Erinnerungen aus dem Jahre 1806. Die Schlacht bei Jena und Auerstädt

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Titel: Erinnerungen aus dem Jahre 1806. Die Schlacht bei Jena und Auerstädt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, 45, S. 597–599, 610–612
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[597]
Erinnerungen aus dem Jahre 1806.
Die Schlacht bei Jena und Auerstädt.
I.
Einen Tag vor der Schlacht.

Viele unserer Vorfahren hatten die löbliche Gewohnheit, Alles das aufzuzeichnen, was sie Merkwürdiges selbst erlebt, oder was sich in ihrer Umgebung Bemerkenswerthes zugetragen hatte; und solche Chroniken sind für die Geschichte einzelner Städte und Landschaften sehr wichtige Quellen geworden, indem man aus denselben oft Einzelheiten kennen lernt, welche außerdem gänzlich unbekannt geblieben sein würden. Die nachfolgende Schilderung, welcher der Verfasser jedoch weit entfernt ist, eine solche Wichtigkeit beizulegen, möge man auch als ein Stück Chronik ansehen. Der zum fünfzigsten Male wiederkehrende 14. Oct. rief ihm jetzt wieder das Andenken an jene Zeit zurück.

Der Würfel war gefallen und der Krieg zwischen Frankreich und Preußen hatte begonnen. Der Großherzog von Berg forcirte am 8. Oct. den Uebergang über die Saale bei Saalburg gegen das preußisch-sächsische Corps; am 9. Oct. schlug der Fürst von Ponte-Corvo die Sachsen und Preußen unter Tauenzien bei Schleiz, und am 10. Oct. der Marschall Lannes den Vortrab des Fürsten von Hohenlohe unter den Befehlen des Prinzen Louis von Preußen bei Saalfeld, wobei dieser selbst blieb. So war am 12. die preußische Armee in ihren Stellungen schon überflügelt und hatte bereits ihre Magazine verloren.

Ich war damals auf der Domschule zu Naumburg, und uns jungen Leuten bot sich ein lebendiges, mannigfaltiges Schauspiel. Preußisches Militär von den verschiedensten Waffengattungen rückte ein oder zog durch; Magazine wurden angelegt, Feldbäckereien begannen ihr Geschäft. Wir bewunderten die streng-disciplinirten Leute in ihrer steifen Dressur; nur ihre Uniformröcke vom gröbsten blauen Tuche mit ihren schmalen Schwänzen, welche einen gewissen Hintertheil des Körpers fast ganz unbedeckt ließen, wollten uns nicht besonders gefallen, noch weniger aber, als wir bei näherer Bekanntschaft mit den Soldaten erfuhren, daß ihre Westen nur ein Schein von Westen waren, indem sie, ohne Hintertheile, als Lappen an die Röcke angenäht saßen. Das nannte man den preußischen Pfiff! Die Stimmung der Bevölkerung war überhaupt den Preußen nicht ganz günstig, vermuthlich weil sich die Sachsen noch der Drangsale erinnerten, welche ihr Land durch die Preußen im siebenjährigen Kriege erlitten hatte.

[598] Wenn es bisher nun schon gar Manches zu sehen gegeben hatte, so war dies doch Alles nichts gegen den Glanz, welchen das Eintreffen des Königs von Preußen in Naumburg der Schaulust bot. Dies geschah bereits am 30. Sept., denn die Zurüstungen zum Kriege waren schon getroffen, ehe die eigentliche Kriegserklärung erfolgt war.

Naumburg war jetzt mit preußischen Truppen überfüllt, namentlich standen die Garden an dem Orte des königlichen Hauptquartiers. Alles war voll Hoffnung auf den Sieg der preußischen Waffen; denn noch umstrahlte der Ruhm des siebenjährigen Kriegs die Heere Friedrich’s des Großen und der kurze Feldzug in der Champagne hatte ihn nicht verlöschen können, obgleich er unglücklich ausgefallen war.

In langen Reihen standen da die gewaltigen Gardisten mit ihrem riesigen Flügelmanne und passirten unter den Augen des ernst, ja fast finsterblickenden Königs auf der Jacobsgasse die Musterung. Der alte Herzog von Braunschweig, der Generalissimus der Armee, und der greise Feldmarschall von Möllendorf veraugenscheinlichten noch in ihren Uniformen das Bild des vergangenen Jahrhunderts. So hatten die Heerführer des siebenjährigen Krieges ausgesehen. Aber das schaulustige Publikum durfte sich nur aus der Ferne die Sache betrachten; denn streng wurde Jeder zurückgewiesen, welcher sich dem Kreise zu nahen wagte, in welchem sich der König und die beiden alten Kriegsfürsten befanden. – Der König wohnte auf dem alten Schlosse am Markt, welches einst die Residenz der Herzöge von Sachsen-Naumburg gewesen war.

