mein Netz auswerfen). Möchten diese flüchtigen Worte, teuerster Vater Abt, Ihnen all das aussprechen, was ich in diesem Augenblicke Schmerzliches und Freudiges empfinde und wünsche und hoffe und bete!“

Nun folgten die Ereignisse rasch aufeinander. Am 12. August kehrte Abt Willibrord von Löwen nach Laach zurück. Am 28. August teilte ihm der Kardinalstaatssekretär mit, daß seine Ernennung vom Heiligen Vater endgültig beschlossen sei. Schon am folgenden Tag brachte der Telegraph diese Nachricht von Rom nach Metz. Am 31. August drückte ihm Abt-Primas Hildebrand de Hemptinne, der in herzlicher Freundschaft mit ihm verbunden war (s. S.126), seine innige Freude darüber aus. Er gab ihm zum erstenmal den Titel Monseigneur und flehte zu Gott, er möge seine Kraft und sein Trost sein; auch hoffe er, daß des Bischofs Segen auch des Schreibers Schwäche [139] stärken werde. In einem späteren Briefe vom 21. Oktober 1901 teilte ihm der Primas mit, er werde an seiner Weihe teilnehmen und schrieb dann unter anderem[2]: „Bevor Sie Ihre Abtei verlassen, um die Leitung Ihrer Kirche zu übernehmen, will ich Ihnen noch einmal den schönen Namen Abt geben, den wir, arme Geschöpfe, mit Gott gemeinsam haben. Unsere Herzen, unser Geist und unsere Seelen werden vielleicht noch mehr vereinigt sein als in der Vergangenheit. Doch werden wir uns in gewissem Maße getrennt fühlen durch die verschiedenen Interessen, die unserer Sorge anvertraut sind. Bis jetzt hatten wir in allem dasselbe Ziel, dieselbe Arbeit; nun wird Ihre Diözese den wichtigsten Teil Ihrer Beschäftigungen ausmachen, während ich in meiner Arbeit für unseren heiligen Orden weiterfahren werde. Doch wird sich ja Ihre und meine Arbeit immer auf das Wohl der Kirche und die Ehre Gottes beziehen.“

Am 1. September schrieb Abt Willibrord an den Erzabt von Beuron: „Ja, mein Los ist entschieden. Ich muß von neuem die Meinen verlassen, um in ein fremdes Land zu gehen, wohin mich, wie ich hoffe, Gott ruft. Es ist nicht leicht, Bischof zu werden. Ich komme mir vor, wie ein Soldat am Tage vor einer großen Schlacht; möge Gott mir den Sieg verleihen. – Ich habe die offizielle Nachricht von meiner Ernennung erhalten. Der Kardinal fügt hinzu, ich brauche nicht erst die Abhaltung eines Konsistoriums abzuwarten, der Heilige Vater wolle mich durch ein Breve präkonisieren. Auf den 5. bin ich nach München gerufen, um in die Hände des Nuntius mein Glaubensbekenntnis abzulegen. Von dort komme ich am 7. nach Beuron.“

Am 7. September richtete Leo XIII. ein herzliches Breve an den nunmehrigen Bischof von Metz; darin zeichnet er mit kurzen Strichen das Bild des Neugewählten. Das Breve lautet in Übersetzung: „Wir haben Deinen Brief erhalten, aus dem hervorgeht, wie gut Du gegen den apostolischen Stuhl gesinnt bist und wie tief Dich die Würde ergreift, die Wir Dir übertragen haben. Wir entschlossen uns deshalb, Dich auf den bischöflichen Stuhl von Metz zu erheben, weil [140] Dich ausgezeichnete Eigenschaften zieren und Du durch viele gediegene Tugenden hervorleuchtest. Du hast daher, ehrwürdiger Bruder, keinen Grund, Dich zu beklagen, als seiest Du zu schwach und unfähig für dieses hohe Amt. Wir haben vielmehr die sichere Hoffnung, daß die religiösen Fortschritte erfreulicherweise jederzeit den Bemühungen Deines Eifers entsprechen werden. Denn wer bescheiden von sich denkt und sich nicht viel zuschreibt, dem verleiht Gott ganz besondere Gaben, mit denen er sein Amt zur vollen Zufriedenheit erfüllen kann. Wir setzen, also, ehrwürdiger Bruder, unsere Hoffnung auf Deine Tugend…“

Schon am 21. September wurde das Ernennungsbreve ausgestellt. Kraft apostolischer Vollmacht wurde Abt Willibrord von den Verpflichtungen gegen seine Abtei befreit, vom Mangel des theologischen Doktorgrades dispensiert und wegen seiner „ausgezeichnete Tugenden“ zum Bischof von Metz bestellt. Am 27. September erteilte ihm Leo XIII. das seltene Vorrecht, das violette Bischofsgewand tragen zu dürfen, wozu er als Ordensmann nicht berechtigt gewesen wäre.


  1. Vgl. S. 91.
  2. In Übersetzung geboten.