Erinnerungen aus meinem Leben/Heimgang
Bischof oder nunmehr Erzbischof Willibrord lenkte seine Schritte von Metz zunächst zu seiner Schwester nach Velmede in Westfalen. Infolge der vielen Sorgen und Aufregungen der letzten Jahre war seine Gesundheit stark erschüttert, seine Kräfte waren gebrochen. Im Jahre 1914 hatte ihn (s. S. 127) eine schwere Krankheit befallen, die er wegen des Ausbruches des Weltkrieges nicht ganz ausheilen konnte. So kränkelte er während des ganzen Jahres 1915; sein Herz war derart schwach, daß der Arzt das Äußerste befürchtete. Im Zisterzienserinnenkloster Lichtental bei Baden-Baden fand er bei einer erfahrenen Laienschwester so ausgezeichnete Behandlung, daß sein Zustand wieder erträglich wurde. Doch machten die Kriegsverhältnisse die Erfolge der Lichtentaler Kur bald wieder zunichte. Als Erzbischof Willibrord Metz im Jahre 1919 für immer verließ, war er kränker, als er selbst ahnte.
Die Wochen, die er in Westfalen zubrachte, bekamen ihm wohl; allein es trieb ihn zurück in den Frieden des Klosters. Kardinal Hartmann von Köln hatte ihm in edler Hochherzigkeit seine eigene, völlig ausgestattete Villa in Honnef am Rhein als Aufenthaltsort angeboten, damit ihm so »die Bitterkeit der Verbannung in etwa versüßt« werde; doch Erzbischof Willibrord lehnte dankend ab, er zog sich in seine alte Abtei am Laacher See zurück.
Hier führte er ein zurückgezogenes, klösterliches Leben und nahm von der Morgenfrühe bis zum Abend am feierlichen Chorgebete teil, ja er wollte sogar den Patres der Kommunität die heiligen Exerzitien halten und bereitete sich darauf vor. Allein das war zu viel für sein schwaches Herz. Es stellten sich aufs neue starke Beschwerden ein, die ihn nötigten, Maria-Laach am 20. März 1920 zu verlassen, um wieder in Lichtental Besserung seines Leidens zu suchen. Wirklich fand er auch diesmal dank der liebevollen Pflege von seiten der Schwester Maria Erleichterung.
[222] Nun wollte er seinen längstgehegten Plan zur Ausführung bringen in das Kloster zurückzukehren, in das er eingetreten war, für das er die heiligen Gelübde abgelegt hatte, das »wegen seiner monastischen Jugenderinnerungen die meiste Anziehungskraft« für ihn hatte, wie er selbst an einen Mitbruder schrieb, - nach Beuron.
Mit Freuden nahm man in Beuron den hohen Gast auf und suchte ihm sein altes Kloster aufs neue zur Heimat zu machen. Er war auch gerne da; nur war es ihm hart, nicht täglich seinen Platz im Chor einnehmen zu können. So oft er die Glocken hörte, war es ihm ein Opfer, ihrem Ruf zum Gottesdienste nicht folgen zu dürfen. Bald mußte er auch das Refektorium meiden. Zweimal suchte der durch Schlaflosigkeit und Unruhe gequälte Kranke etwas Erleichterung in dem nahen Kloster Untermarchtal zu finden, wo er mit großer Liebe aufgenommen wurde. Umsonst. Trotz aller angewandten Mittel steigerte sich die beängstigende Herzschwäche und schwollen die Füße immer wieder an.
Bei alledem war er in Beuron voll geistiger Frische und Regsamkeit. Am 22. Juli 1920 spendete er sogar zweihundert Firmlingen aus der Umgegend in der Abteikirche die heilige Firmung.
Inzwischen nahm die Krankheit den gewöhnlichen Verlauf. Ende Oktober war die Herzschwäche so groß, daß ein Schlag zu befürchten war. Deshalb ließ er sich am Feste des heiligen Martinus, des Patrones von Beuron und der Beuroner Kongregation, vom Herrn Erzabt die heilige Ölung spenden. Er empfing sie auf der Abtskapelle, vor dem Tabernakel kniend. Noch immer las er, wenn auch mit großer Anstrengung, die heilige Messe. Am Feste des heiligen Klemens, 23. November, ward ihm dieser Trost zum letztenmal zuteil. Von da an wohnte er täglich bis zu seinem Tode dem heiligen Meßopfer bei und empfing die heilige Kommunion.
Er benachrichtigte den Heiligen Vater von seinem gefahrvollen Zustand und bat ihn um seinen Segen. Daraufhin ließ Benedikt XV. durch den Kardinalstaatssekretär am 6. Dezember ein langes Telegramm und am 22. Dezember ein tröstliches Schreiben an ihn richten.
