Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Erster Theil/I

I. Kapitel
Erster Theil
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aus: Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839. Erster Theil. S. 1–24.
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von: Felix Lichnowsky
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I.


Ankunft in Bayonne. — Zug über die Grenze. — Zugarramurdi. — Yrun. — Don Diego Miguel de Garcia. — Gefecht von Amezagaña. — Ankunft im Königlichen Hoflager.

(4. bis 10. März 1837.)

[3] Nach einer raschen Fahrt von Bern über Genf, Lyon und das südliche Frankreich, kam ich am 3. März 1837 nach Bayonne. Meine Reise war der Vorläufer eines Kreuzzuges für eine Sache, die ich als heilig und gerecht ansah. Mir schwebte damals und seither, einer Oriflamme gleich, in Kämpfen und Gefahren das hehre, ritterliche Bild des Erlauchten Gönners vor, dem diese Blätter geweiht sind. – Sein Name sei der Schirm und Schutz des Buches wie des Schreibers. Der tiefe Blick des Meisters wird nachsichtig meine schwachen Versuche aufnehmen, und wenn es mir auch nicht gegönnt wäre Ihn zu nennen, so würden doch meine Freunde das Vorbild erkennen.

[4] An der Adour-Brücke nahm ein Gensdarme meinen Paß ab und schnitt ein sonderbares Gesicht, als auf die Frage, welchen Gasthof ich wählen würde, ich das Hôtel Saint-Etienne nannte. Dieses war damals der Sammelplatz aller Carlisten, die von dem Kriegsschauplatze kommend durch das Innere Frankreichs, nach Catalonien oder Aragon befördert zu werden wünschten, und welche mit genügenden Empfehlungsbriefen oder Erkennungszeichen versehen waren, so daß die carlistischen Commissaire es übernehmen konnten sie bekannten Guiden anzuvertrauen und über die Gränze zu spediren. Ich zeigte meinem Wirthe meine Briefe vor; er war durch Herrn von C. de S. in B. von meiner Ankunft benachrichtigt und wußte sich mit mir zu benehmen. Die größten Fehler waren bereits geschehen, nach Bayonne einzufahren und meinen Paß abzugeben; Beides hätte vermieden werden können, wäre ich mit Terrain und Verhältnissen bekannt gewesen. Mein Wirth war eben im Begriffe mir alle Schwierigkeiten des Uebergangs breit auseinander zu setzen, als ein Polizei-Commissair eintrat und um den Zweck meiner Anwesenheit fragte. Mein vortrefflicher Paß schützte mich vor allen Gewaltthätigkeiten; doch [5] mag der Monat März zu Vergnügungsreisen wenig geeignet geschienen haben, denn auf meine unvollständigen Auskünfte gab er mir die Weisung, nach acht und vierzig Stunden die Stadt zu verlassen und die Straße in entgegengesetzter Richtung nach Bordeaux einzuschlagen. Mein Wagen und jeder meiner Schritte wurden durch verkappte Polizei-Agenten stets im Auge behalten, und von nun an blieb mir nur übrig blindlings der Leitung meines Wirthes mich zu überlassen. Er fing damit an mir ein Pferd zu verkaufen, welches sammt Sattel, allerlei Waffen und sonstigen später unnöthig befundenen Requisiten mir viel theurer zu stehen kam als auf dem Kriegsschauplatze selbst. Hierauf schickte er einen Boten nach Sare, einem Dorfe an der äußersten Grenze, wo Graf Alfred Stolberg gestorben und begraben ist. Er ließ einen bekannten Contrebandier-Chef holen. Michel Dihursubehér, genannt Hauciartz (Benennung seines Erbguts), kam am folgenden Mittag; ein Mann zwischen fünfzig und sechszig, untersetzter Statur, mit rothem Gesicht und kleinen funkelnden Augen. Er hatte lange für einen der verwegensten und glücklichsten Schleichhändler gegolten, doch schien er nun bequem oder alt, und seine [6] zahlreichen Nebenbuhler in diesem damals sehr einträglichen