Eine Rittergutsbesitzerin wegen Anstiftung zur Ermordung ihres Gatten vor den Geschworenen

Textdaten
Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Eine Rittergutsbesitzerin wegen Anstiftung zur Ermordung ihres Gatten vor den Geschworenen
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10, Seite 1–101
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Eine Rittergutsbesitzerin wegen Anstiftung zur Ermordung ihres Gatten vor den Geschworenen.
Prozeß Rosengart vom 23. bis 30. März 1899 vor dem Schwurgericht zu Königsberg, Pr.

Die Trunksucht und die Geschlechtskrankheiten sind zweifellos die größten Geißeln der Menschheit. Die Fortschritte der ärztlichen Wissenschaft sowie der allgemeinen Kultur haben glücklicherweise eine ganz wesentliche Verminderung dieser Menschheitsplagen bewirkt. Die großartige Entdeckung des Professors Ehrlich und die Arbeiten der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten dürften allmählich zur Steuerung der Geschlechtskrankheiten beitragen. Die Zahl der Trunkenbolde hat sich auch, dank dem Fortschritt der Kultur, ganz wesentlich vermindert.

Kaiser Wilhelm II.

hat wiederholt zur Mäßigung im Trinken ermahnt. Soweit mir bekannt, hat bereits Kaiser Friedrich als Kronprinz es veranlaßt, daß den Soldaten auf den Märschen anstatt, wie bis dahin, Schnaps, Kaffee in den Feldflaschen mitgegeben wird. Sehr viel dürften auch zur Verminderung der Trunksucht die vielen Abstinentenvereine, die sich immer mehr vermehrenden Lokale, in denen nur alkoholfreie Getränke verabreicht werden, die Gesellschaften zur Bekämpfung der Trunksucht und nicht in letzter Linie der

sozialdemokratische Schnaps-Boykott,

der auf dem 1909 in Leipzig stattgefundenen Parteitag der sozialdemokratischen Partei Deutschlands beschlossen wurde, beigetragen haben. Allein diese Übel, die an dem Mark des Volkes zehren, solange es Geschichte gibt, die zur geistigen und körperlichen Zerrüttung ganzer Geschlechter führen, sind noch lange nicht beseitigt. Die weitaus große Mehrheit der Geisteskrankheiten entstehen durch Syphilis und Trunksucht. Auch die große Mehrheit der Verbrechen sind auf Trunksucht zurückzuführen. Wie viele Existenzen diese zwei Plagen vernichtet haben, wie verheerend sie auf das Ehe- und Familienleben und auf die Nachkommen gewirkt haben, ist naturgemäß auch nicht annähernd festzustellen. Daß die Trunksucht an den Türen der Wohlhabenden nicht halt macht, bewies das Drama, das sich vom 23. bis 30. März 1899 vor dem Schwurgericht zu Königsberg, Preußen, unter der größten Spannung fast der ganzen Kulturwelt, entrollte. Auf der Anklagebank saß eine hübsche, elegante und „schick“ gekleidete Frau von 381/2 Jahren, Besitzerin zweier Rittergüter, unter der Beschuldigung, ihren inzwischen verstorbenen Wirtschaftsinspektor angestiftet zu haben,

ihren Mann zu erschießen.

Der Schloßherr des Rittergutes Zögershof, vor dem Tragheimer Tore zu Königsberg, Preußen, August Rosengart, war seit 1878 verheiratet. Zehn Kinder hatte ihm seine Frau geschenkt; von diesen waren 1897 vier Knaben und ein Mädchen im Alter von 17 bis 8 Jahren am Leben. Viele Jahre herrschte in Zögershof ungetrübte Freude. Schließlich kehrte jedoch der Unfriede in die Familie Rosengart ein. Rosengart soll sich dem Trunke ergeben und seine Frau oftmals mißhandelt haben, zumal ihm zu Ohren gekommen war, daß seine Gattin die eheliche Treue nicht innehalte. Am 19. März 1897, abends gegen 8 Uhr, hatte Rosengart mit seiner Familie das Abendessen eingenommen. Nach beendeter Tafel zog sich Rosengart, wie immer, in das Wohnzimmer seines Schlosses zurück, um dort ungestört die Zeitung zu lesen. Rosengart saß auf dem Sofa; vor ihm stand eine brennende Lampe, die Fensterläden waren, wie gewöhnlich, unverschlossen. Kurze Zeit verweilte Frau Rosengart mit ihrem elfjährigen Töchterchen in dem Wohnzimmer, um noch mit Papa zu plaudern. Gegen 9 Uhr verließ Frau Rosengart mit ihrem Töchterchen das Wohnzimmer, „damit Papa ungestört lesen könne“. Kaum hatte Frau Rosengart die Tür hinter sich zugemacht, da krachte ein Schuß, der den Rittergutsbesitzer sofort zu Boden streckte. Eine Kugel hatte ihm den Kopf von links nach rechts durchbohrt, so daß der Tod sofort eingetreten sein muß. Frau Rosengart, die mit ihren Kindern und ihrem Personal herbeigeeilt war, fand ihren Gatten mit zerschmettertem Schädel in einer Blutlache neben dem Sofa liegen. Zwischen der Leiche und dem Sofa lag eine Kugel. Diese hatte zunächst die linke untere Scheibe des Fensters, alsdann den Kopf des Rosengart durchbohrt, hierauf die Tapete und den Kalkputz der gegenüberliegenden Wand 1,25 Meter über dem Fußboden bis auf den Ziegel durchschlagen und ist schließlich zurückprallend in plattgedrückter runder Form zur Erde gefallen. Laut sachverständigem Gutachten war das tödliche Geschoß eine Spitzkugel, die mit einem sogenannten Hinterladegewehr vom Gutshofe aus abgegeben war. Der Mörder ist anscheinend ein sehr gewandter Schütze gewesen, der auch mit den örtlichen und den Wirtschaftsverhältnissen sehr genau vertraut gewesen sein muß. Frau Rosengart sandte sofort einen Wagen nach Königsberg, um einen Arzt und ihren Bruder, den Kaufmann Hermann Adameit, herbeizurufen. Außerdem sandte sie Leute nach dem nahe belegenen Ernsthof, um den Gutsinspektor Paul Rieß herbeizuholen. Da letzterer, trotz mehrfacher Aufforderung, zögerte, den Gendarmen holen zu lassen, ließ Kämmerer Wiemann zwei Pferde satteln, auf denen ein Sohn des Ermordeten und ein Knecht zu dem Gendarm Pfau nach Vorderhufen ritten. Der Verdacht der Täterschaft lenkte sich sogleich auf den Inspektor Rieß. Es war das Gerücht verbreitet, daß letzterer mit Frau Rosengart unlautere Beziehungen unterhalte. Beide hätten deshalb ein Interesse, Rosengart aus der Welt zu schaffen. Es war außerdem bekannt, daß Rieß ein sehr gewandter Schütze war. In seinem Besitz soll sich auch ein Gewehr befunden haben, in das die Kugel, mit der Rosengart erschossen wurde, paßte. Auf dem Gutshof waren noch wenige Wochen vor dem Morde zwei große wachsame Hofhunde. Rieß soll einen Knecht aufgefordert haben, die Hunde aus dem Wege zu räumen. Kurz vor dem Morde waren die Hunde plötzlich spurlos verschwunden. Außerdem stimmten die Fußspuren, die der Mörder hinterlassen hatte, mit mathematischer Genauigkeit mit den Stiefeln des Rieß überein. Frau Rosengart soll auch mehrfach geäußert haben, sie werde ihren Mann aus dem Wege räumen. Diese und noch andere Verdachtsmomente gaben der Staatsanwaltschaft Veranlassung, Frau Rosengart und den Inspektor Rieß zu verhaften. Rieß starb jedoch sehr bald in der Untersuchungshaft und Frau Rosengart mußte nach einiger Zeit wieder entlassen werden, da die Belastungsmomente nicht ausreichend waren. In Sommer 1898 verlobte sich Frau Rosengart mit einem an Jahren bedeutend jüngeren Referendar a. D., namens Wolff, und beschloß, diesen im September 1898 zu heiraten. Kaufmann Adameit, Bruder der Frau Rosengart, hegte die Befürchtung: durch diese Ehe könnten die Rosengartschen Kinder, deren Vormund er war, einen argen Vermögensnachteil erleiden, zumal Wolff vollständig vermögenslos war. Da Frau Rosengart trotz allen gütlichen Zuredens von ihrem Verehelichungsplane nicht abzubringen war, so teilte Adameit der Staatsanwaltschaft mit: seine Schwester habe ihm zugestanden: den Gutsinspektor Rieß bestimmt zu haben, ihren Mann zu erschießen. Im August 1898 fuhr Frau Rosengart mit ihrem Verlobten nach Helgoland. Am Nachmittage des 23. August saß das verlobte Paar am Strande, um dort den Kaffee einzunehmen. Kaum hatte ein Kellner den Kaffee serviert, da näherten sich dem Paare zwei Kriminalbeamte und erklärten: Sie hätten von der Königsberger Staatsanwaltschaft den Auftrag, Frau Gutsbesitzer Rosengart zu verhaften. Dieser Vorgang erregte selbstverständlich in Helgoland das größte Aufsehen.

Am 23. März 1899 erschien Frau Rittergutsbesitzer Rosengart vor den Geschworenen. Sie hieß mit Vornamen Johanna, geborene Adameit. Sie war am 16. Oktober 1860 zu Pillau geboren. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Wohlgemuth. Die Anklagebehörde vertrat der Erste Staatsanwalt Hepner. Die Verteidigung führten Justizrat Dr. Erich Sello (Berlin) und Rechtsanwalt Dr. Lichtenstein (Königsberg).

Auf Befragen des Vorsitzenden äußerte die Angeklagte: Ich war 181/2 Jahre mit meinem Manne verheiratet und habe mit ihm 10 Kinder gehabt. Seit 6 Jahren besaßen wir das Gut Zögershof; 1896 kauften wir noch das Gut Ernsthof. – Vors.: War Ihre Ehe glücklich? – Angekl.: Im allgemeinen war die Ehe glücklich, zum Teil auch unglücklich. – Vors.: Ihr Mann soll Sie oftmals gemißhandelt haben? – Angekl.: Jawohl, aber nur, wenn er betrunken war; in solchem Falle hat er mich auch beschimpft. – Vors.: Ihr Mann soll Sie im Verdacht gehabt haben, daß Sie mit anderen Männern sträflichen Umgang unterhalten? – Angekl.: Nein, mein Mann hatte niemals einen solchen Verdacht, er hatte auch keine Ursache dazu. – Vors.: Weshalb mag er Sie denn mißhandelt und beschimpft haben? – Angekl.: Mein Mann verlangte unbillige Sachen von mir, die ich ihm nicht gewähren wollte. Im übrigen wußte mein Mann, sobald er angetrunken war, absolut nicht, was er tat. Wenn er am anderen Tage wieder nüchtern war, bat er mich um Verzeihung und war wieder der beste Mensch. – Vors.: Hat Sie nicht Ihr Mann im Verdacht gehabt, daß Sie mit Ihrem Kutscher Busch unlautere Beziehungen unterhielten? – Angekl.: Keineswegs. – Vors.: Hat auch Ihr Mann dem Kutscher Busch nicht Vorhaltungen gemacht? – Angekl.: Nein, das kann er nicht getan haben, da er nicht den geringsten Grund dazu hatte. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich ersuche, der Angeklagten die Frage vorzulegen, ob sie schon einmal von ihrem Mann fort war und sich von ihm scheiden lassen wollte. – Angekl.: Das ist richtig. Einmal mißhandelte und beschimpfte mich mein Mann, wenn er angetrunken war, und andererseits hörte ich, daß mein Mann in Königsberg ein Mädchen aushielt. Ich erklärte daher meinem Mann, daß ich dies nicht länger ertragen könne und mich scheiden lassen müsse. Ich war deshalb mehrere Tage von meinem Mann fort und wollte die Scheidungsklage einleiten. Mein Mann kam jedoch nach einigen Tagen zu mir, bat mich um Verzeihung und versprach mir, anders zu werden. Ich ließ mich deshalb überreden, wieder zu ihm zurückzugehen.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Die Angeklagte hat behauptet, daß sie genötigt war, mehrfach ihren Mann zu schützen, damit er auf der Chaussee nicht von seinen Arbeitern erschlagen werde. – Angekl.: Das ist richtig. Mein Mann beschimpfte, sobald er angetrunken war, vielfach die Arbeiter, er prozessierte auch viel, es wurde ihm daher mehrfach gedroht, ihn zu erschlagen. Ich bin deshalb meinem Manne oftmals mit Knechten entgegengegangen, um ihn zu schützen. Dies tut gewiß nicht jede Frau. – Erster Staatsanwalt: Sie wollen sagen, wenn Sie Ihren Mann loswerden wollten, dann hätten Sie ihn nicht geschützt? – Angekl.: Jawohl. – Erster Staatsanwalt: Das soll Ihnen geglaubt werden, es bedarf deshalb keines Beweises. – Vors.: Nun kommen Sie einmal zu dem 19. März 1897, also zu dem Abende, an dem Ihr Mann erschossen wurde. – Angekl.: An diesem Abende aßen wir gegen 81/2 Uhr gemeinschaftlich Abendbrot. Inspektor Rieß hatte sich bereits nach Hause begeben. Nach dem Abendbrot zog sich mein Mann in das Wohnzimmer zurück, um die Zeitung zu lesen. Ich verweilte noch mit meiner kleinen Tochter Olga in dem Wohnzimmer. Gleich nach 9 Uhr sagte ich zu meiner Tochter: Es ist Zeit, daß du schlafen gehst, du mußt morgen früh um 6 Uhr wieder aufstehen. Wir verabschiedeten uns von Papa. Kaum hatte ich die Tür des Wohnzimmers zugemacht, da krachte ein Schuß. Ich eilte mit meinen Kindern und meinem Personal ins Wohnzimmer, in dem wir im ersten Augenblick nichts sahen, da es mit Pulverdampf gefüllt war. Sehr bald sahen wir meinen Mann mit zerschmettertem Schädel zwischen Tisch und Sofa in einer Blutlache liegen. Ich sandte sofort reitende Boten nach Königsberg, um meinen Bruder und einen Arzt zu holen; außerdem schickte ich reitende Boten zu dem Gendarmen und zu unserem Gutsinspektor Rieß. – Vors.: Rieß soll gezögert haben, an die Mordstätte zu kommen? – Angekl.: Davon ist mir nichts bekannt. – Vors.: Die Kugel ist durchs Fenster gekommen? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Vor dem Fenster waren Läden, sie waren aber nicht vorgemacht? – Angekl.: Nein, mein Mann wollte nicht, daß die Läden vorgemacht werden. – Vors.: Kurz vor dem Morde sollen zwei große, sehr wachsame Hunde auf dem Gute gewesen sein, die plötzlich verschwunden waren? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Wie erklären Sie sich das Verschwinden der Hunde? – Angekl.: Das weiß ich nicht. – Vors.: Als der Schuß erfolgte, hatte auf dem Gutshof niemand mehr etwas zu tun? – Angekl.: Nein. – Vors.: Es ist daher anzunehmen, daß der Mörder mit den Wirtschafts- und lokalen Verhältnissen genau vertraut gewesen sein muß? – Angekl.: Allerdings. – Vors.: Es waren noch zwei junge Hunde auf dem Gutshof, weshalb mögen diese nicht angeschlagen haben? – Angekl.: Diese waren noch zu jung. – Vors.: Sie sollen mit dem Inspektor Rieß sträflichen Verkehr unterhalten haben? – Angekl.: Das ist unwahr, ich habe niemals mit Rieß unlautere Beziehungen unterhalten. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Die Angeklagte behauptet, daß der Ermordete vielfach Drohbriefe erhalten habe? – Angekl.: Das ist richtig. – Vors.: Haben Sie die Drohbriefe gelesen? Angekl.: Jawohl. – Vors.: Von wem waren die Drohbriefe? – Angekl.: Das weiß ich nicht, sie waren anonym. In allen wurde mein Mann mit dem Tode bedroht. – Vors.: Sie sollen einmal gesagt haben: Es wäre doch gut, wenn die Fensterläden zugemacht würden‚ sonst könnte Ihr Mann einmal erschossen werden und der Verdacht könnte auf Sie und den Inspektor Rieß fallen? – Angekl.: Eine solche Äußerung habe ich niemals getan. Mein Mann erhielt einmal einen Drohbrief. Von diesem machte er zunächst dem Inspektor Rieß Mitteilung. Letzterer setzte mich sofort davon in Kenntnis. Ich eilte deshalb zu meinem Mann; dieser sagte mir: Ich habe heute wiederum einen Drohbrief erhalten, in dem auch du mit dem Tode bedroht wirst. – Vors.: Wen hatten Sie wohl im Verdacht, diesen Brief geschrieben zu haben? – Angekl.: Ich konnte es mir nicht anders denken, als daß Kämmerer Riedat den Brief geschrieben habe. – Der Vorsitzende erläuterte alsdann an der Hand einer Zeichnung den Ortsbefund und verlas das gerichtliche Augenscheinsprotokoll.

Hierauf wurden die medizinischen Sachverständigen vernommen. Kreisarzt Sanitätsrat Dr. Fabian gab eine eingehende Schilderung über den Befund des zerschmetterten Schädels. Die aufgefundene Spitzkugel sei von kurzer Entfernung abgeschossen worden. Sie habe dem Ermordeten die linke Schläfe durchbohrt und sei an der rechten Schläfenseite wieder herausgegangen. Die Kugel sei geeignet gewesen, die geschehene Verletzung herbeizuführen. Der Tod sei durch Zerreißung des Gehirns und Zertrümmerung des Schädels erfolgt. – Gerichtsarzt Dr. Luchau schloß sich diesem Gutachten vollinhaltlich an.

Büchsenmacher Rodewald begutachtete: Das ihm vorgelegte tödliche Geschoß sei wahrscheinlich mit einem sogenannten Hinterladegewehr mit vier Balkenzügen abgeschossen worden. Das Geschoß paßte genau in das auf dem Gerichtstisch liegende Gewehr. – Auf Befragen des Ersten Staatsanwalts bemerkte der Sachverständige: Die Kugel sei jedenfalls nicht mit einer Flinte, sondern entweder mit einem bayrischen Militärgewehr oder einem Gewehr mit vier Balkenzügen abgefeuert worden.

Der Vorsitzende ließ hierauf das Geschoß den Geschworenen zeigen.

Der erste Zeuge war Kaufmann Hesse: Er sei mit der Familie Rosengart und auch mit Adameit bekannt gewesen. Er habe seit 1893 mit Rosengart in Geschäftsverbindung gestanden und in den letzten 2 bis 3 Jahren bei Rosengart verkehrt. Der ermordete Rosengart habe seine Frau oftmals, wenn er angetrunken war, in roher Weise beschimpft. In solchen Fällen sei er (Zeuge) hinausgegangen, da ihm diese ehelichen Zwistigkeiten unangenehm waren. Adameit habe ein Kolonialwarengeschäft in Königsberg gehabt. Dies habe er vor einigen Jahren, lange vor der Ermordung des Rosengart, günstig verkauft und sei nach Amerika gegangen, um einen dort lebenden Bruder zu besuchen. Frau Rosengart habe ihrem Bruder 1000 Mark zur Reise gegeben. Adameit sei nach kurzer Zeit wieder zurückgekommen. Nach dem Tode des Rosengart sei Adameit Vormund der Rosengartschen Kinder geworden. Schon vor dem Tode sei Adameit Volontär auf dem Rosengartschen Gute gewesen. Adameit habe oftmals über seine Mündel geschimpft; er habe geklagt, daß sie verroht und sehr unfolgsam seien. Frau Rosengart habe nach dem Tode ihres Mannes oftmals über ihren Bruder geklagt. Sie habe gesagt: ihr Bruder handle keineswegs wie ein Bruder; er wirtschafte in einer Weise, daß, wenn das so weiter gehe, sie schließlich werde betteln gehen müssen. Auf ihre Vorhaltungen habe der Bruder gesagt: Frauenzimmer verstehen nichts vom Geschäft und dürfen sich daher nicht in Geschäfte mischen. Frau Rosengart habe deshalb ihren Bruder entlassen und ihm 6000 Mark geben wollen. Adameit habe gesagt: Meine Schwester mag sich die 6000 Mark in die Weste stecken, ich bin der Meinung gewesen, daß ich zeitlebens auf dem Gute meiner Schwester werde bleiben können. – Vors.: Hat nicht Adameit auch über die Verlobung der Frau Rosengart mit dem Referendar a. D. Wolff gesprochen? – Zeuge: Jawohl, Adameit sagte: Das ist eine Dummheit, der Mann ist viel zu jung für meine Schwester. – Vors.: Haben Sie gehört, daß die Angeklagte mit Männern sträflichen Umgang unterhalten hat? – Zeuge: Davon habe ich nichts gehört, es war aber allgemein bekannt, daß der Ermordete ein Mädchen in Königsberg eingemietet hatte. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Frau Rosengart soll einmal ihren Mann vor den Mißhandlungen von Arbeitern geschützt haben? – Zeuge: Jawohl; eines Abends war Rosengart in Sackheim stark betrunken. Er wollte nach Hause reiten, er konnte dies aber nicht, da er zu sehr betrunken war. Rosengart mißhandelte das Pferd, zerriß das Zaumzeug, so daß ihm Arbeiter mit Schlägen drohten. Er (Zeuge) habe die Leute ersucht, den Mann nicht zu schlagen, da er sinnlos betrunken war. Sehr bald sei auch Frau Rosengart angefahren gekommen und habe ebenfalls gebeten, ihren Mann nicht zu schlagen.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Rieß ist im September 1897 an der Schwindsucht gestorben, wissen Sie über ihn etwas zu sagen? – Zeuge: Nein, ich habe Rieß im ganzen zweimal gesehen. – Vert.: Wissen Sie, daß Frau Rosengart mit Rieß ein Liebesverhältnis unterhalten habe? – Zeuge: Davon habe ich nie etwas gehört. – Auf weiteres Befragen der Verteidiger bekundete der Zeuge, daß der verstorbene Rosengart seine Leute, insbesondere den Kutscher Busch, sehr schlecht behandelt habe. – Frau Hesse, die Gattin des Vorzeugen, schloß sich im wesentlichen den Bekundungen ihres Mannes an. – Der folgende Zeuge, Kämmerer Wiemann, bekundete: Er sei vom 1. März bis 16. Mai 1897 auf dem Rittergut Zögershof beschäftigt gewesen. Am Abend des 19. März sei Inspektor Rieß kurz nach 8 Uhr nach Hause gegangen. Als er in das Wohnzimmer trat, in dem der ermordete Rosengart lag, habe Frau Rosengart in Ohnmacht gelegen. Erst als der Gendarm erschien, sei Frau Rosengart aus der Ohnmacht erwacht. Er habe weder wahrgenommen, daß Frau Rosengart mit dem Inspektor Rieß ein Verhältnis unterhalten habe, noch habe er von einem solchen Gerüchte etwas gehört. Rieß sei ein sehr gutmütiger Mann gewesen. Der Sohn der Angeklagten habe ihm einige Tage nach dem Morde gesagt: Denken Sie, Mama soll Papa erschossen haben. Heute früh hat man den Inspektor eingesperrt, man wird wohl auch bald Mama holen. Er, Zeuge, habe dem jungen Mann erwidert: „So schlimm wird es nicht werden.“

Staatsanwalt: Ich ersuche, den Zeugen zu fragen, ob jemand den Versuch gemacht hat, sein Zeugnis zu beeinflussen. Seine heutigen Aussagen weichen in sehr erheblicher Weise von seinen früheren ab. – Der Zeuge versicherte, daß niemand den Versuch gemacht habe, sein Zeugnis zu beeinflussen. – Auf ferneres Befragen des Vorsitzenden bekundete noch der Zeuge: Der Sohn der Angeklagten habe ihm erzählt: Mama sei an dem Abende des Mordes sehr unruhig gewesen; sie habe einige Male die Vorhänge des Fensters, die nach dem Hofe führten, zurückgeschoben und auf den Hof hinausgesehen. Der Ermordete habe die Angeklagte gefragt, weshalb sie so häufig zum Fenster hinaussehe. Die Angeklagte habe erwidert: „Ich sehe bloß hinaus.“ – Auf Befragen des Justizrats Dr. Sello bemerkte der Zeuge: Frau Rosengart habe den Eindruck gemacht, daß sie von dem Tode ihres Gatten aufs tiefste erschüttert sei.

