Elektrische Touristenbahnen

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Elektrische Touristenbahnen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 436
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[436]

Elektrische Touristenbahnen.


Die Zwecke der Anlage und des Betriebes von Eisenbahnen haben sich im Laufe des jüngsten Menschenalters nach gar verschiedenen Richtungen hin verändert und verzweigt. Zu den großen, Länder und Kontinente durchquerenden Bahnlinien sind die Stadtbahnen, die Straßenbahnen, die Bergbahnen, die Kleinbahnen und manche andere gekommen. Aber keiner dieser neuen Wege, die der Eisenbahnverkehr eingeschlagen hat, ist wohl jünger und für den Augenblick zukunftsreicher als jene Art von Bahnen, die abgesehen von aller Völker- und Städteverknüpfung, weit entfernt von irgend welchen Absichten auf Handels- und Güterverkehr, abseits von jedem reinen Nützlichkeitszweck nichts weiter wollen, als dem Vergnügungs- und Erholungsreisenden die Wege ebnen. Das Durchfliegen der Welt im D-Zuge kann für die Kenntnis von Menschen und Gegenden nichts leisten, die für gesunde und kräftige Leute gewiß am meisten zu empfehlende Fußwanderung verlangt mehr Zeit, als vielen Touristen zu Gebote steht – hier will die Touristenbahn eine Lücke ausfüllen und dem Wanderer hin und wieder ein Stück seiner Arbeit erleichtern, ohne ihm von den ästhetischen Genüssen der Landschaft allzuviel zu entziehen.

Diesem Zwecke, der ein Ueberwinden mannigfacher Terrainhindernisse, ein Anschmiegen an lokale Eigentümlichkeiten verlangt, wie es die normalspurige Dampfeisenbahn niemals leisten könnte, ist die Elektricität am besten gewachsen. Man bringt deshalb für diese Art von Eisenbahnlinien der Elektricität mehr Vertrauen entgegen als jeder anderen Betriebsart. Wohl sind im vergangenen Jahrzehnt, als die Anwendung des elektrischen Stromes für Eisenbahnzwecke noch tief in ihren Anfängen stak, einzelne touristischen Zwecken gewidmete Linien und besonders eine ganze Reihe von Bergbahnen noch nach anderen Betriebssystemen gebaut, aber schon heute liegt die Sache so, daß nur außerordentliche Gründe den Ingenieur zwingen können, eine Bahnlinie der bezeichneten Art anders als auf elektrischem Wege zu betreiben. Die Freiheit der Linienführung, die Stärke der Steigungen, die Billigkeit des Betriebes, die Leichtigkeit von Bahnkörper und Betriebsmaterial, schließlich selbst die Annehmlichkeit der Fahrt sind durch kein anderes System gleich gut gewährleistet. Was uns schließlich im besonderen veranlaßt, den elektrischen Touristenbahnen diese kurze Betrachtung zu widmen, ist der Umstand, daß sie in erster Linie berufen sind, einen der größten Wendepunkte vorzubereiten, die dem Eisenbahnwesen nach dem Stande der heutigen Erkenntnis überhaupt noch bevorstehen.

Die technische Richtung unserer Zeit geht offenbar mehr und mehr darauf aus, die Elektricität zur Universalkraft zu machen, gleichviel ob sich’s nun um die Spendung von Wärme, Licht oder Kraft, um die Nachrichtenvermittelung, um häusliche Dienste oder um welche Thätigkeit sonst handelt. Auch das Eisenbahnwesen wird ihr einmal in seiner ganzen Ausdehnung verfallen, und wenn wir selbst es auch nicht mehr erleben, daß die letzte kohlenverschlingende Lokomotive mit Kessel und Schlot irgend einem Museum als technische Sehenswürdigkeit einverleibt wird, so werden es doch unsere Kinder oder Enkel erleben. Wo aber hat die Elektricität schon jetzt bessere Gelegenheit, sich frei von den Einseitigkeiten der Stadtbahnen, Bergbahnen etc., in ihrer ganzen Vielseitigkeit und Ueberlegenheit zu zeigen, wie bei dem Betriebe der jetzt so vielfach geplanten Touristenlinien?