Gewerbe behaupteten, sein Glück und seine Geschicklichkeit beruhten nur mehr auf gutem Einverständnisse mit dem Maire seiner Gemeinde. Das mag nun Wahrheit oder Verläumdung sein, – nie kam ich später auf meinen vielen Zügen in diesem Lande so bequem über die Grenze. Preis und Stunde wurden mit Hauciartz verabredet: hundert Francs für mich und ebensoviel für meine beiden Diener, beim ersten carlistischen Vorposten auszuzahlen. Am 5. März Nachmittags ging ich mit meinem Wirthe und dessen Frau in meiner gewöhnlichen Kleidung spazieren längs der Promenade der schönen Welt von Bayonne, an der Adour gelegen und allée marine genannt. Wir bogen links ein, in der Richtung des historisch-berühmten Schlosses Marrac. Im Vorhofe eines einzelnen Hauses wartete Hauciartz mit zwei Pferden, gedrungenen baskischen Kleppern. Er gab mir für mögliche Anhaltungsfälle ein kleines Stück Papier, Passavant genannt, welches einem Uhrmacher aus Bayonne die Erlaubniß ertheilte, die Uhren in Espelette, einem nahen Grenzdorfe, zu repariren. Ich nahm Abschied von meinen Wirthen, stieg zu Pferde, und wir trabten [7] der Chaussee entlang, welche wir nach einer halben Stunde verließen und quer über die Haide ritten. In weiten Distanzen sahen wir die Baraken der Douaniers. Endlich kamen wir in die Berge. Ohne genöthigt zu sein abzusteigen, erklimmten wir einige. Es ward Nacht. Mehrere Wachtfeuer brannten auf gemessenen Entfernungen, und am äußersten Horizont flackerte lustig das Licht des Leuchtthurms von Biaritz, der dem ministeriellen Journal von Bayonne den Namen geliehen. Nach fünf Stunden Ritt und langen, mitunter wohl unnöthigen Umwegen kamen wir in das schmale Thal von Sare und hielten vor einem großen Hofe, dem Hause meines Guiden. Wir stiegen ab und setzten uns um das Feuer in der Küche. Dort gesellte sich ein Huissier aus Bayonne zu uns, der als Nebenverdienst den baskischen Contrebandiers Pferde über die Grenze schmuggeln half. Wir aßen in friedlicher Eintracht, worauf ich mich in einem guten Zimmer auf ein vortreffliches Bett legte. König Carl hatte in diesem Zimmer zu Mittag gegessen, als er von dem Baron de los Valles geführt und von mehreren Royalisten aus Bayonne begleitet die spanische Grenze überschritt. – Hauciartz war sein Guide, ohne zu [8] wissen, daß es der König sei. Bei Tisch bediente Hauciartz’s Tochter, die auf die gestellte Frage antwortete, der König sollte wohl nach Spanien kommen, und sie möchte ihn dann gerne sehen; worauf Carl V. ihr lächelnd erwiederte, er werde es dem Könige sagen, und das könne wohl noch so kommen. – Durch den langen Krieg war das Herüber- und Hinüberbringen der Carlisten dermaßen zur regelmäßigen Beschäftigung dieser Leute geworden, daß jeder der ersten Schleichhändler in seinem Hause durch ganz comfortabele Gemächer und leidliche Bewirthung für deren Aufnahme sich eingerichtet hatte.

Am 6. Morgens vier Uhr weckte mich die Tochter meines Guiden mit einer Tasse Chocolade. Dieß war der erste Vorgeschmack spanischer Kost. Kurz darauf trat er selbst ein, mein neues Costüm unter dem Arme. Ich fuhr in ein weites Beinkleid von Wollsammt, an der Hüfte durch eine breite rothe Binde gehalten, zog dicke Buntschuhe, blaue Strümpfe und eine kurze Jacke von braunem Tuche an und bedeckte mich mit dem berühmten baskischen Barette, Boïna genannt. Die Boïna, zur spanischen Hoftracht im 16. Jahrhundert gehörig, war mir aus den Gemälden [9] von Velasquez und Titian bekannt; sie ist seitdem nicht verändert; nun das Feldzeichen der Carlisten schien es mir eine Art feierlicher Investitur, als ich sie zuerst auf mein Haupt drückte.