[223] Infolge der Herzschwäche steigerten sich die Beängstigungen und die Schlaflosigkeit bis zur Unerträglichkeit. Die Krankenschwester von Lichtental, der der hohe Kranke unbedingtes Vertrauen schenkte, hielt eine Linderung nicht für ausgeschlossen. Deshalb siedelte der todkranke Erzbischof am 22. Dezember nach Lichtental über. Er gab sich keiner Täuschung hin und man sagte es ihm klar, an eine vollständige Heilung war nicht mehr zu denken. Er ahnte, daß er sein geliebtes Beuron nicht mehr sehen werde.
In den ersten Wochen ging es in Lichtental erträglich. Infolge der von Schwester Maria angewandten Mittel trat wirklich eine Erleichterung ein und schwollen die Füße ab. Anfangs März verschlimmerte sich aber der Zustand. Der Bischof selbst teilte dies dem Herrn Erzabt von Beuron, Raphael Walzer, mit: er wisse nicht, wie es ausgehe und lege darum in dessen Hände »den Dank für die vielen und großen Wohltaten«, die er in der teuren Kongregation genossen habe. Sein Testament liege im Schreibtisch seines Beuroner Zimmers. Er bat ferner, bei seinem Tode den Heiligen Vater benachrichtigen zu lassen. Der Erzabt möge dafür sorgen, daß bei seinem Begräbnis keine Lobrede gehalten werde, sondern die Gläubigen an die Pflichten und die Verantwortung des Bischofs erinnert und zum Gebet für ihn aufgefordert würden.
Am 7. März begab sich der Erzabt selbst nach Lichtental. Sein Besuch brachte dem teuren Kranken, wie er wenige Tage darauf schrieb, großen Trost, besonders in seinen geistigen Beängstigungen; auch freute es ihn, daß er sein Grab, wie ihm der Erzabt zusicherte, vor dem Altar des heiligen Benedikt finden solle.
Die Seelenleiden, die der Kranke zu bestehen hatte, waren schwer. Er mußte mit dem göttlichen Heiland gleichsam alle Stationen seines Leidens durchmachen, von der unsagbaren Trauer am Ölberge bis zur gänzlichen Verlassenheit am Kreuze. Vielen Trost brachte ihm das heilige Sakrament der Ölung, das er am 2. März noch einmal empfing.
Später ließen die Seelenleiden etwas nach. Am 25. März diktierte er [224] an den Erzabt von Beuron: »Ihr Osterbrief hat mich mit besonderer Freude erfüllt. Ich danke Ihnen von Herzen dafür und erwidere Ihre Osterwünsche für Sie und alle lieben Mitbrüder, die Laienbrüder eingeschlossen, von ganzem Herzen. Mein körperliches Befinden wird alle Tage etwas schlechter. Doch gibt der liebe Gott Mut in der Hoffnung, bald bei ihm zu sein.« - Zugleich fügte die Krankenschwester hinzu: »Es ist eine ganze Veränderung vor sich gegangen seit Ihrem Hiersein. An Stelle der inneren Leiden ist eine große Sehnsucht nach Jesus getreten. Der liebe Kranke hat gar keine Angst und Furcht mehr. Die Leiden werden täglich größer. Der Arzt sagt, die Wasserlast betrage dreiviertel Zentner. Der Brand nimmt zu; an einzelnen Stellen ist alles blutrot und offen. Das Wasser brennt wie Feuer. Tag und Nacht verbringt der hohe Kranke im Lehnstuhl. Dabei ist er bewunderungswürdig in seiner Geduld und in seinem Gottvertrauen. Alles vereinigt er mit dem Leiden des göttlichen Heilandes. Für alle will er leiden und sich opfern ... Gestern mußte ich ihn ans Fenster führen. Er wollte nochmals zum Klostertor hinausschauen, zu dem man ihn bald hinausführen werde. Er freue sich, sagte er, bald nach Beuron gehen zu dürfen, um auszuruhen. Er sehne sich darnach; aber er wolle doch solange leiden für Christus und seine heilige Kirche, als der liebe Gott es wolle. ... Er leidet jetzt viel, aber heldenhaft. Noch keine Klage kam über seine Lippen. Gar oft bei Tag und Nacht dankt er für das Leiden. Er erbaut uns alle...«
