Eine entschlafene Zeitschrift
Die Zeitschrift „Hyperion“ hat ihre Arbeit halb gezwungen, halb freiwillig beendet und ihre zwölf wie Steinplatten großen, weißen Hefte sollen jetzt abgeschlossen sein. Unmittelbar erinnern an sie nur noch die Hyperionalmanache 1910 und 1911, um die sich das Publikum wie um die unterhaltenden Reliquien eines unbequemen Toten reißt. Der wesentliche Herausgeber war Franz Blei, dieser bewundernswerte Mann, den die Mannigfaltigkeit seiner Talente in die dichteste Literatur hineintreibt, wo er sich aber nicht befreien und halten kann, sondern mit verwandelter Energie zu Zeitschriftengründungen entläuft. Der Verleger war Hans von Weber, dessen Verlag zuerst vom „Hyperion“ ganz überdeckt war, heute aber, ohne sich in einer Seitengasse der Literatur zu verstecken, ohne aber auch mit allgemeinen Programmen zu strahlen, einer der zielbewußtesten großen deutschen Verlage geworden ist.
Die Absicht der Gründer des „Hyperion“ war, mit ihm in jene Lücke des literarischen Zeitschriftenwesens zu treten, die zuerst der „Pan“ erkannt, nach ihm die „Insel“ auszufüllen versucht hatte, und die seitdem scheinbar offenstand. Hier fängt schon der Irrtum des „Hyperion“ an. Freilich hat kaum je eine literarische Zeitschrift edler geirrt. Der „Pan“ brachte zu seiner Zeit über Deutschland die Wohltat eines Schreckens, indem er die wesentlichen zeitgemäßen, aber noch unerkannten Kräfte einigte und durch einander stärkte. Die „Insel“ erschmeichelte sich dort, wo ihr jene äußerste Notwendigkeit fehlte, eine andere, wenn auch niedrigere. Der „Hyperion“ hatte keine. Er sollte denen, die an den Grenzen der Literatur wohnen, eine große lebendige Repräsentation geben; aber sie gebührte jenen nicht, und sie wollten sie im Grunde auch nicht haben. Diejenigen, die ihre Natur von der Gemeinschaft fernhält, können nicht ohne Verlust regelmäßig in einer Zeitschrift auftreten, wo sie sich zwischen den andern Arbeiten in eine Art bühnenmäßigen Lichts gestellt fühlen müssen und fremder aussehn, als sie sind; sie brauchen auch keine Verteidigung, denn das Unverständnis kann sie nicht treffen, und die Liebe findet sie überall. Sie brauchen auch keine Kräftigung, denn, wenn sie wahrhaftig bleiben wollen, können sie nur von sich selbst zehren, so daß man ihnen nicht helfen kann, ohne ihnen vorher zu schaden. Wenn also die Möglichkeiten anderer Zeitschriften, zu repräsentieren, zu zeigen, zu verteidigen, zu kräftigen, sich dem „Hyperion“ versagten, konnten überdies peinliche Nachteile nicht vermieden werden: Eine solche Literaturversammlung, wie sie im „Hyperion“ beisammen war, zieht mit Macht und ohne die Fähigkeit sich zu wehren, Lügenhaftes an; dagegen gab es dort, wo die beste allgemeine Literatur und Kunst in den „Hyperion“ eintrat, keineswegs immer einen vollkommenen Zusammenklang und jedenfalls keinen besondern anderswo nicht zu erreichenden Gewinn. Alle diese Bedenken aber konnten in den zwei Jahren den Genuß des „Hyperion“ nicht stören, denn schon der Reiz des Versuches machte alles vergessen; dem „Hyperion“ selbst allerdings gingen diese Bedenken wohl an den Leib. Sein Andenken aber wird schon deshalb nicht verschwinden können, weil in den nächsten Generationen sich sicher keiner finden wird, der den Willen, die Kraft, den Opfermut und die begeisterte Verblendung hätte, ein ähnliches Unternehmen wieder anzufangen; und deshalb beginnt der unvergessene „Hyperion“ jeder Feindschaft schon zu entrücken und wird in zehn oder zwanzig Jahren einfach ein bibliographischer Schatz sein.