Elegien (Keller)
Süß ist Amors verbotene Frucht, und süß ist das Mädchen,
Das verstohlen mich küßt, froh mich und seeliger macht!
Wenn ihr Oheim bedächtig die häusliche Rechnung durchsiehet
Grollend findet, daß sie allzuviel spende im Haus,
Winkend nach mir, und ich kenne den schelmischen Wink,
Nahe mich ernsthaft dem ehrbaren Manne mit wichtiger Miene
Spreche von Frieden und Krieg, von dem verschlagenen Volk,
Von der Höfe Betrug, von weisen Ministern und Fürsten,
Neben mir stehet das Mädchen, die Augen lieblich gesenket,
Beißt sich lachend den Mund, schielt von der Seite mich an.
Jetzt geräth der Oheim in Eifer, er schmähet die Fürsten
Tadelt heftig das Volk, schilts ein verräthrisches Pack,
In der kritischen Zeit ungesäumt wäre zu thun.
Das hat er lang schon gesagt, vorhergesehen schon lange,
Thut man nicht, was er weiß, ja so ist alles dahin!
Nun ergreift er den Hut, wir sehen mit stockendem Odem
Und nun faßt er die Pfoste, er öffnet die Thüre, er schließt sie
Ausgebreitet den Arm, wend’ ich behend mich herum,
Und mit frohem Entzücken fliegt Nina mir in die Arme,
Ihre pochende Brust strebt an der meinen empor.
Doch der Herzen Begier sprach der beredtere Blick,
Siehe’ da lasen wir einst im Buche des göttlichen Dante,
Wie die Liebe so leicht zweier Herzen ereilt.
Lasen die Seufzer Francesca’s, und ihre Thränen im Orkus,
Als wir dahin gelesen, wo sittsam das Mädchen erzählet,
Wie sie Amor verrieth, Paolo zitternd sie küßt,
Da umwand ich das Mädchen, und wagte was Paolo gewaget,
Drückte den feurigsten Kuß ihr auf den seufzenden Mund,
Sank ihr holdes Gesicht still auf das meinige hin,
Ihre Seele schien seufzend der schönen Brust zu entfliehen,
Und im durstigen Kuß saugt’ ich den Flüchtling in mich.
Seufzend rief ich: o Nina! – da starb im Drang der Empfindung
Halte die rollenden Räder Saturnus, Führer der Stunden
Hemme den eilenden Lauf, stürzend entfliehende Zeit,
Aber neidend den Anblick dreht schneller Saturnus die Räder
Wohnt der häßliche Neid auch in göttlicher Brust?
Freund, du schiltst vergebens: „O spare die köstlichen Stunden
Keine Reue bringt, ach, die entflohnen zurück!
Kurz ist das Leben und lange die Kunst, so sagten die Alten,
Darum wacker mein Freund! lasse den kindischen Tand!
Der mit gebundenem Aug’ dich nur auf Abwege führt.“
Halt! ich fühle die Wahrheit, den Werth der wandelnden Horen,
Ich bezeichne sie gern, eh sie mir schlüpfend entfliehn.
Jeder flecht’ ich gern zum Angedenken ein Kränzchen,
Die bekränz’ ich nicht, die keuchend langsam entschleichen,
Deren lastender Gang Schweiß von der Stirne nur lockt,
Bin ich zur Arbeit geschaffen? und soll ich nicht auch genießen?
Wenn nach mühvollen Tag winket die fröhliche Nacht,
Vor uns ein knisterndes Licht flammt mit verglimmendem Docht,
Wie das Girren der Taube, so lockt sie mit zierlichem Finger
Aus der dumpfen Mandol einzelne Töne der Lust.
Und ich störe sie immer, ich wiege mit bebenden Armen,
Ach nun will es erlöschen, noch einmal leuchtet die Flamme
Und ein plötzlicher Blitz läßt uns im Dunkel zurück.
Ha! jetzt faß’ ich das Mädchen, jetzt leuchtet die liebliche Fackel
Amors Fackel mir vor, Dank dir freundliches Kind!
[211]
Mädchen, komm in die Vigne, am schönsten Tag des October,
Laß jetzt Nadel und Rahm, Mädchen, uns rufet die Lust.
Laura wird uns begleiten, ihr Bräutgam der wackre Philippo
Bringt den Wagen mit sich, flügelschnell rollen wir hin.
Und wir kürzen den Tag unter Gesängen und Spiel,
Abends fahren wir dann bey Fackelscheine nach Hause,
Dass die nächtliche Straß’ tönt von dem bacchischen Fest,
Winzer und Winzerin jubelt, es schallet die klappernde Trommel,
Und wir mischen uns unter das lustige Völkchen, wir theilen
Ihren ländlichen Scherz, hören der Freude Geschrey,
Laut ertönt der Gesang des Winzers, er schwinget die Fackel,
Funken sprühen umher, glänzend erscheinet die Nacht.
Und in luftigem Sprung wirbelt der Tänzer um sie,
Evoe! tönts durch die Büsche, die Jubelstimme der Freude
Füllen Reben und Hain laut mit Menadischem Lärm.
Nimm die Zither, mein Mädchen, schon kömmt Philippo gefahren,
Amor und Bacchus, ihr lieblichen Knaben, ihr Geber der Freude,
Nehmet mein Mädchen und mich wirthlich unter euch auf.
Nackt sind die Reben und schon vorbey die Lese, wir kehren
Früchtebeladen zurück in das erbrausende Rom;
Süße Büsche, lebt wohl und ihr verschwiegene Schatten,
Du Blandusias Quell, Anio’s murmelnder Strom,
Luna und Hesper uns fand, wo uns Aurora geweckt,
Reizende Hügel lebt wohl und Dank dir Amor und Bacchus,
Freundliche Demeter dir, bleibet uns gnädig und hold.
Diesen kleinen Altar hab ich mit Nina errichtet,
Diesen Kuchen, ihn hat mit zierlichen Händen mein Mädchen
Selbst geknetet, und dieß Bildchen, wir opfern es euch.
Dieses Bildchen, ich hab es mit fleißigen Händen aus Wachse
Künstlich geformt, o nehmt, Himmlische, gütig es an.
Von der goldenen Frucht voll ein gewundenes Horn.
Aehren der Ceres, und Trauben des Bacchus, das Horn Amalthea’s
Aller Früchte, die ihr Liebenden liebend geschenkt.
Nina, es stirbt die Natur, entlaubt sind Wälder und Büsche,
Schon entkleidet der rauhe Nord die laubigten Grotten
Wo in zweifelndem Licht Amor sich gerne versteckt,
Traurig raschelts im knisternden Laub und schauerlich streichen
Ueber Stoppeln und Moor dumpfige Nebel dahin.
Bis sie Amor aufs neu Blumenbekränzet erweckt,
Amor verläßt das Gefilde, wir nehmen den lieblichen Knaben
Freundlich mit in die Stadt, und er wird wohnen bey uns.