Ziegelmeister Frentzel: Als ihm von dem Morde Mitteilung gemacht wurde, habe er verstanden: Rosengart habe geschossen. Er habe deshalb erwidert: „Laß ihn schießen.“ Rosengart habe nämlich, ganz besonders, wenn er angetrunken war, oftmals geschossen und hätte infolgedessen einmal sehr bald seinen (des Zeugen) Bruder erschossen. Es sei ihm bekannt, daß Rosengart mehrfach Drohbriefe erhalten habe. Wenn Rosengart betrunken war, habe er seine Frau beschimpft; bisweilen sei dies auch vorgekommen, wenn er nüchtern war. Es sei ihm nicht bekannt, daß Inspektor Rieß mit der Angeklagten ein Liebesverhältnis unterhalten habe.

Hierauf wurde die Aussage des verstorbenen Inspektors Rieß verlesen. Dieser hatte bekundet: Er sei 1863 geboren und seit 1896 Inspektor auf dem Rittergute Zögershof gewesen. Er sei verheiratet und Vater von drei Kindern. Über das eheliche Verhältnis der Familie Rosengart könne er nichts sagen. Er sei am Abend des 19. März 1897, kurz nach 8 Uhr abends, nach Hause gegangen. Er habe Abendbrot gegessen, sich noch kurze Zeit mit seiner Frau unterhalten und sei alsdann zu Bett gegangen. Kaum war er eingeschlafen, da habe es an seinem Fenster heftig gepocht. Er sei aufgestanden und habe das Fenster geöffnet. Vor ihm habe die 11jährige Olga Rosengart mit dem Rosengartschen Dienstmädchen Mathilde gestanden. Auf seine Frage, was los sei, habe die kleine Olga gesagt: Papa ist erschossen worden. Auf die fernere Frage, wann das geschehen sei, habe das Mädchen geantwortet: „Soeben.“ Er habe sich darauf eiligst angekleidet und sei nach Zögershof gegangen. Er habe dort Frau Rosengart in der Küche weinend sitzen sehen. Rosengart lag zwischen Sofa und Tisch mit zerschmettertem Schädel als Leiche. Er bestreite ganz entschieden, den Rosengart erschossen zu haben. Rosengart sei ihm ein sehr wohlwollender Prinzipal gewesen, der ihm aus freien Stücken vom 1. April 1897 ab eine Zulage von mindestens 150 Mark versprochen hatte. Es sei eine freche Lüge, daß er mit Frau Rosengart ein sträfliches Verhältnis unterhalten habe. – Auf die Frage: Weshalb er nicht selbst zu dem Gendarm geritten sei, hat der Angeklagte geantwortet: Weshalb ich das nicht getan habe, kann ich nicht sagen. – Der Vorsitzende ließ hierauf die Angeklagte vortreten und befragte sie über die auf einer schwarzen Tafel enthaltene Zeichnung der Rießschen Wohnung. – Auf Befragen des Justizrats Dr. Sello äußerte Kämmerer Wiemann: Am Abend des Mordes sei feuchtes Wetter und der Erdboden aufgeweicht gewesen. – Der Vorsitzende verlas ferner ein Protokoll. Danach haben die Fußspuren auf dem Weizenfelde genau mit den Stiefeln des Rieß übereingestimmt. – Der folgende Zeuge war Kämmerer Gaudeck: Zwischen dem Inspektor Rieß und dem Gutsherrn Rosengart habe ein durchaus freundschaftliches Verhältnis bestanden. Am 19. März 1897 habe Rieß über Mattigkeit geklagt, so daß er sich schon gegen 6 Uhr nachmittags zu Bett legen wollte. Er sei aber trotzdem noch nach Zögershof gegangen, um dort Abrechnung zu machen.

Arbeiter Perkuhn: Als er eines Tages auf dem Gutshofe Mist lud, habe er gehört, daß Inspektor Rieß zu dem Kämmerer Riedat sagte: Es wäre gut, die Hunde wegzubringen. Riedat fragte, wie er das machen solle. Rieß entgegnete, erst müsse der eine, nach etwa 14 Tagen der andere weggebracht werden, bis sie beide weg seien. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Hat das der Inspektor so laut gesagt, daß Sie es deutlich hören konnten? – Zeuge: Jawohl.

Witwe Deubner: Sie sei 1895/96 auf dem Gute Zögershof in der Küche beschäftigt gewesen. Der ermordete Rosengart habe oftmals seine Frau ausgeschimpft und sie des Ehebruchs bezichtigt. Frau Rosengart habe einmal gesagt: sie möchte zehn Taler zum besten geben, wenn jemand ihren Mann erschießen wollte; alsdann würde sie wieder glücklich leben.

Die Verteidiger hielten der Zeugin vor, daß sie früher vom Totschlagen gesprochen habe, während sie heute vom Totschießen spreche. – Zeugin: Ich habe stets vom Totschießen gesprochen. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Sie haben früher immer vom Totschlagen gesprochen und auch gesagt, daß Frau Rosengart eine solche Äußerung mehrere Male getan habe. Heute wissen Sie nichts von einer solchen Äußerung. Zeugin: Ich habe immer von mehreren Malen gesprochen. – Die Zeugin bekundete im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Ihre (der Zeugin) Tochter habe dem Kutscher Busch, der zur Zeit schon entlassen war, von Frau Rosengart Briefe tragen müssen. Sie (Zeugin) habe auch gehört, wie der ermordete Rosengart seine Frau des sträflichen Umgangs mit Busch beschuldigt habe.

Vors.: Nun, Angeklagte, was sagen Sie dazu? – Angekl.: Als mein Mann einmal betrunken war, hat er mich allerdings des sträflichen Umgangs mit Busch bezichtigt. Ich wollte eines Abends mit meiner Schwester in Königsberg das Theater besuchen. Deshalb ließ ich Busch schriftlich bitten, uns vom Theater abzuholen, damit wir nicht genötigt waren, des Abends allein die Chaussee zu gehen. – Vors.: Weshalb schrieben Sie an Busch, der doch längst nicht mehr in Ihren Diensten stand, während Sie ein sehr zahlreiches Personal halten? Angekl.: Unser Personal mußte um 31/2 Uhr des morgens aufstehen, ich konnte daher nicht verlangen, daß von diesem jemand uns des Abends aus Königsberg abholen kam. Busch hatte keine Stellung. – Vors.: Die Zeugin behauptet aber: Sie haben mehrfach an Busch geschrieben. Angekl.: Das ist eine freche Lüge; die Frau hat einen Haß auf mich. Ich habe sie hinausgeworfen, weil sie uns bestohlen hatte. Zeugin: Das ist nicht wahr. Angekl.: Es ist doch wahr. – Auf weiteres Befragen wurde festgestellt, daß die Zeugin die Angeklagte wegen rückständigen Lohnes und Beleidigung verklagt habe und daß die Angeklagte auch verurteilt worden sei.

Kutscher Busch gab nach längerem Zögern zu, daß er zehnmal wegen Diebstahls bzw. Einbruchdiebstahls, zuletzt mit Zuchthaus, bestraft sei. Als der Vorsitzende den Zeugen aufforderte, den Eid zu leisten, weigerte sich dieser zu schwören, da er nicht wisse, worüber er vernommen werden solle. Erster Staatsanwalt: Es hat den Anschein, als befürchte der Zeuge, sich einer Straftat zu bezichtigen. – Der Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein beantragte, den Zeugen vorläufig uneidlich zu vernehmen. – Der Vorsitzende entsprach diesem Antrage.

Der Zeuge bestritt auf Befragen des Vorsitzenden, mit Frau Rosengart ein sträfliches Verhältnis unterhalten, von dieser Briefe empfangen oder sie nach Hause geleitet zu haben. Er sei allerdings Frau Rosengart einige Male auf der Chaussee begegnet, Geld habe er von Frau Rosengart niemals für eine Begleitung erhalten. – Erster Staatsanwalt: Haben Sie an einen Referendar Wolff Briefe geschrieben? – Zeuge: Nein. – Erster Staatsanwalt: Wie verhält es sich mit den bei Ihnen gefundenen Schriftstücken, die die Aufschrift „An den Gerichtsreferendar und Gutsbesitzer Wolff“ tragen? – Zeuge: Diese Schriftstücke habe ich allerdings geschrieben. – Erster Staatsanwalt: Hat Ihnen Ihre Frau, als Sie aus dem Zuchthause kamen, nicht gesagt, daß sie Zeugin der Ermordung des Rosengart war? – Zeuge: Jawohl. – Erster Staatsanwalt: Weshalb hat Ihre Frau dies so lange verschwiegen? – Zeuge: Meine Frau wollte nichts mit dem Gericht zu tun haben. – Erster Staatsanwalt: Als Referendar Wolff zu Ihnen kam und Ihre Frau fragte, da überwand Ihre Frau ihre Abneigung gegen die Gerichte? – Der Zeuge schwieg und bekundete auf Befragen des Verteidigers, R.-A. Dr. Lichtenstein Er habe einmal den ermordeten Rosengart und dessen Frau von Königsberg nach Zögershof gefahren. Rosengart sei sehr angetrunken gewesen und habe seine Frau und auch ihn geschlagen.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Hatten Sie, als Sie bei Rosengart engagiert wurden, bereits eine Zuchthausstrafe erlitten? – Zeuge: Jawohl. – Vertr.: War das Ihrer Herrschaft bekannt? – Zeuge: Jawohl. – Es erschien alsdann als Zeuge Gerichtsreferendar a. D. Wolff. Dieser, ein mittelgroßer, hübscher, schneidiger Herr mit flottgedrehtem blonden Schnurrbart, gab an, daß er 30 Jahre alt und evangelischer Konfession sei. Er sei mit Frau Rosengart öffentlich verlobt, wolle aber Zeugnis ablegen. Er habe einmal gehört, daß Kutscher Busch gesagt habe, seine Frau wisse genau, daß Inspektor Rieß den Rosengart nicht erschossen habe. Er sei deshalb sofort zu Busch gegangen, habe mit Frau Busch gesprochen und von der Unterhaltung der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet.

Gutsbesitzer – Frehse: Er sei Gutsnachbar des Rosengart gewesen. Als er einmal zu Frau Rosengart ins Zimmer trat, habe diese ihn in ganz unmotivierter Weise umgefaßt und ihm einen Kuß gegeben. – Die Angeklagte bezeichnete diese Bekundung als Lüge. Es sei allerdings vorgekommen, daß sie einmal bei einer Festlichkeit, als der Zeuge am Klavier saß, ihn aus Übermut umgedreht habe. Ein anderes Mal habe der Zeuge mit ihr tanzen wollen. Bei dieser Gelegenheit habe die Frau des Zeugen gerufen: „Gebt euch doch einmal einen herzhaften Kuß.“ Ihr (der Angeklagten) Mann, der im Nebenzimmer saß, habe gerufen: Laßt man solche Albernheiten sein, ich liebe das nicht. Im übrigen habe der Zeuge sehr über seine Frau geklagt. – Der Zeuge bezeichnete die von der Angeklagten erzählten Fälle als richtig, und hielt auch die Kußaffäre aufrecht, er habe deshalb den Umgang mit Rosengarts abgebrochen. – Die Angeklagte zeihte wiederholt den Zeugen der Lüge.

Besitzer Zahn: Er habe mit Rieß sich über den Mord unterhalten. Als er sagte: der Täter werde wohl in nächster Zeit entdeckt werden, habe sich Rieß entfernt.

Als darauf Kutscher Busch vereidigt werden sollte, weigerte er sich, den Eid zu leisten, da er nicht wisse, von wem und weshalb er angeklagt sei. – Der Vorsitzende suchte den Zeugen zu belehren, daß er nicht Angeklagter, sondern nur Zeuge sei. – Busch: beharrte jedoch bei seiner Weigerung. Der Gerichtshof behielt sich die Beschlußfassung über die Vereidigung des Zeugen vor.

Am zweiten: Verhandlungstage bekundete Gutsbesitzer Zahn: Er wisse nicht, ob der verstorbene Gutsinspektor Rieß ein guter Schütze war. – Ein Geschworener: fragte die Angeklagte, ob das Zimmer derartig mit Pulverdampf angefüllt war, daß sie die Leiche ihres Mannes nicht sofort sehen konnte. – Die Angeklagte: verneinte das. Es sei wohl viel Pulverdampf im Zimmer gewesen, sie habe jedoch sogleich den Leichnam zwischen Tisch und Sofa liegen sehen. Geschworener: Infolge des windigen Wetters kann in dem Zimmer kaum Pulverdampf zu sehen gewesen sein. –

Auf Antrag des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, wurde nochmals Kämmerer Wiemann: vernommen. Dieser, der als einer der ersten an der Mordstätte erschienen war, bekundete, daß er Pulverdampf nicht wahrgenommen habe. – Gutsbesitzer Sperber: Rieß sei bei ihm Inspektor gewesen. Er sei im allgemeinen ein guter Schütze gewesen. Rieß war leichtsinnig und moralisch etwas gesunken, im übrigen aber ein gutmütiger Mensch, der wissentlich wohl niemanden geschädigt habe. – Förster Jensch: Rieß, der ein Martinigewehr besaß, sei ein sehr guter Büchsenschütze und ein sehr guter Mensch gewesen. – Rittergutsbesitzer Schuster: Rieß sei zwei Jahre bei ihm Inspektor gewesen. Er sei ein sehr guter, ehrlicher Mensch und ein sehr gewissenhafter Beamter gewesen, der sich niemals hätte bestechen lassen. Rieß habe, als er bei ihm (Zeugen) war, eine Schrotbüchse und eine Kugelbüchse besessen. Letztere sei bei ihm geblieben und sei noch heute auf seinem Gute. Rieß sei abgegangen, da er sich verheiratet hatte. Er habe auf Anfrage des Rosengart den Rieß nur in jeder Beziehung empfehlen können.

Büchsenmacher Neues (Pillau): Er habe dem Rieß einmal einen Karabiner verkauft, in den aber das tödliche Geschoß nicht hineinpasse.

Dienstmädchen Mathilde Krohn: Das Verhältnis der Familie Rosengart sei im allgemeinen ein friedliches gewesen, nur wenn der gnädige Herr betrunken war, sei Zank und Streit gewesen. Sie habe den Inspektor Rieß mehrfach mit Frau Rosengart sprechen sehen, die Eheleute haben sich lediglich über geschäftliche Dinge unterhalten. Am 19. März 1897, abends gegen 9 Uhr, als sie gerade in der Kinderstube war, habe sie plötzlich die gnädige Frau furchtbar schreien hören. Sie sei hinüber in das zu ebener Erde belegene Wohnzimmer gelaufen und habe dort den gnädigen Herrn zwischen Sofa und Tisch tot in einer Blutlache liegen gesehen. – Vors.: War Pulverdampf im Zimmer? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: War viel Pulverdampf? – Zeugin: Viel nicht, ich habe aber Pulverdampf gesehen und auch gerochen. Die Zeugin erzählte im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Die gnädige Frau habe sie aufgefordert, zunächst den Kutscher und alsdann den Inspektor herbeizurufen. Sie sei mit der kleinen Olga zu Rieß nach Ernsthof gelaufen. Nach mehrmaligem Pochen habe Inspektor Rieß geöffnet und gefragt, was los sei. Rieß sei ausgekleidet gewesen. Er habe sich sofort angezogen, es habe aber etwas lange gedauert, da er, wie er sagte, seine Strümpfe nicht finden konnte. Rieß sei mit Frau Rosengart und der kleinen Olga oben im Zimmer geblieben, bis der Arzt und Herr Adameit aus Königsberg kamen. Einige Zeit vor dem Morde habe Frau Rosengart gesagt: Mein Mann erlaubt nicht, daß die Fensterläden des Abends zugemacht werden; wenn einmal etwas passiert, dann wird man den Inspektor Rieß und mich in Verdacht haben. – Vors.: Wie kam Frau Rosengart zu dieser Äußerung? – Zeugin: Es war doch so die Rede, daß Frau Rosengart und der Inspektor ein Liebesverhältnis haben. – Vors.: Haben Sie irgendeine Wahrnehmung in dieser Beziehung gemacht? Zeugin: Nein, ich habe Frau Rosengart mit dem Inspektor nur einmal in der Speisekammer sitzen sehen.

Die Zeugin bekundete im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Sie habe einmal gesehen, wie Frau Rosengart sich einen Eimer Wasser selbst hinaufgetragen habe. – Der Vorsitzende hielt der Zeugin vor, daß sie früher gesagt habe: sie habe einen solchen Vorgang mehrere Male gesehen, dann habe sie wieder in dieser Beziehung alles in Abrede gestellt. Die Zeugin, deren Vernehmung große Schwierigkeiten bereitete, blieb bei ihrer Bekundung. Sie erzählte ferner auf Befragen: Frau Rosengart habe einmal gesagt: Kinder, macht mich nicht unglücklich; damals war Rieß schon verhaftet. – Vors.: Aus welchem Anlaß hat Frau Rosengart das gesagt? – Zeugin: Weil sehr viel Geklatsche war. – Vors.: Was für ein Geklatsche? – Zeugin: Daß die gnädige Frau mit Rieß ein Liebesverhältnis hatte.

Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Lichtenstein bemerkte die Angeklagte: Nachdem Rieß verhaftet war, erzählte Frau Leopold, ich hätte in einer Schmiede ein Messer schärfen lassen, um meinem Manne den Hals damit abzuschneiden. Ich stellte daher sogleich fest, daß die Krohn aus eigenem Antriebe ein Messer hat schärfen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte ich zu meinen Dienstmädchen: Kinder, macht mich durch eure Klatschereien nicht unglücklich; Rieß ist bereits verhaftet, durch eure Klatschereien wird es schließlich dahin kommen, daß auch ich verhaftet werde. Es ist doch schon genug Unglück über mich gekommen. – Vors.: Ist es richtig, daß Sie aus eigenem Antriebe ein Messer in der Schmiede haben schärfen lassen? – Zeugin: Jawohl. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Bezog sich die von Ihnen bekundete Äußerung der Frau Rosengart auf diesen Vorfall? – Zeugin: Jawohl. – Erster Staatsanwalt: Ich habe allerdings auch den Eindruck, daß auf die Zeugin in irgendeiner Weise eingewirkt worden ist; sie hat früher ganz anders ausgesagt als heute. Ich stelle nun an die Zeugin die Frage: ob sie sich erinnert, daß sich das Dienstmädchen Eggert bei dem Untersuchungsrichter selbst des Meineids bezichtigt hat. Die Eggert sagte: ich habe allerdings früher anders ausgesagt, heute ändere ich aber meine Aussage? – Zeugin: Davon weiß ich nichts. – Vors.: Sie haben früher auch bekundet, daß, als Sie dem Rieß sagten: Der gnädige Herr ist erschossen, Rieß gefragt hat: Ist er gleich ganz tot gewesen? – Zeugin: Jawohl, das hat Rieß gesagt.

Erster Staatsanwalt: Ich möchte erst die Olga Rosengart vernommen haben, dann werde ich beantragen, die Widersprüche dieser Zeugin festzustellen.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Mit Rücksicht auf die große Wichtigkeit der Aussage dieser Zeugin stelle ich den Antrag: die Widersprüche der Zeugin sofort festzustellen.

Der Vorsitzende verlas darauf die verschiedenen Protokolle über die Vernehmungen der Zeugin, die sehr voneinander abwichen. – Zeugin bekundete auf wiederholtes Befragen der Verteidiger, daß sie von einem Liebesverhältnis der Angeklagten mit Rieß niemals etwas wahrgenommen habe.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich behaupte, es hat den Frauen in der Aufregung zum mindesten so geschienen, daß im Zimmer Pulverdampf war, zumal sie einen Schuß gehört hatten. Da jedenfalls durch die Behauptung der Angeklagten: das Zimmer sei mit Pulverdampf angefüllt gewesen, deren Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen werden könnte, so beantrage ich, ein Experiment vorzunehmen, um zu sehen, ob durch einen Schuß durchs Fenster im Zimmer Pulverdampf entsteht. – Erster Staatsanwalt: Ein solches Experiment würde dahinführen, daß die Verhandlung in dieser Periode nicht mehr zu Ende kommen kann. Ich erkläre im übrigen, daß ich aus Anlaß der erwähnten Behauptung die Glaubwürdigkeit der Angeklagten nicht in Zweifel ziehe. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich kann aber nicht wissen, ob die Herren Geschworenen aus diesem Anlaß die Glaubwürdigkeit der Angeklagten in Zweifel ziehen. Ich muß daher meinen Antrag aufrechterhalten, zumal ich der Meinung bin, daß die örtliche Augenscheinnahme die Verhandlung doch nur um einen Tag verzögern kann.