Wurde aber unsere Neugier bei solchen großen Schaustellungen sehr beschränkt, so hielten wir uns desto mehr an die Einzelheiten. Alles und Jedes mußte unsere Privatmusterung passiren und es gab stets reichlichen Stoff dazu. Auch die Unterhaltungen mit den Herren Preußen hatten für uns Schüler manches Lehrreiche und wir erkundigten uns nach Dem und Jenem genauer, was wir gesehen oder gehört hatten. An die Herren Offiziere aber wagten wir uns natürlich nicht; denn diese sahen sehr stolz und hochfahrend aus, und so ein unbärtiger Primaner hatte damals noch eine heilige Scheu vor den adligen Männern, gekleidet in zweierlei Tuch. Dagegen machten uns die sogenannten Junker vielen Spaß, welche, aufgebläht wie kalkuttische Hähne, mit ihren Korporalstöcken einherspazirten und mit überschlagender Stimme ihr Kreuzmillionendonnerwetter herauskrähten, sich aber vielleicht im nächsten Augenblicke oft gefallen lassen mußten, daß ein alter Feldwebel sie haranguirte: Himmelelement, Junker, Sie soll doch gleich das Wetter auf den Kopf schlagen, was ist das für eine Wirtschaft u. s. w? – Mit wahrem Ingrimm sahen wir indeß, wie diese kaum hinter den Ohren trocken gewordenen, eben aus dem Kadettenhause entlassenen adligen Bürschchen alte, graubärtige Soldaten an ihren Ohren oder ihrem greisen Barte zerrten, oder gar, wenn sie zu bemerken glaubten, daß der Eine oder der Andere nicht ganz genau die Linie hielt, ihn mit ihren Stöcken an die Schienbeine schlugen, daß ihm vor Schmerz die Thränen aus den Augen traten. Wenn es sich nun beim Ausmarsche zutrug, daß so ein Junkerlein, von der einen Seite auf’s Pferd geholfen – (denn viele hielten sich Pferde und hatten Bediente, da ihre hochadlige Abkunft sie dazu natürlich bevorrechtete) – die Balance verlor und auf der andern wieder herunter segelte, so konnten wir uns natürlich eines schadenfrohen Lachens nicht enthalten, hätten auch von Herzen gewünscht, daß ein Korporalstock sie für ihre Ungeschicklichkeit bezahlt haben möchte.

In all’ dem kriegerischen Tumulte trat aber ein leuchtendes, schönes Bild vor die Augen Derer, welche so glücklich waren, es zu schauen: die holdselige Gestalt der von ihrem Volke angebeteten Königin von Preußen. Die hohe Frau pflegte nämlich Spazierfahrten nach einem in der Nähe der Stadt an der Saale liegenden Orte zu machen, welcher die „nackte Henne“ hieß und vielleicht noch so genannt wird. Freundlich herablassend erwiederte die Königin Louise die ehrfurchtsvollen Begrüßungen der ihr Begegnenden. Der so unpoetisch klingende Name jenes Ortes, welcher sich rühmen konnte, die hohe Frau öfters zu empfangen, liegt, wie gesagt, an der Saale, etwa eine gute halbe Stunde von Naumburg. Damals führte eine Fähre über den Fluß. Hinter dem Gasthofe erheben sich Anhöhen, welche linkshin, wenn man der Stadt den Rücken zuwendet, nach Freiburg zu steiler werden und mit Weinbergen geziert sind, welche in guten Jahren kein eben schlechtes Product liefern. Oben auf der Höhe von Freiburg befindet sich der sogenannte Edelacker, welchen Landgraf Ludwig von Thüringen von seinen Edelingen einst hatte beackern lassen, um sie wegen ihrer Erpressungen und Mißhandlungen wehrloser Unterthanen zu züchtigen. Das Thal, in welchem die Saale fließt, erweitert sich nach dieser Seite hin allmälig und verengt sich wieder bei Schulpforta. Jetzt zieht sich die Eisenbahn durch dasselbe. Nach der andern Seite öffnet sich ebenfalls ein freundliches Thal, das an beiden gegenüberstehenden Seiten von Anhöhen begrenzt wird, so daß sich, wenn man das Gesicht der Stadt zuwendet, ein reiches Panorama bietet. Die Burg Goseck, oben in dem Theile des Saalthals nach Weißenfels zu, und schräg gegenüber, aber näher liegend, die Ruinen der alten Schönburg auf bewaldeter Höhe bieten einen höchst romantischen Schmuck der lieblichen Landschaft.

Einen etwas erhöhten Punkt, dicht am Ufer der Saale in der nächsten Nähe des Gasthofs hatte sich die Königin erkoren; er war ihr Lieblingsplatz, auf dem sie stets ausruhte. Er erhielt deshalb den Namen „Louisenplatz“ und wurde mit Pappeln umpflanzt. Ob er vielleicht in der Folgezeit noch einen andern Ausschmuck erhalten hat, weiß ich nicht, da bei weitem mehr als ein Menschenalter verstrichen ist, seit ich Naumburg nicht wieder gesehen habe; doch vermuthe ich es gewiß nicht ohne Grund, da solche Traditionen durch die Zeit geheiligt werden. Noch immer schwebt mir das Bild der holdseligen Königin vor Augen; ich sah sie mehrmals, aber das Gesicht mit einem weißen Tuche verbunden, indem sie, wie man sagte, gerade häufig an Zahnschmerzen litt, und doch so mild und freundlich auf die ihr Begegnenden schaute.

Der König brach nach einigen Tagen mit seinen Garden auf und verlegte sein Hauptquartier zuerst nach Weimar und von da, am 13. Oct., nach Auerstädt. Allein es folgten noch stets Durchmärsche einzelner Truppenabtheilungen durch Naumburg. Zuletzt kam ein Corps Pontonniers, und die Pontons wurden auf dem weiten Platze vor dem Schützenhause aufgefahren. Da gab es wieder etwas zu schauen, denn solche Maschinen waren Keinem von uns je noch zu Gesichte gekommen. Allein die Schildwachen hielten eben so streng, wie es früher bei der Parade in der Stadt geschehen war, Alles fern, was sich nahen wollte, diese Pontons sich genauer anzusehen, wie wenn es gegolten hätte, die Geheimnisse einer Festung vor neugierigen Blicken zu hüten, welche die schwächsten Punkte ausspähen wollen, wo sie sich am leichtesten angreifen läßt.