Nun war die Aufgabe des Erzbischofs: leiden und beten. Den Tag über war er fast beständig im Gebet: meist waren es Stoßgebete, wie »Mein Jesus, Barmherzigkeit!« »Sei gegrüßt o Kreuz, du einzige Hoffnung!« u.a. Dabei wuchs mit dem Leiden seine Leidensbereitwilligkeit, ja Freudigkeit. Den Schlüssel dazu gab ein Geständnis, das er der Schwester anvertraute. Er habe, aus Angst vor dem Fegfeuer, Gott gebeten, ihn hier leiden zu lassen, so daß er bei seinem Tode gleich in den Himmel eingehen dürfe. Es scheint in der Tat, als ob sein Gebet Erhörung gefunden habe. Seine Leiden [225] nahmen eine, nach Maß und Art ungewöhnliche Gestalt an: am linken Fuß öffneten sich fünf Wunden, aus denen das Wasser fast beständig floß, später kam eine große Wunde am rechten Fuß hinzu. Da er die letzten Wochen immer im Stuhl sitzen mußte, wurde der Körper wund; man konnte ihn nur schwer und nicht ohne große Schmerzen zu verursachen, bewegen. Der Kopf sank vor Schwäche oft bis auf die Knie und, um ihn zu halten, legte man dem Kranken eine Stirnbinde an, die ihn wie eine Dornenkrone schmückte. Einmal rief er aus: »Mein Gott, du hast mich verlassen!«, doch alsbald verbesserte er sich: »Nein, du hast mich nicht verlassen!« Von Zeit zu Zeit stellten sich Krämpfe und Schüttelfrost ein. Dann folgte große Ermattung und Bewußtlosigkeit. Er ließ sich viel vorbeten und über das bittere Leiden des Heilandes vorlesen. Am Feste des heiligen Benedikt, das 1921 auf den 3. April fiel, diktierte er noch einen Brief an den Erzabt, um ihm und Beuron Segenswünsche zu schicken und, wie er sagte, das liebe Heiligtum im Donautal dem heiligen Patriarchen zu empfehlen. »Mir ist es ein großer Trost«, so schrieb er, »mich durch Ihre väterliche Liebe und durch die Liebe aller Mitbrüder so eng mit dem teuren Mutterkloster vereint zu wissen. In dieser Vereinigung verbringe ich den Rest meines Lebens. In ihr möchte ich auch sterben. Zuversichtlich hoffe ich, daß unsere teuren Väter, die uns vorausgegangen sind, mich, wenn der Tag gekommen ist, in ihre Gemeinschaft aufnehmen werden.«
Anfangs April sah man, daß die Auflösung bald eintreten werde. Am 11. April sprach er zu seinem treuen Sekretär, P. Othmar Amann von Maria-Laach: »Ich habe nur mehr das eine Verlangen, aufgelöst und mit Christus zu sein.« Wiederholt verlangte er, auf den Boden gelegt zu werden, wo er als Mönch sterben wolle: ein Wunsch, dem man begreiflicherweise nicht nachkam. Auf die Nachricht, daß es zu Ende gehe und der Sterbende ihn nochmals zu sehen wünsche, traf der Erzabt am 15. April nachts zwölf Uhr in Lichtental ein und begab sich sofort in das Sterbezimmer. Er fand den Bischof im Stuhl, in dem er seit fast sechs Wochen lag, wie ein Bild Christi im [226] Elend, das Haupt tiefgesunken, in seinen Wunden sitzend, anscheinend bewußtlos. Bei ihm niederkniend, sprach ihm der Erzabt Trost zu. Er antwortete nicht, aber ein Druck der Hand zeigte, daß er ihn erkenne. Nachts phantasierte er von Erzabt und Beuron. Als der Erzabt am frühen Morgen die heilige Messe las, war der Kranke in tiefem Schlaf. Aber im Laufe des Vormittags gelang es dem Erzabt, ihm ein letztesmal die heilige Wegzehrung zu reichen. Es war Samstag, der 16. April. Der Sterbende stammelte oft: »Mein Gott, mein Gott!« Um den Segen für Beuron gebeten, erhob er die Hand und segnete. Nachmittags dreiviertel vier Uhr schied mit leichtem Seufzer seine liebe Seele.
Der Erzabt von Beuron ließ dem Verstorbenen folgende schöne und feierliche Todesanzeige widmen:
DECESSIT ANNOS NATVS LXVII
SABBATO DIE XVI. APRILIS A. DNI MCMXXI
IN AEDE B. MARIAE V. DE LVCIDA VALLE O. CIST.
ACERBORVM MVLTORVMQVE LANGVORVM
FIDE GRATIA VIRTVTE VICTOR PIISSIMVS
SACRAMENTIS MVNITVS ET APOST. BENEDICTIONE
REV.MVS AC PERDILECTVS IN XPO PATER
D. WILLIBRORDVS BENZLER O.S.B.
RESIGNATO NOBILITER A. MCMXIX EPISCOPATV METENSI
ARCHIEPISCOPVS TITVLARIS ATTALIENSIS.
