Einwanderer auf Ellis Island

Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Lemcke
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Einwanderer auf Ellis Island
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 666–669
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[666]
Einwanderer auf Ellis Island.
Von Heinrich Lemcke. Mit Illustrationen von Ewald Thiel.

Die Vereinigten Staaten von Amerika verdanken den Einwanderern aus Europa ihren Ursprung, ihre Größe und Blüte. Noch vor einem Menschenalter war dem gewaltig emporwachsenden Staatswesen der Zufluß von Fremden willkommen und noch im Jahre 1864 erließ der amerikanische Kongreß einen Beschluß zur „Aufmunterung der Einwanderung“.

Doch die Zeiten haben sich geändert, Amerika ist erstarkt und sucht den Einwandererstrom zu regeln und einzudämmen. Zu diesem Zwecke erließ die Bundesregierung in Washington unterm 7. Mai 1893 ein Gesetz, das allen mittellosen Einwanderern, Kontraktarbeitern, Armenhäuslern, allen Polygamisten, Idioten, Irrsinnigen, Verbrechern usw. die Landung in Amerika verbietet. Dasselbe Gesetz verpflichtet ferner die beweisende Dampfschiffkompagnie, welche derartige Einwanderer nach den Vereinigten Staaten befördert haben, dieselben auf ihre Kosten nach ihrem Abgangsorte zurückzutransportieren und außerdem die Unterhaltungskosten während ihres Aufenthalts in dem amerikanischen Landungsdepot zu tragen.

Um die Kontrolle zu erleichtern, müssen die Dampfschiffkompagnien „Manifeste“ führen, welche bezüglich der Einwanderer zwanzig verschiedene Fragen beantworten. Auf diesen Scheinen sind das Alter, Geschlecht, der Familienstand, die Nationalität, der bisherige Wohnsitz und das Reiseziel der Einwanderer festgestellt, sie geben ferner Auskunft, ob der Betreffende lesen und schreiben kann, ob er im Besitz eines Durchgangs-Eisenbahnbillets nach seinem amerikanischen Bestimmungsort sich befindet, ob er aus eigenen Mitteln die Ueberfahrt bezahlt hat oder auf wessen Kosten er gereist ist, ob er im Besitze von Geld ist, ob und zu welchen Verwandten er reist, ob er gesund oder mit körperlichen Gebrechen behaftet ist usw. Das Manifest muß von dem Kapitän und dem Arzte des betreffenden Schiffes noch vor Antritt der Fahrt vor einem Konsul der Vereinigten Staaten im Auslande beschworen werden und bildet die Unterlage für die Prüfung der Einwanderer in dem amerikanischen Landungsdepot.

Ein solches wurde bald nach dem Erlaß des neuen Einwanderungsgesetzes auf Ellis Island errichtet. Auf dieser etwa 7½ Hektar großen Insel, die an dem Zusammenflusse des Nord- und Ost-Rivers dem Hafen von New York vorgelagert ist, wurden die nötigen Bauten ausgeführt, deren Gesamtansicht unser Bild (S. 668) wiedergiebt. In dem 160 m langen und 50 m breiten Hauptgebäude war das untere Stockwerk für das Gepäckmagazin der Einwanderer bestimmt worden, während in dem zweiten Stocke die riesige Registrierungshalle und die zahlreichen Bureauräume untergebracht wurden. An dieses Gebäude schlossen sich noch besondere Hospitalbauten, Maschinenhaus, Kohlenschuppen usw. an. [667] Die Leitung des Institutes wurde dem Einwanderungskommissar Dr. Joseph H. Senner übertragen, der in anerkennenswerter Weise dafür Sorge trug, daß überall Ordnung und Reinlichkeit herrschte, und die detenierten Einwanderer, d. h. solche, denen aus irgend welchem Grunde die Einwanderung nicht gestattet werden durfte, in humaner Weise behandelt wurden.

Am 15. Juni dieses Jahres wurde das großartige Depot von einer Brandkatastrophe heimgesucht und es wird geraume Zeit vergehen, bis sein Wiederaufbau vollendet ist. Gegenwärtig begnügt man sich mit provisorischen Unterkunftsräumen.

