Erinnerungen an Pauline Viardot

Textdaten
Autor: Marianne Brandt
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Titel: Erinnerungen an Pauline Viardot
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aus: aus: Neue Freie Presse; Morgenblatt; Feuilleton; Wien, Samstag, den 21. Mai 1910
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Neue Freie Presse
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: ÖNB-ANNO, Commons
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Erinnerungen an Pauline Viardot.

Von Marianne Brandt,

königlich preußischer Kammersängerin.


Heureux les sots!

Nach zehnmonatlichem Aufenthalte in Graz sollte ich mein dortiges Engagement mit einem in Hamburg vertauschen, wurde aber auf dem Weg dahin April 1868 an die Berliner Hofoper engagiert, wo man schon lange eine Altistin suchte. Meine Stimme reichte für das Berliner Haus und die Gastrollen waren auch mit gutem Erfolge absolviert worden, aber es fehlte noch vieles, um mich neben Größen wie Lucca, Riemann, Wachtel, Betz etc. behaupten zu können. Kapellmeister Eckert riet mir daher, zu Madame Viardot-Garcia nach Baden-Baden zu gehen, um meine großen Rollen mit ihr noch auszuarbeiten. Ich benützte also meinen Sommerurlaub 1869 für die Studienreise und danke noch heute aus vollem Herzen dieser einzigen Frau für das, was ich bei ihr gelernt habe. Neben dem reichen Schatz ihrer dramatischen und Gesangskunst gab mir Madame Viardot noch etwas Unschätzbares mit auf dem Weg: Selbstvertrauen, an dem es mir trotz raschen Vorwärtsgehens in der Carriere noch immer mangelte.

„Sie sind das größte Talent,“ sagte sie, „das mir seit meinem Abgange von der italienischen Oper vorgekommen ist. Wenn Sie fleißig fort studieren, können Sie in kurzer Zeit die beste dramatische Sängerin Deutschlands werden.“ Solch ein Ausspruch spornt zum Studium an.

Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in Baden lud mich Madame Viardot zu einer ihrer kleinen Soireen, wozu nur intime Freunde kamen, darunter Turgenjew, dessen Bekanntschaft ich da machte. Die Konversation wurde im allgemeinen französisch geführt, da Herr Viardot nie ein deutsches Wort über seine Lippen brachte, obwohl er die Sprache ganz gut verstand. Mit mir aber sprach Madame Viardot deutsch, das sie, wie noch fünf andere Sprachen vollkommen beherrschte. Unter anderm kam die Rede zwischen uns auch auf den Aberglauben und ich gestand, daß ich sehr abergläubisch sei. Da drehte sich Turgenjew, der auf der anderen Seite neben Madame Viardot saß und wohl dachte, ich verstehe nicht französisch – lächelnd zu dieser um und sagte mit seiner weichen slavischen Stimme: „Heureux les sots“ – Tableau!

Ich aber faßte mich schnell und sagte: „Ja, es ist dumm, mais c’est plus fort que moi.“

Danach sah ich den großen Dichter und liebenswürdigen Mann noch oft in Baden und Berlin, wo er mich jedesmal auf der Durchreise nach Petersburg besuchte, zuletzt noch 1878 in Paris. Wir sprachen über vielerlei miteinander, doch nicht mehr über den Aberglauben. Sehr gerne hörte er mich singen, da meine Stimme ihn, wie er sagte, sehr an die seiner verehrten Freundin Madame Viardot erinnerte.

Ein Hund bellt!

Zur Zeit meines ersten Aufenthalts in Baden-Baden im Jahre 1869 waren gegen 30 andere Schülerinnen aus aller Herren Ländern um Madame Viardot versammelt, darunter auch Anna v. Asten, die spätere Gesangsprofessorin, und deren Schwester Julie, die Pianistin, welche ich von Wien aus kannte. Die beiden Schwestern waren so liebenswürdig gewesen, mir in Lichtenthal, einem anmutigen Dorfe bei Baden, eine Wohnung zu verschaffen, was mir sehr lieb war, da Lichtenthal ruhig und ländlich, Baden aber damals noch „Klein-Paris“ und der Sammelpunkt der elegantesten Welt war.