VOTI COMPOS REQVIESCIT DEPOSITVS
BEVRONAE PROPE MAVRVM WOLTER FVNDATOREM
QVEM IN SACRA RELIGIONE HABVERAT PATREM
QVO DVCE PRIORIS MVNVS IBIDEM GEREBAT
POSTMODO FVTVRVS A. MDCCCXCIII PRIMVS ABBAS
RESTITVTI VENERABILIS COENOBII LACENSIS.
DEFVNCTO PRAESVLI MERCES ESTO
BEATA QVIES IN SINV CHRISTI PASTORIS
CVIVS VESTIGIA PROSEQVEBATVR.
[227] Zu deutsch: »Am Samstag den 16. April im Jahre des Herrn 1921 verschied, siebenundsechzig Jahre alt, im Zisterzienserinnenkloster Unserer Lieben Frau zu Lichtental, nach schwerem, langandauerndem, mit Glaubens-, Gnaden- und Manneskraft tieffromm ertragenem Krankenlager, gestärkt durch die heiligen Gnadenmittel und den Apostolischen Segen, der hochwürdigste, in Christo geliebte geistliche Vater Willibrord Benzler O.S.B., Titularerzbischof von Attalia, seit er im Jahre 1919 in edler Hochgesinnung auf das Bischofs-Amt zu Metz verzichtet hatte. Seinem eigenem Wunsche gemäß ruht er nun zu Beuron neben Maurus Wolter, dem Stifter der Kongregation. Ihn hatte er im heiligen Ordensstande zum Vater gehabt, unter seiner Oberleitung ebendaselbst das Amt des Priors verwaltet, und wurde bald nachher, im Jahre 1893, erster Abt des wiederhergestellten ehrwürdigen Klosters zu Laach. Möge dem heimgegangenen Oberhirten Lohn und selige Ruhe beschieden sein am Herzen Christi, des Hirten, dessen Fußstapfen er ehrfurchtsvoll nachwandelte.«
Die Leiche wurde in der »Fürstenkapelle« aufgebahrt. Hier hielten in der folgenden Nacht die ehrwürdigen Schwestern des Klosters die Totenwache. Am folgenden Sonntag strömten viele Lichtentaler und Badener zur Gruft der katholischen Markgrafen von Baden, um den hochseligen Erzbischof, von dessen Leiden sie gehört hatten, noch einmal zu sehen. Am Montag den 18. April wurde die Leiche nach Beuron überführt, wo in der Gnadenkapelle ein großer Katafalk hergerichtet war.
Die Beisetzung war auf den 20. April festgesetzt. Der zu gleicher Zeit erfolgte Hingang des Mainzer Oberhirten war Ursache, daß nur wenige Kirchenfürsten an der Trauerfeier in Beuron teilnehmen konnten. Bischof Keppler von Rottenburg ließ sich nicht abhalten, zu kommen. Auch der Nachfolger Bischof Willibrords auf dem Stuhle des heiligen Klemens, Bischof Pelt, eilte nach Beuron und kam in Begleitung des Generalvikars Wagner gerade noch rechtzeitig, um das Pontifikalrequiem und darauf die Beisetzung zu halten. [228] Vierzig Geistliche, darunter zwei der Metzer Diözese, die sich trotz großer Schwierigkeiten nicht nehmen ließen, ihrem hochverehrten einstigen Oberhirten die letzte Ehre zu geben, waren zur Totenfeier gekommen. Als der Sarg in das Grab gesenkt wurde, sah man manche Träne fließen. Daß die Feier die Anwesenden so tief ergriff, dazu hatte vor allem auch die herrliche Leichenrede beigetragen, die Bischof Keppler von Rottenburg hielt. Sie lautete:
Geliebte, in christlicher Trauer Versammelte!
»Wenn so ein armer Bischof Jahre und Jahrzehnte lang die heiligen Liturgien gefeiert und Unzähligen das Wort Gottes verkündet hat, und wenn dann die starren Hände und Füße den Dienst aufkündigen und der Mund sich geschlossen hat für immer, dann darf sein Leichnam noch einmal dem feierlichen heiligen Opfer anwohnen und Weihrauchduft umwogt ihn und mit mütterlicher Liebe singt die heilige Kirche ihn vollends in Schlaf mit ihren ergreifendsten Liedern und dann weist sie ihm sein Ruhekämmerlein an drunten in der stillen Totengruft. Es ziemt sich aber, daß auch der Prediger ihm noch ein Wort Gottes hineinlege in Grab und Sarg, ein Wort Gottes ihm nachrufe hinüber in die Ewigkeit.