In dem Hause meiner Eltern lagen ein paar solche Pontonniers, und so benutzte ich die Gelegenheit, wo Einer derselben Schildwache zu stehen hatte, um meine Neugier zu befriedigen. Es war der Nachmittag eines Sonntags. Die Nachricht von dem unglücklichen Gefechte bei Saalfeld war durch einige flüchtige Sachsen und Preußen nach Naumburg gelangt, jedoch wagte man kaum öffentlich davon zu sprechen. Auch verbreitete sich bereits die Sage, daß die Franzosen bei Hof ständen und die Preußen auch dort hätten zurückweichen müssen. Da diese Gerüchte immer lauter geworden waren, so theilte ich sie dem mich begünstigenden Pontonnier mit.

„Ach! jehn Sie mich weg!“ war seine Antwort, „das ist eine infamige Lüge. Unser König hat enen Cordon jezogen, wo keene Maus durch kann. Und wenn die Franzosen auch kämen – laßt sie man kommen! Wir sein auch da! Sechs solcher Kerrels zum Morgenbrote! Wofür hätten wir denne so lange Bajonnette?“

Und so renommirte der Held weiter fort. Aber da erhob sich auf einmal um die Stadt her auf der Heerstraße, welche dort an den Wallgräben und Spaziergängen sich vorüber zieht, ein gewaltiger Staubwirbel. Trainknechte mit ihren Pferden kamen im vollen Jagen gesprengt, und auf den Schießplatz zu. Die Pontons wurden eiligst fortgefahren und mein Preuße lief, was er laufen konnte, um aus seinem Quartiere seine Sachen zu holen und sich mit den Anderen auf die Flucht zu begeben. „Die Franzosen kommen! Sie sind schon eben über dem Buchholze! Ein Bauer hat sie gesehen und ist mit Noth und Mühe ihnen entgangen!“ so lautete die neue Schreckenskunde.

Ich eilte zurück in die Stadt. Von dem Thurme der St. Wenzel’s- oder Stadtkirche (im Gegensätze zu andern Kirchen, dem Dome u. s. w. so genannt) mußte man sehen können, was draußen auf den Höhen passirte, das wußte ich, und so wurde, ohne lange zu überlegen, der Thurm erstiegen. Und da sahen [599] denn meine eigenen Augen, daß die Aussage des Bauers auf Wahrheit beruhte.

Südlich von der Stadt erhebt sich nämlich eine Anhöhe, deren oberster Theil mit Wald bewachsen ist, welcher das Buchholz heißt. Dort oben erblickte ich nun zuerst schwarze Massen, welche unbeweglich schienen, allein bald durch das Blitzen der Waffen, und als sie langsam weiter vorwärts rückten, sich als ein starkes Corps Infanterie verriethen, an dessen Flanken jedoch sich auch einige Reiterei zeigte. Nicht lange währte es, so trennten sich ein paar Reiter von ihrem Corps los und jagten nach der Stadt zu. Mittlerweile hatten einige jener von Saalfeld versprengten Preußen und Sachsen die kühne Idee gehabt, das Salzthor zu schließen, durch welches der Feind zunächst einrücken mußte, und sich mit geladenen Gewehren dahinter zu postiren. Der erste sich nähernde französische Husar erhielt einen Schuß und ergriff die Flucht; allein man eilte dem Verwundeten nach und nicht gar weit von der Stadt wurde er von seinen Verfolgern eingeholt und bezahlte sein Wagniß mit seinem Leben. Die Behörden hatten wahrscheinlich von dem tollkühnen Unternehmen der Flüchtlinge Kenntniß erlangt und so wurde das Thor wieder geöffnet.

Ich war noch immer auf meinem Beobachtungsposten geblieben und erfuhr dieses Ereigniß erst später.

Da der erste Franzose nicht zurückkehrte, so setzten sich, wie ich bemerkte, zwei bis drei andere Reiter in Bewegung und diesmal gelangten sie ungefährdet zur Stadt. Bald darauf sah ich den Einen derselben mit dem Säbel im Munde und die gespannte Pistole in der Hand ventre à terre über den Marktplatz und nach dem entgegengesetzten Thore zu sprengen. An den Windmühlen, wo die preußischen Heumagazine aufgethürmt lagen, angelangt, machte er Halt, sah sich nach allen Seiten hin um und jagte dann eben so schnell wieder zurück, um zu rapportiren.

Nun rückten die Franzosen der Stadt schnell näher. Es war, wie man bald erfuhr, das Davoust’sche Korps, die sogenannte Löffelgarde, so genannt, weil die Soldaten auf ihren Hüten fast alle dieses unter den civilisirten Nationen zum Essen nothwendige Utensil trugen. Dieses Korps war, wie es hieß, gegen 60,000 Mann stark, doch war diese Angabe wohl etwas übertrieben.