Werfen wir auf die letzteren selbst, so viel ihrer die jüngsten Jahre gezeitigt haben, einen Blick, so steht allen voran das gewaltige Unternehmen der Jungfraubahn. Schon ist eins der elektrischen Turbinenwerke, die sowohl den meilenlangen Tunnelbohrungen als später dem Betriebe ihre Kraft leihen sollen, vollendet, das zweite, das gleichzeitig als Kraftcentrale für die weitere Umgebung dienen soll, der Vollendung nahe. Schon sind einige der Lokomotiven fertiggestellt, die die stärksten, bis jetzt zur Ausführung gelangten Betriebsmittel für Bergbahnen darstellen. Schon steht die erste oberirdische Strecke der Bahn vor der Betriebseröffnung. Die Jungfraubahn ist freilich in erster Linie Berg- und zwar Hochgebirgsbahn, aber ihr Zweck ist doch weniger der, träge oder körperlicher Strapazen unfähige Reisende auf einen berühmten Aussichtspunkt emporzuschnellen, als der, bewegungsfrohen Touristen in ihren 2000 bis 3000 m hoch liegenden Zwischenstationen Ausgangspunkte für Touren in die unvergleichliche Gletscherwelt zwischen der Wengernalp und dem Jungfraujoch zu erschließen. – Neben dieser größten aller gegenwärtig in Angriff genommenen Alpenbahnen ist noch eine Menge anderer Projekte teils in Ausführung, teils der Verwirklichung nahe. Bald soll sich die Zahnradschiene 3140 m hoch auf den Gornergrat schwingen; von Meiringen wird eine Bahn über die große Scheidegg nach Grindelwald führen, um die zwischen Grindelwald und Lauterbrunnen bereits begonnene nördliche Schienenumrahmung des Berner Oberlandes zu vollenden. Eine andere 42 km lange Alpenbahn wird von Meiringen durchs Hasli- und Gadmenthal zum Sustenpaß emporsteigen und dann längs der wilden Mayenreuß hinab nach Wassen, wo sie den Anschluß an die Gotthardlinie findet. Die beiden letztgenannten Bahnen, natürlich schmalspurig und nur für den Sommerbetrieb gebaut, sind auf 14 Millionen Franken veranschlagt und haben die Genehmigungen zur Ausführung erhalten. Genehmigt ist auch die Touristenbahn, die sich demnächst im bayrischen Oberlande von Garmisch und Partenkirchen nach dem Eibsee erstrecken soll, während an einer anderen Linie von Murnau nach Oberammergau bereits gebaut wird. Eine dritte ist endlich schon voriges Jahr zwischen Aibling und dem Wendelstein in Thätigkeit getreten; allen aber ist es gemeinsam, daß die jugendfrischen Katarakte der Vor- oder Hochalpen ihnen ihre Energie leihen, um mittels der elektrischen Spannkraft die Lokomotive über Berg und Thal zu führen.

Aber man braucht nicht bis in die Alpen zu gehen, um Beispiele dieser modernen Gründungslust für elektrische Touristenbahnen kennenzulernen. Die elektrische Bahn von Schandau durch das Kirnitzschthal bis zum Lichtenhainer Wasserfall, die als bequemste Route zum Kuhstall in der Sächsischen Schweiz vielen Tausenden willkommen sein wird, ist jüngst eröffnet, und für später ist ihre Fortsetzung durch die großartige Felsenenge des Zschand bis zum Fuße des Prebischthors und nach Herrnskretschen geplant. Im Riesengebirge, wo die neuerlich aufgetauchte Idee, die in Fülle vorhandenen Wasserkräfte auf elektrischem Wege dem Fortschritt und der Industrie dienstbar zu machen, allseitig begeisterte Aufnahme gefunden hat, tauchen die verschiedensten Pläne für Touristenbahnen auf. Da sich der ganze schlesische Abhang des Riesengebirges im gräflich Schaffgotsch’schen Privatbesitz befindet, so ist bei dem Interesse, welches diese Verwaltung der Erschließung des Gebirges entgegenbringt, an der Ausführung der zum Teil schon eingehend bearbeiteten Pläne kaum zu zweifeln. Schon in 2 bis 3 Jahren hofft man, durch ein dichtes Netz von Riesengebirgsbahnen, die in Warmbrunn, Hermsdorf, Petersdorf, Krummhübel, Arnsdorf und Schmiedeberg an die bestehenden Linien Anschluß finden sollen, sowohl den Interessen des Touristenverkehrs als dem Aufschluß der gewaltigen Holzbestände des Gebirges entgegenzukommen. An die bestehende Zweigbahn Zillerthal-Krummhübel anschließend, soll die Hauptlinie der künftigen Gebirgsbahnen, die Kammlinie, in großen Kurven über Brückenberg zur Kirche Wang emporführen, über die Schlingel- und Hampelbaude in langen Schleifen den Kamm ersteigen und sich endlich von der Riesenbaude in zwei großen Spiralen bis zu den Koppenhäusern erheben. Diese Linie wird an Höhe und Kühnheit mit vielen Alpenbahnen wetteifern. Im böhmischen Teil des Gebirges soll eine Linie von Hohenelbe über Spindelmühl und durch die sieben Gründe den Kamm bei der Schneegrubenbaude erreichen.

So drängen sich Projekte und Ausführungen elektrischer Touristenbahnen an allen Enden. Wie in den Alpen die elektrische Lokomotive den Reisenden bald in die Firnfelder geleiten wird, so trägt sie ihn in Amerika hoch am schroffen Abhang des wirbelnden Niagarastromes dahin. Ueberall aber beweisen die elektrischen Bahnen dieser Art, daß sie nicht nur für den Personenverkehr der Städte geschaffen sind, den man ihnen anfangs allein zuerteilen wollte, sondern daß ihre Aufgaben höher hinaus gehen und nicht früher enden werden, als bis die letzte Dampflokomotive, sei es in der Ebene, sei es im Gebirge, ihre Geleise der vom elektrischen Strome belebten Schwester abgetreten hat.