Büchsenmacher Neges bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Wenn der Lauf des Gewehrs dicht ans Fenster gehalten worden wäre, dann würde der Schuß allerdings Pulverdampf im Zimmer erzeugt haben. Geübte Schützen pflegen aber nicht derartig zu schießen. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Ich muß mich dem Antrage meines Herrn Mitverteidigers, auf örtliche Augenscheinnahme, anschließen. Ich dehne den Antrag dahin aus, daß die Herren Geschworenen an dieser örtlichen Augenscheinnahme teilnehmen, da ich noch mehrere Dinge an Ort und Stelle feststellen lassen muß. Ich will feststellen, daß der Ort, an dem das Gewehr, mit dem der tödliche Schuß abgegeben sein soll, gestanden hat, von derartiger Beschaffenheit war, daß man das Gewehr nicht verstecken konnte, sondern daß zum mindesten der Lauf gesehen werden mußte. Ich will ferner feststellen, daß auf dem Schulwagen, in dem drei Personen saßen, ein Gewehr nicht derartig versteckt werden konnte, ohne daß der Lauf des Gewehrs gesehen werden konnte.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich werde noch beantragen, eine Demonstration der Fußspuren vorzunehmen. – Vors.: Wir werden vorläufig weiterverhandeln und können ja alsdann sehen, ob eine örtliche Augenscheinnahme erforderlich ist. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Herr Vorsitzender, ich stelle den Antrag nicht eventuell, sondern schon jetzt ganz bestimmt und ersuche jedenfalls, den Antrag zu Protokoll zu nehmen.

Der Vorsitzende entsprach dieser Bitte.

Dienstmädchen Amanda Eggert: Am 19. März 1897, abends gegen 9 Uhr, habe sie im Hofe Geflüster und Klirren von Hundeketten gehört. Sie sei in den Keller gegangen; als sie noch auf den Kellertreppen war, habe sie einen Schuß gehört. Sie sei sofort in das Wohnzimmer des gnädigen Herrn gelaufen und habe dort den gnädigen Herrn zwischen Sofa und Tisch als Leiche liegen sehen. Sie habe niemals etwas bemerkt, was darauf schließen ließ, daß zwischen Rieß und der gnädigen Frau ein Liebesverhältnis bestanden habe. Es sei ihr aber mitgeteilt worden, daß dies eine Frau erzählt habe. Frau Rosengart habe ihr einmal gesagt: mein Mann erlaubt nicht, daß die Fensterläden des Abends geschlossen werden. Wenn nun einmal meinem Manne etwas passiert, dann könnte der Verdacht auf Rieß und mich fallen. Nach dem Morde sei sie von Herrn Adameit nach einem Schraubenzieher geschickt worden. Außerdem habe sie gesehen, daß Frau Rosengart einen Eimer Wasser aus der Küche geholt und in das obere Zimmer getragen habe.

Vors. Es wird nämlich behauptet: Adameit und die Angeklagte seien bemüht gewesen, das Gewehr, mit dem Rosengart erschossen wurde, zu vernichten. Das Gewehr sollte in den Pregel versenkt werden. Vorher sollte aber der Lauf des Gewehrs abgeschraubt werden, zu diesem Zwecke war der Schraubenzieher notwendig. Der Lauf sei deshalb glühend gemacht worden. Um nun die Glut zu löschen, sei der Eimer Wasser notwendig gewesen. – Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts und der Verteidiger wurde festgestellt, daß die Zeugin bei ihren verschiedenen Vernehmungen sich vielfach widersprochen habe. Die Zeugin bestritt, gesagt zu haben, daß sie einen Meineid geleistet habe. Das Dienstmädchen Lina Meier habe sie des Meineids bezichtigt. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Sie haben jedenfalls bei Ihrer ersten Vernehmung, nicht gesagt, daß Sie kurz vor dem Schuß Stimmengeflüster und Kettenklirren im Hofe gehört haben? – Die Zeugin schwieg. – Vert.: Wissen Sie, ob das Stimmengeflüster von Männern oder Frauen ausging? – Zeugin: Das weiß ich nicht. – Die Zeugin bekundete ferner auf Befragen: Die Angeklagte habe sie ersucht: sie solle nicht sagen, daß sie mit Rieß allein gesprochen habe. – Vors.: Haben Sie denn einmal gesehen, daß Frau Rosengart mit Rieß allein gesprochen hat? – Zeugin: Nein. – Vors.: Weshalb mag Frau Rosengart diese Äußerung wohl getan haben? – Zeugin: Das weiß ich nicht. – Vors.: Als Sie eine Vorladung zu dem Untersuchungsrichter erhielten, soll Frau Rosengart zu Ihnen etwas gesagt haben? – Zeugin: Die gnädige Frau sagte: Du wirst ja wissen, was du zu sagen hast.

Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, bemerkte schließlich die Zeugin: Als Frau Rosengart den Eimer Wasser hinauftrug, habe der gnädige Herr noch gelebt. – Der Erste Staatsanwalt erwähnte, daß er einen anonymen Brief erhalten habe. – Auf Antrag des Verteidigers, R.-A. Dr. Lichtenstein, wurde dieser Brief vorgelesen.

Er lautete etwa folgendermaßen:

„Herrn Staatsanwalt, hochgeboren! Sie werden mich entschuldigen, daß ich Ihnen bitte, die unglückliche Frau Rosengart freizulassen. Frau Rosengart ist unschuldig. Wir Arbeiter alle zusammen haben den Inspektor Rieß aufgefordert, Herrn Rosengart zu erschießen. Rieß hat dies auch getan, da er Frau Rosengart liebte, um sie von dem schlechten Manne zu befreien. Ich habe oft gesehen, wie Rosengart seine Leute anband, sie schlug und beschimpfte. Frau Rosengart ist aber unschuldig. Ich bitte Ihnen um Gottes willen, Herr Staatsanwalt, Frau Rosengart freizulassen. Sie würden sonst an der Frau und an den armen Kindern eine schwere Sünde begehen. Sie sind auch kein Gott, sondern nur ein Mensch. Sie haben gewiß schon manchen Menschen unschuldig verurteilt! (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Wenn Sie auch noch die unglückliche Frau Rosengart verurteilen, dann würden Sie eine Unschuldige verurteilen und viel Elend über die Kinderchen bringen. Ein Arbeiter, der die Verhältnisse kennt, schreibt das.“

Frau Busch, Gattin des gestern vernommenen Kutschers Busch, erzählte auf Befragen: Am Abend des 19. März 1897 sei sie mit einer Frau Ziegran von Ernsthof nach Zögershof gegangen. Vor ihnen sei ein Mann gegangen, der auf den Rosengartschen Gutshof ging und sich dort hinter einen Wagen stellte. Gleich darauf sei ein Schuß gefallen. Sie sei mit der Ziegran fortgelaufen, da sie glaubten, der Schuß gelte ihnen. – Vors.: Hatte der Mann ein Gewehr oder etwas Ähnliches in der Hand? – Zeugin: Nein, er hatte nichts in der Hand. – Vors.: Kannten Sie den Rieß? – Zeugin: Ja, Rieß kannte ich ganz genau. – Vors.: War der Mann Rieß? – Zeugin: Nein. – Vors.: Weshalb war es Rieß nicht? – Zeugin: Dazu war der Mann zu klein und zu dick. – Vors.: Wie war denn das Wetter an jenem Abend? – Zeugin: Es war regnerisch. – Vors.: Konnten Sie den Mann erkennen? – Zeugin: Ja, ich habe ihn beim Schein der Laterne gesehen. – Vors.: Von welcher Entfernung konnten Sie an jenem Abend einen Menschen erkennen? – Zeugin: Von zwanzig Schritt. – Vors.: Und wie weit standen Sie von dem Mann entfernt? – Zeugin: Ungefähr zehn Schritt. — Vors.: Wie sah der Mann aus? Zeugin: Er war klein, dick und hatte einen schwarzen Schnurrbart. – Vors.: Was für einen Bart hatte Rieß? – Zeugin: Einen blonden Vollbart. – Erster Staatsanwalt: Wenn Rieß sich ein paar dicke Röcke angezogen und einen schwarzen Schnurrbart angeklebt hätte, wäre es alsdann möglich gewesen, daß dieser Mann Rieß war? – Zeugin: Nein, dazu war er zu klein. – Erster Staatsanwalt: Also nur deshalb konnte es nicht Rieß sein? – Zeugin: Ja. –

Verteidiger R.-A. Dr. – Lichtenstein: Trug nicht Rieß auch einen halblangen, blonden Kinnbart? – Zeugin: Jawohl. Vors.: Frau Busch, Sie haben bekundet, daß Sie Frau Rosengart vielfach unterstützt hat? – Zeugin: Das ist richtig, ich konnte mir von Frau Rosengart stets Kartoffeln, Brot und Speck holen. – Vors.: Sie haben doch gehört, daß Rieß und einige Wochen später auch Frau Rosengart verhaftet wurde, da beide im Verdacht standen, den Mord begangen zu haben? – Zeugin: Das habe ich gehört. – Vors.: Wie konnten Sie es über sich gewinnen, zwei Leute, die, wenn Ihre Bekundung wahr ist, doch unschuldig waren, unter der schweren Anklage des Mordes im Untersuchungsgefängnis sitzen zu lassen. Weshalb haben Sie von Ihren Wahrnehmungen dem Gericht nicht sofort Anzeige erstattet? – Zeugin: Ich wurde von niemandem gefragt. – Vors.: Dies allein durfte Sie doch aber nicht abhalten, zu schweigen; Ihre Wohltäterin befand sich im Gefängnis, Sie hatten doch dadurch auch Schaden? – Zeugin: Ich habe mit dem Gericht niemals etwas zu tun gehabt und wollte deshalb auch fernerhin nichts mit dem Gericht zu tun haben. – Vors.: Also weil Sie mit dem Gericht nichts zu tun haben wollten, haben Sie Ihre Wohltäterin ruhig im Gefängnis sitzen lassen und Ihre Wahrnehmungen erst mitgeteilt, als Ihr Mann aus dem Zuchthause kam? – Zeugin: Ich habe es nur meinem Manne erzählt. – Auf ferneres Befragen bekundete die Zeugin: Nachdem ihr Mann schon aus dem Zuchthause zurück war, sei der junge Herr Rosengart zu ihr gekommen und habe sie gefragt: ob der Mann, den sie am Abend des Mordes gesehen habe, etwa Rieß war. Sie habe diese Frage verneint. Auf Befragen des Verteidigers Justizrats Dr. Sello bemerkte die Zeugin noch: Der junge Rosengart habe heftig geweint, als er bei ihr in der Wohnung war.

Frau Marie Ziegran schloß sich vollständig der Bekundung der Vorzeugin an. Auf die Frage des Vorsitzenden, weshalb sie ihre Wahrnehmung nicht angezeigt habe, da sie doch wußte, daß zwei Menschen unschuldig im Untersuchungsgefängnis sitzen, antwortete die Zeugin: sie habe das nicht für nötig gehalten.

Am dritten Verhandlungstage bekundete Schneiderin – Kröhnert: Sie habe vom 1. Januar bis 1. Februar 1897 bei Rosengart gedient. Es sei ihr aufgefallen, daß, wenn der gnädige Herr nicht zu Hause war, die gnädige Frau zu dem Inspektor Rieß ganz besonders freundlich war. Einmal sei Rieß bis 21/2 Uhr nachts bei Frau Rosengart geblieben, der gnädige Herr sei nicht zu Hause gewesen. Als Rieß fortging, sagte er zu Frau Rosengart: ich werde morgen früh wecken kommen, sonst könnten Sie verschlafen. Rieß sei aber nicht wecken gekommen. Wenn der gnädige Herr nicht zu Hause war, dann sei Rieß mit der Angeklagten zusammen in der Speisekammer, in der Küche, im Keller und in der Kinderstube gewesen. Als sie (Zeugin) eines Tages in den Keller gehen wollte, habe sie Kämmerer Rengath gefragt, ob das Schw. von Rieß wieder ordentlich gefressen und gesoffen habe. Einige Male sei Frau Rieß aufs Gut gekommen und habe weinend ihren Mann gesucht. Frau Rieß habe geklagt, daß ihr Mann sich immer umhertreibe, sie wolle ihren Mann für sich allein haben. Frau Rosengart habe darauf über Frau Rieß gespottet und gesagt, daß diese klein und häßlich sei und eine rote Nase habe. Eines Tages habe Frau Rosengart gesagt: Für die großen Hunde könnten wir lieber ein paar Schweine füttern. – Erster Staatsanwalt: Auch diese Zeugin hat früher bedeutend weitergehende Angaben gemacht. So hat die Zeugin u. a. bekundet: Wenn Herr Rosengart nicht zu Hause war, sei mehr und besser gekocht worden. – Zeugin: Das ist richtig.

Die Frage des Verteidigers R.-A. Dr. Lichtenstein, ob sie wegen Unredlichkeit entlassen worden sei, da sie dem Kämmerer Rengath Kognak, Bier usw. gegeben habe, verneinte die Zeugin.

Dienstmädchen Eggert: Sie habe mehrfach gesehen, daß die Kröhnert dem Kämmerer Rengath Kognak, Bier usw. gegeben habe. Die Kröhnert habe sie (Zeugin) gebeten, der gnädigen Frau nichts davon zu sagen. – Die Angeklagte bemerkte ebenfalls, daß die Kröhnert wegen Unredlichkeit entlassen worden sei. – Letztere stellte das mit Entschiedenheit in Abrede. – Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, bekundete Kämmerer Wiemann: Frau Rosengart habe ihn auch bisweilen in die Speisekammer genommen, die Tür zugemacht und ihm Speise und Trank gegeben. Ein Liebesverhältnis zwischen Frau Rosengart und ihm habe aber in keiner Weise bestanden. – Kämmerer Rengath: Er habe Frau Rosengart und Inspektor Rieß oftmals so vertraut sprechen gesehen, daß er die Überzeugung gewann: es bestehe zwischen beiden ein Liebesverhältnis. Als einmal Frau Rieß ihren Mann suchen kam, habe Frau Rosengart eine sehr unanständige Redensart gebraucht. –

Angekl.: Das ist nicht wahr. Ich habe mit diesem Manne niemals gesprochen, am allerwenigsten aber mich einer solchen Redensart bedient. Ich habe meinem Mann mitgeteilt, daß der Zeuge die Kröhnert zu Unredlichkeiten verleitet habe. Mein Mann hat deshalb den Zeugen sofort entlassen, aus diesem Anlaß hat der Zeuge mir Rache geschworen. Als Frau Rieß ihren Mann einmal suchen kam, sagte ich: es würde mir auch nicht gefallen, wenn mein Mann stets von Hause fort wäre. Frau Rengath sagte darauf zu mir: eine solch häßliche Frau, wie die Rieß, muß ja auf Sie eifersüchtig sein. Ich bemerkte: Was erlauben Sie sich für Redensarten? Ich will mich bloß nicht beschmutzen, sonst würde ich Ihnen ein paar Ohrfeigen geben. – Rengath: Das ist Lüge. – Vors.: Sie können nicht sagen, daß das Lüge ist, Sie sind doch nicht dabei gewesen? – Der Zeuge schwieg und bekundete im weiteren auf Befragen: Frau Rosengart habe ihn (Zeugen) einmal gefragt, wo ihr Langbeinchen sei. Auf seine Frage, wer das Langbeinchen sei, habe Frau Rosengart halblaut geantwortet: Nun, der Inspektor Rieß. Frau Rosengart habe gesagt: Mein Langbeinchen ziert doch den ganzen Gutshof, es ist doch ein hübscher Mensch. – Auf Befragen des Verteidigers bestritt der Zeuge, die Kröhnert zu Unredlichkeiten verleitet zu haben, er habe sie lediglich einmal ersucht, ihm eine Flasche Bier zu geben.

Auf Befragen des Verteidigers gab der Zeuge zu, daß er von Rieß wegen Beleidigung verklagt und auch zu 100 Mark, eventuell 20 Tagen Gefängnis verurteilt worden sei, weil er zu dem ermordeten Rosengart gesagt habe: Rieß bringe ihn um Stumpf und Stiel.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein beantragte, aus den Akten festzustellen, daß der Zeuge nicht einmal den Versuch gemacht habe, den Beweis der Wahrheit für seine Behauptungen zu führen. Er beantrage außerdem, die beeidete Aussage der Angeklagten, die damals als Zeugin aufgetreten sei, zu verlesen. – Justizrat Dr. Sello: Er müsse bemerken, daß er prozessuale Bedenken gegen diese Verlesung habe. – Der Ertste Staatsanwalt nahm diesen Antrag jedoch auf, dem auch der Gerichtshof entsprach.

Frau Kämmerer Rengath: Ihr Mann habe ihr einmal erzählt: er habe den Inspektor Rieß mit Frau Rosengart in der Schlafstube stehen sehen. Dies habe sie (Zeugin) einer Frau erzählt. Aus diesem Anlaß sei sie wegen Beleidigung bestraft worden. Als Frau Rieß einmal ihren Mann suchen kam, habe Frau Rosengart gesagt: ich werde der Frau einen Bullen schicken.

Maschinistenfrau Baerwald: Kurz ehe der Schuß gefallen sei, habe sie vor dem Fenster des Rosengartschen Wohnzimmers einen Schatten gesehen. – Maschinist Baerwald: Seine Frau habe ihm erzählt, daß sie einen Schuß gehört und einen Schatten gesehen habe. Er könne aber nicht sagen, ob seine Frau ihm mitgeteilt, sie habe den Schatten vor oder nach dem Schuß gesehen. Der junge August Rosengart habe ihm einmal erzählt: Sein Onkel habe gesagt, wenn er zu befehlen hätte, dann wüßte er schon, wen er verhaften würde. Er glaube, August Rosengart habe den Onkel Kapinsky, den Mann der Schwester des ermordeten Rosengart, dabei genannt. – Schuhmacher Wiese: Als der Schuß fiel, habe er bereits im Bett gelegen. Die Amanda Eggert habe ihm erzählt, sie habe nach dem Schuß drei Gestalten am Speicher gesehen. – Der Vorsitzende: bemerkte dem Zeugen, daß er bei seiner ersten Vernehmung gesagt habe, die Eggert habe ihm erzählt, sie habe zweiGestalten stehen sehen. – Zeuge: Er könne sich heute nicht mehr genau erinnern. – Amanda Eggert: Der Zeuge müsse sich irren, sie habe diesem erzählt, daß sie zwei Stimmen gehört habe. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Ich stelle fest, daß der Zeuge Wiese ausdrücklich bei seiner ersten Vernehmung gesagt hat: Die Eggert habe nicht sprechen gehört, aber zwei Gestalten am Speicher stehen sehen. – Wiese gab dies als richtig zu. – Amanda Eggert blieb bei ihrer Bekundung, daß sie nur Stimmengeflüster gehört habe. – Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, gab die Zeugin als richtig zu, daß Rosengart mehrfach Drohbriefe erhalten habe. In einem dieser Drohbriefe seien beide Eheleute mit dem Tode bedroht worden.

Gendarm Pfau: Am Abend des 19. März sei er von dem jungen Rosengart und einem Rosengartschen Knecht von dem Morde benachrichtigt worden. Er sei sofort mit beiden nach Zögershof geritten. Auf dem Hofe sei er dem Inspektor Rieß und dem Ziegelmeister begegnet. Er sei sofort ins Wohnzimmer getreten und habe viele Personen vernommen, es vermochte ihm aber niemand über die Ursache des Mordes etwas mitzuteilen. Die Eggert habe ihm gesagt, sie habe kurz vor dem Schuß auf dem Hofe Stimmen gehört, sie glaube auch, eine Gestalt gesehen zu haben, letzteres wisse sie aber nicht genau. Er habe sofort Fußspuren gesucht, aber solche nicht finden können. Außerhalb des Gehöfts habe er allerdings nicht nach Fußspuren gesucht. Auch als an den darauffolgenden Tagen der Oberwachtmeister, der Erste Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter in Zögershof waren, sei außerhalb des Gehöfts nicht nach Fußspuren gesucht worden. Nachdem jedoch die Fußspuren auf dem Weizenfelde entdeckt waren, habe er sie gemessen; sie haben genau mit den Stiefeln des Rieß übereingestimmt. Er sei einmal kurz nach dem Morde nach Zögershof gerufen und von Frau Rosengart ersucht worden, den Arbeiter Holz mit Gewalt vom Gute zu entfernen, da dieser, trotzdem er entlassen war, seine Wohnung nicht räumen wollte. Weshalb Holz entlassen worden sei, wisse er (Zeuge) nicht. – Am Tage nach dem Morde sei der Schwager des Ermordeten, Kapinsky, mit seinem Sohne in einem geschlossenen Wagen auf das Gut Zögershof gefahren. Kapinsky sagte: Ich kenne schon die zwei, die den Mord begangen haben. – Vors.: Wen mag Kapinsky damit gemeint haben? – Zeuge: Ich war der Ansicht, daß Rieß und Frau Rosengart gemeint waren.

Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts wurde ein anonymer Brief verlesen. In diesem hieß es: „Vor etwa zwei Jahren hat Frau Rosengart einmal zu einem Kutscher gesagt: Es kommt mir auf ein paar hundert Taler nicht an, wenn der Kutscher mit dem Kerl so fährt, daß er das Genick bricht.“ Frau Hoffmann (Pillau), die Schwester der Angeklagten, werde bekunden müssen: Frau Rosengart habe einmal in Königsberg einen jungen Mann eingeladen, mit ihr nach Zögershof zu kommen, und bemerkt: Mein Mann ist verreist. Frau Hoffmann habe darauf versetzt: Wenn dein Mann nicht zu Hause ist, dann bist du aus Rand und Band. – Der Täter kann nur ein Bekannter gewesen sein, sonst hätten die Hunde angeschlagen.“

Am vierten Verhandlungstage bekundete das Dienstmädchen Eggert: Die Kutschersfrau Busch und Frau Ziegran klopften stets ans Fenster, wenn sie zu Frau Rosengart kamen. Das sei auch vielfach noch nach dem Tode des Rosengart geschehen. Busch und Ziegran, nochmals vernommen, bestätigten diese Bekundung. Sie seien zu Frau Rosengart gekommen, um diese um Lebensmittel zu bitten. – Vors.: Das geschah auch noch vielfach nach dem Tode des Rosengart? – Die Zeugen bejahten das. – Auf die Frage des Vorsitzenden: Weshalb sie alsdann niemals der Frau Rosengart von ihren so sehr wichtigen Wahrnehmungen Mitteilung gemacht haben, zumal doch naturgemäß sehr viel über den Mord gesprochen worden sei, antworteten beide Zeuginnen übereinstimmend: Sie hätten das nicht für wichtig genug gehalten.