In dieser neuen Tracht, einen Knotenstock in der Hand, folgte ich Hauciartz durch das Dorf, da die Feldwege verdächtiger waren, als die große Straße. Wir schritten an den Douaniersposten vorbei, während er mit großer Volubilität mir ganz unverständliche Dinge auf baskisch vorerzählte, worauf ich bei jeder Pause „bay yauna“ (ja Herr) antworten mußte, den Spähern glauben zu machen, ich sei einer seiner Knechte, dem er Bestellungen gebe. Außerhalb des Dorfes gingen wir über Felder, an einer einzelnen Sennhütte vorbei, meinem Guiden gehörend. Aus dieser trat ein kleines Kind, mit dem er einige Worte wechselte. Wir drückten uns sogleich in ein Gebüsch. Eine Minute später schritten zwei Douaniers dicht vorbei, uns nicht bemerkend. Als sie vorüber waren, setzten wir unsern Weg ungehindert fort. Nach etwa zehn Minuten liefen wir einem kleinen Bache zu, über einen einzelnen Balken und an zwei Grenzsteinen vorbei; Hauciartz setzte sich auf einen derselben [10] und sagte mir mit großer Ruhe: „Wir sind in Spanien.“

Das nächste spanische Dorf Zugarramurdi liegt eine kleine Viertelstunde von der Grenze. Es war damals, wie der ganze Landstrich längs der Pyrenäen vom Bastanthal bis zum Ocean, den carlistischen Waffen unterthan und durch einen doppelten Cordon gegen die französische Grenze und die christinischen Vorposten besetzt. Auf die Wichtigkeit dieser Grenzlinie ist carlistischer Seits nie hinreichend geachtet worden. Zugarramurdi ist ein kleines navarresisches Dorf von der schlechtesten und schmutzigsten Gattung, wie sie nur in den Bergklüften der Pyrenäen und an den Lehnen der von ihnen auslaufenden Sierren anzutreffen sind. Wenige aus Feldsteinen unregelmäßig gebaute Häuser mit halbflachen Dächern und kleinen Fenstern bilden zwei oder drei elend gepflasterte Gassen. Nur der Kirchplatz ist regelmäßig, wie in jedem spanischen Dorfe. Hier wird Markt gehalten und versammeln sich die Einwohner vor der Kirche zu öffentlichen Verlesungen (bandos), Spaziergängen und Spielen. Eine hohe Mauer, durch Striche und Nummern abgetheilt, war hier wie überall. An Sonn- und Festtagen stehen die [11] männlichen Bewohner davor und werfen mit großer Geschicklichkeit Bälle nach bezeichneten Punkten. Ein bedeutender Raum vor dieser Mauer ist entweder fest gestampft oder mit großen flachen Steinen sauber gepflastert. Zwei bessere Gebäude ragen hervor, das Pfarrhaus und die Venta. Zugarramurdi liegt in einem engen Kessel von hohen Bergen umragt, deren Spitzen fast immer in Wolken gehüllt sind. Auf zwanzig Schritte vom Dorfe ist eine weite Stalaktiten Höhle, die einzige Merkwürdigkeit des Orts.