Der Unfall, welcher den ersten abgesandten Reiter betroffen hatte, hätte der Stadt sehr zum Verderben gereichen können und nur mit großer Mühe und mit bedeutenden Geldkosten war es, wie man später sagte, der Behörde gelungen, die Wuth der Franzosen zu beschwichtigen, welche den Tod jenes Mannes den Bürgern zur Last legen wollten, welche in ihrer Bestürzung doch nicht im Geringsten an einen so wahnsinnigen Widerstandsversuch gedacht hatten.

Ehe noch die feindlichen Schaaren in Masse angerückt waren, hatte ich meinen Beobachtungsposten verlassen und war glücklich in meinem elterlichen Hause angelangt, wo man meinetwegen in großer Angst geschwebt hatte.

Jetzt folgten böse Tage.

Das französische Heer lagerte theils auf den Höhen vor der Stadt, theils in deren unmittelbarer Nähe. Da wegen der Menge an eine regelmäßige Einquartierung der Soldaten gar nicht zu denken war, so erhielt nur ein Theil des Offizierkorps Quartiere in der Stadt. Es war Nacht geworden. Ueberall brannten in der Vorstadt dicht vor den Häusern Wachtfeuer, zu welchen eingerissene Ställe und die Bäume der Allee das Material lieferten. Nachdem die Soldaten sich so vorläufig eingerichtet und jeder Einzelne einen Lagerplatz gefunden hatte, fingen sie aber an, durch die Stadt zu streifen, um in die Häuser einzubrechen und zu plündern. Wildes Geschrei ertönte von allen Seiten. Wo diese Herumstreifer Platz fanden, da nahmen sie sich nun selbst Quartier, und wenn die Hauseinwohner nicht gemißhandelt sein oder vielleicht gar ihr Leben einbüßen wollten, mußten sie Alles hergeben, was sie hatten. – Das Haus, welches meine Eltern bewohnten, lag ebenfalls in der am meisten bedrohten Gegend der Vorstadt. Die Thüre wurde von uns verbarrikadirt, und die Fensterladen des untern Stockes fest verschlossen. In dem zweiten hielten wir uns auf, aber auch hier wurden die Fenster durch Decken und Teppiche dicht verhängt, so daß vom brennenden Lichte von außen nichts zu sehen sein konnte. Da das Haus alt und unscheinbar war, so erschien es auf diese Art als ein unbewohntes und wir entgingen in der That der Einquartierung und Plünderung. Zwar donnerten einige Male Kolbenstöße gegen die Hausthüre, allein da sie fest war, so widerstand sie und die ungebetenen Gäste zogen weiter, um anderswo sich Eingang zu verschaffen, wo sie sich mehr versprachen als in einem verlassen scheinenden Hause.

Unser sehr einfaches Abendbrot genossen wir stehend hinter dem Ofen an der sogenannten Röhre, d. i. an dem Raume, welcher im Winter dazu dient, den Kaffee u. s. w. warm zu halten und wohin wir eine kleine Lampe gesetzt hatten, welche auf die nächste Umgebung einen matten Schimmer warf. An Schlafengehen war unter solchen Umständen gar nicht zu denken.

Die Nacht und der folgende Tag vergingen uns unter Angst und Sorge bei kaum nothdürftiger Kost, da man nicht wagte, Feuer anzuzünden, um nicht durch den Rauch aus dem Schornsteine das Haus als ein bewohntes erkennen zu lassen. Am Dienstage war eine Art von Ruhe eingetreten; es war geplündert worden, was zu plündern war und die Soldaten waren im Besitze der Stadt, in der sie es sich so wohl sein ließen, als sie nur immer konnten.

[610]
II.
Einen Tag nach der Schlacht.
(Schluß.)

Am nächsten Morgen früh, um sechs Uhr ungefähr, ertönte der Allarmschuß. Es war der 14. Oktober. – Die Höhen entleerten sich größtentheils von Kriegern. Sie zogen nach dem Engpasse von Kösen, welchen die Preußen unbegreiflicher Weise gar nicht besetzt hatten; denn da das preußische Hauptquartier in dem von dort nur einige Stunden entfernten Auerstädt war, so hätte die erste Sorge des Kommandirenden sein müssen, dem Davoust’schen Korps den Zuzug durch Besetzung jenes Passes zu wehren, der so beschaffen ist, daß schon eine geringe Truppenzahl eine ganze Armee aufhalten kann; und einen andern Weg nach Auerstädt gibt es gar nicht, wenigstens keinen für eine Armee passirbaren. Oder war es in dem preußischen Hauptquartiere ganz unbekannt geblieben, daß im Rücken oder vielmehr zu seiner linken Seite Davoust stand? Man muß es fast annehmen, wenn man die preußischen Generale nicht der Nachlässigkeit oder der Kriegsunkunde zeihen will. Die Franzosen freilich waren durch ihre Spione gut bedient und ich sprach in der Folge einen derselben, welcher versicherte, unter dem Passe eines Handlungsreisenden in Naumburg gewesen zu sein, als noch das königliche Hauptquartier in der Stadt gestanden hätte. Er habe sich Alles besehen und ausgekundschaftet. Man äußerte damals fast allgemein, daß übelangebrachte Sparsamkeit die Ursache gewesen sei, warum die Preußen keine Spione gehabt hätten. Oder war es vielleicht zu großes Selbstvertrauen, welches sie in’s Verderben führte?

Den Ausgang der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt am 14. Oktbr. kennt Jeder und darum füge ich auch nur hier rein Lokales hinzu, was ich selbst gesehen und erlebt habe.