Ein Wort Gottes. Die Bescheidenheit, die unsrem heimgegangenen Erzbischof Willibrord zur zweiten Natur geworden war, ließ ihn noch auf dem Sterbebett die dringende Bitte aussprechen: »Bei meiner Beisetzung keine Lobrede«. Nein, keine Lobrede. Aber das Walten der göttlichen Vorsehung, die Fügungen und Führungen der Gnade in Deinem Erdenleben, die dürfen wir loben und preisen und anbeten. Damit sind wir im vollen Einklang mit Dir und Dir geistig nahe. Denn sicher tust Du selbst jetzt auch nichts anderes, ob Du nun schon eingegangen in die Glorie des Auferstandenen, oder ob Du in Wehen und in Wonnen am Reinigungsort des Rufes Deines Gottes harrest.
Wir dürfen es wagen, den Geheimnissen der göttlichen Gnadenführung im Leben unseres Heimgegangenen nachzuforschen. Die [229] Fäden und Linien desselben scheinen mir in diesem Lebensgewebe besonders klar und offen am Tag zu liegen. Da war von Anfang an alles darauf angelegt, diesem Menschenkind und Menschenleben einen vollen Anteil zu sichern an der Verheißung: »Vos, qui reliquistis omnia et secuti estis me, centuplum accipietis et vitam aeternam possidebitis« (Ihr, die ihr alles verlassen habt und mir nachgefolgt seid, hundertfach werdet ihr es wieder erhalten und das ewige Leben besitzen) aus dem Offizium der heiligen Apostel zu den Laudes, vgl. Matth. 19, 29.
Darum erging schon in früher Jugend an ihn der Ruf: »Veni, sequere me« (Komm und folge mir nach) Matth. 19, 21. Er vernimmt ihn, verläßt die Welt und pocht an die Pforte dieses Klosters. Damals sehen wir ihn zum erstenmal als jungen Mönch, ein Bild schlichter Bescheidenheit, tiefsten Ernstes und sonniger Fröhlichkeit.
Aber dieser Blütenfrühling monastischen Lebens sollte nicht lange dauern. Ein zweites »Veni, sequere me« machte ihm ein Ende, diesmal nicht ein sanfter Lockruf, sondern mehr ein harter Befehl. Nachdem er einige Jahre Prior gewesen, wurde er an Immaculata 1893 zum ersten Abt des Klosters Maria-Laach geweiht. Gewiß ein Aufstieg zu hoher Würde, aber zuvor doch ein recht schmerzliches Verlassen und Entsagen. Vorbei die sorglose Jugendzeit, das stille Studium in einsamer Zelle, das ruhige Fortwandern auf den sicheren Pfaden des Gehorsams. Für das Verlassen allerdings hundertfacher Ersatz, hundertfache Vermehrung der Pflichten, Arbeiten und Aufgaben; die Sorge für alle andern, für ein großes Geweinwesen, die Sorge für das Brot auf dem Tisch und für die höchsten Bedürfnisse von Seelen, die nach Vollkommenheit ringen; die Sorgenlast des Regierens und Befehlens.
Im Verlassen der früheren Annehmlichkeiten, wie im Erfassen der neuen Aufgaben bewährte sich Abt Willibrord. Er legte ein solides Fundament in Maria-Laach und war wirklich der »pater familias« einer glücklichen Klostergemeinde. Da tönt auch in dieses schöne Familienleben herein scharf und schneidend der Ruf: »Veni, sequere me«.
[230] Verlasse die Familie und den umfriedeten Klosterbezirk und das stille Tal und den kleinen See! Nun geht die Fahrt hinaus ins offene Meer. Du sollst den Abtsstab vertauschen mit dem Bischofsstab und die kleine Klostergemeinde mit einer Diözese von sechshunderttausend Seelen. Das war abermals ein schmerzliches Scheiden und Verlassen, abermals eine hundertfache Vermehrung der Lebenslast. Aber sobald Abt Willibrord den Willen Gottes erkannte und die Entscheidung des heiligen Stuhles vernommen hatte, war er zum Verzicht bereit und sprach er mutig sein »non recuso laborem«, ich weigere mich der Arbeit nicht.
Geliebte Zuhörer! Ich gehe nicht ein auf die besonderen Schwierigkeiten, Sorgen, Mühen und Leiden, auch nicht auf die Taten, die Erfolge und die Freuden seines Pontifikates in Metz 1901–1919. Aber ich kann mir nicht versagen, zu erinnern an den Eucharistischen Kongreß 1907, der so recht die Sonnenhöhe seines bischöflichen Lebens und Wirkens bezeichnete. Das waren noch die schönen Zeiten, wo die Katholiken der verschiedensten Nationen vor dem heiligsten Sakrament sich als Brüder fühlen und lieben konnten; es waren Tage eines himmlischen Friedens, voll wahrer Paradiesesfreude.