Mein Guide mußte mich zuerst zu dem carlistischen Commandanten führen. Wir hielten vor einem kleinen Hause mit einer Schildwache: ein großer stämmiger Bursche mit langen Haaren und kurzer Sammtjacke, blauer Boïna mit langer Troddel, Sandalen an den Füßen, die Patrontasche um den Leib geschnallt, daran rechts das Bajonnett; um den Hals an seidner Schnur ein viereckiges Säckchen in einer Kirche geweiht, das Scapulet, welches jeder gläubige Spanier trägt; es soll vor Wunden und Teufelsspuck schützen. Alles an ihm war schmutzig, nur sein englisches Gewehr blinkte rein und wohlgeputzt. Er stand nachlässig auf dasselbe gelehnt und rauchte gemächlich eine Papier-Cigarre. [12] Diese unmilitairische Erscheinung war also der erste Verfechter von Thron und Altar, auf den ich stieß, und es wird mir Niemand verübeln, wenn ich damals ein vielleicht vorschnelles, ungünstiges Urtheil über das Ganze fällte. Der Oberst Don Rafael Ybarola, General-Commandant längs der französischen Grenze, war ein großer, kräftiger Fünfziger, dessen ganze Figur das Gepräge des ächten Navarresen trug. Er war in die oft beschriebene Zamarra gekleidet, eine schwarze kurze Jacke von Schaffell, die Wolle nach Außen gekehrt. Zumalacarregui hatte sie bei den carlistischen Truppen eingeführt, und seitdem ist sie das Winter- und Bivouac-Costüm der Offiziere geblieben. Ybarola empfing mich Anfangs kühl; doch als ich ihm eine Contremarque des königlichen Commissairs übergeben, ward er sehr artig, ergoß sich in einen Schwall von Höflichkeiten und frug, ob ich spanisch oder baskisch spräche. Als er gewahr ward, daß ich Ausländer sei, war die zweite Frage, ob ich Franzose, Engländer oder Portugiese wäre. Auf meine Verneinung erwiederte er: Pero ya no hay mas! (Es gibt ja sonst nichts mehr!) Meine Erklärung Aleman oder Prusiano[WS 1] schien ihm gänzlich unverständlich, und [13] er ließ es auch dabei bewenden. Da unsere Conversation nicht von Statten ging, versicherte er mich, es wäre ein Gelehrter im Dorfe, der alle Sprachen rede, und ließ einen ehemaligen Professor der Mathematik aus Madrid rufen, der Lehrer des Infanten Don Sebastian gewesen und nun als Commissair zur Prüfung des Salpeters an diesem Grenzorte angestellt worden. Don José Arias war ein ziemlich gebildeter Spanier, der mich gebrochen französisch anredete und in Begleitung des Pfarrers, eines Carmeliters, den neuen Ankömmling zu sehen kam. Ybarola überließ mich diesen beiden Männern und ging mein Eintreffen nach Yrun zu berichten, da ohne Erlaubniß des dortigen Ober-Commissairs Niemand weiter in das Land eindringen durfte. Don José lud mich zu Tische, welches ich, mit den spanischen Höflichkeitsformeln unbekannt, ohne Umstände annahm und den Mann dadurch in große Verlegenheit setzte. Abends kamen einige Fremde über die Grenze. Sie hatten vor Kurzem Aragon verlassen und wußten viel von dem berühmt werdenden Cabrera zu erzählen. Ihr Lob schien aber den anwesenden Navarresen nicht zu gefallen.

[14] Am andern Tage kam die Antwort aus Yrun. Ich nahm Abschied von Ybarola, den ich nicht mehr sehen sollte, da er einige Zeit darauf von einer christinischen Streifparthie der Chapelgorris (Rothmützen) bei einem einsamen Spaziergange aufgegriffen und sogleich ermordet ward. Er lieh mir sein Pferd, auf dem ich von vier Soldaten begleitet Zugarramurdi verließ. Wir ritten auf Gemssteigen hart an Schluchten und Abgründen; auf einer Seite himmelhohe Felsen, auf der andern tief unter uns die schwarzen, rauschenden Wogen der Bidassoa. In dieser furchtbaren Wildniß finden sich nur einzelne Sennhütten; man begegnet Heerden weidender baskischer Schafe mit langen Schwänzen und nackten, schwarzen Beinen; hie und da springen erschreckt wilde Gebirgsklepper auf, die herrenlos umherirren und eingefangen werden. Nach vier Stunden Marsch langten wir in Vera an, wo wir Mittagshalt machten. Vera gleicht Zugarramurdi, und hat erst durch die Vertheidigung seiner Kirche (April 1838) eine gewisse Berühmtheit erlangt. Nachmittags setzten wir unsern Marsch fort. Im Abendlichte sahen wir vor uns die Bucht von Yrun, links in weiter Entfernung, in das Meer hinausgestreckt, einer Landzunge gleich die Berge [15] und das Castell von Fuentarrabia, aus allen Zeiten in den Kriegsgeschichten bekannt, und am äußersten Horizont, in halber Dämmerung zwischen Himmel und Meer, das alte Schloß du Figuier. Der Golf von Biscaya lag in majestätischer Pracht ausgebreitet; die Bidassoa, die sich in denselben ergießt; rechts die französische Küste, und an ihrem Horizonte abermals der Leuchtthurm von Biaritz; auf hoher See die weißen Segel der englischen Trincaduren, zu unsern Füßen das freundliche Yrun mit seinen netten Häusern, umgeben von Gärten und wohlbebauten Feldern, gekrönt durch die neue militairische Anlage, das Fort-du-Parc. Dieses prachtvolle Rundgemälde ist einerseits durch die Kette der Pyrenäen, auf der andern durch die Spitzen der Sierren von Guipuzcoa begränzt. Ich war im Anblick des zauberischen Bildes versunken, welches mich vollkommen mit den Gegenden versöhnte, die ich eben durchschritten.