Nach dem Abzuge des Gros der Truppen aus der Stadt und deren allernächsten Umgebung schwebte Naumburg in banger Erwartung der Dinge, die da kommen sollten; denn es drohten ja noch von den Höhen herab die schwarzen ehernen Schlünde und aus der Ferne vernahm man den Donner der beginnenden Schlacht; auch selbst das Gewehrfeuer ließ sich deutlich vernehmen. Gruppen ängstlich horchender Bürger standen auf den Gassen umher und theilten sich ihre Befürchtungen oder die Drangsale mit, welche sie bereits hatten erdulden müssen. Mehrere wagten sich vor die Stadt hinaus auf dem Wege nach dem Dorfe Altenburg – (in der Volkssprache Almrich genannt) – welches eine halbe Stunde vor der Stadt nach Schulpforta und Kösen zu liegt. Ich schloß mich denselben an; allein man sah und hörte da natürlich nicht mehr als in der Stadt selbst. Unbefriedigt ging ich daher allein weiter, um dem Schauplatze der Schlacht etwas näher zu kommen. Ich nahm meinen Weg über die Höhe zuerst nach dem sogenannten Tannenwäldchen [611] über Almrich, und von dort herüber nach den Bergen von Schulpforta. Durch den die Höhen bekränzenden Wald gelangte ich vorn, nach mühseligem Klettern, an die äußerste Kante diesen Höhenzuges, vor welchem sich das Kösener Thal öffnet und wo man, dem Engpasse von Kösen schräg gegenüber stehend, die jenseitigen Höhen deutlich übersehen kann. Da vernahm ich den Geschützdonner und das Pelotonfeuer der Kämpfenden so deutlich, als wenn es kaum eine Viertelstunde weit entfernt wäre; ja ich sah sogar die Rauchsäulen von den weniger entfernt stehenden abgefeuerten Geschützen emporsteigen und glaubte mich nicht zu täuschen, daß einzelne Kugeln krachend drüben am Felsenrande einschlugen, vielleicht preußische, gegen das Davoust’sche Korps gerichtete.

Gegen zehn Uhr ungefähr schien eine Entscheidung eingetreten zu sein; denn seltener krachten die Kanonen und die Gewehrsalven, und aus größerer Ferne. Es war vermuthlich die Zeit, wo der Herzog von Braunschweig verwundet worden war, so daß das preußische Heer, seines Oberanführers beraubt, in Unordnung kam und seinen Rückzug begann, der bald zur Flucht wurde, da man keinen Sammelplatz bestimmt hatte. Der greise Herzog soll überhaupt zu sehr den Geheimnißvollen gespielt und Warnungen und Nachrichten, namentlich von Thielemann ihm zugekommen, in den Wind geschlagen haben, so sehr war er seiner Sache gewiß.

So stand ich denn, meine Augen auf den verhängnißvollen Paß gerichtet. – Was ist das, was sich dort von der Höhe herabbewegt? Sind es Flüchtlinge, welche dem Kampfe entgehen wollen? Wird ihnen vielleicht bald eine Heeresabtheilung folgen? – Ich wartete die Entscheidung nicht ab, da ein längeres Verweilen mir sehr unheilvoll werden konnte, sondern eilte zurück durch den Wald und langte wieder auf dem gebahnten Wege an, welcher sich oberhalb von Schulpforta dicht an dessen Mauern unter den Bäumen hinzieht und von welchem man, weiterhin in’s Freie gelangt, herabschauen kann auf die unten vorbeiführende Heerstraße. Hier erhielt ich durch den Augenschein die Antwort auf meine zweifelnden Fragen; des waren die Leichtverwundeten, welche aus der Schlacht kamen, um in der Stadt Verpflegung und Heilung zu suchen. Langsamen Schrittes zogen sie im bunten Gemisch: Franzosen, Preußen und Sachsen neben einander her; vergessen war alle Feindseligkeit, das gleiche Schicksal hatte sie ausgesöhnt.

Die Vordersten waren jedoch lauter Franzosen. Ich war, da Verwundete mir nicht gefährlich schienen, hinab auf die Chaussee gegangen und erkundigte mich bei ihnen um den Stand der Dinge. Sie glaubten, die Schlacht wäre von den Franzosen verloren; die Preußen hätten mit Kettenkugeln geschossen und ganze Glieder niedergestreckt. Allein die später Nachfolgenden brachten die Nachricht von der Niederlage des preußischen Heeres.

Schneller als die Verwundeten eilte ich nun zur Stadt, die sich binnen ein paar Stunden mit Tausenden derselben füllte, welche sich zuerst auf den öffentlichen Plätzen lagerten, bis sie untergebracht werden konnten; denn für Lazarethe war im Voraus nicht genügend gesorgt worden. Naumburg wurde nun ein großes Lazareth; alle Kirchen, bis auf eine (ich kann mich aber nicht mehr genau entsinnen, welche), wurden den Verwundeten eingeräumt und viele größere Privathäuser den Offizieren.