Die Sonne dieses Festes war und blieb bis zum Ende die Sonne seines Lebens, der Mittelpunkt und Brennpunkt seiner Diözesanregierung, die mehr auf Gebeten als auf Geboten beruhte, der Quellpunkt all des Segens seines Pontifikates in guten und bösen Tagen, im Frieden und mitten im schrecklichen Krieg.
Als aber der Krieg zu Ende war, da erging zum viertenmal an ihn der Ruf: »Veni, sequere me!« Und diesmal hatte der Ruf etwas vom Klang der »tuba mirum spargens sonum.« Komm und folge mir nach! Verlasse deine Herde, deine Diözese, deine Kathedrale, deinen Bischofssitz, verlasse alles und folge mir nach!
Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er den früheren Rufen sich gefügt hatte, folgte er auch diesem letzten. Er verließ alles und pochte an derselben Klosterpforte wiederum und bat bescheiden um Aufnahme, kaum sich würdig erachtend der hohen [231] Auszeichnung und des heiligen Palliums, womit der Heilige Vater ihn geschmückt hatte.
Hier im Kloster Beuron und drüben im Kloster Lichtental brachte er nun sein großes Lebenswerk des Verlassens, Verzichtens, Entsagens vollends zum Abschluß. jetzt hieß es nur noch der Reihe nach scheiden von der Gesundheit, von der Arbeit, vom Studium, vom Chorgebet, von der Zelebration der heiligen Messe, vom eigenen Herzen, das immer mehr dahinschwand, vom eigenen Leib, der fast Glied für Glied dahinstarb, - von allem, nur nicht von Glaube, Hoffnung und Liebe und vom Gebet bis zum letzten Atemzuge.
So konnte er am Schlusse seines Lebens mit dem Psalmisten beten: ‚Du hast mich gehalten an der rechten Hand und nach Deinem Ratschluß mich geleitet und in Ehren mich aufgenommen. Was wollte ich auch im Himmel und was suchte ich auf Erden außer Dir? Nun schwindet hin mein Leib und mein Herz, Du aber bist der Gott meines Herzens und mein Teil in Ewigkeit‘. »Mihi adhaerere Deo bonum est« (Ps. 72, 24 ff.).
Habe ich da nicht mit Recht gesagt, daß diesem Leben der volle Anteil gesichert werden sollte an jener Verheißung: Ihr, die ihr alles verlassen habt und mir nachgefolgt seid, hundertfältig wird es euch vergolten und ihr werdet das ewige Leben erhalten? Darauf zielten alle Führungen der Gnade hin. Er aber ist auf alle diese Führungen eingegangen mit vorbildlicher Folgsamkeit, Freudigkeit und Treue. Darum dürfen wir als Endergebnis und als Rechnungsabschluß unter dieses Leben jenes Wort der Verheißung setzen. Wir dürfen den Heiland erinnern an diese Verheißung und ihn bitten, um dieser Verheißung willen unsrem teuren Entschlafenen Gnade zu erweisen, wenn er am Ort der Reinigung der Gnade noch bedarf, unser Beten und Opfern in Gnaden ihm anzurechnen, ihm und uns in Gnaden ein seliges Wiedersehen zu schenken. Amen.«
[232] Die Kunde vom Hinscheiden des Erzbischofs Willibrord weckte schmerzliche Trauer überall, wo der Verstorbene näher bekannt war. Das war vor allem in der Diözese Metz der Fall, die den verehrten Oberhirten im besten, dankbaren Andenken behalten hatte. Zahlreiche Beileidskundgebungen liefen aus Metz in Beuron ein. Das schönste Denkmal hat dem Verstorbenen sein Nachfolger, Bischof Pelt, in dem von warmer Liebe getragenen Hirtenschreiben gesetzt, das er schon am 17. April erscheinen ließ. Darin wird betont, Bischof Willibrord habe sein Versprechen, allen alles zu werden, »in den fruchtbaren Jahren seiner langen und glorreichen bischöflichen Wirksamkeit«, vollauf gehalten. Es gehöre der Geschichte an, mit welch herzlicher Hingebung er sich mehr und mehr den Gebräuchen, der geistigen Eigenart und Sprache der Lothringer anpaßte, mit welchem Eifer er seinen geistigen Kindern die Schätze der Gnade austeilte, zu deren Verwalter ihn der Herr bestellt, mit welcher Festigkeit er den katholischen Glauben gegen alle Gefahren beschützte, mit welcher Kraft der Überzeugung er den Seinen die Nahrung des Gotteswortes bot. Was sich im oberhirtlichen Wirken Bischof Willibrords am nützlichsten erwiesen habe für das geistliche Wohl der Diözese, sei die Förderung der eucharistischen Frömmigkeit gewesen. Hätte er kein anderes Verdienst als dieses, so würde ihm das schon einen Ehrenplatz sichern unter den berühmtesten Hirten der Metzer Kirche.