Der königliche Ober-Commissair Don Diego Miguel de Garcia empfing mich in seinem Bureau mit allen Formen selbstgefälliger Wichtigkeit und gravitätischer Würde. Er schien Anfangs große Lust zu haben mir viele Schwierigkeiten zu machen, und citirte eine [16] Menge Franzosen und einen deutschen Grafen sehr vornehmer Abkunft, die er zurückgeschickt. Ich zog meine Empfehlungsschreiben hervor, die glücklicher Weise unversiegelt waren, und hatte Muße, während er sie aufmerksam durchlas, sein verschmitztes Gesicht zu betrachten. In diesen tiefliegenden, dunkeln Augen, vorragenden Brauen, dem stets lächelnden Munde, in dem durch sarkastische Züge gefurchten Antlitze konnte man die Geschichte der doppelzüngigen geheimen Politik Ferdinand VII. und des schaudervollen guêt à pens lesen, dem die Hinrichtung von Torrijos gefolgt. Don Diego Miguel de Garcia war derselbe vertraute Agent Ferdinand VII., der dem alten General Moreno, damals General-Capitain von Malaga, als Secretair beigegeben, ohne dessen Wissen nach Gibraltar ging, mit Torrijos und seinen Verbündeten Rücksprache nahm, und ihn des Einverständnisses Moreno’s und seiner Truppen versicherte; worauf Torrijos bauend mit seinen fünfzig Gefährten bei Malaga landete, und bekanntlich auf Befehl Moreno’s, dem das ganze Gewebe seines Secretairs unbekannt gewesen, ergriffen und erschossen ward. Diese grauenvollen Details wußte ich damals noch nicht, und doch konnte [17] ich in der Nähe dieses Mannes mich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren. Tags darauf aß ich bei ihm und es quoll mir der Bissen im Munde als er den Tractat Elliot die Ursache der geringen Fortschritte carlistischer Waffen in der letzten Zeit nannte und als eine infame Transaction mit den Liberalen bezeichnete. Die folgenden Jahre haben meine Ahnung nur bestätigt, und bei allen Machinationen gewissenloser Intriguanten, welche die carlistische Sache ins Verderben stürzten, findet man Garcia, wenn gleich oftmals in untergeordneter Stellung, doch stets als Hauptwerkzeug wirkend und zu jedem Bubenstück bereit.

Aller seiner Freundlichkeit für mich ungeachtet wollte er mich doch nicht ins königliche Hauptquartier lassen, ehe Antwort eingeholt worden, und so mußte ich mich darauf gefaßt machen, bei der Langsamkeit der Communicationen wenigstens drei bis vier Tage in Yrun zu verweilen. Ich verbrachte die Zeit bestmöglichst, und muß Garcia die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er sich alle Mühe gab, mich zu unterhalten. Wir fuhren in der Bucht spazieren, besuchten die Festungswerke, das Castell von Fuentarrabia, woraus – einer alten Legende zufolge – bei einer Belagerung, nach Verbrauchung [18] aller Munition, mit goldenen und silbernen Kugeln geschossen ward, aus den Gefäßen der Kirchen und dem Eigenthume der Einwohner gegossen. Daher führe Fuentarrabia den Titel: „heroische und unbesiegte, stets getreue Stadt;“ (heroica y invicta, Siempre fiel ciudad de Fuentarrabia.)