In Lichtenthal besaß Klara Schumann eine reizende kleine Villa, die sie mit ihren Kindern bewohnte, und auch der junge Brahms brachte den Sommer in dem lieblichen Tale zu. Astens waren mit beiden befreundet, und als eines Tages beraten wurde, welche Ueberraschung wir Schülerinnen der Madame Viardot zu ihrem Geburtstage (18. Juli) machen sollten, schlugen Astens vor, Frauenchöre von Schumann und Brahms zu studieren und der Meisterin damit ein Ständchen zu bringen. Julie v. Asten und Brahms unterzogen sich der Mühe, uns vier Chöre einzupauken, was mit den ungeschulten Chorsängerinnen und bei der damals herrschenden Hitze keine Kleinigkeit war. Es ging aber schließlich alles ganz gut.

Da Madame Viardot gewöhnlich sehr früh aufstand – um 7 Uhr inspizierte sie, im Freien Tonleitern singend, meistens schon Garten und Hühnerhof, um 8 Uhr gab sie die erste Gesangsstunde – so war unser Geburtstagsprogramm folgendes: Um 6 Uhr früh unsere beim Gärtner vorher bestellten Bouquets abholen, in corpore zur Villa Viardot hinaufziehen, um 7 Uhr da die Chöre absingen, dann alle zusammen auf der Molkenkur, einem nahen Kaffeehause, frühstücken.

Alles war auch pünktlich zur Stelle. Einige Eingeweihte waren als Zuhörer erschienen und, von Brahms feurig dirigiert, sangen wir unter der Meisterin Fenster unsere Chöre in die frische Morgenluft hinaus. Aber o weh! Nichts rührte sich in der Villa. Die Jalousien blieben geschlossen. Weder Schumann noch Brahms hatten vermocht, das schlafende Dornröschen zu wecken. Wir Mädchen schlugen vor, abzuziehen, Brahms jedoch hielt stand und wir sangen von neuem die ersten zwei Chöre. Nun endlich wurde im Erdgeschoß ein Fenster geöffnet (die Schlafzimmer lagen im ersten Stocke). Schnell schwang sich von der Veranda aus der damals noch schlanke Brahms auf das Fenster, sprang von da in den Salon und sperrte uns von innen die Türe auf. Wir traten ein, legten schweigend unsere Bouquets auf den Tisch und wollten uns, Dieben gleich, davonschleichen.

Da teilt sich eine Portière und herein schwebt im weißen Morgengewande Madame Viardot. Uns alle umarmend dankt sie für die schöne Ueberraschung und sagt: „Verzeihung, meine Lieben, wir waren gestern auf einer Soiree und sind sehr spät zu Bett gekommen. Wir schliefen noch ganz fest, als wir durch ein Geräusch geweckt wurden. Mein Mann sagt: „Ein Hund bellt!“ steht auf sieht hinaus, da hören wir, daß gesungen wird.“ Herrn Viardots schönes Kompliment versetzte uns in heiterste Stimmung. Wir stellten uns sangesfreudig nochmals auf, wiederholten alle vier Chöre und zogen mit einem musikalischen „Lebe hoch!“ endlich ab.

Der Weg zur Molkenkur führte auf der andern Seite des Berges gegenüber der Villa hinan. Da wir die Meisterin auf der Veranda sahen, machten wir Halt, sangen nochmals den letzten Chor (von Brahms), dann ging es unter Tücherschwenken und Hoch-Rufen weiter. Madame Viardot folgte uns im Garten, mit uns gleichen Schritt haltend, bis sie in der anstoßenden Villa Turgenjew verschwand.

Daß uns hierauf das Frühstück trefflich mundete, wird wohl niemand bezweifeln.

Vor dem Kriege.

Nach Schluß der Mustervorstellungen in Weimar (1870) reiste ich wieder zu Madame Viardot nach Baden, denn ich fühlte, wie wohltätig mir die Unterweisung dieser wunderbaren Meisterin für meine künstlerische Entwicklung war. Wir gingen diesmal gleich mit Eifer an das Studium Gluckscher Opern, daraus „Klytemnästra“ und „Orpheus“. Letzterer war eine Glanzleistung der Viardot gewesen, sie hatte ihn in Paris seinerzeit hundertmal nacheinander gesungen. Es war ein Genuß, die Rolle mit Ihr bis ins kleinste Detail hinein musikalisch durchzuarbeiten.