Einen ergreifenden Anblick hatte ich vor dem Salzthore. Hier lagen auf dem damals seitwärts sich befindenden Rasenflecke drei verwundete sächsische Kürassiere. Das Blut hatte ihre weißen Koller gefärbt. Ihre bleichen Gesichter umlagerten, so schien es, bereits Schatten des Todes. Sie hielten sich gegenseitig mit den Armen umschlungen. – „Wasser! Einen Trunk Wasser!“ jammerte der Eine mir zu, als er mich in der Nähe bemerkte. Ich eilte, was ich konnte, um sein Verlangen zu stillen, und der erquickende Trunk, den er mit seinen Kameraden theilte, belebte auch diese wieder. „Ist denn kein Lazareth in der Nähe? O Gott! wir sterben, wenn uns nicht bald Hülfe wird!“ so sprach Jener, der mich zuerst angerufen hatte. Ein alter Feldscheer, den ich kannte, wohnte in der Nähe. Zu ihm lief ich, schilderte ihm in kurzen Worten die Lage der Landsleute und bewog ihn, mir zu folgen. Mit dem am schwersten Verwundeten machte er den Anfang; allein seine bedenkliche Miene deutete an, daß da wenig Hoffnung wäre; nur mit vieler Mühe konnte er das bei der Untersuchung der Wunde von Neuem strömende Blut stillen. Ehe der Verwundete fortgeschafft werden konnte, starb er. Die an und für sich nicht sehr gefährliche Wunde war, wie der alte Feldscheer äußerte, durch die gemachte Anstrengung zu einer tödtlichen geworden. Die beiden Andern wurden gerettet. Ein paar mitleidige Bürger hatten sich ihrer erbarmt und sie bei sich aufgenommen. Der Eine dieser Bürger hatte selbst einen Sohn bei der sächsischen Armee und that an dem Fremden, was er wünschte, daß seinem Sohne in ähnlicher Lage widerfahren möchte.

Die bald erscheinenden französischen Bulletins gaben den Verlust von ihrer Seite wie gewöhnlich als sehr gering an; er war doppelt, ja wohl dreifach größer, da in Naumburg allein an Leichtverwundeten mehr als die angegebene Zahl sich einfanden. Und dies waren ja überdies nur Solche, welche wegen der Nähe der Stadt von einem Theile des Schlachtfeldes diese entweder selbst noch hatten erreichen können oder an beiden auf die Schlacht folgenden Tagen vom Schlachtfelde dahin hatten transportirt werden können. Wie groß mußte also die Gesammtzahl der Verwundeten und Getödteten bis nach Jena hin sein!

Ein paar Tage nach der Schlacht wurde an den Thoren der Stadt ein in deutscher und französischer Sprache abgefaßtes Manifest angeschlagen, welches verkündigte, daß der Kurfürst von Sachsen mit dem Kaiser von Frankreich einen Separatfrieden abgeschlossen habe, und so war das Eigenthum gegen Plünderung und Erpressung gesichert. Aber was half das? Es begannen nun die lange Zeit nicht endenden Einquartierungen und Requisitionen, und da Naumburg unglücklicher Weise an einer der Hauptstraßen liegt, wo damals Truppen marschirten, so kann man sich leicht vorstellen, was es zu leiden hatte. Der Frieden und die bestehensollende Freundschaft schützte die Einwohner nicht gegen Mißhandlungen und Gewaltthaten der übermüthigen Sieger, welche die armen Bürger bis auf’s Blut peinigten und von ihnen forderten, was sie zu leisten gar nicht im Stande waren. Und dabei von beiden Seiten die Unkenntniß der Sprachen! Der Soldat wurde ungeduldig, wenn er sich nicht verstanden sah und brauchte nun seinen Säbel oder den Flintenkolben, um sich verständlich zu machen.

Meine wenige Kenntniß des Französischen machte mich bald für die ganze Nachbarschaft zu einer wichtigen Person; man requirirte mich als Dolmetscher, und es gelang mir auch nicht selten, den Frieden unter den Parteien herzustellen. Einmal aber ging es mir doch schlecht. In einem Hause waren drei Mann einquartiert worden, wovon der Eine schon, als er ankam, total betrunken gewesen war. Dieser hatte in einem fort krakeelt; namentlich aber war er über das Mittagsessen sehr unzufrieden, welches allerdings nur ein bescheidenes Mahl sein konnte, da der Bürger oft selbst für sich nichts hatte und mit dem besten Willen, sogar wenn er Vermögen besaß, für doppelten Preis nicht das Geforderte anschaffen konnte.

Das stellte ich denn, so gut ich immer konnte, den Soldaten vor, und die beiden Nüchternen ließen sich auch beschwichtigen; nicht so aber der Betrunkene. Ja er wurde sogar noch unbändiger, als er sah, daß seine beiden Gefährten sich beruhigten Bougre! – Que mille tonnerres vous foudroient! –Qu’un boulet de canon vous serve de savonnette! so schrie er, c’est un manger pour les cochons et non pas pour un millitaire tel que moi! Mangez – le vous – méme! – Und damit faßte er die auf dem Tische stehende Schüssel mit beiden Händen, schwankte auf mich zu und – da lag sie auf der Erde und ein großer Theil ihres Inhaltes floß an meinen Kleidern herunter. Im Nu hatte ich, nun meinerseits auch im höchsten Grade aufgebracht, den Kerl gepackt, daß er rücklings zur Erde fiel, wozu eben keine große Kraft gehörte, da er auf sehr schwankenden Füßen stand. Aber nun drangen die beiden Anderen auf mich ein und es erhob sich ein großer Tumult. Der Wirth rannte auf die Straße hinaus und schrie um Hülfe. Es würde mir schlimm ergangen sein, wenn nicht zufällig ein französischer Offizier vorbeigegangen wäre. Er trat ein und nachdem ich ihm, ein wenig zu Athem gekommen, die Ursache des Spektakels berichtet hatte und ihm namentlich durch meine beschmutzte Kleidung bewies, daß mich der Betrunkene angegriffen hatte, was die beiden Soldaten nothgedrungen bezeugen mußten, endete die Scene damit, daß der Offizier den Trunkenbold in Arrest führen ließ.

