Eine tragische Ballmutter
[516] Eine tragische Ballmutter. Ein römischer Dichter verherrlichte in einer schwunghaften Ode „die schönere Tochter einer schönen Mutter“, und nicht selten hat man Anlaß, sich dieser Verse zu erinnern, wenn man ein liebreizendes junges Mädchen zum ersten Male in Begleitung seiner noch schönen Mutter, deren Reize sich voll erschlossen haben, das Parkett des Ballsaales betreten sieht. Auch der Pariser Aristophanes, Heinrich Heine, ist in die Fußtapfen des Odensängers Horaz getreten und hat die schöne Tochter einer schöneren Mutter in seiner leichtgeschürzten Dichtweise besungen.
Daß aber das anmuthige, von den Dichtern gefeierte Doppelbild auch die Vignette zu einer Tragödie bilden kann, erfahren wir aus Italien. Da begab es sich, daß eine schöne Mutter ihre aus der Pension zurückgekehrte Tochter beschwor, nicht mit ihr auf den Ball zu gehen: das wäre für die Ballkönigin ein allzu bedenkliches Schach gewesen; schon die Thatsache, daß sie im Besitz einer solchen erwachsenen Tochter sei, konnte ihre Herrschaft stürzen.
Doch das Mädchen wollte den Bitten der Mutter nicht nachgeben. Diese konnte solche Kränkung nicht verwinden; ihre Tochter erschien ihr auf einmal als die hassenswertheste Feindin, die sie aller ihrer Triumphe zu berauben drohte. Am nächsten Morgen fand man das anmuthige Mädchen todt im Bette, die Mutter hatte das eigene Kind mit Arsenik vergiftet. Sie wurde von dem Schwurgericht zu fünfzehnjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt. Vergeblich hat sie mehrere Selbstmordversuche gemacht, wohl mehr um den Qualen ihres Gewissens zu entrinnen, als um sich der entehrenden Strafe zu entziehen. †