Kurz vorher hatte ich Ellis Island besucht und, überwältigt von den Eindrücken, die sich mir dort boten, den folgenden Bericht niedergeschrieben, der gewiß den weiten Leserkreis der „Gartenlaube“ interessieren wird.

Auf dem Ferry-Dampfboot, welches den Verkehr zwischen dem Depot und New York vermittelt, indem es jedermann unentgeltlich befördert, begab ich mich nach Ellis Island.

Der Einwanderungskommissar gestattete mir in liebenswürdigster und zuvorkommendster Weise, mich überall frei und ungehindert zu bewegen, und wo es not that, war er persönlich mein Führer.

Zunächst postierte ich mich derart in dem großen Registrierungssaale, daß ich den „Einmarsch“ der Einwanderer von dem Hamburger Postdampfer „Pennsylvania“ am besten übersehen konnte. Neben mir standen einige in Seide und Sammet gekleidete Amerikanerinnen, die wohl ein Sonderinteresse an dem Besuch auf Ellis Island haben mochten.

Auf ein gegebenes Glockensignal öffnete sich mit einem Male die Thür zum Registrierungssaal (vgl. Abbildung S. 665), und nun zog ein Schwarm von mehreren hundert Einwanderern in den Riesensaal. Der Nationalität nach waren die meisten Deutsche, aber auch viele Oesterreicher, Ungarn, Russen, Schweizer, Schweden, Norweger und Dänen befanden sich darunter.

Im Gänsemarsch, mit Kisten, Kasten und Bündeln, altem Trödelkram und urväterlichem Hausrat, oft auch mit Säuglingen bepackt, zogen sie hier vorbei, von Aerzten einer Kritik unterworfen, um dann in durch Drahtgitter abgeteilte Räume für je dreißig Personen verteilt zu werden. Ein eigentümlicher Anblick, diese ganze Scenerie! Die jüngeren, namentlich die Mädchen, haben sich festlich geputzt, die liebe Eitelkeit der holden Jugend erlaubt ihnen nicht anders als so den Boden der Neuen Welt zu betreten. Die ältere Generation der Einwanderer befolgt indessen ein anderes Prinzip. „Für die Reise ist’s halt gut genug,“ scheint hier der leitende Gedanke zu sein. In einem Raume sehen wir eine deutsche Familie, die fast einen ganzen Stammbaum bilden. Fünfzehn Personen sind es – das zählt! Dort in einer Ecke erblicken wir ein blutjunges, hübsches Mädchen, eine Waise, kaum sechzehn Jahre alt, die mutterseelenallein die Reise übers Weltmeer machte; hier sehen wir eine Gruppe abgemagerter Männer, welche sichtlich die Not aus der Heimat vertrieb; dort sucht eine Mutter den Hunger eines schreienden Säuglings zu stillen; hier hält ein Landeskundiger seinen Schiffsfreunden, lauter jungen, flaumbärtigen Männern, einen Vortrag über die amerikanische Kunst, reich zu werden. – Und nun gar das Sprachengewirr! Die vielen Dialekte dieser internationalen Gesellschaft!

Das Registrieren beginnt. Nicht weniger als acht verschiedene Registrierungsplätze sind vorhanden. Die Schiffsmanifeste dienen zur Unterlage beim Examen der einzelnen Passagiere, und je nachdem die Fragen, den Einwanderungsgesetzen entsprechend, befriedigend beantwortet werden oder nicht, wird nun der Einwanderer als landungsberechtigt freigelassen oder aber für ein Spezialverhör nach einer Separatabteilung geführt. Die landungsberechtigten Einwanderer können sodann von etwaigen Verwandten und Bekannten in Empfang genommen werden und nach New York sich begeben, oder sie verbleiben bis zum Abgang eines Emigranteneisenbahnzuges nach dem Westen im Landungsdepot, um dann von dort gemeinschaftlich zum Eisenbahndepot befördert zu werden.

Die für Spezialverhöre zurückbehaltenen Einwanderer, deren Zahl im letzten Jahre, 1896, nicht weniger als 43 645 betrug, werden, wenn die Untersuchung jedes einzelnen Falles zu ihren Gunsten ausfällt, ebenfalls freigelassen, sonst aber, wenn der „Board of Special Inquiry“ (Untersuchungsgericht), der aus vier Inspektoren und einem Sekretär besteht, zu ihren Ungunsten entscheiden muß, nach Europa zurückbefördert. Die Zurückzusendenden werden bis zum Abgang eines Dampfers der betreffenden Dampfschiffskompagnie, die sie nach Amerika brachte, auf deren Kosten in dem Landungsdepot untergebracht.