Unter allgemeiner Spannung betrat darauf Kaufmann Hermann Adameit (Königsberg), als Zeuge den Sitzungssaal. Dieser, ein hübscher, großer Mann, mit blondem Vollbart und Brille, gab an: Ich bin 35 Jahre alt, evangelischer Konfession. Ich bin der leibliche Bruder der Angeklagten, werde aber Zeugnis ablegen. Am Spätabend des 19. März 1897 wurde ich benachrichtigt, daß mein Schwager, der Rittergutsbesitzer Rosengart in Zögershof, erschossen worden sei. Ich fuhr eiligst nach Zögershof und fand dort in dem Wohnzimmer, wo das Verbrechen passiert war, viele Leute versammelt. Von dem Täter war zunächst keine Spur vorhanden. Ich blieb vorläufig in Zögershof. Einige Tage nach dem Morde wurde Inspektor Rieß wegen Verdachts der Täterschaft verhaftet. Etwa acht Tage später fiel mir meine Schwester plötzlich um den Hals, begann zu weinen und sagte:

„Lieber Bruder, du bist der einzige, dem ich mich anvertrauen kann. Ich will dir gestehen, mein Mann hat mich in der letzten Zeit furchtbar geschlagen und beschimpft, so daß ich es nicht mehr aushalten konnte. Rieß hat ihn erschossen. Das Gewehr, mit dem er geschossen hat, ist im Speicher versteckt gewesen.“

Ich fragte, wo ist das Gewehr? Meine Schwester wußte mir nicht darauf zu antworten, meinte aber, daß das Gewehr nicht in der Wohnung des Rieß in Ernsthof sein werde. Ich untersuchte zunächst den Speicher, konnte aber nichts finden. Ich ging alsdann mit meiner Schwester nach Ernsthof. Dort fanden wir in der Rießschen Wohnung ein Gewehr, aber keine Kugeln. Meine Schwester nahm das Gewehr und verbarg es unter ihre Kleider.

Vors.: Hat Ihnen Ihre Schwester gesagt, ob und inwieweit sie an dem Mord beteiligt war, ganz besonders ob sie den Mord mit Rieß vorher verabredet hatte? – Zeuge: Ich hatte gleich von Anfang an den Eindruck, daß meine Schwester den Rieß angestiftet hat. Als wir von Ernsthof nach Zögershof zurückgingen, hat sie mir auch gestanden, den Rieß angestiftet zu haben. – Vors.: Weshalb haben Sie nicht damals sofort Anzeige erstattet? – Zeuge: Ich unterließ die Anzeige, weil mir meine Schwester leid tat und ich mir sagte: Es würde ihr unter Umständen den Kopf kosten. – Vors.: Nun, was geschah weiter, erzählen Sie einmal ganz ausführlich. – Zeuge: Meine Schwester erzählte mir, daß das Gewehr von Otto Anhuth in Königberg auf dem Steindamm von Rieß für 47,75 Mark gekauft worden sei. Als wir in Zögershof ankamen, sagte ich zu meiner Schwester: Wir müssen zunächst das Gewehr vernichten. Wir brachten das Gewehr in ein im ersten Stock belegenes Zimmer und ließen einen Schraubenzieher holen, um den Kolben abzuschrauben. Wer nach dem Schraubenzieher geschickt wurde, weiß ich nicht mehr. Wir steckten den abgeschraubten Kolben schließlich ins Feuer, um ihn abzuschmelzen. Da aber die Schmelzung nicht gelang, holte meine Schwester einen Eimer Wasser, um die Glut damit zu löschen. Inzwischen war der Baumeister Worgall nach Zögershof gekommen. Des Nachmittags ließen wir den Schulwagen anspannen und fuhren mit Worgall nach Königsberg. – Vors.: In dem Wagen nahmen Sie, Ihre Schwester und Baumeister Worgall Platz? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Was wollten Sie in Königsberg unternehmen? – Zeuge: Wir hatten verabredet, das Gewehr in den Pregel zu werfen. Meine Schwester knöpfte sich das Gewehr unter die Kleider; um es festzuhalten, band sie es an eine Schnur und nahm sich diese um den Hals. Als wir vor meinem Hause in Königsberg angelangt waren, stieg der Baumeister aus. Ich begab mich mit meiner Schwester in meine Wohnung und ging, als es finster war, mit dem Gewehr an den Pregel; dort warf ich das Gewehr hinein. – Vors.: Haben Sie sich die Stelle gemerkt, an der Sie das Gewehr hineingeworfen hatten? – Zeuge: Gewiß, es wurde allerdings später nachgesucht, das Gewehr wurde aber nicht gefunden. – Vors.: Und was veranlaßte Sie schließlich, Anzeige zu machen? – Zeuge: Meine Schwester wurde trotzdem verhaftet. Kaum war sie aber wieder entlassen, da begannen die Klatschereien. Es wurde allgemein gesagt, meine Schwester sei doch die Anstifterin; sie habe mit Rieß ein Liebesverhältnis unterhalten. Meine Schwester sagte oftmals: So könne es mit ihrer Wirtschaft nicht weitergehen, sie müsse wieder heiraten.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Mit der Wirtschaft, die angeblich zurückging, waren Sie gemeint? – Zeuge: Jawohl. Meine Schwester, die fast jeden Mann küßte, der zu ihr nach Zögershof kam, unterhielt nach ihrer Entlassung ein ganz intimes Verhältnis mit dem Referendar Wolff. – Vors.: Wann begann dies Verhältnis? – Zeuge: Wolff ging schon zu Lebzeiten meines Schwagers Rosengart in Zögershof aus und ein. Ob und welcher Verkehr damals schon zwischen meiner Schwester und Wolff stattgefunden hat, weiß ich nicht. Weihnachten 1897 hat meine Schwester dem Wolff eine goldene Uhr und Kette geschenkt. Gleich darauf haben beide wie Mann und Frau zusammen gelebt, so daß das Personal und ihre eigenen Kinder daran Ärgernis nahmen und sich darüber aufhielten. Ich machte meiner Schwester Vorstellungen, sie erwiderte aber: sie könne von Wolff nicht mehr lassen, sie werde sich im Gegenteil mit ihm verloben. – Vors.: Wie alt waren die Kinder, die sich über den Verkehr Ihrer Schwester mit dem Referendar Wolff aufhielten? – Zeuge: Der älteste Sohn ist 18, der zweite 15 Jahre alt. – Vors.: Wann verlobte sich Ihre Schwester mit Wolff? – Zeuge: Im Mai 1898. – Vors.: Sie waren bemüht, die Verlobung rückgängig zu machen? – Zeuge: Allerdings. – Vors.: Welches Interesse hatten Sie, die Verlobung rückgängig zu machen? – Zeuge: Ich war der Vormund ihrer Kinder und befürchtete für diese einen großen Vermögensnachteil. Ich wußte, daß Wolff von der Wirtschaft nichts verstand und daß, wenn er Besitzer des Gutes würde, die Wirtschaft zurückgehen müßte. Ich wollte mir auch von Wolff, der sich anmaßte, mir zu kommandieren, nichts sagen lassen.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Da Ihre Schwester erklärte, daß sie die Verlobung nicht rückgängig machen werde, drohten Sie ihr, Anzeige zu machen? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Sie haben Ihrer Schwester mehrere Drohbriefe geschrieben? – Zeuge: Jawohl. – Auf Antrag des Verteidigers wurden diese Briefe verlesen.

Vors.: Ehe Sie nach Zögershof kamen, besaßen Sie hier in Königsberg ein Kolonialwarengeschäft? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Im November 1896 haben Sie das Geschäft verkauft? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Weshalb taten Sie das? – Zeuge: Einmal sagte mir mein Schwager Rosengart, er würde es sehr gern sehen, wenn ich bei ihm in Stellung träte, und andererseits war ich in der Lage, das Geschäft unter sehr günstigen Bedingungen zu verkaufen. – Vors.: Sie traten aber nicht sofort bei Rosengart in Stellung, sondern fuhren zuerst nach Amerika? – Zeuge: Jawohl, ich wollte zunächst in Amerika meinen dort lebenden Bruder besuchen. – Vors.: Waren Ihre Geschwister mit dieser Reise einverstanden? – Zeuge: Jawohl, meine Schwester Johanna (die Angeklagte) gab mir sogar 1000 Mark zur Reise. – Vors.: Wie lange blieben Sie in Amerika? – Zeuge: Ich fuhr Anfang Dezember 1896 ab und kam Anfang März 1897, kurz vor dem Morde, zurück. Referendar Wolff hatte auch meine Mündel, die jungen Rosengarts, geschlagen. Die Kinder beklagten sich bei mir und sagten: Sie wollten sich von einem fremden Manne nicht schlagen lassen. Ich habe deshalb Wolff zur Rede gestellt. Andererseits befürchtete ich auch, meine Schwester könnte, wenn sie sich mit Wolff verheiratete, es ähnlich wie mit Rosengart machen, da sie zu Lebzeiten Rosengarts, als sie noch in Pillau wohnten, vielfach mit Männern sträflichen Verkehr unterhalten hat. Sie hatte z. B. mit dem Wallmeister Thießen in Pillau und dem Inspektor Grell in Zögershof Liebesverhältnisse unterhalten. Meine Schwester erklärte auf wiederholte Vorhaltungen: sie könne schon deshalb die Verlobung nicht mehr rückgängig machen, da sie den Referendar veranlaßt habe, aus dem Staatsdienst auszuscheiden. Plötzlich hörte ich, meine Schwester sei mit Wolff nach Helgoland abgereist. Da ich vermutete, daß sich das Paar dort trauen lassen wolle, fuhr ich sofort nach Allenstein, um mit Napiesky, dem Schwager des ermordeten Rosengart, und dessen Frau zu beraten, was zu tun sei. Vors.: Und was war das Ergebnis der Beratung? – Zeuge: Ich telegraphierte sofort an die zuständige Staatsanwaltschaft, das Polizeiamt und das Pfarramt nach Helgoland, da es mir zunächst darauf ankam, die Verheiratung in Helgoland zu hintertreiben.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Sie haben also nach Helgoland telegraphiert, unter Umgehung der zuständigen Staatsanwaltschaft? – Zeuge: Allerdings, ich hielt Eile für geboten. – Auf Antrag der Verteidiger wurden die Telegramme und die Strafanzeige des Zeugen an die Königsberger Staatsanwaltschaft verlesen. Es gelangte im weiteren ein Telegramm zur Verlesung, das Frau Napiesky, die Schwester des ermordeten Rosengart, an die Angeklagte nach Helgoland gerichtet hatte. Dies lautete: „Dein Bruder hat der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. Rate Dir, damit Du nicht über Dich und Deine Familie ewige Schande bringst und auf dem Schafott oder im Zuchthaus enden mußt, Dich verrückt zu stellen, damit Du vorläufig in ein Irrenhaus kommst.“ Unterzeichnet war das Telegramm mit „Napiesky“. Die Angeklagte gab zu, ein solches Telegramm in Helgoland erhalten zu haben.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Am 15. August 1898 erhielten Sie von Ihrer Schwester, der Angeklagten, ein Schreiben, in dem sie Ihnen mitteilte, daß Sie entlassen seien und sie die Löschung der Ihnen erteilten Prokura bei dem Amtsgericht bereits beantragt habe? – Zeuge: Jawohl. – Auf Antrag des Verteidigers wurde dieser Brief verlesen. Alsdann fragte der Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: den Zeugen: Wann er nach Allenstein gefahren sei? – Zeuge: Am 19. August. – Vert.: Und wann depeschierten Sie nach Helgoland? – Zeuge: Am 21. August. Meine Schwester hat mir erzählt, sie habe den Mordplan mit Rieß im Keller besprochen. Nachdem meine Schwester in Helgoland verhaftet war, klopfte es eines Abends zwischen 10 und 11 Uhr an meinem Fenster. Auf meine Frage, wer da sei, antwortete eine Stimme: Wolff. Meine Frau und mein Dienstmädchen warnten mich, zu öffnen, da man nicht wissen könne, was der Mann im Schilde führe; es sei doch schließlich nicht ausgeschlossen, daß der Mann mich erschießen könnte. Ich fragte deshalb, ob denn die Sache so eilig sei, es könnte doch bis zum folgenden Morgen Zeit haben. Der Mann sagte mir aber: er müsse mich sofort sprechen. Ich öffnete und fragte den Referendar Wolff nach seinem Begehr. Wolff entschuldigte sich, daß er in so später Stunde mich störe. Er erzählte mir alsdann: meine Schwester sei in Helgoland von zwei Polizisten verhaftet worden. Er habe dem Transporteur 10 Mark gegeben, dieser habe ihm infolgedessen gestattet, mit meiner Schwester auf dem Schiff gemeinsam bis Altona zu fahren. Er sei meiner Schwester bis Dirschau entgegengefahren, sie sei aber mit dem Zuge, mit dem er sie erwartet habe, nicht gekommen. Wolff bat mich nun, doch sofort der Staatsanwaltschaft mitzuteilen, daß ich in Übereilung gehandelt habe und meine Anzeige unwahr sei. Wenn ich das unverzüglich mache, dann lasse sich die ganze Sache noch rückgängig machen. Wolff sprach im weiteren von einer Hypothek von 30000 Mark, die auf meinen Namen eingetragen werden könnte. Ich solle am folgenden Tage mit ihm zu Herrn Rechtsanwalt Lichtenstein gehen und dort zu Protokoll erklären, daß meine Anzeige unwahr sei, dann würde meine Schwester sofort entlassen werden. Ich antwortete: Ich will nichts haben, ich werde aber tun, was ich kann; ich brauche ja nicht gerade zum Rechtsanwalt Lichtenstein zu gehen, ich kann auch einen anderen Rechtsanwalt um Rat fragen.

Vors.: Waren Sie nun willens, Ihre Angaben für unwahr zu erklären? – Zeuge: Nein. Johanna hat mir gestanden, daß Rieß ihren Mann erschossen hat. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Wann fuhren Sie mit Ihrer Schwester und dem Baumeister Worgall von Zögershof nach Königsberg? – Zeuge: Den Tag kann ich nicht genau angeben. – Vert.: Ich werde den Nachweis erbringen, daß Worgall nur ein einziges Mal, und zwar am 7. April 1897 in Zögershof war und daß an diesem Tage die Osterferien des Königsberger Gymnasiums anfingen. Herr Adameit, Sie sagten, Sie haben sich die Stelle genau gemerkt, an der Sie das Gewehr in den Pregel geworfen haben? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Weshalb haben Sie sich die Stelle so genau gemerkt? – Zeuge: Weil ich mir sofort sagte, die Stelle könnte für eine etwaige Wiederauffindung von Bedeutung sein. – Vert.: An welcher Stelle haben Sie das Gewehr in den Pregel geworfen? – Zeuge: Wenn man vom Schloß kommt, am zweiten Floß links. – Vert.: Haben Sie das auch dem Taucher gesagt? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Der Taucher hat aber nichts gefunden? – Zeuge: Nein.

Auf Befragen des Verteidigers Justizrat Dr. Sello bekundete das Dienstmädchen Krohn: Sie habe an dem Tage, an dem Frau Rosengart den Eimer Wasser holte, die Asche aus dem Ofen gezogen, habe aber nichts Auffälliges in der Asche entdeckt. – Vors.: Nun, Frau Rosengart, was sagen Sie zu der Aussage Ihres Bruders? – Angekl.: Das ist alles nicht wahr. Mein Bruder hat mich allerdings gefragt, ob mir bekannt sei, daß Rieß meinen Mann erschossen habe. Ich antwortete: Der Inspektor Steinhagen hat mir erzählt, daß Rieß der Täter sei und das Gewehr, mit dem er meinen Mann erschossen hat, bei Anhuth gekauft habe. Mein Bruder wollte deshalb nach Ernsthof gehen, um das Gewehr in der Rießschen Wohnung zu suchen. Ich erklärte ihm, daß ich ihn begleiten wolle. Ich ging mit meinem Bruder nach Ernsthof, dort durchsuchte mein Bruder die Rießsche Wohnung, er fand aber nichts. – Adameit: Das erstemal habe ich das Gewehr gefunden, ich bin am anderen Tage noch einmal nach Ernsthof gegangen und suchte dort nach Kugeln, eine solche habe ich allerdings nicht gefunden.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Sie sollen in den letzten zwei Jahren, als Sie Ihr Geschäft hatten, mit Verlust gearbeitet, und zwar sollen Sie ein Minus von 6484 Mark gehabt haben? – Zeuge: Das ist richtig. – Vert.: Ist es richtig, daß Sie geäußert haben, Sie gehen auf keinen Fall fort von Zögershof? – Zeuge: Das habe ich nicht gesagt, ich habe aber bemerkt, ich glaubte, stets in Zögershof bleiben zu können. – Inspektor Steinhagen verneinte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er der Angeklagten erzählt habe: Rieß soll den Rosengart erschossen und das Gewehr für 50 bis 60 Mark bei Anhuth gekauft haben. – Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Lichtenstein gab der Zeuge die Möglichkeit zu, daß der Vorgang ihm nicht mehr erinnerlich sei.

Hierauf wurde Frau Auguste Budnick (Pillau) als Zeugin in den Saal gerufen. Diese gab an: Ich bin die leibliche Schwester der Angeklagten, ich will aber Zeugnis ablegen. Eines Tages kam ich mit meinem Bruder und meiner Schwester in der Zentralhalle hierselbst zusammen. Meine Schwester kam mit dem Referendar Wolff in die Zentralhalle. Ich sagte meiner Schwester, daß ich ihr etwas Wichtiges zu sagen habe, ich könne ihr das aber nicht in Gegenwart eines Fremden sagen. Meine Schwester versetzte: Was du mir zu sagen hast, kann auch mein Bräutigam hören. Ich sagte nun zu meiner Schwester: Es ist mir bekannt, daß Rieß deinen Mann erschossen hat und du ihn angestiftet hast.

Meine Schwester war sehr entrüstet darüber und sagte: Ich solle nicht derartige Redensarten aufbringen. Ich sagte zu meiner Schwester: sie habe doch meinem Bruder Hermann ein Geständnis gemacht. Meine Schwester bestritt dies. Am folgenden Tage ließ mein Bruder Hermann den Referendar Wolff zu sich ins Kontor bitten. Mein Bruder sagte in meiner Gegenwart zu Wolff: Es ist Ihnen doch bekannt, daß meine Schwester den Rieß angestiftet hat, ihren Mann zu erschießen? Wolff sagte: Das weiß ich. – Und trotzdem wollen Sie meine Schwester heiraten? fragte mein Bruder. Jawohl, ich werde sie heiraten, sagte Wolff. August Rosengart kam zu mir nach Pillau und sagte mir, er wolle Anzeige erstatten, sobald die Mutter den Wolff heirate, ich habe aber davon abgeraten. Nachdem meine Schwester verhaftet war, bat mich Wolff: wenn ich vor Gericht als Zeugin erscheine, dann solle ich mein Zeugnis verweigern, da, wie mir bekannt sei, auch mein Bruder Hermann verdächtigt werde. Ich sagte sofort zu Wolff: Ein Verdacht gegen meinen Bruder Hermann ist vollständig unbegründet, dieser kann das schon seiner großen Kurzsichtigkeit halber nicht getan haben; ich werde jedenfalls vor Gericht die volle Wahrheit sagen.

Vors.: Was veranlaßte Sie, gegen Ihre Schwester auszusagen? – Zeugin: Einmal, weil meine Schwester den Wolff heiraten wollte, ganz besonders aber, weil mein Bruder im Verdacht der Täterschaft stand. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Haben Sie einmal gesagt, wenn Ihre Schwester Ihnen 6000 Mark gebe, dann werden Sie Ihr Zeugnis verweigern? – Zeugin: Nie.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Sie haben in Pillau ein Restaurant? – Zeugin: Jawohl. – Vert.: Wie steht es mit Ihren Vermögensverhältnissen? – Zeugin: Diese sind nicht gerade ungünstig. – Referendar a. D. Wolff: Ich bin mit der Familie Rosengart seit 1891 bekannt. Ich habe vielfach, ganz besonders, als ich hier in Königsberg studierte, die Familie in Zögershof besucht und fand stets sehr freundliche Aufnahme. Nach beendetem Studium ging ich nach Bartenstein. Im Jahre 1897 trat ich hier als Referendar bei der Staatsanwaltschaft ein. Von dieser Zeit verkehrte ich wieder häufiger in Zögershof. Einige Zeit nach dem Tode des Rosengart sagte mir einmal Frau Rosengart, sie werde entweder einen Teil ihrer Besitzungen verkaufen oder heiraten müssen. Ich riet ihr zu letzterem. Frau Rosengart sagte darauf: Ich habe in meiner ersten Ehe so trübe Erfahrungen gemacht, daß ich mich nur entschließen würde, einen Mann zu heiraten, zu dem ich das volle Vertrauen habe. Einige Zeit darauf fragte mich Frau Rosengart, ob ich sie heiraten wollte, sie hätte gerade zu mir volles Vertrauen. Ich zögerte zunächst, da ich mit Leib und Seele Jurist war und meine Karriere nicht gern aufgeben wollte. Ich gab jedoch schließlich den Bitten der Frau Rosengart nach und verlobte mich mit ihr im Mai 1898. Erst im Juni 1898 reichte ich meine Entlassung ein, ich empfand noch nach meiner Verlobung Lust, das Assessorexamen zu machen. Meine Braut wurde nun von ihren Geschwistern derartig bestürmt, die Verlobung mit mir rückgängig zu machen, daß wir beschlossen, nach Helgoland zu fahren und uns dort trauen zu lassen.

Vors.: Adameit soll Ihnen einmal in Gegenwart der Frau Budnick gesagt haben: Sie wissen doch, daß meine Schwester den Rieß angestiftet hat, ihren Mann zu erschießen. Darauf sollen Sie geantwortet haben: Das ist mir bekannt. Adameit soll darauf bemerkt haben: Und dennoch wollen Sie meine Schwester heiraten? Sie sollen darauf versetzt haben: Gewiß werde ich sie heiraten. – Zeuge: Das gerade Gegenteil ist wahr. Adameit hat allerdings diese Frage an mich gestellt; ich habe ihm aber sofort geantwortet: Wie kommen Sie dazu, meine Braut eines solchen Verbrechens zu beschuldigen. Machen Sie meinetwegen Anzeige, Ihre plumpen Erpressungen werden sehr wenig Glauben finden. – Vors.: Was für plumpe Erpressungen waren das? – Zeuge: Adameit ließ durchblicken, daß er Besitzer des Gutes werden wollte. Deshalb wollte er die Heirat hintertreiben, weil er befürchtete, er könnte dadurch seiner Stellung verlustig gehen. Ich habe dabei dem Adameit gleich nach unserer Verlobung gesagt, ich bin entfernt, ihn existenzlos machen zu wollen, er könne auch nach unserer Verheiratung bei uns bleiben. Ich bestreite auch, daß meine Braut dem Adameit ein Geständnis gemacht hat, denn als ich von der Unterredung mit Adameit meiner Braut Kenntnis gab, sagte diese sofort: Das hätte ich meinem Bruder nicht zugetraut, ich habe doch wahrhaftig genug an diesem Menschen getan. – Vors.: Hat denn Adameit direkt etwas verlangt, wenn er von einer Anzeige Abstand nehme? – Zeuge: Direkt nicht, aber indirekt. Er verlangte ganz besonders, meine Braut solle die Verlobung mit mir rückgängig machen, damit er nach Belieben auf dem Gut schalten und walten könne.