Wie groß die Anhänglichkeit der Metzer an ihren alten Bischof war, zeigte sich beim feierlichen Trauergottesdienst in der Kathedrale am 28. April. Kopf an Kopf drängte sich die andächtige Menge und an die vierhundert Priester nahmen an dem Pontifikalrequiem teil, das Bischof Pelt hielt.
Welch hohen Ansehens sich Bischof Willibrord in den weitesten Kreisen erfreute, zeigten die vielen Telegramme und Briefe, die nach Beuron gerichtet wurden. Kardinalstaatssekretär Gasparri telegraphierte, der Heilige Vater habe mit lebhaftem Schmerze die Nachricht vom Hinscheiden des Erzbischofs vernommen und bete [233] für die »auserwählte Seele.« Generalvikar Thomas von Paris stellt dem »heiligen Bischof« das Zeugnis aus, er habe die Kirche von Metz mit soviel Klugheit und Eifer geleitet. Ein Geistlicher aus Versailles schrieb[1]: »Dieser würdige Prälat läßt aufrichtiges Bedauern und ein fleckenloses Andenken zurück. Die Metzer werden immer an seine Güte zurückdenken, an seinen Takt und seine Seelengröße, die er in heiklen Lagen erprobte.« Ein Prälat meinte, Bischof Willibrord sei doppelt ehrwürdig in seiner Würde als Praesul (Bischof) wie in seinen Leiden als exsul (Verbannter). Ein früherer Bezirkspräsident von Lothringen, ein Protestant, schrieb: … »ich möchte damit auch gleichzeitig zum Ausdruck bringen, wie sehr mir der Tod dieses von mir stets in höchstem Maße verehrten Gottesmannes zu Herzen geht. Ich habe in dem Verstorbenen stets den wahrhaft frommen und wahren Menschen, die anima candidissima (lauterste Seele) aufrichtig und herzlich verehrt und es wird für mich bis an mein Lebensende ein tröstlicher Gedanke bleiben, daß es mir im Januar dieses Jahres vergönnt war, meinen vortrefflichen Leidensgefährten lothringischer Vergangenheit noch in Baden-Baden besuchen zu können … Euer Gnaden kann ich die Versicherung geben, daß ich dem edlen, feinsinnigen und überzeugungstreuen letzten deutschen Bischof von Metz ein treues, liebevolles Gedenken bewahren werde.«
Ein Ordensmann, der ihm als Sekretär zur Seite stand, schrieb über ihn[2]: »Ich war etwas weniger als ein Jahr im Hause des Bischofs Benzler. Der Haupteindruck, der mir von diesem Zusammenleben geblieben ist, ist der der Ruhe und des Friedens, die er um sich verbreitete. In der Unterhaltung war er ernst und sanft, ja von einer etwas melancholischen Sanftmut, die wohl eine Folge seiner bereits erschütterten Gesundheit und der zahlreichen Schwierigkeiten seiner Stellung war. Ich glaube, diese natürliche Sanftmut war der Hauptzug seines Charakters; denn Bischof Benzler hatte stets eine Neigung zur [234] Güte und einen poetischen Zug zur Natur mit einem ausgesprochenen Hang zur Einsamkeit. Gleichzeitig aber verbarg sich in ihm eine gewisse Heftigkeit oder um einen minder starken Ausdruck zu gebrauchen, eine feurige Aufwallung, die sich zeigte, wenn er Widerstand fand. Sie hatte, nach meiner Ansicht, ihren Grund in den ungewöhnlich starken intellektuellen und religiösen Überzeugungen des Bischofs, die in ihm mit einer großen Liebe zur Kirche und zur Wahrheit verbunden waren und die er mit großem Eifer, ja selbst mit Feuer verteidigte. Zu jener Zeit war er durch seine übernatürlichen Tugenden und seine tiefe Frömmigkeit dahin gekommen, diese natürliche Heftigkeit fast völlig zu beherrschen. Nur sehr selten konnte man ihn aufgeregt oder erzürnt sehen, und wenn dies einmal geschah, so war es immer für das Gute und mit einer gewissen Zurückhaltung.