Froh, nur mit einer beschmutzten Kleidung weggekommen zu sein, eilte ich nach Hause, mich anders zu kleiden. Ich war kaum damit zu Stande, so erschien bestürzt jener Bürger, in dessen Hause ich hatte Ruhe stiften wollen, und meldete mir, der Offizier sei wieder gekommen und verlange durchaus, mich zu sprechen.

[612] Mir war nicht besonders gut zu Muthe; doch ich mußte wohl der Aufforderung genügen. Monsieur, vous-avez satisfait. – Kurz und gut, er lud mich ein, morgen beim Ausmarsche des Militairs mich einzufinden. Und was sahen da meine Augen? Der entnüchterte Soldat marschirte mit umgekehrter Uniform zur Strafe dafür einher, daß er sie entehrt hatte. Die Ehre und nicht der Stock regierte das französische Heer! Uebrigens würde er doch wahrscheinlich nicht so empfindlich für seine gegen mich begangene That bestraft worden sein, wenn er sich nicht, wie ich vom Offizier zugleich erfuhr, schon viele andere Unregelmäßigkeiten hätte zu Schulden kommen lassen.

Einige Tage nach der Schlacht (ich entsinne mich nicht mehr genau des Datums) rückte das französische Hauptquartier in Naumburg ein. Da bei der großen Unruhe an ein Schulehalten nicht zu denken war, so hatten wir Schüler volle Muße, uns herumzutreiben, und wir benutzten sie auch bestens; denn zu Privatstudien war Keiner unter solchen Umständen aufgelegt.

Auf dem Marktplatze wurden Breterbaracken errichtet, um einen Theil der den Kaiser begleitenden Garden aufzunehmen. Der ganze Marktplatz und die angrenzenden Gassen wimmelten beständig von Kriegern.

So verweilte also der Held des Jahrhunderts, der Sieger in so vielen Schlachten, dessen Adler bis nach dem Lande der Pyramiden geflogen waren, jetzt in denselben Ringmauern und in demselben alten und unscheinbaren Fürstenschlosse, welches ein paar Wochen vorher das preußische Königspaar beherbergt hatte! Welche Wandelung! Hatte vielleicht den König, als er so ernsten Angesichts vor seinen Truppen dastand, eine Unglücksahnung beschlichen, die ihm das Herz beengte? Wer kann das wissen? – Wäre der König, so hieß es späterhin, seinen Ideen allein gefolgt, so würde es vielleicht anders gekommen sein; denn diese waren die richtigeren, allein er hatte nicht Selbstvertrauen genug, um energisch durchzugreifen; er war zu bescheiden. – Nach den Ereignissen liebt es die öffentliche Meinung gewöhnlich, sich über Dinge auszusprechen, von denen sie nicht das Geringste mit Bestimmtheit wissen kann.

Daß ich, wie Alle, begierig war, den Mann zu sehen, welcher Europa’s Reiche bis in den Grund erschütterte, brauche ich nicht erst zu sagen; und ich sah ihn und zwar in einem Augenblicke, wo ich es am wenigsten gerade erwartete. Es war an einem Vormittage, wo eben sehr wenige Neugierige vor der Schloßwache versammelt waren und ich mich mit Betrachtung der verschiedenen aus- und eingehenden Offiziere beschäftigte. Das Insgewehrtreten der Wachen machte mich aufmerksam und ich erwartete nun irgend einen Marschall erscheinen zu sehen. Allein es war Napoleon selbst, welcher alsbald aus dem Eingange des Schlosses trat. Wäre mir sein Gesicht nicht schon durch die zahlreichen Abbildungen desselben bekannt gewesen, so würde mich der von allen Franzosen begeistert erhobene Ruf: „Vive l’empereur!“ davon in Kenntniß gesetzt haben. Mit raschen Schritten, die Hände auf den Rücken gelegt, durchmaß der Kaiser den kleinen Raum vor dem Portale bis zur hölzernen Barriere, die mit Linden bepflanzt war, und da ich gegenüber stand, so konnte ich jeden seiner Gesichtszüge deutlich sehen. Sein gelblicher Teint erinnerte an seine südliche Heimat; sein Auge blickte gebieterisch und doch freundlich auf seine Getreuen umher, die ihre verschiedenen Kopfbedeckungen voll Enthusiasmus schwenkten. Ein für mich ganz neues Schauspiel, was gar nicht mit der Dressur der Soldaten, welche ich bisher gesehen hatte, übereinstimmte.

Ich habe späterhin Napoleon noch einmal gesehen, wo er ein behäbiges Embonpoint gewonnen hatte; allein der Napoleon von 1806 gefiel mir doch besser. Er hatte noch nicht so viel Feierliches, ich möchte sagen, Studirtes an sich; er war noch der kleine Korporal, mit welchem sich die Soldaten beim Uebergange über die Alpen Scherze zu erlauben hatten wagen dürfen.

