Einer Todten (Meyer)
[171]
Einer Todten.
Wie fühl’ ich heute deine Macht,
Als ob sich deine Wimper schatte
Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
Um Mitternacht!
5
Dein Auge siehtBegierig mein entstehend Lied.
Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bist’s! Doch deine Lippen schweigen,
Und liesest du ein Wort, das zart und eigen,
10
Bist’s wieder du,Dein Herzensblut,
Indeß dein Staub im Grabe ruht.
Mir ist, wann mich dein Athem streift,
Der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
15
Als seist in deinen stillen GrabestundenAuch du gereift
An Liebeskraft,
An Willen und an Leidenschaft.
Die Marmorurne setzten dir
20
Die Deinen – um dich zu vergessen,Sie erbten, bauten, freiten unterdessen,
Du lebst in mir!
Wozu beweint?
Du lebst und fühlst mit mir vereint!