Der Vorsitzende forderte die Zeugin Budnick auf, dem Referendar Wolff ihre Bekundungen ins Gesicht zu sagen. Nachdem dies geschehen, sagte Wolff: Den Vorgang in der Zentralhalle gebe ich als richtig zu, den Vorgang im Kontor dagegen bestreite ich ganz entschieden. Nicht ich, sondern ein Verwandter der Frau Rosengart hat dem Transporteur 10 Mark gegeben, damit der Transport nicht so auffällig werde. Ich habe den Adameit ersucht, dies niemandem zu erzählen, damit der Transporteur nicht „reinfalle“. Im übrigen habe ich in keiner Weise den Versuch gemacht, einen Zeugen zu beeinflussen. Der Frau Budnick habe ich im Gegenteil gesagt, sie solle ihr Zeugnis nicht verweigern, obwohl sie gesetzlich dazu berechtigt sei. Eines Abends sind die jungen Rosengarts in das Speisezimmer eingebrochen und haben dort Rotwein und Kognak entwendet und sich furchtbar betrunken. In diesem Zustande verlangten sie in sehr ungestümer Weise: ich solle ihnen ein Fuhrwerk zur Verfügung stellen, sie wollen nach Königsberg fahren. Da ich diesem Verlangen unmöglich nachkommen konnte, so drohten die beiden jungen Leute, mich zu erschießen. Ich fuhr deshalb nach Königsberg, um Herrn Adameit, der Vormund der Kinder war, zu bitten, für die Entfernung der Jungen aus Zögershof Sorge zu tragen. Adameit versprach mir dies auch und bemerkte dabei: Es hätte nicht soweit zu kommen brauchen, wenn seine Schwester anders zu ihm gewesen wäre. Ich sagte: Darüber wollen wir uns nicht unterhalten; wenn Sie aber an Ihrem Zeugnis etwas zu ändern haben, dann wenden Sie sich an Herrn Rechtsanwalt Dr. Lichtenstein oder an Herrn Superintendenten Lackner. – Vors.: Was veranlaßte Sie, dem Adameit einen solchen Rat zu geben? – Zeuge: Ich hatte die Empfindung, als wenn den Adameit sein Gewissen bedrücke. – Auf ferneres Befragen bemerkte der Zeuge: Adameit habe einmal für 2000 Mark Pfandbriefe verpfändet, aber nur den Erlös gebucht; er schulde seiner Schwester heute noch 11000 Mark.

Auf Befragen des Ersten Staatsanwalts bestritt der Zeuge, mit der Angeklagten intimen Verkehr unterhalten zu haben, er gab jedoch schließlich zu, in Danzig in einem Hotelzimmer mit seiner Braut logiert zu haben. Es sei das ganz wider seinen Willen geschehen.

Alsdann wurde die 12jährige Tochter der Angeklagten, Olga Rosengart, ein für ihr Alter großes, schlankes, hübsches Mädchen, als Zeugin in den Saal gerufen. – Vors.: Die Angeklagte ist deine Mutter, du hast deshalb das Recht, dein Zeugnis zu verweigern. – Zeugin: Ich will Zeugnis ablegen.

Der Gerichtshof beschloß, während der Vernehmung der kleinen Olga, die Angeklagte aus dem Saal zu führen. Nachdem dies geschehen, erzählte das Mädchen in sehr freimütiger Weise und in gewähltem Deutsch: Am Abende, an dem Papa erschossen wurde, kam ich mit meinen Brüdern August und Max gegen 71/2 Uhr nach Hause. Im Wohnzimmer waren Papa, Mama und der Inspektor Rieß. Papa forderte den Inspektor auf, mit uns Abendbrot zu essen. Der Inspektor lehnte aber ab mit dem Bemerken: er fühle sich unwohl, er habe es in den Gliedern und wolle sich deshalb zeitig zu Bett begeben. Rieß ging gegen 8 Uhr abends nach Hause. Wir aßen bald darauf Abendbrot. Nach dem Abendbrot zog sich Papa ins Wohnzimmer zurück, um die Zeitung zu lesen. Mama und ich gingen noch auf einige Augenblicke zu Papa. Sehr bald entfernten wir uns, damit Papa ruhig die Zeitung lesen könne. Mama sagte mir, ich solle schlafen gehen, da ich doch am folgenden Tage um 6 Uhr früh aufstehen müsse. Wir sagten Papa gute Nacht. Mama ging noch einmal zu Papa ins Zimmer, um sich den Migränestift zu holen, da sie heftige Kopfschmerzen hatte. Kaum war Mama zu mir zurückgekehrt, da hörten wir einen Schuß fallen. Wir eilten ins Wohnzimmer. Dort sah ich etwas Pulverdampf. Papa lag erschossen zwischen Sofa und Tisch. Mama schickte mich mit der Mathilde nach Ernsthof, um den Inspektor Rieß zu holen. Wir pochten dort ans Fenster. Nach mehrmaligem Pochen öffnete Rieß und fragte, was los sei. Ich sagte: Papa ist erschossen. Wann ist das geschehen? fragte Rieß. Soeben, sagte ich. Ist er sofort ganz tot gewesen? fragte Rieß. Ich glaube, antwortete ich. Rieß kleidete sich an und kam nach kurzer Zeit mit uns nach Zögershof. Als wir ankamen, war der Arzt und Onkel Adameit schon im Wohnzimmer. Nach einiger Zeit begab ich mich mit Mama und Rieß in mein Zimmer. Ich legte mich mit Mama ins Bett, Rieß legte sich auf die Chaiselongue. – Vors.: Hatte sich Mama ausgezogen? – Zeugin. Nur zum Teil hatte sich Mama ausgekleidet. – Vors.: Hatte sich Rieß ausgekleidet? – Zeugin: Nein. Rieß hatte sich nur den Rock ausgezogen.

Verteidiger R.-A. Dr. – Lichtenstein: Ich beantrage, aus den Akten festzustellen, daß die Zeugin früher gesagt hat: Rieß hatte sich vollständig ausgezogen.

Die Zeugin bemerkte auf Befragen, daß sie sich bei ihrer ersten Vernehmung vielleicht geirrt habe, sie wisse aber jetzt genau, daß Rieß nicht ausgezogen war. – Die Zeugin bekundete ferner: Nachdem sie mit Mama eine Zeitlang im Bett gelegen, habe wohl Mama geglaubt, daß sie schlafe, denn Mama sei aufgestanden, zu Rieß hinübergegangen und habe mit diesem gezischelt. Mama habe dabei den Kopf auf die Schulter des Rieß gelegt. Nach einigen Minuten sei Mama wieder zu ihr ins Bett gekommen. – Vors.: Du hast auch gesagt, daß Rieß mit Mama häufig im Keller war? – Zeugin: Jawohl, ich mußte während dieser Zeit Wache stehen, und als ich einmal nicht wollte, gab mir Mama eine Ohrfeige. – Vors.: Wie lange blieb Mama mit Rieß gewöhnlich im Keller? – Zeugin: Etwa fünf Minuten, einmal wohl auch eine Viertelstunde. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Hat Ihnen Onkel Adameit gesagt, was Sie aussagen sollen? – Zeugin: Nein. – Vert.: Hat Onkel Adameit mit Ihnen über den Mord Ihres Papas nicht gesprochen? – Zeugin: Jawohl, gesprochen ist sehr viel worden, Onkel Adameit hat aber gesagt: was du bekunden sollst, kann ich dir nicht sagen. – Vert.: Sie sollen einmal gesagt haben, Onkel Adameit hat Ihnen nicht gesagt, was Sie aussagen sollen, aber er hat es Ihnen deutlich um den Mund geschmiert, daß Sie genau wissen, was Sie aussagen sollen. – Zeugin: Das ist richtig. – Vert.: Sind Sie nicht von Ihrem Bruder Karl bedroht worden, wenn Sie nicht gegen Ihre Mutter aussagen? – Zeugin: Mein Bruder Karl hat einmal zu mir gesagt: Wenn du nicht gegen Mama aussagst, dann schlage ich dich tot. (Große Bewegung.) – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Fräulein Rosengart, Sie haben, als Sie das erstemal vernommen wurden, Ihr Zeugnis verweigert. Nach Verlauf eines Jahres haben Sie jedoch erklärt, Sie wollen Zeugnis gegen Ihre Mutter ablegen. Wie kam es, daß nach Verlauf eines Jahres eine derartige Sinnesänderung mit Ihnen vorging? – Zeugin: Es wurde von den Verwandten soviel geredet. – Vert.: Was wurde geredet? – Zeugin: Daß Mama mit Rieß ein Liebesverhältnis unterhalten hat. – Vert.: Sie waren damals zehn Jahre alt, da erzählten Ihnen Ihre Verwandten: Mama habe mit dem Inspektor Rieß ein Liebesverhältnis unterhalten? – Zeugin: Jawohl. – Vert.: Wer waren diese Verwandten? – Zeugin: Onkel Adameit, Onkel Kapintzki, Tante Budnick, Tante Hoffmann und Tante Kapinski. – Ein Geschworener: War der Zeugin bekannt, weshalb Ihre Mutter angeklagt ist? – Zeugin: Jawohl: Mama wird beschuldigt, den Rieß angestiftet zu haben, Papa zu erschießen. – Vors.: Wenn nun Mama schuldig befunden wird, welche Strafe würde sie alsdann wohl treffen? – Zeugin: Das weiß ich nicht. – Vors.: Würde Mama alsdann ins Gefängnis kommen? – Zeugin: Das glaube ich wohl. – Vors.: Könnte Mama auch mit dem Tode bestraft werden? – Zeugin: Das weiß ich nicht. – Vors.: Du hast früher gesagt, Mama habe am Abend des Mordes einige Male die Vorhänge zurückgemacht und in den Hof hinausgesehen. – Zeugin: Das ist richtig. – Vors.: Was sagte Papa dazu? – Zeugin: Papa fragte: Was siehst du denn immer zum Fenster hinaus? Da antwortete Mama: Ich will sehen, wie der Kutscher ausspannt. – Vors.: Hat Mama mehrfach zum Fenster hinausgesehen? – Zeugin: Ja, einige Male. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Hat Mama auch an anderen Abenden zum Fenster hinausgesehen? – Zeugin: Jawohl. – Vert.: Haben Sie auch bisweilen den Vorhang des Abends zurückgeschoben und zum Fenster hinausgesehen? – Zeugin: Jawohl. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Ihr Onkel Adameit soll zu Ihnen gesagt haben: Sie werden nächstens ein kleines Schwesterchen bekommen. Wenn Sie Mama im Gefängnis besuchen, dann sollen Sie einmal sehen, ob Schwesterchen bald kommen werde. – Zeugin: Das stimmt. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Als Sie nun zu Mama ins Gefängnis kamen, wie hat Sie Mama empfangen? – Zeugin: Mama fiel mir um den Hals, weinte und küßte mich. – Vert.: Mama hat Sie also wie eine zärtliche Mutter empfangen? – Zeugin: Jawohl. – Vert.: Ihr Vormund Zarm hat Sie einmal aufgefordert, zu dem Onkel Kapintzki nach Allenstein zu fahren; war Ihnen bekannt, daß Onkel Kapintzki gegen Ihre Mutter Anzeige erstattet hat? – Zeugin: Nein. – Ein Geschworener: Die Zeugin hat anfänglich ihr Zeugnis verweigert; weshalb hat sie das getan? Wenn nach ihrer Meinung die Mutter unschuldig ist, dann hatte sie doch keine Ursache, ihr Zeugnis zu verweigern? – Zeugin: Ich wollte einmal nicht gegen meine Mutter als Zeugin auftreten, und andererseits war ich noch niemals vor Gericht. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Von Ihren Verwandten sind Sie aber doch schließlich bestimmt worden, gegen Ihre Mutter Zeugnis abzulegen? – Zeugin: Jawohl. Erster Staatsanwalt: Hat Herr Wolff Ihnen gesagt, was Sie aussagen sollen? – Zeugin: Herr Wolff hat nur gesagt: ich solle mein Zeugnis nicht verweigern, da sonst geglaubt werden könnte, daß ich etwas gegen die Mutter wisse.

Es wurde hierauf die Angeklagte wieder auf die Anklagebank geführt. Der Vorsitzende teilte der Angeklagten mit, was ihre Tochter ausgesagt hat. Die Angeklagte bestritt den Vorgang im Zimmer der Olga und bemerkte: sie sei nicht bloß mit Rieß, sondern auch mit anderen Personen einige Male in den Keller gegangen, um etwas zu besprechen.

Olga Rosengart, von dem Verteidiger R.-A Dr. Lichtenstein nochmals befragt, erklärte schließlich: sie habe nur ein einziges Mal gesehen, daß ihre Mutter mit Rieß in den Keller ging.

Es wurde hierauf der 13jährige August Rosengart als Zeuge aufgerufen. Dieser erklärte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er sein Zeugnis verweigere.

Danach erschien als Zeuge der älteste Sohn der Angeklagten, Karl Rosengart. Dieser bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei 19 Jahre alt und wolle Zeugnis ablegen. Er sei, als sein Vater ermordet wurde, in der Klinik gewesen. Sein Bruder August habe ihn einmal in der Klinik besucht und ihm gesagt: Onkel Adameit sagt: Der Inspektor Rieß habe Papa erschossen und Mama habe ihn dazu angestiftet. Es sei von den Verwandten vielfach in dieser Weise gesprochen worden. Es sei richtig, daß ihm seine Schwester einmal gesagt hat: Onkel Adameit hat mir wohl nicht gesagt, was ich aussagen soll, er hat es mir aber so um den Mund geschmiert, daß ich genau weiß, was ich aussagen solle. Es sei unwahr, daß er zu seiner Schwester gesagt habe: Wenn du nicht gegen die Mama aussagst, dann schlage ich dich tot. Er habe nur gesagt: Ich gebe dir ein paar zwischen die Ohren, wenn du vor Gericht nicht alles sagst, was du weißt. Onkel Adameit habe ihm gesagt, er solle nur immer Schlechtes gegen die Mama verbreiten. Damals war Mama bereits zum zweiten Male verhaftet. Es sei von den Verwandten vielfach erzählt worden, daß Mama mit Inspektor Rieß ein Liebesverhältnis gehabt habe und daß Mama deshalb den Papa aus dem Wege habe räumen wollen. Onkel Adameit habe ihn einige Male geschlagen, weil er zuviel getrunken hatte. Einmal habe Adameit zu ihm gesagt: Du bist schön dumm, daß du nicht einen Blauen aus der Kasse genommen hast, dann hätte doch wenigstens Wolff auch einmal ein Manko in der Kasse gehabt. Onkel Adameit habe ihn einmal aufgefordert, eine Schlechtigkeit zu begehen und ihn ein anderes Mal unzüchtig berührt. – Die Verteidiger regten an, bei diesen schlüpfrigen Auseinandersetzungen die Öffentlichkeit auszuschließen. Der Vorsitzende erwiderte jedoch: Wenn das Publikum diese Dinge vertragen könne, dann könne er nichts dagegen tun. – Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts wurde die kleine Olga aus dem Saale geführt. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Ist es richtig, daß Tante Budnick einmal gesagt hat, wenn sie 6000 Mark bekäme, dann würde sie ihr Zeugnis verweigern oder zugunsten der Mama aussagen? – Zeuge: Das hat Onkel Budnick gesagt, er fügte noch hinzu: wenn wir 6000 Mark erhielten, dann würde ich schon dafür sorgen, daß meine Frau ihr Zeugnis verweigert oder ihre Beschuldigungen widerruft. Tante Budnick sagte darauf: Ich kann meinen Bruder doch nicht jetzt im Stich lassen, wenn ich jetzt meine Beschuldigungen widerrufe, dann fällt ja mein Bruder rein. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ist es wahr, daß Ihr Onkel gesagt hat: Es schadet nichts, wenn Mama nicht mehr rauskommt, ich werde alsdann das Gut bewirtschaften, und wenn ihr großjährig seid, dann werde ich mich mit euch schon auseinandersetzen? – Zeuge: Jawohl, das hat Onkel Adameit gesagt. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)

Erster Staatsanwalt: Haben Sie mit jemandem über Ihre heutigen Aussagen gesprochen, denn es ist doch sonderbar, daß die Herren Verteidiger alles wissen? Zeuge: Ich habe allerdings mit dem Bruder des Herrn Referendar Wolff gesprochen. – Adameit erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Alles, was der Zeuge hier gesagt hat, ist nicht wahr. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Der Vorsitzende ermahnte das Publikum zur Ruhe. – Der Vorsitzende stellte nunmehr an die Verteidiger die Frage, ob sie ihren Antrag auf örtliche Augenscheinnahme noch aufrecht erhielten. – Die Verteidiger erklärten, daß sie darauf verzichteten. – Einige Geschworene bemerkten jedoch, daß ihnen eine nähere Beschreibung der Örtlichkeit erwünscht wäre. Daraufhin nahmen die Verteidiger ihren Antrag wieder auf. – Der Gerichtshof beschloß: am Montag, vormittags 10 Uhr, in Zögershof eine örtliche Augenscheinnahme vorzunehmen und dazu eine Anzahl Zeugen vorzuladen.

Der Lokaltermin in Zögershof.

Helles, klares Winterwetter herrschte in Königsberg. Hin und wieder fielen starke Schneeflocken hernieder. Schon in früher Morgenstunde bewegte sich eine große Anzahl Droschken und gemietete Wagen die Tragheimer Chaussee entlang nach Zögershof zu. Ehe man nach Zögershof kommt, muß man Ernsthof passieren, das bekanntlich ebenfalls zu dem Rosengartschen Besitztum gehörte. Dort lag das Wohnhaus des verstorbenen Inspektors Rieß. Kaum fünf Minuten davon befand sich das Gut Zögershof. Idyllisch lag das schöne Rosengartsche Wohnhaus auf dem großen, augenblicklich von einer starken Schneedecke eingehüllten Gutshof.

Die Rosengartschen Kinder, Dienstmädchen, Instleute und auch eine Anzahl anderer Neugieriger hatten sich eingefunden, als die Wagen angerollt kamen. In erster Reihe erschienen die Vertreter der Presse. Kurze Zeit darauf kam Gendarm Pfau auf den Gutshof geritten. Alsdann trafen die Geschworenen, der Erste Staatsanwalt, die Verteidiger, die geladenen Zeugen ein. Endlich rollte eine elegante Equipage, mit zwei schönen Rappen bespannt, daher. Ein uniformierter Gefängnisaufseher mit Seitengewehr entstieg der Equipage. Im Fonds des geschlossenen Wagens bemerkte man zwei Frauengestalten, es waren dies die Angeklagte und eine Gefängnisaufseherin. Frau Rosengart trug einen langen schwarzen, sehr eleganten Plüschmantel. Ein moderner hellgrauer Hut mit schwarzen, breiten Bändern bedeckte den Kopf. Sie sah wohl sehr blaß aus, man konnte sich aber nur schwer vorstellen, eine Frau vor sich zu sehen, die der Anstiftung zum Morde angeklagt ist. Viel eher gewann man den Eindruck, als komme die „gnädige Frau“ von einer Vergnügungspartie aus Königsberg zurück. Mit geradezu bewunderungswerter Ruhe sah sich die Angeklagte in ihrem Gutshof um, als sie aus dem Wagen stieg. Sofort näherte sich ihr ihr ältester Sohn Karl, ein hochaufgeschossener, schlanker, hübscher, junger Mann, das getreue Ebenbild seiner Mutter. Der arme Mensch, der bereits lange Zeit in der Königsberger Klinik zugebracht hatte, konnte sich nur mühsam, hinkend, auf einem Stock sich stützend, fortbewegen. Herzlich begrüßte er seine Mutter. Gleich darauf kam auch die kleine, recht schick gekleidete Olga auf die Mutter zugeeilt. Herzlich, ja zärtlich war auch diese Begegnung zwischen Mutter und Tochter. Zwei kleinere Knaben winkten der Mutter durch die Scheiben eines zu ebener Erde belegenen Zimmers freundlich zu. Die Dienstmädchen, Instleute, Kutscher eilten herbei und reichten ihrer Herrin in herzlicher Weise die Hand. Nur der dreizehnjährige August, ein stämmiger, für sein Alter sehr großer Mensch, der sein Zeugnis verweigert hatte, blieb in einiger Entfernung stehen. Er beachtete die Mutter nicht. Hin und wieder sprach er mit seinem Onkel Adameit. Gleich nachdem die Journalisten eingetroffen waren, wurden diese von dem Referendar a. D. Wolff, der augenblicklich der Verwalter des Gutes zu sein schien, in freundlichster Weise empfangen. Referendar Wolff zeigte den Journalisten bereitwilligst das aufs eleganteste eingerichtete Wohnzimmer, in dem der unglückliche Rosengart den tödlichen Schuß empfangen hatte. Herr Wolff teilte mit, daß das Zimmer seit jenem verhängnisvollen Abend gänzlich unverändert geblieben sei.

Gegen 10 Uhr vormittags erschien der Gerichtshof. Es wurde zunächst das Rosengartsche Wohnzimmer, in dem der Mord passiert war, betreten. Der Vorsitzende forderte die Angeklagte auf, genau zu zeigen, in welcher Weise ihr Gatte an jenem Abende auf dem Sofa gesessen hat, als er den tödlichen Schuß erhielt. Der Vorsitzende forderte die Journalisten auf, das Zimmer zu verlassen, „da in diesem nicht genügend Raum sei“. Nachdem die Journalisten das Zimmer verlassen hatten, ward dies verschlossen, so daß von der Verhandlung nichts zu hören war.

Nach beendetem Termin im Wohnzimmer kam der Gerichtshof auf den Hof. Der Vorsitzende ließ die Frauen Busch und Ziegran die Stelle bezeichnen, an dem sie kurz vor dem Fallen des Schusses einen Mann hatten stehen sehen. Die Frauen bekundeten auf Befragen des Vorsitzenden: Sie haben nicht gemerkt, daß der Mann etwas in der Hand hatte. Sie haben auch den Mann nicht schießen sehen. Sie haben sich auf dem Gutshof aufgehalten, um Gelegenheit zu finden, die „gnädige Frau“ zu sprechen und diese um Kartoffeln, Brot und Speck zu bitten. Als sie den Schuß hörten, seien sie fortgelaufen, da sie glaubten, der Schuß gelte ihnen.

