Erinnerung und Phantasie
Warum ergießt sich nur der Schwermuth Schauer
Aus deiner Schaale mir, Erinnerung?
Warum bewölkt der Sehnsucht stille Trauer
Der Seele Blick mit trüber Dämmerung?
Um Blüthen der Vergangenheit, enteilt
Auf ewig, wie bei seinem Grabeshügel
Ein armer unversöhnter Schatten weilt.
Und wie nach Edens seligen Gefilden
Schaut sie zurück nach luftigen Gebilden,
Die keine Hofnung je ihr wieder bringt.
Ist dieß dein Glück, o! du im Mondenglanze,
Erinnerung? Dieß deine Seligkeit?
Und überlaß mich der Vergessenheit.
Entführe du auf deinen muntern Schwingen
O! Phantasie, mich diesem finstern Harm!
Schon fühl’ ich Kraft durch jeden Nerven dringen,
Du Göttliche, du schwelgst im Wesenkranze,
Nicht ängstlich an die Gegenwart gebannt,
Entzückt umher, dir strahlt im Sonnenglanze
Die Unermeßlichkeit, dein Vaterland.
Entschwingst du, Allumfassende, dich kühn,
Und stürzest dich, berauscht vom Sphärenliede,
Ins Flammenmeer der Ideale hin.
Dich fesselt nicht das irrdsche Maaß der Zeiten,
Genießest du im Reich der Möglichkeiten
Ein Glück, das keine Wirklichkeit umspannt.
Vergebens hüllt ein unauflösbar Siegel
Den Sterblichen die ferne Zukunft ein,
Geht sie hervor in schönen Dämmerschein.
Als Mitgenossinn theilest du die Schätze,
Die tief im Schooß der fernen Nachwelt blühn,
Und lösest kühn der Endlichkeit Gesetze,
Beflügle mich, schon bricht aus schwarzer Hülle
Der Hofnung lichtes Morgenroth hervor,
Die Welt ist schön, und schönre Lebensfülle
Schäumt mir aus deinem Zauberkelch empor.