Die Zahl solcher zurückbeförderten Einwanderer belief sich im letzten Jahre auf 2374, es waren vorzugsweise Italiener, Ungarn, Oesterreicher, Russen, Engländer, Irländer, davon die Mehrzahl „mittellos“ und „Kontraktarbeiter“. Die Italiener, Russen und ein Teil Oesterreicher und Ungarn bilden auch ein großes Kontingent der „Illiteraten“, denn 50 Prozent der ersteren und 25 bis 30 Prozent der Einwanderer der letzteren beiden Nationalitäten können weder lesen noch schreiben.

Das interessanteste Schauspiel, das wir auf Ellis Island genießen können, vermittelt jedenfalls der Besuch des Bureaus des „Board of Special Inquiry“ während einer Sitzung desselben. In diesem Raume gewahren wir die Schattenseiten des Einwandererlebens. Hunger, Not, Krankheit, Faulheit, Liederlichkeit, Verführung und Irrsinn haben sich hier ein Stelldichein gegeben. Rechtschaffene Menschen, die unverschuldetes Elend drückt, gescheiterte Existenzen, die eignes Verschulden herabbrachte, stellt das Schicksal hier nebeneinander. Es sind alles zurückgehaltene Einwanderer, über die hier die Jury das Urteil fällen und deren Schicksal – ob sie Amerika betreten dürfen oder nicht – sie besiegeln soll.

Und welch’ heitere und wiederum ernste Scenen kommen hier zur Schau! – Da wird ein russischer Jude, der schon einmal zwei Jahre lang in Amerika gewesen sein will, einem scharfen Verhör unterworfen. Er spricht ein wenig gebrochen Englisch.

Der Vorsitzende fragt ihn. „Was warst du hier in Amerika?“

Die Antwort lautet: „Schneider!“

Der Vorsitzende fragt wieder. „Have you never been begging here?

Das Wort begging ist dem Russen unbekannt, und unfähig, zu antworten, wendet er sich an den Dolmetscher um Beistand.

Dieser erklärt ihm ganz deutlich. „Du sollst sagen, ob du hast geschnorret, als du sein gewesen in Amerika.“

„Gott der Gerechte soll mich bewahren, wenn ich hab’ geschnorrt“ antwortet der arme Teufel, und da ein ihm bekannter, in New York ansässiger Landsmann sich eingefunden hat, der sich der Einwanderungskommission gegenüber verpflichtet, dafür zu garantieren, daß der Neuankömmling der öffentlichen Armenpflege nicht zur Last fallen wird, so wird ihm die Landung gestattet. Ein anderer Russe, ein junger Farmer, ist nicht so glücklich wie sein Vorgänger. Er ist ein kerngesunder, kräftiger junger Mensch, der tüchtig zu arbeiten vermag, aber – nur 15 Cents Barvermögen bei sich hat, so daß, den Gesetzen des Landes entsprechend, dieses junge, treuherzige Blut nach Rußland zurücktransportiert werden muß. Wenn es nicht gelingen sollte, jemand in den nächsten Tagen zu finden, der den jungen Mann engagiert und mit sich nimmt.

Eine Italienerin, Witwe mit drei kleinen Kindern und einem erwachsenen neunzehnjährigen Sohne, erklärt der Jury, daß sie alle zwar mittellos sind, ihr Sohn jedoch arbeitskräftig ist und ihr Ernährer sein will. Ungläubig sehen sich die Jurymitglieder gegenseitig an und schütteln die Köpfe. Doch der Jüngling weiß durch seine ungeschminkte Klarlegung der Sachlage einen so günstigen Eindruck auf die Jury zu machen, daß sie, zumal sich auch noch Landsleute für die Einwanderer verbürgen, der Familie den Eintritt in die Neue Welt nicht verwehrt.