Gendarm Pfau hatte im Wohnzimmer die Stelle bezeichnet, an der er drei Tage nach dem Morde das tödliche Geschoß gefunden hatte. Er bekundete auf Befragen: Der Mörder müsse kaum 10 Schritt vom Fenster gestanden haben, als er den tödlichen Schuß abgab.

Es wurden alsdann die andern Räumlichkeiten in der Rosengartschen Wohnung, die Gehöfte, das Weizenfeld usw. in Augenschein genommen, über das der Mörder nach geschehener Tat geflüchtet sein soll. Hierauf wurde im oberen Zimmer der Kolben eines Gewehrs verbrannt und darauf der kleine Schulwagen angespannt, in dem die Rosengartschen Kinder nach Königsberg in die Schule fuhren. In diesem sollen, laut Bekundung des Adameit, dieser, Baumeister Worgall und die Angeklagte kurze Zeit nach dem Morde nach Königsberg gefahren sein. Die Angeklagte soll dabei den Gewehrlauf unter ihren Mantel geknüpft haben, so daß man ihn nicht bemerken konnte. Der Angeklagten wurde aufgegeben, einen Gewehrlauf unter ihren Mantel zu knöpfen und sich mit Adameit und Worgall in den Schulwagen zu setzen. Alsdann wurde die Angeklagte aufgefordert, mit dem Gewehrlauf unter den Mantel geknöpft, die Treppen ihres Wohnhauses hinaufzugehen. Über das Ergebnis dieser Versuche ließ sich nicht berichten, da die Berichterstatter in solcher Entfernung gehalten wurden, daß sie davon nichts sehen konnten. Alsdann begab sich der Gerichtshof nach Ernsthof in die Wohnung des Rieß. Dort wurde das Schlafzimmer des Rieß besichtigt und eine Wiederholung des Pochens an die Fensterläden gemacht. Darauf wurde der gegenüberliegende Speicher besichtigt, in dem Rieß das Mordgewehr angeblich versteckt haben soll. Auch hiervon konnten die Berichterstatter nichts sehen.

Nachmittags wurde die Verhandlung im Schwurgerichtssaale fortgesetzt.

Der Erste Staatsanwalt teilte mit, daß eine Reihe von anonymen Schreiben an ihn gekommen seien. Ein Schreiben war unterschrieben: „Ein Geschworener.“ Der Briefschreiber erklärte den Gerichtshof für verrückt. (Heiterkeit.) Die Geschworenen erklärten einmütig, daß der Briefschreiber selbstverständlich nicht in ihren Reihen zu suchen sei. – In einem anderen Briefe bezeichnete eine Frau ihren Mann als den Täter. Dieser habe Rosengart erschossen, weil er sie mit Rosengart in flagranti ertappt habe. Auf Antrag der Verteidigung wurde dieser ellenlange, ganz konfus und ungrammatikalisch geschriebene Brief verlesen. In diesem hieß es u. a.: „Geehrter Herr Staatsanwalt! Die Mordgeschichte ist ganz falsch. Frau Rosengart und der arme Inspektor Rieß haben es nicht getan. Ich habe den erschossenen Rosengart sehr geliebt und der Frau Rosengart viel Ärger bereitet. Mein Mann hat uns acht Tage vor dem Tode betroffen und deshalb sofort den Vorsatz gefaßt, Herrn Rosengart zu erschießen. Mein Mann ist drei Wochen darauf in ein fremdes Land gegangen und hat sich dort das Leben genommen. Auch ich bin aus Königsberg fortgezogen. Ich bin ein sehr hübsches Mädchen von seltener Schönheit. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Ich bin extra von Oderberg nach Königsberg gekommen, um Ihnen, Herr Staatsanwalt, zu schreiben, daß Frau Rosengart vollständig unschuldig ist. Mein Mann war klein, dick und hatte einen schwarzen Schnurrbart. Ich kann nicht persönlich in den Gerichtssaal kommen, da ich alsdann auch verhaftet werden würde. Meinem Mann können Sie nichts mehr tun, da dieser sich das Leben genommen hat. Ich habe jedenfalls Herrn Rosengart sehr geliebt! – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich bitte den Herrn Vorsitzenden, die anonyme Briefschreiberin aufzufordern, sich zu melden, wenn sie etwa im Saale sei. – Der Vorsitzende entsprach dieser Bitte und bemerkte: Es wäre nur anständig, wenn die anonyme Briefschreiberin sich melden wollte. Mit anonymen Schreiben läßt sich weder die Schuld noch die Unschuld der Angeklagten feststellen.

Der Erste Staatsanwalt teilte hierauf mit, daß ein Rittergutsbesitzer Wilhelm Bahr sich als Zeuge gemeldet habe, der bekunden wolle, daß im Jahre 1896 auf dem Rosengartschen Gute zwei große Hofhunde getötet worden seien, weil sie auf der Jagd gewildert hatten. Er (Erster Staatsanwalt) habe diesen Herrn als Zeugen geladen. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Die Verteidigung hat einen ganz ähnlichen Brief von Herrn Wilhelm Bahr erhalten. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello teilte mit, daß sich der Rittergutsbesitzer Schönlein (Popelten bei Goldbach) als Leumundszeuge gemeldet habe; er werde den Zeugen sofort telegraphisch laden. – Es wurde beschlossen: den Rittergutsbesitzer Knoblauch (Königsberg i. Pr.), Rittergutsbesitzer Wendt (Hohenrade) und eine Frau Krauß als Zeugen zu laden.

Der Erste Staatsanwalt teilte mit, daß ihm eine Anzahl Patronen von demselben Kaliber, wie das tödliche Geschoß, übersandt worden seien, die angeblich am Pregel an der Krämerbrücke gefunden worden seien. Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts wurden die Patronen den Geschworenen gezeigt.

Es wurden hierauf nochmals Frau Busch und Frau Ziegran vernommen, die ihre heute vormittag in Zögershof gemachten Bekundungen bestätigten. – Ein Geschworener: Frau Ziegran, haben Sie über Ihre Wahrnehmungen, ehe Sie vom Gericht als Zeugin vernommen wurden, mit Frau Busch gesprochen? – Zeugin: Nein. Geschworener: Also, ehe Sie als Zeugin vorgeladen wurden, haben Sie mit Frau Busch niemals darüber gesprochen, daß Sie am Abend des Mordes, kurz vor dem Schuß, einen verdächtigen Mann auf dem Gutshof, in der Nähe des Rosengartschen Wohnzimmers, gesehen haben? – Zeugin: Nein. – Kaufmann Adameit bestätigte die von ihm heute vormittag in Zögershof gemachten Bekundungen. In dem Rießschen Speicher sei damals, als er mit der Angeklagten das Gewehr holte, mehr Hafer gewesen. – Dienstmädchen Krohn teilte mit, daß sie, soweit sie sich erinnere, das Zimmer der kleinen Olga auch im März 1897 regelmäßig geheizt habe. – Förster Jensch begutachtete als Sachverständiger: Er gebe die Möglichkeit zu, daß in einer Entfernung von zehn Schritt vom Fenster mit einem gezogenen Gewehr ein Schuß, der die erzielte Wirkung hatte, abgegeben sein könne. – Büchsenmacher Rodewald schloß sich diesem Gutachten an. Er habe allerdings begutachtet, daß die Abschmelzung des Gewehrkolbens 1 bis 11/2 Stunden Zeit in Anspruch nehme. Heute sei die Abschmelzung innerhalb acht Minuten bewirkt worden; es müsse aber dabei berücksichtigt werden, daß heute das Feuer ein ganz außergewöhnliches, starkes gewesen sei.

Handlungsgehilfe Rinnowsky von der Firma Anhuth: Er erinnere sich nicht, daß ihm eine Photographie des Rieß vorgezeigt worden sei. Er habe wohl kurz vor dem Morde eine Flinte von dem Kaliber verkauft, mit dem der tödliche Schuß abgegeben sein müsse, er könne aber den Käufer nicht beschreiben. – Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts wurden diesem Zeugen die Zeugen Wolff und Adameit vorgestellt. Rinnowsky bemerkte, daß diese Herren die Flinte nicht von ihm gekauft haben. – Der Vorsitzende nahm hierauf dem Zeugen Rinnowsky den Sachverständigeneid ab, da dieser erklärt hatte, daß er 25 Jahre im Fache und selbst Schütze sei. – Rinnowsky begutachtete nun ebenfalls: Er halte es für möglich, daß in einer Entfernung von zehn Schritt mit einem gezogenen Gewehr ein Schuß mit der geschehenen Wirkung abgegeben werden könne. Voraussetzung hierbei sei allerdings, daß der Schütze gesehen haben müsse. – Auf Befragen des Verteidigers Justizrats Dr. Sello bekundete das Dienstmädchen Krohn, daß, soweit sie sich erinnere, in allen den nach dem Hofe führenden Zimmern Licht gebrannt habe. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello beantragte, einen Kalender von 1897 zu beschaffen, um feststellen zu können, welches Wetter am Abend des Mordes in Zögershof war. – Kanzlist Friedrich: Die Stiefel des Rieß haben genau in die entdeckten Spuren auf dem Weizenfelde gepaßt. – Ein Geschworener: Hat Rieß nur ein Paar Stiefel gehabt? – Kanzlist Friedrich: Nein, er hatte zwei Paar.

Frau Rieß, die Gattin des verstorbenen Inspektors Rieß, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie könne nicht sagen, ob die ihr vorgezeigten Stiefel die ihres verstorbenen Mannes seien. Als sie nach Ernsthof zogen, habe ihr Mann im unteren, sie im oberen Zimmer geschlafen, da ihr Mann sehr früh aufstehen mußte und niemand im Hause war, der ihn wecken konnte. Sie habe gehört, daß ihr Mann mit Frau Rosengart ein Liebesverhältnis unterhalten habe, aus eigener Wissenschaft vermöge sie aber nichts darüber zu bekunden. Sie habe mehrfach ihren Mann in Zögershof gesucht und habe ihn ausgescholten, wenn er bis in die späte Nacht mit Herrn Rosengart kneipte. Sie könne nicht genau sagen, wann ihr Mann am Abend des Mordes nach Hause gekommen sei, da sie keine Uhr im Hause hatte; soweit sie sich erinnere, sei ihr Mann zur gewöhnlichen Zeit nach Hause gekommen. Ihr Mann sagte, als er nach Hause kam: sie solle ihm Abendbrot kochen, er werde inzwischen noch einen Augenblick hinausgehen. Sie habe ihrem Manne Milch und Eier gekocht. Dieser sei auch nach wenigen Minuten zurückgekommen, habe Abendbrot gegesssen und sich darauf sofort schlafen gelegt, da er am andern Morgen sehr früh aufstehen mußte. Sie (Zeugin) habe in der Küche abgewaschen und sei alsdann auch schlafen gegangen. Von dem Pochen ans Fenster habe sie nicht das geringste gehört.

Auf Befragen des Verteidigers Justizrats Dr. Sello bemerkte die Zeugin: Ihr Mann sei zur Zeit kränklich gewesen, er habe über Brustschmerzen geklagt und habe auch vielfach gehustet. Sie habe an jenem Abend nichts Auffälliges an ihrem Manne bemerkt. Ihr Mann habe auch in der letzten Zeit kein anderes Verhalten ihr gegenüber gezeigt. Ihr eheliches Verhältnis hatte keine Veränderung erfahren, ihr Mann sei sich immer gleichgeblieben. – Ein Geschworener: Wann wurden im März 1897 des abends die Kühe in Ernsthof gemolken? – Zeugin: Das weiß ich nicht. – Zwei andere Zeugen bekundeten, daß dies gewöhnlich nach Feierabend geschehen sei und etwa 1 bis 11/2 Stunden gedauert habe. Gegen 8 Uhr abends sei das Melken längst vorüber gewesen.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Halten Sie Ihren Mann für schuldig, Herrn Rosengart erschossen zu haben? – Zeugin: Keineswegs. Mein Mann war ein so gutmütiger Mensch, daß ich der festen Überzeugung bin, er hat den Mord nicht begangen. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Ist es wahr, daß Sie im Juli 1897 zu einem Arzt in Caymen gesagt haben: Sie können die Schande, die durch die gegen Ihren Mann erhobene Beschuldigung über Sie und Ihre Kinder gekommen ist, nicht länger ertragen und wollen sich und Ihren Kindern das Leben nehmen? – Zeugin: Jawohl, das habe ich zu dem Herrn Doktor gesagt.

Frau Minna May: Sie habe zehn Jahre bei Adameit als Dienstmädchen gedient. Eines Abends im August 1898 habe es ans Fenster geklopft. Herr Adameit habe erst nach längerem Zögern ihr befohlen, zu öffnen. Als sie aufgeschlossen hatte, habe Referendar Wolff vor der Türe gestanden und Herrn Adameit zu sprechen gewünscht. Letzterer habe Herrn Wolff ersucht, ins Sprechzimmer zu treten. Herr Wolff habe nun Herrn Adameit erzählt: Er sei der Frau Rosengart bis Dirschau entgegengefahren, diese sei aber nicht mit dem Zuge, mit dem er sie erwartet habe, gekommen. Herr Wolff habe weiter gesagt: Es sei noch Zeit, alles rückgängig zu machen. Wenn Herr Adameit sein Zeugnis verweigern oder zurückziehen würde, dann dürfte Frau Rosengart sofort entlassen werden. Herr Adameit solle doch am folgenden Morgen zu Herrn R.-A. Lichtenstein gehen; er (Wolff) werde auch dafür sorgen, daß eine Grundschuld von 30000 Mark für Herrn Adameit gelöscht werde. Herr Adameit habe erwidert: Es ist ja nicht notwendig, daß ich gerade zu Herrn R.-A. Lichtenstein gehe, ich kann ja auch zu einem andern Rechtsanwalt gehen. Es wäre aber das beste, wenn Sie zu Herrn R.-A. Lichtenstein gehen, habe Wolff versetzt, ich möchte doch, daß Johanna so schnell als möglich herauskommt. Die Eggert habe ihr einmal gesagt: Wenn sie die Wahrheit gesagt hätte, dann würde Frau Rosengart überhaupt nicht mehr herauskommen, die armen Kinder taten ihr aber leid. Frau Rosengart habe zu den Dienstmädchen gesagt: Kinder, macht mich nicht unglücklich und sagt nicht, daß ich mit Rieß allein gewesen bin. – Dienstmädchen – Eggert: Das letztere ist richtig; Frau Rosengart hat gesagt: Kinder, macht mich nicht unglücklich und sagt nicht, daß ich mit Rieß allein gewesen bin, es gibt so viel falsche Menschen, die mich ins Unglück stürzen wollen. – Vors.: Haben Sie zu der May gesagt: Wenn Sie alles gesagt hätten, dann würde Frau Rosengart überhaupt nicht mehr herauskommen, die Kinderchen tun mir aber leid. – Zeugin: Nein. – Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Lichtenstein bemerkte die Zeugin Eggert: Sie habe nur ein einziges Mal gesehen, daß Frau Rosengart mit Rieß in die Speisekammer ging. Frau Rosengart habe zuschließen wollen, dies sei ihr aber nicht gelungen. Frau Rosengart sei auch mit Wiemann allein im Speisezimmer gewesen.

Auf Befragen eines Geschworenen bemerkte die Zeugin May: Adameit habe sie aufgefordert zu lauschen, als Wolff zu ihnen gekommen sei. – Zeugin Rathke bekundete ebenfalls: Die Eggert habe zu ihr gesagt: Wenn sie alles gesagt hätte, was sie wisse, dann würde Frau Rosengart überhaupt nicht mehr herauskommen, sie habe nicht alles gesagt, weil ihr die armen Kinder leidtun. – Eggert bestritt auch dieser Zeugin gegenüber, die erwähnte Äußerung getan zu haben.

Inspektor Zarm: Adameit habe nach dem Tode des Rosengart und während der Verhaftung der Frau Rosengart die Rosengartschen Kinder sehr schlecht behandelt. Er habe sie zum Teil zerrissen und ohne Strümpfe gehen lassen, während seine eigenen Kinder sehr feingekleidet gingen. – Auf Antrag der Verteidigung wurde Dr. med. Czygan als Zeuge vernommen. Im Juli 1897 sei Frau Rieß zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, ihr Gift zu verschreiben, da sie sich und ihre Kinder vergiften wolle. Frau Rieß habe dabei gesagt: sie mache sich Vorwürfe, daß sie ihren Mann des strafbaren Umganges mit Frau Rosengart bezichtigt habe; sie sei von der Unschuld ihres Mannes überzeugt.

Kriminalkommissar Wohlfromm, der unter Ausschluß der Öffentlichkeit vernommen wurde, bekundete: Er habe in der Rosengartschen Wohnung unsittliche Gegenstände schlimmster Art gefunden. – Frau Rosengart: Ihr Bruder Adameit habe diese unsittlichen Gegenstände ihrem Manne gebracht und damit „Unsinn“ getrieben. – Adameit: Diese unsittlichen Gegenstände habe er einmal von einem „Herrenabend“ mit nach Hause gebracht, die Angeklagte habe sie mitgenommen. – Die Angeklagte erklärte das als Lüge. – Die Frage des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, ob es wahr sei, daß er wegen strafbaren Eigennutzes bestraft worden sei und deshalb die im Jahre 1882 innegehabte Schankkonzession verloren habe, weil der Verdacht bestand, er werde das Schankgewerbe zur Völlerei, Unzucht oder verbotenem Spiel mißbrauchen, verneinte Adameit: Er habe nur einige Polizeistrafen erlitten, und es sei deshalb das Verfahren wegen Entziehung der Schankkonzession gegen ihn eingeleitet worden. – Verteidiger Justizrat Sello: Welches Ergebnis hat dies Verfahren gehabt? – Zeuge: Das weiß ich nicht mehr. – Vert.: Also das wissen Sie nicht mehr? – Zeuge: Nein.

Kriminalkommissar Wohlfromm bekundete im weiteren auf Befragen: Es sei ihm von verschiedenen Frauen, die er nicht mehr alle namhaft machen könne, mitgeteilt worden, daß Frau Rosengart mit Rieß ein Liebesverhältnis unterhalten habe; er (Zeuge) habe ferner festgestellt, daß Rieß ein vorzüglicher Schütze war, daß er mit Gewehren förmlich Handel getrieben habe. Diese und andere Umstände hatten schließlich zur Verhaftung des Rieß geführt. Adameit habe ihm genau die Stelle bezeichnet, an der er den Gewehrlauf in den Pregel habe „gleiten“ lassen. Die Stelle sei allerdings über zwölf Fuß tief, man hätte trotzdem annehmen müssen, daß der Lauf gefunden worden wäre. Ein Taucher der Feuerwehr habe mehrere Male danach gesucht, er habe aber nichts finden können. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Adameit sagte ihnen, er habe sich die Stelle, an der er den Gewehrlauf habe hinabgleiten lassen, ganz genau gemerkt. Hat er ihnen einen Grund angegeben, weshalb er sich die Stelle so genau gemerkt hat? – Zeuge: Adameit sagte: er habe sich die Stelle deshalb genau gemerkt, da man nicht wissen könne, wozu es gut sei.

Alsdann wurde die Öffentlichkeit wieder hergestellt und Bahnhofsrestaurateur Kapinski (Allenstein) als Zeuge vernommen: Meine Frau war die Schwester des ermordeten Rosengart. Ich hatte, sobald ich von dem Morde erfuhr, sofort die Überzeugung, daß Rieß der Mörder sei. – Vors.: Welche Unterlagen hatten Sie für diese ihre Überzeugung? – Zeuge: Rieß ist einmal zum Viehmarkt mit meinem Schwager Rosengart in Allenstein gewesen. Rieß machte auf mich den Eindruck, als würde er zu meinem Schwager sagen: ich werde dich nächstens ermorden. – Vors.: Worauf gründete sich dieser Eindruck? – Zeuge: Rieß kümmerte sich so genau um die Vermögens- und Geldverhältnisse des Rosengart. – Vors.: Sind Sie der Meinung, daß, wenn sich ein Gutsinspektor um die Geld- und Vermögensverhältnisse des Gutsbesitzers bekümmert, er die Absicht hat, den Gutsbesitzer umzubringen? – Zeuge: Rieß war gar zu kurze Zeit da. – Vors.: Wußten Sie, daß Frau Rosengart mit Rieß ein Liebesverhältnis unterhalten habe? – Zeuge: Davon hatte ich gehört. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Wußten Sie, daß ihr Schwager ein Trinker war? – Zeuge: Nein. – Vors.: Sie haben bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet: hatten Sie irgendwelche Unterlagen dafür? – Zeuge: Als ich die Depesche erhielt, daß mein Schwager erschossen sei, und meine Frau weinte, da sagte ich sofort: das hat Rieß getan. – Vors.: Eine bestimmte Unterlage hatten Sie aber nicht dafür? – Zeuge: Nein. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Von wem erhielten Sie die Depesche? – Zeuge: Von Frau Rosengart. – Vors.: Noch in derselben Nacht? – Zeuge: Nein, am folgenden Morgen. – Vors.: Nun erzählen Sie einmal weiter, was Sie hierauf taten? – Zeuge: Ich fuhr am 20. März nach Zögershof, und als ich mir das Fenster ansah, durch das geschossen worden ist, da sagte ich gleich: ich wüßte schon, wen ich verhaften lassen würde. Ich begab mich auch sofort nach Königsberg, sprach hier mit dem Staatsanwalt Dr. Wollenberg und auf dessen Anraten machte ich eine schriftliche Anzeige. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Weshalb haben Sie diese Anzeige anonym eingereicht? – Zeuge: Da ich mit dem Staatsanwalt gesprochen hatte, so hielt ich es nicht für nötig, die Anzeige zu unterschreiben. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Was veranlaßte Sie, am 20. März nach Zögershof zu fahren? – Zeuge (zum Vorsitzenden): Muß ich dem Herrn Rechtsanwalt antworten? (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Vors.: Dann antworten Sie mir. – Zeuge: Wenn ich eine Depesche erhalte, mein Schwager sei erschossen, dann habe ich doch wohl Veranlassung, nach Zögershof zu fahren? Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Wie standen Sie mit Ihrem Schwager Rosengart? – Zeuge: Ganz gut. – Vert.: Sie sollen wegen des Testaments der Mutter des Rosengart mit diesem Auseinandersetzungen gehabt haben? – Zeuge: Das ist richtig, deshalb waren wir aber nicht verfeindet. Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Eines Tages kam Herr Adameit mit Karl Rosengart zu uns nach Allenstein. Adameit erzählte uns: seine Schwester Johanna wolle sich mit einem jungen Referendar verheiraten; dies müsse auf alle Fälle hintertrieben werden. – Vors.: Weshalb sollte diese Heirat hintertrieben werden? – Zeuge: Adameit sagte: Es kann zu nichts Gutem führen, wenn ein so junger Mann eine bedeutend ältere Frau mit fünf Kindern heiratet. Außerdem würden die Kinder arg benachteiligt werden. Adameit erzählte außerdem, seine Schwester sei ihm eines Tages um den Hals gefallen und habe zu ihm gesagt: Du bist der einzige, dem ich mich anvertrauen kann, ich habe bei Tag und Nacht keine Ruhe. Ich muß dir daher gestehen, daß ich den Rieß angestiftet habe, meinen Mann zu erschießen. Adameit sagte: ich hätte sofort Anzeige erstattet, wenn ich gewußt hätte, daß meine Schwester so schlecht ist. – Vors.: Inwiefern war die Schwester schlecht? – Zeuge: Sie hatte dem Adameit geschrieben, daß er entlassen und seine Prokura gelöscht sei. Meine Frau sagte: Mit meiner Schwägerin ist es doch nicht richtig; das beste wäre, man läßt sie für verrückt erklären. Ich sagte darauf zu meiner Frau: Das wird schlecht gehen. Aber man muß ihr telegraphieren, daß sie sich selbst für verrückt erklären lassen soll. Wenn sie einmal erst im Irrenhause ist, dann wird sich schon alles finden. Ich ging alsdann in mein Wohnzimmer und las in einer Zeitung eine Anfrage: Was eine Trauung in Helgoland koste usw. Ich sagte deshalb zu meiner Frau: die beiden sind zweifellos schon nach Helgoland abgereist. Diese meine Vermutung hatte sich auch bestätigt. Ich gab noch am selben Tage eine Depesche nach Königsberg an die Staatsanwaltschaft und eine Depesche nach Helgoland auf. – Infolge verschiedener Fragen der Verteidiger bemerkte der Erste Staatsanwalt: Die Anzeige des Zeugen hat die Staatsanwaltschaft nicht zur Verhaftung veranlaßt. Ich habe Herrn Gendarm Pfau bereits am 20. März 1897, also am Tage nach dem Morde, beauftragt, die Angeklagte und Rieß zu überwachen. – Gendarm Pfau bestätigte das.