Wie ganz anders ging es doch in diesem französischen Hauptquartiere zu, als im preußischen! Nirgend auch nur die geringste Spur von Steifheit und Zopfthum; kein Gedanke an jene scheue, ja sklavische Furcht des gemeinen Soldaten vor seinen Oberen, wenn er nicht im Dienste war, wo der militairische Gehorsam allerdings zur vollen Geltung kam. Die Offiziere redeten vertraulich mit ihren Leuten und scherzten sogar mit ihnen. Das Beispiel des Kaisers trug gewiß viel zu diesem kameradlichen Tone bei. Und trug nicht nach Napoleon’s Ausspruche jeder gemeine Soldat die Hoffnung auf einen Marschallstab mit sich? Nur das militairische Verdienst, nicht die Geburt gab Auszeichnung, und so konnte leicht in der nächsten Schlacht sich Mancher die Epauletten verdienen, und später sich über seine bisherigen Vorgesetzten erheben, welcher jetzt noch die Muskete trug.

Der Kaiser trat mitten unter eine Gruppe Soldaten, und richtete an ein paar derselben kurze Fragen, nickte mit dem Haupte und ging dann weiter. Sein treuer Mameluck Rustan folgte überall seinen Schritten; aber auch ohne diese Bewachung war er in der Mitte seiner ihn fast anbetenden Soldaten sicher, da Jeder für ihn sein Leben zu opfern bereit war. Vor der Erscheinung des großen Corsen, auf welchen meine ganze Aufmerksamkeit gerichtet war, trat dieser Rustan in den Hintergrund, und ich achtete auf ihn erst mehr, als der Kaiser mir den Rücken beim Fortgehen wandte, und doch wäre er wohl auch werth gewesen, daß ich mir sein Bild eingeprägt hätte. So aber sah ich nur noch flüchtig seine auffallende Bekleidung, und den Schritten des Kaisers zu folgen, um auf seinen Begleiter genauer sehen zu können, wagte ich nicht.

Der Kaiser verweilte in Naumburg, so viel ich mich entsinne, kaum anderthalb oder zwei Tage. – Der Kriegsschauplatz rückte nun in die Ferne; die französischen Truppen zogen ab, und es blieb zuletzt nur noch ein kleines Depot und die große Menge der Verwundeten in den Kirchen und Privathäusern zurück.

Ein junger französischer Chirurg, dessen Bekanntschaft ich gemacht hatte, nahm mich mit in die Domkirche, wohin ihn täglich mehrmals seine Pflicht rief. Welch’ einen jammervollen Anblick hatte ich da! In den weiten Hallen dieser herrlichen Kathedrale, einem der berühmtesten Bauwerke des Mittelalters in Deutschland, lagen neben einander Hunderte von Verstümmelten. Einige schienen resignirt, Andere wehklagten und jammerten laut. Einige stießen Flüche aus. Ueberall Blutspuren und herumliegende blutige Fetzen irgend eines unbrauchbar gewordenen Verbandes u. s. w. Ich mag die Scenen, die Gesichter, die ich da sah, nicht schildern; noch bei der Erinnerung daran bebt mir das Herz. Ein ekelhafter, mephitischer Dunst war in der sonst so reinen Atmosphäre dieses Gotteshauses verbreitet. Selbst auf die Emporkirchen hatten sich manche der Unglücklichen geschleppt und waren, verlassen und ungepflegt, verschmachtet; erst der Verwesungsgeruch ihrer Leichname hatte ihre Gegenwart verrathen. Vermuthlich hatten die Armen ein ruhigeres Plätzchen suchen wollen und nicht bedacht, daß sie in ihrem Verstecke nicht aufgefunden werden konnten, da man ihre matten Stimmen in dem Geräusche unten nicht vernahm.

Der östliche Theil der Domkirche bildet den, bei dem protestantischen Gottesdienste nicht mehr benutzten, hohen Chor, wo jedoch, um dies hier beiläufig zu bemerken, nach alter Stiftung, täglich noch die katholischen lateinischen Gesänge dreimal des Tages von protestantischen Vicarien und Choralen gesungen wurden.

Auf diesem hohen Chore wurden jetzt am Altare die Amputationen etc. vorgenommen, und vier herrliche, mächtige Pergamentbände, Geschenke von Päpsten, mit den kunstvollsten Initialgemälden geschmückt, kurz, prächtige Werke alter Schreibekunst, die bisher auf den Pulten im Chore ihren Platz gehabt hatten, dienten dabei nicht selten als Unterlagen, und waren über und über mit Blut besudelt.

Tagtäglich holte der Leichenwagen aus dem Dome und den andern Kirchen, sowie aus den Privatwohnungen die Todten ab, um sie hinaus vor das Marienthor zu schaffen, wo dem städtischen Gottesacker schräg gegenüber eine tiefe, lange Grube gegraben war, welche sie aufnahm. Vier- und fünffach wurden da die Leichen aufeinander geworfen, und die Schichten mit Kalk bedeckt, bis der Raum gefüllt war. Man sprach von 1500, welche nach und nach hier ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Noch mehrere Jahre nachher zog sich über das wieder beackerte Feld ein Streif von üppiger als anderwärts grünenden Saaten hin und bezeichnete diese weiten Gräber.

Krankheiten in der Stadt waren die Folge der Aufhäufung so vieler Verwundeten, und manche Familien starben fast ganz aus. Nach und nach entleerten sich die Stätten des Elends, und nur aus weiter Ferne noch ertönte der Kriegeslärm, bis der Friede von Tilsit den Ländern eine verhängnißvolle Ruhe verschaffte. Der Rückmarsch der Sieger kostete aber noch Sachsen wie Preußen ungeheure Opfer an Hab und Gut.