Frau Schumann bewohnte auch diesen Sommer wieder ihre Villa in Lichtenthal, und ich freute mich auf das Wiedersehen mit der hochverehrten Frau und Künstlerin. Bei meinem Besuche erhielt ich von ihr den ehrenden Antrag, in einem Konzert, das sie in Kreuznach geben wollte, einige Gesangsnummern zu übernehmen. Nach Einigung mit Madame Viardot und Festsetzung des Programms fuhr ich am 13. Juli mit Frau Schumann zusammen nach Kreuznach, wo wir von einer ihr befreundeten Familie gastlich aufgenommen wurden und sie am 14. ein glänzendes Konzert gab. Ich war stolz auf das Zusammenwirken mit der großen Künstlerin und genoß dankbaren Herzens den engeren Verkehr mit der edlen Frau.

Auf der Rückfahrt, 15. Juli, blieb Frau Schumann in Frankfurt zurück und ich reiste allein nach Baden. In der eine halbe Stunde von dort entfernten Festung Rastatt war ein großes Gedränge auf dem Bahnhof, man sah da mehr Militär als sonst, und auf Befragen erfuhr man, daß Krieg mit Frankreich bevorstehe. Auch in Baden durchschwirrten schon Gerüchte davon die Luft, und die Vorsichtigsten schnürten bereits ihr Bündel. Als es am 16. hieß, vier Regimenter Preußen seien in Rastatt eingerückt, auch Artillerie, war große Panik. Am 17. hörte man, daß die Franzosen von Straßburg aus im Badischen einbrechen wollten, und nun ging eine allgemeine Flucht los. Auf dem Bahnhofe drängten sich Hunderte von Menschen, jeder wollte zuerst befördert sein, und es war da schon ein kleiner Krieg, bei dem aber die in Baden stets so zahlreich anwesenden Franzosen aus-, nicht einbrechen wollten.

Bald war der glänzende Badeort ganz verödet.

Madame Viardot, sich selbst zum Aufbruche vorbereitend, hatte ihre Kinder nach Wildbad geschickt; Herr Viardot schloß sich voll Groll in sein Zimmer und sprach mit niemandem – es war, als ob ein Wirbelwind alles auseinandergejagt hätte.

So schwer es mir wurde, ich mußte mich doch auch zur Abreise entschließen! Am 18. Juli, Madame Viardots Geburtstag, den wir das Jahr vorher so fröhlich gefeiert hatten, war außer mir keine Schülerin mehr da. Ich studierte trotz allem noch einmal mit der verehrten Meisterin, es war eine trübe Abschiedsstunde! Am 19. fuhr ich ab. Ich hatte schon gefürchtet, einem Umweg durch die Schweiz machen zu müssen, allein die Bahn über München nach Oesterreich war frei. Es kamen uns jedoch viele Militärzüge entgegen; jubelnd sangen die Soldaten zu den Fenstern heraus – wie viele davon verstummten wohl bald für immer! Es war eine aufregende Reise, doch war für mich das einzig Schlimme davon eine starke Zugsverspätung und ein arg beschädigter Koffer.

In München kam ich gerade zurecht, um das „Rheingold“ hören zu können, das Ereignis der Saison. Da sah ich auch den jungen König Ludwig. Schön wie ein Apollo stand er in seiner Loge und lauschte mit Begeisterung den Klängen des damals noch so wenig verstandenen Werkes.

In Berlin aber machte ich dann alle Leiden und Freuden des langen Krieges mit durch! Das Zittern und Bangen der Frauen um ihre im Feld stehenden Männer und Söhne, die Trauer der Angehörigen um die ruhmreich Gefallenen. Dann die Siegesfeste, zu denen wir jedesmal auch im Theater eine Feier hatten, mit Absingen patriotischer Lieder; die vielen Wohltätigkeitskonzerte zum Besten der Verwundeten – alles das erlebte ich als etwas Unvergeßliches, bis es endete mit dem glorreichen Einzuge Kaiser Wilhelms I.