Malermeister Henkel: Adameit habe ihm von dem Geständnis seiner Schwester Mitteilung gemacht, und ihm einmal gesagt: In ein bis zwei Jahren werde ich die Wirtschaft übernehmen, vorläufig verwalte ich das Gut erst für die Erben. – Maurermeister Worgall: Ich stand mit Rosengart in Geschäftsverbindung. Am 7. April 1897 kam ich nach Zögershof. Ich fuhr am Nachmittag mit Adameit und Frau Rosengart im Schulwagen nach Königsberg, ich habe aber in keiner Weise bemerkt, daß Frau Rosengart etwas unter dem Mantel verborgen hatte. – Vors.: Haben Sie heute früh etwas gemerkt? – Zeuge: Gewiß, ich habe sehr deutlich gemerkt, daß heute Frau Rosengart einen steifen Gegenstand unter dem Mantel trug. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Wenn Frau Rosengart damals denselben oder einen ähnlichen Gegenstand unter dem Mantel gehabt hätte, würden Sie es alsdann auch gemerkt haben? – Zeuge: Aber sofort hätte ich es bemerkt. Frau Rosengart kann einen Gewehrlauf damals nicht unter den Mantel geknöpft haben, denn sie sprang förmlich in den Wagen hinein. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Sie sind unbestraft? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Und sind wie alt? – Zeuge: 36 Jahre. – Dachdeckermeister Schaumann: Er hatte in Zögershof die Dachdeckerarbeiten. Adameit habe zu ihm einmal gesagt: wenn ich erst Besitzer des Gutes bin, dann wird hier alles anders werden. – Adameit bestritt das.

Am fünften Verhandlungstage wurde nochmals Dachdeckermeister Schaumann vernommen. Er bekundete auf Befragen: Er wisse sich ganz genau zu erinnern, daß er am 7. April 1897 mit dem Malermeister Henckel zusammen in Zögershof gewesen sei. – Auf Antrag des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, wurde festgestellt, daß am 7. April 1897 die Schulferien der höheren Lehranstalten in Königsberg begannen. – Dachdeckermeister Schaumann: Er erinnere sich mit Bestimmtheit, daß an dem Tage, an dem er mit Henckel in Zögershof war, ein Sohn der Angeklagten eine sehr gute Zensur brachte. Henckel sagte zu dem kleinen Rosengart: Wenn dein Papa noch lebte, dann würde er sich sehr freuen; „der Papa sagte immer, aus dir wird niemals etwas werden.“ Henckel habe dem Knaben ein Geldstück geschenkt. – Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, wurde nochmals Kaufmann Adameit vernommen. Er bekundete: Das Holen des Gewehres in Ernsthof, das Abschrauben des Kolbens, das Verbrennen, das Fahren nach Königsberg habe an ein und demselben Tage stattgefunden. Er sei aber der Meinung, daß an diesem Tage die Zeugen Henckel und Schaumann nicht in Zögershof waren. – Buchhalter Seemann: Er sei längere Zeit Buchhalter auf dem Rosengartschen Gute in Zögershof gewesen. Adameit, der nach dem Tode des Rosengart und insbesondere während der Verhaftung der Frau Rosengart das Gut verwaltete, habe 3000 Mark jährliches Gehalt bekommen. Die Kassenmankos seien aber unter der Herrschaft Adameits stets bedeutend größer gewesen als unter der Herrschaft Rosengarts. Adameit habe diese Mankos zu verdecken gesucht, indem er die fehlenden Gelder als verausgabte Wirtschaftsgelder buchte.

Erster Staatsanwalt: Wenn etwa aus den Bekundungen des Zeugen bewiesen werden soll, daß Adameit Unredlichkeiten begangen habe, dann muß ich beantragen, einen gerichtlichen Sachverständigen mit der Prüfung der gesamten Rosengartschen Bücher zu beauftragen.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Wir wollen allerdings den Beweis führen, daß, angesichts des Umstandes, daß zu einer Zeit, wo Herr Rosengart tot, Frau Rosengart im Gefängnis war, bedeutend größere Kassenmankos vorhanden waren als früher, wo zwei Menschen mehr da waren. Ich bin aber der Meinung, daß der Zeuge, der viele Jahre bei Rosengart die Bücher geführt, Sachverständiger genug ist. – Auf Befragen des Vorsitzenden bemerkte Adameit: Er hatte in Zögershof auch Kost und Wohnung. Außerdem sei seine Schwester Hoffmann auf dem Gute gewesen, als die Angeklagte verhaftet war. Er habe im übrigen von der Wirtschaft, insbesondere von der Landwirtschaft, nichts verstanden. – Erster Staatsanwalt: Zeuge Seemann, wollen Sie behaupten, daß Adameit durch die Mankos, die er als verausgabte Wirtschaftsgelder buchte, Unredlichkeiten begangen hat? – Zeuge: Nein. – Erster Staatsanwalt: Dann habe ich in dieser Beziehung keine weiteren Anträge zu stellen. – Buchhalter Seemann bekundete im weiteren auf Befragen: Er habe von Frau Rosengart, und zwar noch zu Lebzeiten des Rosengart, gehört, daß letzterer mehrfach Drohbriefe erhalten habe.

Gutsbesitzer Schönlein: Rieß sei Anfang der achtziger Jahre ein Jahr lang bei ihm Inspektor gewesen. Er sei ein tüchtiger und zuverlässiger Beamter gewesen, dem er nichts Schlechtes zugetraut habe. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Sie sollen, als Rieß verhaftet war, gesagt haben: „Wenn Rieß wieder herauskommt, dann würden Sie kein Bedenken tragen, ihn sofort wieder als Inspektor zu engagieren?“ – Zeuge: Jawohl, das habe ich gesagt; ich hätte das auch getan, denn ich habe Rieß sehr ungern entlassen.

Gutsbesitzer Wendt: Er habe Rieß nicht näher gekannt, er könne aber bekunden, daß Rieß ein sehr gutmütiger Mensch war. Er habe auch einmal gehört, daß Rieß ein sehr guter Schütze war, aus eigener Wissenschaft könne er aber nichts darüber bekunden.

Landgerichtsrat Hempel: Als die Obduktion der Leiche des Rosengart stattfand, habe jemand gesagt: Niemand weiter als Rieß ist der Täter. Gleich darauf sei Rieß ins Zimmer getreten. Der Erste Staatsanwalt habe den Antrag gestellt, Rieß zu verhaften. Er, Zeuge, habe daher dem Kriminalkommissar Wohlfromm den Verhaftsbefehl ausgestellt und ihm aufgegeben, den Rieß ins Gefängnis nach Königsberg abzuführen.

Maurermeister Simon: Er habe einmal mit Adameit für die Firma A. Rosengart ein Grundstück für 120000 Mark gekauft, Frau Rosengart sei mit diesem Kauf einverstanden gewesen. – Angekl.: Ich bestreite, daß ich mit dem Kauf einverstanden war. Ich habe im Gegenteil den Zeugen und meinen Bruder zur Rede gestellt und gesagt: Ehe ein solches Geschäft abgeschlossen wird, muß ich doch gefragt werden. – Zeuge: Das ist nicht wahr. – Angekl.: Es ist doch wahr. – Vors.: Haben Sie durch diesen Kauf Schaden erlitten? – Angekl.: Jawohl, durch die Gelderentnahme für dieses Grundstück. – Vors.: Wurden Ihnen diese Gelder verzinst? – Angekl.: Nein. – Adameit: Ich habe im Einverständnis mit meiner Schwester das Grundstück gekauft. – Angekl.: Das ist nicht wahr, du hast die Kaufgelder, ohne mich zu fragen, aus der Kasse genommen. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Wer waren die Inhaber der Firma A. Rosengart? – Zeuge: Meine Schwester Johanna und deren Kinder. – Vert.: Sie waren als Vormund der Rosengartschen Kinder verpflichtet, das Vermögen der Kinder mündelsicher anzulegen. Hielten Sie die Verwendung der Gelder zum Ankauf eines Grundstücks für mündelsicher? – Zeuge: Ich glaubte, da meine Schwester mit dem Kauf einverstanden war, dazu berechtigt zu sein. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Sie geben jedenfalls zu, die Hälfte der Mündelgelder ohne Genehmigung des Obervormundschaftsgerichts in einem Grundstück angelegt zu haben? – Zeuge: Ich glaubte, dazu berechtigt zu sein, da ich das Einverständnis meiner Schwester hatte.

Bauunternehmer Ranenführer: Adameit habe für das erwähnte Grundstück eine Hypothek von 60000 Mark und noch 6–7000 Mark bar angezahlt. Adameit habe sich für Abschluß des Geschäfts 2000 Mark Provision von ihm ausbedungen. Er habe dies auch zugestanden, wenn er einige tausend Mark bar erhalte. Adameit habe sich die 2000 Mark Provision selbst abgezogen; er (Zeuge) habe sich dies gefallen lassen müssen, da er Geld gebraucht habe.

Referendar a. D. Wolff: Er könne den Nachweis führen, daß die Familie Rosengart durch den Adameitschen Grundstückskauf 12000 Mark Schaden gehabt habe.

Brunnenmacher Siemund: Frau Rosengart habe ihm erzählt, daß sie von dem Grundstückskauf nichts gewußt habe. Als Frau Rosengart das erstemal verhaftet war, habe Adameit darüber mit ihm gesprochen. Er habe zu Adameit gesagt: Glauben Sie denn, daß Frau Rosengart an dem Morde beteiligt ist? Adameit antwortete: Das weiß ich ganz genau. Er sagte darauf: das wird man Frau Rosengart wohl nicht beweisen können. Adameit versetzte: Ich werde die Sache schon machen. Als Frau Rosengart das zweitemal verhaftet war, begegnete er (Zeuge) dem Adameit und August Rosengart auf der Chaussee. Adameit fragte: Wissen Sie schon das Allerneueste? Dabei lachte sowohl Adameit als auch August Rosengart recht höhnisch. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Was mag Adameit wohl unter dem „Allerneuesten“ verstanden haben? – Zeuge: Ich hatte den Eindruck, daß er die Wiederverhaftung der Frau Rosengart in Helgoland meinte. – Vert.: Damals war gerade Frau Rosengart in Helgoland verhaftet worden? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Und da haben Adameit und August Rosengart höhnisch gelacht? – Zeuge: Jawohl. – Kaufmann Wisniewsky: Der Kauf eines Grundstücks sei allerdings stets mit Gefahren verbunden. Ihm sei Frau Rosengart als eine durchaus anständige Frau bekannt.

Arbeiter Reiß: Im Jahre 1894 oder 1895 sei er auf dem Rosengartschen Gute beschäftigt gewesen. Herr Rosengart sei einmal vom Pferde gestürzt. Da habe Frau Rosengart gesagt: Schade, daß sich der Kerl nicht sofort das Genick abgestürzt hat. Ein anderes Mal sei Frau Rosengart zu ihm in den Stall gekommen und habe gesagt: Mein Mann ist vollständig verrückt. Wenn ihm jemand das Genick abschlagen wollte, dem würde ich wer weiß was geben. Er habe darauf versetzt: Wenn ich das tun würde, dann würden Sie mich sofort anzeigen. Keineswegs, habe Frau Rosengart gesagt, das sollte alsdann kein Mensch erfahren. Ihnen würde ich eine gute Belohnung geben, und Sie sollten außerdem gutes Brot bei mir haben; Sie könnten weiter bei uns Ziegel fahren. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Haben Sie diesen Vorgang während der vier Jahre jemandem erzählt? – Zeuge: Nein. – Vert.: Wodurch mag dieser Vorgang zur Kenntnis der Behörde gekommen sein? – Zeuge: Ich war lange weg, dann habe ich es dem Gastwirt Wels vom „Kaisergarten“ erzählt. – Vert.: Was heißt das, Sie waren weg? – Zeuge: Ich bin bestraft worden. – Vert.: Weshalb wurden Sie bestraft? – Zeuge: Wegen Körperverletzung. – Vert.: Zu welcher Strafe wurden Sie verurteilt? – Zeuge: Zu 18 Monaten. – Vert.: Gefängnis oder Zuchthaus? – Zeuge: Zuchthaus. (Bewegung im Zuhörerraum.) – Vert.: Dann sind Sie also wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgange bestraft worden? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Sind Sie außerdem schon einmal bestraft. – Zeuge: Jawohl; nur noch zweimal. – Vert.: Weshalb? – Zeuge: Auch wegen Körperverletzung. – Vert.: Und welche Strafen haben Sie erlitten? – Zeuge: Das weiß ich nicht mehr. – Vert.: Der Zeuge scheint für seine Vorstrafen ein schlechtes Gedächtnis zu haben, ich lege im übrigen kein weiteres Gewicht darauf. Ich will bloß noch fragen: Weshalb sind Sie von Zögershof fortgekommen? – Zeuge: Weil ich mit einem anderen Arbeiter nicht zusammen Ziegel fahren wollte. – Vert.: Sind Sie nicht entlassen worden, weil Sie Leute zum Haferdiebstahl verleitet haben? – Zeuge: Nein. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Sind Sie nicht vom Gendarm Pfau gewaltsam aus Zögershof hinausgeworfen worden? – Zeuge: Nein. – Vert.: Dann ersuche ich, der Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich hierüber zu äußern.

Angekl.: Alles, was der Zeuge hier gesagt hat, ist freche Lüge. Mein Mann ist allerdings einmal mit dem Pferde gestürzt. Er war infolgedessen sehr aufgeregt, ich habe deshalb alles aufgeboten, um meinen Mann zu beruhigen. Die von dem Zeugen bekundete Äußerung ist Lüge. – Vors.: Und wie verhält es sich mit dem Gespräch im Stall? – Angekl.: Ich habe mit dem Zeugen niemals im Stall gesprochen. Ich habe aber meinen Mann einmal darauf aufmerksam gemacht, daß der Zeuge Leute verleitet habe, uns Hafer zu stehlen, und daß er eine Decke gestohlen hat. Mein Mann hat ihn deshalb entlassen. Der Zeuge drohte aus diesem Anlaß meinem Mann, ihn zu erschießen. Auf mich kam er mit der Axt los und wollte mich damit totschlagen. Einen Mann hatte er derartig mit der Forke geschlagen, daß dieser nach etwa acht Tagen im Krankenhause starb. Der Mann wurde deshalb zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Ich bin in dieser Verhandlung gegen ihn als Zeugen aufgetreten.

Da der Zeuge auf Befragen erklärte, daß er sich nicht darauf erinnere, beantragte der Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein, die Strafakten des Zeugen vorzulegen. Der Gerichtshof entsprach diesem Antrage.

Nach einer kurzen Pause verlas der Vorsitzende aus den Akten, daß der Zeuge wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit tödlichem Ausgange und Bedrohung mit eineinhalb Jahren und vierzig Tagen Zuchthaus und zwei Jahren Ehrverlust bestraft sei. Mit ihm wurde sein Bruder und Bruderssohn bestraft. Die Angeklagte ist in diesem Prozeß als Belastungszeugin aufgetreten. Verteidiger Justizrat Dr. Sello stellte noch aus den Akten fest, daß der Zeuge auch einigemal wegen Körperverletzung mit Gefängnis bestraft war. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Als Sie verurteilt wurden, sollen Sie gesagt haben: Wenn ich wieder rauskomme, dann werde ich es der Frau Rosengart schon besorgen? – Zeuge: Darauf erinnere ich mich nicht. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello stellte fest, daß der Zeuge noch heute nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sei.

Dr. phil. Frost bekundete hierauf, daß es am Abend des 19. März 1897 regnerisch und dunkel war. – Gespannknecht Grab: Frau Rosengart sei mehrfach bemüht gewesen, ihren Mann vor Mißhandlungen seiner Arbeiter zu schützen. Rosengart habe einmal, als er betrunken war, auf seine Arbeiter geschossen. Die Arbeiter seien deshalb auf Rosengart losgegangen, Frau Rosengart habe die Arbeiter jedoch mit den Worten beruhigt: „Ihr seht doch, mein Mann ist betrunken!“ – Restaurateur Neumann: Frau Rosengart habe oftmals gesagt, sie habe Angst, daß ihr Mann von seinen Arbeitern einmal totgeschlagen werde.

Zimmermeister Loneit: Frau Rosengart habe ihm einmal geklagt, daß ihr Mann sie furchtbar mißhandelt habe. Die Frau habe ihm ihre angeschwollenen Arme gezeigt und gesagt: Wenn mir meine Kinder nicht leidtäten, dann würde ich mich scheiden lassen. – Vors.: Sie haben bei dem Untersuchungsrichter bekundet: Frau Rosengart habe Ihnen ihre blau angeschwollenen Arme gezeigt und gesagt: Ich gäbe wer weiß was zum besten, wenn jemand meinen Mann aus dem Wege räumt. – Zeuge: Das kann ich nicht behaupten. – Vors.: Sie haben das aber bei dem Untersuchungsrichter gesagt. – Zeuge: Das muß auf einem Irrtum beruhen. – Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Er sei einmal mit Rosengart nach Königsberg gefahren. Da habe Rosengart gesagt: Ich würde mir gern ein anderes Weib nehmen und mich von meiner Frau scheiden lassen, wenn ich nicht befürchtete, daß die Sache mich zuviel Geld kosten würde. Ich versetzte: Sie würden ein klotziges Stück Geld zu zahlen haben, da sie mit Ihrer Frau in Gütergemeinschaft leben. Rosengart sagte darauf: Ich müßte ihr schließlich die Hälfte des Vermögens herausgeben. – Frau Malermeister Henckel: Frau Rosengart habe ihr oftmals gesagt: Ich lasse mich von meinem Mann nicht scheiden, und wenn er mich totschlägt. Dazu tun mir meine Kinder zu leid und außerdem habe ich meinen Mann auch aus Liebe geheiratet. Frau Rosengart habe oftmals ihren Mann zu schützen gesucht, wenn er von Arbeitern bedroht war. Als Frau Rosengart hörte, daß Rengath das Gerücht verbreitet habe: sie unterhalte mit Rieß ein Liebesverhältnis, sei Frau Rosengart sehr aufgeregt gewesen und habe Rengath in Gegenwart ihres Mannes mit sehr heftigen Worten zur Rede gestellt. Rengath habe gesagt, er könne Tatsachen nicht anführen, es sei ihm nur erzählt worden. – Vors.: Was sagte Herr Rosengart dazu? – Zeugin: Der sagte gar nichts. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein. Frau Rosengart soll zu ihnen einmal etwas über die Krankheit des Rieß gesagt haben. – Zeugin: Frau Rosengart sagte: Rieß ist schwindsüchtig und wirft sehr aus, ich empfinde Ekel dagegen. – Vert.: Frau Rosengart soll den Rieß so von oben herab wie einen Untergebenen behandelt haben. – Zeugin: Das ist richtig. – Vors.: Wie war das eheliche Leben der Rosengarts? – Zeugin: im allgemeinen ein gutes, nur wenn Herr Rosengart betrunken war, da gab es Zank und Streit. – Kaufmann Wendt: Rosengart sei von seinen Arbeitern oftmals bedroht worden, seine Frau sei aber stets sein rettender Engel gewesen; diese sei immer bemüht gewesen, die Leute zu beruhigen. – Vors.: Sie sind mit Frau Rosengart und dem Referendar a. D. Wolff in Helgoland gewesen; wie kam das? – Zeuge: Ich traf Frau Rosengart und Wolff hier in Königsberg. Diese baten mich, mit ihnen nach Helgoland zu fahren, um ihnen als Trauzeuge zu dienen. Auf meine Frage, weshalb sie sich nicht zu Hause trauen lassen wollten, wurde mir geantwortet: Die Verwandten sind in geradezu beängstigender Weise bemüht, die Verlobung rückgängig zu machen, deshalb wollten sie sich in Helgoland trauen lassen. Ich sagte zu Frau Rosengart, wenn sie mir das Ehrenwort gebe, daß sie an dem Morde ihres Gatten in keiner Weise beteiligt sei, dann will ich mitfahren. Frau Rosengart gab mir das Ehrenwort. Ich entschloß mich deshalb mitzufahren. – Vors.: Wurden ihnen die Reisekosten bezahlt? – Zeuge: Herr Referendar Wolff sagte: die Reisekosten werden wir Ihnen selbstverständlich bezahlen. Ich lehnte dies jedoch ab und habe die Reise selbst bezahlt. – Vors.: Sie sollen dem Transporteur 10 Mark gegeben haben? – Zeuge: Das ist richtig, ich hielt das für keine Bestechung. Wir fuhren erster Kajüte und speisten in dieser zu Mittag. Damit der Transport auf dem Schiff nicht zu auffällig werde, sagte ich zu dem Transporteur: Hier haben Sie 10 Mark und lassen Sie sich in einer anderen Kajüte auch etwas zu essen geben. – Erster Staatsanwalt: Was veranlaßte Sie, der Angeklagten das Ehrenwort abzunehmen, daß sie an dem Morde ihres Mannes nicht beteiligt sei? – Zeuge: Weil Frau Rosengart deshalb verhaftet war. – Erster Staatsanwalt: Sie müssen doch einen Zweifel gehabt haben, daß Sie der Frau Rosengart das Ehrenwort abverlangten? – Zeuge: Ich hatte nicht den geringsten Zweifel an der Unschuld der Frau Rosengart, ich habe ihr das Ehrenwort lediglich deshalb abgefordert, weil sie wegen Verdachts einmal verhaftet war. Auf Befragen des Verteidigers Justizrats Dr. Sello bekundete der Zeuge noch: Er kenne die Angeklagte von Jugend auf. Diese habe im Alter von 18 Jahren, und zwar, soweit ihm bekannt, aus Liebe ihren Mann geheiratet.

