Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Eine wunderbare Rettung
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 349–352
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[349]
119. Eine wunderbare Rettung.
(1710.)

Etwa im Jahre 1710 im Herbste war es, als der Hamburgische Schiffer Ulrich Janssen von London mit seiner Brigg heimkehrte. Es hatte stark aus Nord-West gestürmt und die See ging noch hoch. Da er sich der Elbmündung nähert, merkt er an den mancherlei Trümmern, die mit der Ebbe ins Meer und ihm entgegen treiben, daß die Sturmfluthen an den Elbufern übel gehaus’t und große Verheerungen gemacht haben. Noch jenseits der Insel Neuwerk war’s, Nachmittags 4 Uhr, da entdeckt er fernher etwas auf sich zutreiben, was er anfangs für ein Schiffswrack hält; mit dem Fernrohr sieht er Menschen darauf, läßt also dahin steuern; näher gekommen, gewahrt er zu seinem Erstaunen, daß es kein Wrack, sondern ein ganzes Strohdach ist, auf dessen Firste ein Mann, eine Frau und fünf Kinder rittlings sitzen, Mann und Frau an den Enden, die Kinder in der Mitte, eng aneinander geschmiegt und sich umschlungen haltend. Es kostete ihm und seinen Leuten große Mühe, diese Armen zu retten, [350] denn die See wogte noch sehr, auch konnte sein Boot, des schrägen Daches wegen, nicht nahe heranlegen; und die Verunglückten waren fast starr und kraftlos. Endlich aber glückte es, worauf fünf Minuten später das Dach auseinander ging. Nachdem sie sich auf seinem Schiffe mit Speise und Trank erquickt und etwas erholt, berichteten sie ihm, daß sie auf einer Elb-Insel zu Hause gehörten. Daselbst hätte die entsetzliche Sturmfluth die Deiche durchbrochen und grausame Verwüstung angerichtet, sie hätten sich in das Dach ihres Hauses geflüchtet, das nahe am Deich gestanden, als aber das Wasser höher gestiegen, seien sie durch die Luke mit einer Leiter auf die First des Daches gestiegen, um ihr Leben zu retten. Plötzlich sei ein gewaltiges Wogengebrause gekommen und habe den ganzen Dachstuhl vom Unterhause abgerissen und fortgeführt; es sei etwa 10 Uhr Abends und stockfinstere Nacht gewesen; aber als sie es doch deutlich wahrgenommen, daß die Fluthen sie von der Insel weg und in den offnen Elbstrom getragen, da hätten sie vor Entsetzen alles Besinnen und Aufmerken verloren, nur daß sie sich unwillkürlich so eng aneinandergepreßt und umschlungen hätten als möglich. Als sie wieder zu sich gekommen, sei’s Tag gewesen, aber vor Nebel, Regen und Sturmwetter hätten sie nicht mehr wahrnehmen können, als daß sie mit der Ebbe abwärts trieben; den ganzen Tag über hätten sie ihre Hoffnung darauf gesetzet, daß ein segelndes Schiff ihnen begegnen und sie erlösen möge, hätten auch herzinnig darum zu Gott gebetet. Es sei ihnen aber kein einziges Schiff begegnet, wie denn das Wetter auch so grauslich gewesen, daß sich keins habe hinauswagen können. Zu essen und zu trinken hätten sie nicht das Geringste gehabt, und in jeder Minute hätten sie erwartet, daß der Haufen Holzsparren und Strohhalme, daran sie gehangen, auseinander gehen müßte. Und darüber hätte [351] es wieder gefluthet, und sie wären wieder aufwärts getrieben, nahe in die Gegend ihrer Insel, und die armen hungrigen Kinder hätten sich schon gefreut in Erwartung der Rettung. Aber da sei wieder Ebbe eingetreten und die schreckliche Fahrt abermals abwärts gegangen, so daß sie vor trostloser Verzagtheit abermals der Verzweiflung anheim gefallen und fast gewillt gewesen, sich freiwillig vom Dach in die Fluth sinken zu lassen, um nur gleich der grausamen Qual überhoben zu sein. Darüber sei die Nacht wieder gekommen, und der folgende Tag sei ihnen in der dumpfen, stumpfen Verfassung ihres Gemüths vergangen, sie wüßten nicht wie; es habe einige Male gefluthet und geebbt, sie seien wieder etwas aufwärts, aber immer stärker wieder ab- und seewärts getrieben, sonst hätten sie wenig bemerkt; auf Schiffe hätten sie wohl ausgelugt, indeß nur in weiter Entfernung bei Cuxhaven auf der Rhede einige wahrgenommen, hätten aber vor Schwäche und Trübsinn gar nicht versucht, um Hülfe zu schreien, was auch wohl vergebens gewesen wäre. Den Neuwerker Thurm hätten sie noch gesehen; und als sie nun, so ganz verlassen von aller Welt, in die offenbare See hineingetrieben wären, da hätten sie, so gut sie’s vermocht, noch einmal zu Gott um Erlösung gefleht von dieser Qual, nicht um ihr leiblich Leben zu retten, sondern nur um baldiges Ende durch den barmherzigen Tod. Und da hätten sie das Schiff ihres Erretters, Capitain Janssen, gesehen, und Gott hätte ihre Leiden geendet und ihnen das Leben dazu geschenkt, dafür sie ihn ewig preisen müßten.

Wer es ermessen kann, was es sagen will: in solcher steten Todes-Angst, gleichsam im offnen Rachen des Verderbens umhergeworfen, vor Hunger, Kälte und Schrecken erstarrt, zwei Nächte und zwei Tage lang auf morschem Gebälk von Sturmfluthen in die Meereswüste hinaus geschleudert, [352] und dann gerettet zu werden, – der wird auch die Freude der armen Leute und ihren Dank für das Wunder Gottes ermessen können.

Anmerkungen

[388] Nach der Erzählung im „Deutschen Kundschafter,“ Lemgo 1764. S. 474. Dies Buch ist die Uebersetzung eines Werkes des Thomas Lediard, der um 1725–1730 bei der hiesigen Englischen Gesandtschaft als Secretair lebte und auch sonst als Schriftsteller bekannt ist.