Nun tritt ein älterer Deutscher, der in den Fünfzigern steht und Schiffbruch in seinem Leben erlitten haben muß, vor und bekennt, daß er unbemittelt ist und seine Familie, Frau und Kinder, sich noch in Deutschland befinden. Eine ihm bekannte deutsch-amerikanische Familie will ihm Arbeit verschaffen. Da tritt auch schon die Frau eines deutschen Restaurateurs aus New York vor und erklärt. „Wir kennen den Mann und wollen ihn beschäftigen als Aufwascher und Hausknecht in unserem Restaurant.“

„Und wenn der Mann nicht zu Ihrer Zufriedenheit arbeitet? Was dann?“ fragt sie ein Jurymitglied.

„Dann schicken wir ihn wieder auf unsere Kosten derheme,“ ist die schlagfertige Antwort der Frau.

[668] Auch diesem Manne wurde die Landung bewilligt. – Wie wird es ihm in seiner neuen Stellung ergehen? – –

Eine junge bildschöne Tochter Italiens, die schon etliche Jahre in New York als Kleidermacherin ansässig ist, reklamiert ihre Stiefschwester, die soeben mittellos gelandet. Erstere übernimmt die Bürgschaft für letztere, und freudestrahlend verlassen beide das Depot.

Wiederum wird ein völlig unbemittelter Mann, ein Schuhmacher aus Rußland, vor die Jury gerufen, die ihn einem strengen Examen unterwirft.

Er will einen Bruder in Amerika haben, der schon längere Jahre in Brooklyn ansässig sei. Doch derselbe ist nicht da, ihn zu reklamieren. „Zurück nach Rußland, wenn dein Bruder nicht kommt, für dich Bürgschaft zu leisten,“ lautet der Beschluß der Jury. Gleichsam vernichtet wankt der Arme nach einer Bank und läßt sich darauf nieder. – Aber nur einen Augenblick. Da hört er mit einem Male eine ihm wohlbekannte Stimme seinen Namen rufen. Es ist der Bruder, der soeben gekommen. – Ein Aufschrei, als beide einander sehen und erkennen! Sie liegen sich in den Armen und Freudenthränen rinnen von ihren Wangen. – Alle und jede Etikette ist vergessen, die Zuschauer, selbst die Jurymitglieder sind ergriffen und es entsteht eine längere Pause. – Gottlob vermag der Bruder der Jury genügend Bürgschaft zu gewähren, daß der Einwanderer der öffentlichen Armenpflege nicht zur Last fallen werde, und beide trollen dann seelenvergnügt von dannen.

Solche Scenen ereignen sich tagtäglich und der „Board of Special Inquiry“ hat das ganze Jahr hindurch an jedem Wochentage stundenlang derartige Verhöre vorzunehmen.

Die von diesem Board für nicht-landungsberechtigt erklärten Einwanderer finden auf Ellis Island bis zu ihrer Rückbeförderung nach Europa eine äußerst humane Behandlung. Die Kost für diese Armen ist kräftig, schmackhaft und reichlich. Die Schlaf- und Waschräume sind von peinlichster Sauberkeit.

Die Zeit gemahnte mich, Ellis Island zu verlassen, doch ich that es nicht, ehe ich nicht auch das Hospital besucht hatte. Bald stand ich vor dem Chef-Arzt des Krankenhauses, von ihm mit einem zuvorkommenden „please“ zum Platznehmen eingeladen. Wie ich von ihm erfuhr, belief sich die Zahl der Kranken im letzten Jahre auf 1717 Personen, also annähernd ½ Prozent sämtlicher Einwanderer, deren Gesamtzahl 1896 263 709 Personen betrug. Es starben von den Kranken 40 Personen, aber auch 10 Kinder erblickten hier das Licht der Welt. Die Gesamtzahl der Verpflegungstage betrug 14 503. Ein Rundgang durch die Räume des Krankenhauses ließ mich überall peinlichste Sauberkeit und die vorzügliche Pflege erkennen, die hier die Kranken finden.