Es war ihm auch eine große Begeisterung für alles Schöne und Edle eigen. Der Hauptzug an dieser edlen Bischofsgestalt war aber ohne Zweifel seine englische Frömmigkeit. Die heilige Liturgie schätzte er überaus hoch. Jeder, der den Bischof Benzler die heilige Messe lesen sah, fühlte sich tief erbaut, und man konnte dem Gottesdienst in der Kathedrale nicht beiwohnen, ohne von des verehrten Prälaten würdevoller Haltung voll Adel und verhaltenem Feuer ergriffen zu werden. Bemerkenswert ist die besondere Andacht des Bischofs zum heiligsten Sakrament. Man konnte ihn oft in tiefer Anbetung vor dem Tabernakel sehen. Er war mit einem Wort ein Mann des Gebets. Und das ist, wie ich glaube, das Geheimnis seiner Heiligkeit und der eigentliche Grund seines fruchtbaren Wirkens in der Metzer Diözese, trotz so gehäufter Schwierigkeiten. Zur Unterstützung dieser Meinung will ich hier das Wort eines sehr verdienten Ordensmannes anführen, der den Bischof genau kannte. »Der Bischof«, so sagte er, »hat viele Schwierigkeiten gefunden und er wird deren noch mehr haben; aber er wird über alles siegen, denn er ist ein Mann des Gebetes.«
[235] Bischof Benzler hatte auch eine edelmütige, zarte und selbstlose Nächstenliebe. Er gab beständig und überreich. Niemand wandte sich an ihn, ohne Unterstützung zu finden. Vielleicht ist es nicht bekannt, daß er für jeden verstorbenen Priester der Diözese die heilige Messe zu lesen pflegte. Eine besondere Aufmerksamkeit hatte er für die Personen seiner unmittelbaren Umgebung. Der Bischof ging soweit, daß er für die Schwestern des Hauses an ihrem Namenstag die heilige Messe las. Erwähnen möchte ich noch das hingebende Interesse, das der Bischof für seinen Klerus trug und das sich so oft in den achtzehn Jahren seines Episkopats, aber ganz besonders während des großen Krieges gezeigt hat. So oft ich in den letzten Jahren mit Priestern der Diözese Metz gesprochen habe, war ich überrascht von der hohen Verehrung, die sie ihrem ehemaligen Oberhirten bewahrt haben.
Bei alledem blieb der Bischof, darüber sind alle einig, immer ein ganzer Mönch und Sohn des heiligen Benedikt. Mit allem Eifer übte er darum die monastischen Tugenden. Alle, die ihm nähertraten, konnten seine Einfachheit, seine Liebe zur Armut und seine Begeisterung für die Gebräuche des Ordens bewundern. Er war ein begeisterter Mönch, ein heiliger Priester, ein großer Bischof. Sein Andenken sei in Segen!«
Die Abtei Beuron schätzt sich glücklich, die teuren Überreste des edlen Mannes, zu besitzen. Sie wird das Grab hüten als das Grab eines ihrer größten, verdientesten Söhne.
Nun ruht er in der stillen Gruft vor dem Altare des heiligen Benedikt, dessen begeisterter Schüler er gewesen. Sein Grab ist in einer Reihe mit dem des Erzabtes Maurus Wolter und des Abt-Primas Hildebrand de Hemptinne, die er beide so geliebt und geschätzt: der erste Erzabt, der erste Primas und der erste Bischof aus der Kongregation, alle drei liegen nebeneinander in der Klosterkirche und erwarten die ewige Auferstehung.
[236] Treue, opferwillige Anhänglichheit von Priestern der Metzer Diözese hat dem vielgeliebten Oberhirten in der Kathedrale ein feierliches Jahresgedächtnis und in Beuron eine metallene Grabplatte gestiftet. Diese Grabplatte trägt die einfache, schöne, von einem Mönche des Hauses entworfene Inschrift:
HIC IN PACE
☧
REQVIESCVNT MEMBRA
EXIMII PATRIS REV.MI D.
ARCHIEP. TIT. ATTALIENSIS
WILLIBRORDI BENZLER
QVI E BEVRONAE MONACHO
FACTVS A. D. 1893 PRIMVS ABBAS
LACENSIS COENOBII RESTITVTI
POST AB A. 1901 AD A. 1919 VSQVE
CLARVIT EPISCOPVS METENSIS.
D. 16. OCTOBR. |
† | D. 16. APRILIS |
FRVARIS XPI LVMINE
CVM PATRIBVS
d. h. »Hier ruhen im Frieden Christi die Gebeine des hochverdienten geistlichen Vaters, des hochwürdigsten Herrn Titularerzbischofs von Attalia, Willibrord Benzler. Erst Mönch von Beuron, wurde er im Jahre des Herrn 1893 erster Abt des wiedereröffneten Klosters Laach; hierauf war er vom Jahre 1901 bis 1919 leuchtende Zierde des Bischofsstuhles von Metz. Geboren am 16. Oktober 1853. Zur Ruhe eingegangen am 16. April 1921. Genieße der Wonne des Lichtes Christi in der Gemeinschaft deiner Väter!«
Diese eherne Platte wird für ewige Zeiten erzählen, was der nun in Gott Ruhende Beuron, Maria Laach und Metz gewesen.