Eine dänische Sammlung von Volkssagen

Textdaten
<<< >>>
Autor: Jakob Grimm
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine dänische Sammlung von Volkssagen
Untertitel:
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 50, S. 200.
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Göttingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[200]
Eine dänische Sammlung von Volkssagen.

Pröver af Danske Folkesagn, samlede af J. M Thiele. Kjöbenhavn 1817. 36 S. in 8.

Unsere Sammlung deutscher Sagen, so wenig Aufsehen sie in Deutschland macht, scheint das Gute zu bewirken, daß man im Norden, wo das Gedächtniß des Volks viel ungestörter geblieben ist, den Gegenstand in Betrachtung zu ziehen anfängt. Herr Thiele hat blos in einigen Gegenden Seelands über zweihundert Sagen aus dem Munde der Landleute, dem geringern Theil nach, aus handschriftlichen und gedruckten Quellen aufgenommen und verheißt, sie nach und nach herauszugeben. Wie er bemerkt und gar nicht zu bezweifeln steht, wäre in Jütland eine noch viel reichere Ernte zu halten. Wollte es nun das Glück, daß man in Norwegen, Gothland und Schweden ebenfalls aufmerksam würde und sammelte, was sich in der ruhigen, dauerhaften Natur dieser Länder treuer als irgendwo erhalten haben muß; so wird sich recht deutlich zeigen, welchen Gewinn die unzertrennliche deutsche und nordische Geschichte aus einer solchen Unternehmung ziehen kann. Es ist durchaus zu loben, daß auch der dänische Sammler die Sache gar nicht auf ein sogenanntes Unterhaltungsbuch hinaus anlegt: unsre Welt hat sich mattgelesen an unterhaltenden Büchern, wer möchte auf den geringen Reiz, dessen sie fähig ist, ein bescheidenes, ernsthaftes Werk, aus dem einmal etwas bleibendes hervorgehen soll, berechnen. Breit, umständlich, wie sie neben einander bald ärmer, bald reicher erscheinen, sammle man die Volkssagen um ihrer selbst willen, wie man Idiotiken durchgehends nicht mit Rücksicht auf die Schriftsprache anlegen soll, denn das ist nicht gemeint, unsre Schriftsprache dadurch zu bessern, sondern sie mit dadurch verstehen zu lernen. Die Geschichte wird uns dann recht klar, wenn wir das Geringere mit dem Besseren vergleichen; ich habe oft in der Grammatik aus einem leise abweichenden Worte gerade den Aufschluß finden können, den mir eine ganze Reihe von andern, deren Gang gleich geblieben war, nicht gewährt hätte. Die Sagen und ihre Züge sind aber historisch, beweglich, unerdichtet, geheimnißvoll wie die einzelnen Wörter und wie im Großen die Sprachen selbst; in der verachteten Form einer gemeinen Mundart kann sich etwas gerettet haben, wovon die vollkommenste Sprache nichts mehr weiß, und in solcher Mannichfaltigkeit beruht alles Leben. So wenig wir eine aufgegangene Blume in ihre Knospe zurückzubiegen vermögen, so können wir noch weit weniger die ursprüngliche Sprache wieder erkennen, sondern blos auf sie schließen, indem wir alle ihre Entfaltungen zusammenstellen. Besonders thöricht scheint es mir aber, daß man die Mythen und Sagen der Völker aus einer unheiligen Quelle herzuleiten glaubt, aus einer von einzelnen Menschen einmal wirklich gedichteten besten Recension und Lesart, der zu Gefallen man nun ohne weiters alle verschiedene Abweichung und Aeußerung derselben Mythe aufgeben könne, indem sie von jener eine nothwendige Entstellung seyn müsse.

Ich stimme auch dem verdienstvollen Nyerup, welcher eine Vorrede zu dieser Sammlung dänischer Volkssagen geschrieben hat, nicht bei, wenn er behauptet, es werde dadurch unsern heutigen Dichtern wünschenswerther Stoff zu poetischen Bearbeitungen gewonnen. Einmal ist die Form der Poesie nach der Bildung unsrer Zeit, die Behandlung der Sprache und Reime, etwas so leichtes geworden, daß sie auf einen solchen Stoff verwandt, bald den Schein oder die Täuschung eines wirklichen Gedichts hervorbringen kann. Dieser Mißbrauch ist für die Anlagen des Verfassers gefährlich, für das Publicum verführerisch und ihm zuletzt seine Lust an beidem, an der Sache und an der Form raubend. Einen wirklichen Dichter, der um Stoff verlegen wäre, kann ich mir nicht denken, der beste muß ihm unvermerkt sprießen und wachsen. Die falschen Dichter aber unterliegen unter der Menge des Stoffs. Sodann ist es meine Ueberzeugung, daß eine Bearbeitung alter Sagen in unserer neuen Zeit gar nicht möglich sey. Streift man ihnen den epischen Ton und Duft ab, so gerathen sie aus ihrem Gelenk und haben kein Maas mehr, hier steht etwas altes, rohes; dort ist etwas neues, feines dazugesetzt und unsre Litteratur hat genug bewiesen, daß kein wahres lebendiges Gedicht aus solcher Vermengung hervorgeht.

Zur Probe aus dem vorliegenden Heft diene die S. 27. 28. stehende Ausführung des Volksglaubens, daß um fest bauen zu können, etwas lebendiges unter den Grundstein kommen müsse. Man wird sich z. B. aus dem Roman von Merlin erinnern, wie die Meister den immer wieder umstürzenden Thurm erst dadurch zu festigen glaubten, daß das Blut eines von einem Weib geborenen, aber mit keinem Manne gezeugten Kindes den Grundstein benetze.

Nachdem der Herausgeber erzählt hat, daß ein lebendiges Lamm unter den Altar der zu bauenden Kirche oder ein lebendiges Huhn unter die Thürschwelle des Hauses gemauert werde, berichtet er folgendes von dem Kopenhagener Stadtwall. Als man diesen vor alten Zeiten errichten wollte, sank er unaufhörlich wieder ein und es war nicht möglich ihn wieder zum Feststehen zu bringen. Da nahm man ein kleines, unschuldiges Mädchen, setzte es auf einen Stuhl an einen Tisch und stellte ihm Spielzeug und etwas zu trinken darauf. Während es saß und spielte und sich gütlich that, bauten zwölf Maurer eine Wölbung über ihm auf und als sie fertig war, warf man unter Musik und klingendem Spiel den Wall darüber. Deswegen steht er nun unverrückt fest.

Auf jeden Kirchhof, bevor eine Leiche darein beerdigt wird, soll man ein lebendes Pferd eingraben. Dieses Pferd geht zuweilen um und lauft mit drei Beinen rings dem Kirchhof, begegnet ihm jemand so fletscht es die Zähne und bringt ihm den Tod. Daher heißt es Todespferd. Noch ist gebräuchlich in einigen Gegenden des Lands, wann man eine schwere Krankheit überstanden hat, zu sagen. „ich hab’ dem Tod einen Scheffel Haber gegeben.“ – Aus dem großen Dän. Wörterbuch II. S. 544 läßt sich hinzufügen, daß es auch von einem schwer und hart auftretenden zu heißen pflegt: er geht wie das Todtenpferd.

Die baldige Erscheinung des ganzen Werks ist sehr zu wünschen.

Jacob Grimm.