Im Statistischen Bureau auf Ellis Island verschaffte ich mir noch nähere Angaben über die letztjährige Einwanderung. Von den gelandeten 263 709 Einwanderern waren aus Italien 66 445 Personen, Oesterreich-Ungarn 52 085, Rußland 39 859, England 38 226, Deutschland 24 230, Schweden 16 379, Norwegen 6599, Dänemark 2820, Portugal 2476, Holland 1465, Schweiz 2253, Türkei 4252. Die deutschen Einwanderer brachten den größten Prozentsatz an Geld mit und stellten den geringsten Prozentsatz bei den „Illiteraten“.

Da die Schiffahrtsgesellschaften, welche Einwanderer in den Vereinigten Staaten landen, für jeden ein Kopfgeld von einem Dollar zahlen müssen, das in den Regierungs- „Immigrant Fund“ kommt, so reicht diese Steuer nicht nur hin, um daraus die gesamten Ausgaben für die Unterhaltung der Anstalten zu tragen, sondern auch noch alljährlich einen erklecklichen Ueberschuß abzuwerfen.

Vollauf befriedigt von den auf Ellis Island gewonnenen Eindrücken, wandte ich mich zum Gehen nach der „Ferry“. Auf dem Wege dorthin traf ich die eleganten Amerikanerinnen wieder, die vorher mit mir das Schauspiel im Registrierungssaal betrachtet hatten. Ein junges, hübsches Mädchen, eine Deutsche, in einem einfachen Kattunanzug, stand vor ihnen. Vater und Mutter der jungen Einwandrerin, anscheinend dem Bauernstande angehörend, daneben.


Ansicht des Landungsdepots für Einwanderer auf Ellis Island vor der Brandkatastrophe.

„Well, Ihr überlaßt mir Eure Tochter als Dientmädchen?“ [669] Sie soll’s gut haben! Ich zahl’ ihr 14 Dollars monatlich!“ sprach eine der Damen.

„Mutter, was meinst du dazu?“ wandte sich der Alte fragend an sein Weib.

„Mir – soll’s – recht sein,“ stotterte diese. Dabei rannen ihr leise die Thränen von der Wange.

Und die Tochter? Sie willigte ein. War sie doch nach Amerika gekommen, um viel, viel Geld zu verdienen. Wenige Augenblicke später und das junge Mädchen wird mit den eleganten Damen davonfahren, während ihre Eltern mit einem Eisenbahnzuge dem Westen zueilen, um dort als Farmer auf der Prairie sich niederzulassen. – Wird es eine Trennung für immer sein?

„Mien Söhn, o mien Söhn!“ – dieser Aufschrei weckte mich aus meinem Nachdenken. Ich blickte hin und sah ein altes Mütterchen, das weinend und schluchzend am Halse eines stattlichen jungen Mannes hing. Die Situation erklärte sich leicht. Es war ein vor mehreren Jahren ausgewanderter junger Deutscher, der, durch Arbeit zu Wohlstand gelangt, nunmehr seine alten Eltern hatte nachkommen lassen. Hier, auf Ellis Island, sah man sich nach vielen Jahren zum erstenmal wieder. Die Freude des Wiedersehens war für die Mutter zu groß, sie mußte gleichzeitig aufjauchzen und weinen an der Brust ihres wiedergefundenen Sohnes.

Es war schon Abend geworden, als ich mich von Ellis Island verabschiedete. Bei der Landung am Battery-Park in New York gewahrte ich allerhand verdächtige Gestalten, Bauernfänger, die wie eine Meute den unkundigen Einwanderer bei seinem Auftritt von Ellis Island auf Schritt und Tritt verfolgen und sie um Hab’ und Gut zu bringen versuchen. Wahre Galgenvögel!

Welch schmerzliche Kur muß nicht ein solcher Einwanderer oft durchmachen, ehe er sich ganz in der Neuen Welt zurecht gefunden hat! Jeder Neuankömmling fühlt sich zu Vergleichen zwischen dem neu gewählten und dem Mutterlande geneigt, der Anfang ist meist sehr schwer, die Erinnerungen der Jugend steigen in der Entfernung zu idealer Höhe! Bald befindet sich der Arme in jenem Krankheitszustande, der in früheren Zeiten, wo das Reisen noch auf Wenige beschränkt war, den Schweizern als erbeigentümlich zugeschrieben wurde. Das Heimweh ist bei ihm in voller Stärke ausgebrochen und weicht nur früher oder später bei dem, der Erfolg oder Glück in der Neuen Welt findet.