In langen Stunden gab mir Garcia, dieser wirklich talentvolle Mann, merkwürdige Aufschlüsse über das Gewebe und Treiben im Hoflager und Heere. Er mochte vielleicht annehmen, daß ich berufen sein dürfte, daselbst eine gewisse Rolle zu spielen, denn er trachtete mir langsam das Gift seiner Ansichten und Grundsätze einzuflößen. Am zweiten Tage Abends als ich eben von einem langen Spazierritte zurückkam, den ich in Garcia’s Begleitung gemacht – da er mich nie aus den Augen ließ – fand ich meine Leute, nach manchen Mühseligkeiten mit meinem Gepäcke angelangt. Es war volles Leben im Gasthofe. Viele gut gesattelte Pferde von schöner spanischer Race und einige Lastthiere hielten am Thore. Sie gehörten den Kammerherren des Königs, die einen Lustritt nach Yrun gemacht und daselbst die Nacht zuzubringen gedachten. Ich trat in den Saal und machte die Bekanntschaft [19] dieser Herren. Es waren vier Granden von Spanien erster Klasse, die mit Aufopferung ihres großen Vermögens und preiswürdiger Uneigennützigkeit dem Könige gefolgt. Ihre Namen sind: die Marquis de Villafranca und del Monesterio und die Grafen de Orgaz und de Cirat; der fünfte ebenfalls königlicher Kammerherr, war von einem der acht großen Häuser von Majorca, die ohne Granden zu sein sich denselben gleich achten; Don José de Zureda, Sohn des Grafen von Vivot. Der sechste, ein ehemaliger königlicher Agent in Frankreich, von Geburt ein Catalonier, Carles genannt, war eine jener räthselhaften Gestalten, wie sie zu allen Zeiten in der Umgebung eines Prätendenten anzutreffen waren.

Der Gasthof in Yrun gehörte zu den besten der baskischen Provinzen. Vortreffliche Seefische und herrliche Südfrüchte nebst starkem, dunklem navarresischen Wein (vino de la Rioja), der in Schläuchen gefüllt über die Berge nach Guipuzcoa gebracht, durch die Reise an Güte gewinnt. Der Gefährte meines Abendessens war ein großer, dicker Mann, der in mein späteres Leben in Spanien zu oft eingriff, als daß ich seiner nicht erwähnen sollte. Don Joaquin de Gaztañaga [20] war Regidor von Tolosa. Einige tadelnde Worte, die ich über die vielen non-combattans am königlichen Hoflager fallen ließ, schienen sein Zutrauen zu erwecken. Er sprach sich mit Wärme in echt fueristischem Sinne aus. Wir wurden bald näher bekannt; er bot mir sein Haus an, in dem ich später mit Herzlichkeit aufgenommen, zu verschiedenen Zeiten mehrere Monate zugebracht habe.

Am andern Morgen, 10. März, ward ich um vier Uhr früh durch einen anhaltenden Lärm geweckt, den ich zuerst für Donner hielt, doch bald gewahrte, daß es klein Gewehrfeuer in geringer Entfernung sei. Ich eilte schnell ins Freie auf den Platz, als eben das königliche Gefolge aufsaß, um in das Hoflager zurückzureiten. Alles war in größter Bewegung; man glaubte an einen Angriff Yruns, Seitens der englischen Truppen aus San Sebastian. Die schwache Besatzung der offenen Stadt hätte sich unmöglich lange halten können. Don Diego hatte nicht Zeit an mich zu denken und ich benutzte die allgemeine Verwirrung, um einen Klepper des Wirths zu miethen, mit dem ich in die Gegend des Feuers eilte. Nach einer Stunde begegnete ich einem Detachement Reiter; ihr Chef, [21] Oberst Montagut, wies mir auf meine Frage ein die nächste Höhe besetzendes Bataillon. Es war das zweite von Guipuzcoa, die Söhne von Tolosa genannt, eine in der carlistischen Kriegsgeschichte berühmte Truppe. Ich ließ meinen Klepper stehn und hatte das Glück, Theilnehmer an dem Sturm der Höhen von Amezagaña zu sein, der das Schicksal dieses Tages entschied. Ich war dadurch dem königlichen Hauptquartier zu nahe gekommen, um an Zurückkehren nach Yrun zu denken, folgte daher dem einmarschirenden zweiten Bataillon bis nach Andoain, wo der König Hoflager hielt.

Andoain war leer, denn der König war mit Gefolge und Garden ausgeritten, von einer benachbarten Höhe Zeuge des Gefechts zu sein. Auf dem Platze vor dem Pfarrhause, welches er bewohnte, ging ein alter Mann nachdenkend auf und ab. Er trug breite, silberne Brigadiersstickerei und war mit dem Ritterkreuz von Santiago[WS 2] geziert. Der Mann imponirte mir außerordentlich; es war der erste carlistische General, dessen ich ansichtig wurde; er hatte ein sehr würdevolles Aeußere. Ich wandte mich an ihn und holte wieder meine Empfehlungsschreiben hervor. Er [22] gab sich mir als Brigadier Marquis de Santa Olalla, Gouverneur des königlichen Hauptquartiers, zu erkennen. So hatte mich der Zufall begünstigt, in dem ersten Augenblicke mit dem Manne zusammenzutreffen, der mein Bleiben im Hauptquartier bewirken konnte. Ich trachtete ihm begreiflich zu machen, warum ich ohne Paß des Obercommissairs von Yrun bis Andoain gelangt. Während wir dieses besprachen kam der König zurück. Zwei Garde du corps in blau und scharlach, mit entblößtem Säbel, sprengten voran; hierauf der König. Carl V. ritt einen milchweißen andalusischen Hengst mit rothem Sattel, reicher Schabrake und goldnem Zaumzeug. Er trug einen braunen Civil-Oberrock und, der Einzige von Allen, einen schwarzen runden Hut. Er reitet bekanntlich mit vieler Grazie und hohem Anstand. Um ihn hielten sich in gemessener Entfernung viele damals bedeutende Personen. Es waren darunter die oben erwähnten Kammerherren und sein General-Adjutant Baron de los Valles, der kühne und glückliche Führer des Königs aus England bis auf spanischen Boden, der schon in Portugall große Beweise von Fähigkeit und seltener Geistesgegenwart gegeben, und bis zum letzten Augenblicke seinem unglücklichen [23] Herrn treu auf dem Schlachtfelde und im Cabinet oft gute Dienste geleistet. Auguet de Saint-Sylvain, Baron de los Valles, gehört zu jenen seltenen, stets entschlossenen, energischen Charakteren, die in kritischen Momenten von der höchsten Wichtigkeit sind. Man kann jedem Prätendenten solche Diener wünschen.

Einige Personen, die das damalige Ministerium bildeten, befanden sich auch im Gefolge des Königs, doch auf diese werde ich später zu kommen Gelegenheit haben. Einen schönen französischen Schimmel ritt ein geheimnißvoller Agent mehrerer Höfe und hoher Personen, dessen Thun und Treiben im Hauptquartier Niemand kannte, und der unter dem Pseudonym Monsieur Léon de Neuillat ging. Er ist immer mein Freund gewesen, weshalb ich hier seinen wahren Namen verschweige, den er nicht genannt wünscht und den er, wie den angenommenen, auf ehrenvolle Weise trug. Den Schluß machte eine Abtheilung wohlberittener Gardereiter.

Als der König vorüber war, gab mir der alte Gouverneur einen Quartierzettel. Ein einsames Landhaus, etwa zehn Minuten von Andoain gelegen, war [24] meine neue Wohnung, die ich mit einem italienischen Offizier, Grafen Mortara, zur Zeit Obrist im Generalstabe, theilte. Ich richtete mich bestmöglichst ein, und so war ich denn im Hauptquartier Carl’s V. installirt.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Seite 376, Errata: „Seite 12. Zeile 1 v. u. Prussiano soll heißen Prusiano.
  2. Vorlage: Sautiago