Kämmerer Rengath: Er bestreite, daß Frau Rosengart ihn in Gegenwart der Frau Henckel zur Rede gestellt habe. Frau Henckel bemerkte, daß sie im Nebenzimmer gewesen sei, als Frau Rosengart den Rengath zur Rede gestellt habe, sie habe aber alles genau hören können.

Frau Strauß: Sie sei einmal bei Rosengart im Keller mit Kartoffelauslesen beschäftigt gewesen. Eines Mittags sei Frau Rosengart mit Rieß in den Keller gekommen, wie lange diese beiden im Keller blieben, könne sie nicht sagen, da sie gerade zu dieser Zeit Mittag essen gegangen sei.

Polizeisekretär Ottenberg: Er sei früher Kassenkontrolleur in Braunsberg gewesen. Adameit habe dort im Jahre 1887 ein Restaurant gehabt. Eines Tages sei Adameit, der ein entfernter Verwandter von ihm sei, mit der Bitte zu ihm gekommen, bei dem Herrn Bürgermeister ein gutes Wort einzulegen, da das Verfahren wegen Entziehung der Schankkonzession gegen ihn eingeleitet sei. – Vors.: Weshalb war dies Verfahren gegen Adameit eingeleitet? – Zeuge: Er soll vielfach die Polizeistunde weit überschritten, Gymnasiasten alkoholische Getränke verabreicht und Hasardspiele geduldet haben. – Vors.: Nun haben Sie bei dem Herrn Bürgermeister für Adameit ein gutes Wort eingelegt? – Zeuge: Jawohl, der Herr Bürgermeister sagte: Ich will die Sache noch einmal niederschlagen, wenn Adameit sich aber wieder etwas zuschulden kommen läßt, dann behelligen Sie mich nicht mehr damit. Das Verfahren wurde eingestellt. Adameit hatte aber die Gastwirtschaft sehr heruntergebracht, so daß er sie verkaufte. – Vors.: Welchen Ruf hatte Adameit in Braunsberg? – Zeuge: Keinen besonders guten. – Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Lichtenstein erzählte der Zeuge noch: Olga Rosengart sei etwa drei Wochen nach dem Morde bei ihm in Braunsberg gewesen und habe in sehr ausführlicher Weise die Vorgänge vom 19. März 1897 mitgeteilt. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Hat die kleine Olga irgend etwas über die Vorgänge in ihrem Zimmer erzählt? – Zeuge: Nein. – Vert.: Hat Olga gar nichts davon erzählt? – Zeuge: Nein. – Adameit: Er könne aus seinen Büchern nachweisen, daß sein Geschäft in Braunsberg nicht zurückgegangen sei, er habe es auch vorteilhaft verkauft. Ebenso bestreite er, daß er in Braunsberg einen nicht guten Namen hatte. Er sei erst jüngst wieder in Braunsberg gewesen und habe dort eine allgemeine gute Aufnahme gefunden. – Taucher Sapendowsky: Er habe im Auftrage der Kriminalpolizei wiederholt die von Adameit angegebene Stelle im Pregel, und zwar zwei Meter im Umkreise aufs genaueste mit seinen Händen durchsucht, er habe aber den Gewehrlauf nicht finden können. – Inspektor Rudolf Wolff, Bruder des Referendars a. D. Wolff: Adameit habe sein Mündel, den Karl Rosengart, zu Schlechtigkeiten zu verleiten gesucht, einmal im Schulwagen, in Gegenwart der Frau Rosengart, sehr unanständige Redensarten geführt und den Karl Rosengart in unzüchtiger Weise berührt. – Der bereits wiederholt auch als Sachverständiger vernommene Handlungsgehilfe Rinnowsky bemerkte auf Befragen: Der Zeuge Inspektor Wolff sei nicht der Käufer der Flinte gewesen, letzterer sei bedeutend größer als der Zeuge gewesen. Referendar Seemann: Frau Rosengart habe ihm einmal von einem Drohbrief unflätigsten Inhalts, den ihr Mann erhalten habe, Mitteilung gemacht. – Kindergärtnerin Papke: Adameit habe einigemal in ihrer und in Gegenwart der Rosengartschen Kinder derartige gemeine Redensarten gemacht, daß sie (Zeugin) vor Scham hinausgegangen sei und geweint habe.

Darauf wurde der Reichstagsabgeordnete R.-A. Haase als Zeuge vernommen. Dieser bekundete: Ich war Verteidiger des Rieß. Ich habe ihm gleich bei meinem ersten Besuch im Gefängnis dringend geraten, in allen Dingen, auch in allen nebensächlichen Punkten, die volle Wahrheit zu sagen, da, wenn der Untersuchungsrichter ihm eine Unwahrheit nachweise, dies einen sehr schlechten Eindruck machen würde. Ganz besonders solle er genau sagen, welche Gewehre er besitze, bzw. besessen habe. Rieß machte mir in dieser Beziehung sofort die eingehendsten Mitteilungen. Inzwischen wurde auch Frau Rosengart verhaftet und Herr Rechtsanwalt Lichtenstein mit der Verteidigung betraut. Ich verabredete deshalb mit Herrn Rechtsanwalt Lichtenstein, mit diesem gemeinschaftlich nach Zögershof zu fahren, um uns die Örtlichkeit anzusehen. Herr Rechtsanwalt Lichtenstein sagte mir, daß Herr Adameit sich erboten habe, uns mit einem Fuhrwerk abzuholen. Als wir nun mit Adameit nach Zögershof fuhren, sagte dieser: Er sei der festen Überzeugung, daß Rieß nicht der Mörder sei. Auch seine Schwester halte er für vollständig unschuldig. Diese sei in früheren Jahren von ihrem Manne derartig gemißhandelt worden, daß alle Geschwister es ihr nicht verdacht hätten, wenn sie ihren Mann aus dem Wege geräumt hätte, allein dazu sei seine Schwester gar nicht fähig. Rieß versicherte mir auch, als ich ihn am 28. Juni wieder besuchte, wiederholt, daß er unschuldig sei, und bat mich, doch seine Freilassung zu bewirken. Ich sagte ihm, daß ich zu meinem Bedauern in dieser Beziehung wenig tun könne, da doch einmal der Verdacht bestehe und ich andererseits die Sachlage nicht übersehen könne, da mir die Einsichtnahme in die Akten verwehrt sei. Ich sagte außerdem zu Rieß: Vielleicht können Sie selbst in der Sache etwas tun. Es ist doch der Verdacht entstanden, daß Sie und Frau Rosengart den Mord verschuldet haben; haben Sie sich vielleicht ein Bild gemacht, wer der Mörder sein könne? Rieß antwortete: Ich kann doch nur vermuten und möchte nicht gern einen Unschuldigen verdächtigen. Im September 1897 besuchte ich wiederum den Rieß, der inzwischen in die Krankenabteilung gebracht worden war. Ich überbrachte ihm die Mitteilung, daß ein Antrag auf Haftentlassung wieder abgelehnt worden sei, obwohl ich den Antrag damit begründet hatte, daß der Angeklagte in hohem Grade lungenkrank sei und laut Bekundung des Gefängnisarztes sich nur schwer fortbewegen könne, mithin ein Fluchtverdacht ausgeschlossen sei. Der Angeklagte war sehr niedergeschlagen, er sah sehr elend aus und sagte mir, daß es mit ihm sehr bald zu Ende gehen werde. Ich suchte ihn zu trösten, Rieß sagte jedoch: er fühle, daß sein Ende nahe, er könne mir aber nur nochmals die Versicherung geben, daß er unschuldig sei.

Erster Staatsanwalt: Ich habe gegen das Plaidoyer des dritten Herrn Verteidigers nicht das geringste einzuwenden. Ich will bloß bemerken, daß die Anklagebehörde das Bestreben hatte, die verhafteten Angeklagten aufs strengste zu isolieren und jede Kommunikation zu verhindern. Von Herrn Rechtsanwalt Haase, der, soviel ich weiß, ein Verwandter oder wenigstens guter Bekannter des Herrn Rechtsanwalt Lichtenstein ist, haben wir gehört, daß sie gemeinschaftlich die Örtlichkeit in Augenschein genommen und über die Sache konferiert haben. Wie alsdann die Isolierung ausfällt, überlasse ich Ihrem Urteil.

Rechtsanwalt Haase: Wenn dieser Vorwurf des Herrn Ersten Staatsanwalts gegen mich gerichtet war, so muß ich dagegen protestieren. Ich habe nichts unternommen, was die Isolierung irgendwie hätte gefährden können.

Erster Staatsanwalt: Ich erkläre, daß mir jeder Vorwurf fern gelegen hat; es lag in der Natur der Sache, daß die beiden Herren Verteidiger konferiert haben. Ich will nur noch den von Herrn Rechtsanwalt Haase erhobenen Vorwurf zurückweisen, daß ihm die Einsichtnahme in die Akten verweigert worden sei.

Rechtsanwalt Haase: Ich bemerke, daß ich keinen Vorwurf, sondern lediglich die Tatsache referierend mitgeteilt habe.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Auch ich muß den Vorwurf zurückweisen, daß ich irgend etwas unternommen habe, was die Isolierung hätte verletzen können. Ich bemerke im übrigen, daß mir bis zum Schluß der Voruntersuchung die Einsichtnahme in die Akten verweigert worden ist.

Erster Staatsanwalt: Ich versichere nochmals, daß mir jeder persönliche Vorwurf fern gelegen hat. – R.-A. Haase: Wenn in einer Sache mehrere Verteidiger sind, dann würden sie nur ihre Pflicht verletzen, wenn sie nicht im Interesse ihrer Klienten gemeinschaftlich konferierten. Ich bemerke im übrigen, daß Rieß nichts von der Verhaftung der Frau Rosengart wußte; ich habe ihm aber davon Mitteilung gemacht. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Herr Kollege, Rieß ist im September 1897 an der Lungenschwindsucht gestorben. Sie haben den Rieß noch in den letzten Stunden gesehen: welche Auffassung hatten Sie von der Schuld des Rieß gewonnen? – R.-A. Haase: Ich hatte den Eindruck gewonnen, daß Rieß die Wahrheit gesagt habe und unschuldig sei. – Die Beweisaufnahme war damit beendet. – Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts wurde beschlossen, den Kutscher Busch wegen Verdachts der Begünstigung nicht zu vereidigen. – Die Zeugen Adameit, Budnick, Karl Rosengart und Referendar Wolff erklärten auf Befragen des Vorsitzenden: sie seien bereit, den Eid zu leisten. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello protestierte gegen die Vereidigung der Zeugen aus Gründen des nahen verwandtschaftlichen Verhältnisses, bei Adameit aber auch wegen Verdachts der Begünstigung, deren er sich, wenn seine Aussage wahr sei, in hohem Grade schuldig gemacht habe. – Erster Staatsanwalt: Gegen Adameit könnte wohl kaum ein Verfahren wegen Begünstung eingeleitet werden, da es sich um seine Schwester handelte. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Begünstigung bleibt Begünstigung, auch wenn sie aus gewissen Umständen straflos ist. – Der Gerichtshof beschloß, alle 4 Zeugen nicht zu vereidigen. (Lautes Bravo im Zuhörerraum.) Der Vorsitzende ermahnte das Publikum zur Ruhe. „Gegen Adameit liege der Verdacht der Begünstigung vor, die anderen Zeugen werden ihres nahen verwandtschaftlichen Verhältnisses wegen nicht vereidet.“

Am sechsten Verhandlungstage bekundete Baumeister Worgall: Als er mit der Angeklagten und Adameit nach Zögershof gefahren sei, habe die Angeklagte ein Pack Eier in der Hand gehabt. Dieses Päckchen habe die Angeklagte dem Adameit, als der Wagen vor dessen Hause angelangt war, herausgereicht und sei in dem Wagen sitzen geblieben.

Erster Staatsanwalt: Ich beantrage, sämtliche Wärter, Wärterinnen und Ärzte des Krankenhauses vorzuladen. Ich halte diesen Antrag für um so notwendiger, da mir zu Ohren gekommen ist, Rieß habe auf dem Sterbebett ein Geständnis abgelegt. – „Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Dann stelle ich den Antrag, auch alle Gefängniswärter vorzuladen. – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Auf die Bemerkung des Herrn Ersten Staatsanwalts habe ich mitzuteilen: Rieß hat nicht nur nicht ein Geständnis abgelegt, sondern er hat im Gegenteil einem Geistlichen in feierlichster Weise seine Unschuld beteuert. Ich stelle den Antrag, diesen Geistlichen als Zeugen zu laden. – Erster Staatsanwalt: Ich schließe mich diesem Antrage an, ich hege nur die Befürchtung, der Geistliche wird sein Zeugnis verweigern.

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Die Verteidigung hat ebenfalls eine Anzahl anonymer Briefe erhalten. Ich darf mir erlauben, eines dieser Schreiben zu verlesen, da wir es zum Gegenstande eines Antrages machen wollen. Der Verteidiger las: „Geehrter Herr Rechtsanwalt! Ich beeile mich Ihnen mitzuteilen, daß die Angeklagte, als sie noch in Pillau wohnte, sehr häufig Gelegenheit hatte, ihren Mann aus dem Wege zu räumen. Rosengart ist häufig in meinem Restaurant sinnlos betrunken gewesen. Mein Restaurant liegt dicht am Wasser.“ … – Erster Staatsawalt: Ich protestiere gegen die Verlesung. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Wir wollen diesen Brief zum Gegenstande eines Antrages machen. Wir wollen beantragen, den Schreiber des Briefes, Herrn Restaurateur Riefenstahl in Pillau als Zeugen zu laden. – Erster Staatsawalt: Ich muß jedenfalls beantragen, den Brief dem Gerichtshofe zu überreichen. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Dann bitte ich um eine kurze Pause, um den Antrag auf Ladung des Herrn Leo Riefenstahl begründen zu können. – Erster Staatsawalt: Ich habe auch eine Anzahl anonymer Briefe erhalten. In einem Briefe bekennt sich ein Mann, namens Hermann Z., als Mörder. In einem zweiten Brief wird bemerkt, daß die Angeklagte auf ihren Mann geschimpft habe. In einem weiteren Schreiben heißt es: Der Gewehrlauf kann sehr wohl in den Pregel gesenkt und versunken sein. In einem ferneren Schreiben wird Referendar a. D. Wolff, in anderen Schreiben Adameit und auch die Angeklagte des Mordes beschuldigt. In einem Schreiben wird behauptet: Adameit habe bei einem Bohrbau den Arbeitern die Löhne nicht bezahlt. Ich überreiche alle diese Briefe zu den Akten. Ich habe aber nun noch einen Antrag zu stellen, obwohl dieser die Verhandlung etwas verzögern wird. Meiner Meinung nach ist bei der örtlichen Augenscheinnahme der Nachweis geliefert worden, daß das Gewehr aus dem Speicher in Ernsthof geholt und der Kolben in Zögershof verbrannt worden ist. Nur der Lauf ist nicht aufgefunden worden. Ich beantrage, das Grab des ermordeten Rosengart öffnen zu lassen, um festzustellen, ob etwa der Gewehrlauf in dem Grabe des Rosengart verborgen ist. Dadurch würde die ganze Sache eine andere Gestalt erfahren. Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Die Verteidigung schließt sich diesem Antrage an. – Erster Staatsawalt: Ich beantrage außerdem, festzustellen, ob der Acker, auf dem die Fußspuren entdeckt wurden, Sturzacker oder Weizenfeld ist. Ich glaube, darüber wird uns Inspektor Zarm am ehesten Auskunft geben können – Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Ich habe noch an den Inspektor Steinhagen eine Frage zu stellen. Herr Inspektor: Sind Sie schon bestraft? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Weshalb? – Zeuge: Wegen Sittlichkeitsverbrechens mit zwei Jahren. – Vert.: Gefängnis oder Zuchthaus? – Zeuge: Zuchthaus. – Es wird nun nochmals Frau Rieß gefragt, ob sie schwören wolle. Nachdem die Zeugin wiederholt Einwendungen gemacht hatte, erklärte sie sich schließlich bereit, den Eid zu leisten. Der Gerichtshof beschloß die Vereidigung und auch das Grab des ermordeten Rosengart öffnen zu lassen.

Die Angeklagte gab auf Befragen des Vorsitzenden an, daß ihr Mann auf dem Altstädtischen Kirchhofe in Königsberg vor dem Steindammer Tor begraben worden sei. Der Gerichtshof beauftragte den Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Moser, den Kriminalkommissar Wohlfromm und einen Gerichtsschreiber, sich nach dem Altstädtischen Kirchhofe zu begeben und dort nach eingeholter Erlaubnis des Kirchenvorstandes, das Grab von einer Anzahl Totengräbern öffnen zu lassen. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Die Verteidigung hätte keinen weiteren Antrag gestellt, um die Sache nicht noch länger hinauszuziehen. Da jedoch die Öffnung des Grabes geraume Zeit in Anspruch nehmen dürfte, so beantrage ich, den Restaurateur Leo Riefenstahl in Pillau telegraphisch als Zeugen zu laden, um ihn über folgende Punkte zu vernehmen: Der verstorbene Rosengart habe vielfach in seinem dicht am Wasser belegenen Lokale sinnlos betrunken gesessen, seine Frau habe ihn sehr häufig abgeholt. Sie habe oftmals stundenlang gewartet, bis ihr Mann so weit ausgenüchtert war, daß er nach Hause gehen konnte. Die Frau sei alsdann dem torkelnden Manne in einiger Entfernung gefolgt, um zu verhüten, daß er ins Wasser falle, oder ihm sonst ein Unglück zustoße. – Erster Staatsanwalt: Das geschah, als die Familie Rosengart in Pillau wohnte? – Vert.: Jawohl. – Erster Staatsanwalt: Und wann war das? – Vert.: Von 1887 bis 1892. Der Gerichtshof beschloß: den Restaurateur Leo Riefenstahl (Pillau) sofort telegraphisch als Zeugen zu laden. – Es wurde darauf die von den Geschworenen beantragte Verlesung des Protokolls angeregt. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Laut § 253 der Strafprozeßordnung ist eine direkte Verlesung des Protokolls unzulässig. Es ist nur zulässig, die Angeklagte nochmals über ihre damalige Aussage zu befragen und ihr zur etwa erforderlichen Auffrischung des Gedächtnisses das Protokoll vorzuhalten. – Die Geschworenen erklärten sich damit einverstanden. – Der Vorsitzende ließ die Angeklagte vor den Richtertisch treten. Sie gab auf Befragen des Vorsitzenden etwa folgendes an: Ich war einmal mit meinen Geschwistern hier in der Zentralhalle. Da sagte meine Schwester Budnick: Du hast dem Hermann gestanden, daß du Rieß bestimmt hast, deinen Mann zu erschießen. Ich sagte sofort: Das ist eine freche Lüge. Meine Schwester versetzte: Das beste ist doch, du sagst die Wahrheit, es ist ja doch noch nichts verloren, Hermann wird ja die Sache nicht anzeigen. Ich antwortete: Laß er machen, was er will, ich kann nicht etwas gestehen, was ich nicht begangen habe. – Vors.: Was mag Ihrer Meinung nach Ihren Bruder Hermann Adameit veranlaßt haben, Sie anzuzeigen? – Angekl.: Mein Bruder war, als er bei mir Prokurist war, stets sehr grob und unmanierlich zu mir. Er hat mich sogar einmal mit einem Stocke bedroht. Meine Bücher werden nachweisen, daß er verschiedene Unredlichkeiten begangen hat. Er hat außerdem in seiner Eigenschaft als Prokurist die Lieferung eines großen Postens Ziegelsteine abgeschlossen, ohne sich zu erkundigen, ob wir die Lieferzeit werden innehalten können. Ich wurde deshalb, da wir die Ziegel zur festgesetzten Zeit nicht liefern konnten, auf 2000 Mark Schadenersatz verklagt. Meinen Bruder kränkte es selbstverständlich, daß ich ihm schließlich kündigte und das Löschen der Prokura beantragte. Ganz besonders ärgerte er sich, daß ich mich wieder verheiraten wollte. Er sagte zu mir: Ich lasse mich nicht rausschmeißen, ich werde selbst gehen, ich werde dir aber zeigen, was ich kann, und wenn es mein Unglück sein sollte. – Vors.: Und was mag wohl die Budnick gegen Sie so eingenommen haben? – Angekl.: Ich habe meine Schwester Budnick stets unterstützt, ich habe ihr 6000 Mark zur Errichtung eines Geschäfts gegeben. Als sie aber hörte, daß ich mich verheiraten wollte, sagte sie zu mir: Wenn du diesen Mann heiratest, dann werden wir die Anzeige machen, daß du von dem Tode deines Mannes gewußt hast. Wir werden schon dafür sorgen, daß dieser Erzgauner aus dem Hause kommt. Ich erwiderte: „Macht, was ihr wollt, wenn mein Bräutigam sparsam ist, so ist das gewiß kein Fehler. Eure Drohungen schrecken mich nicht, ich werde mir den Mann doch heiraten.“ Ich hatte keinerlei Anlaß, meinen Mann aus dem Wege zu räumen. Mein Mann liebte mich sehr und war, wenn er nüchtern war, sehr gut zu mir. Auch ich liebte meinen Mann. – Vors.: Wie war Ihr Mann zu Rieß? – Angekl.: Mein Mann war zu Rieß derartig liebenswürdig, daß ich ihn deshalb einige Male zur Rede stellte und ihm sagte, das schicke sich eigentlich nicht. – Vors.: Sie sind also der Meinung, Rieß hatte keine Ursache, Ihren Mann aus dem Wege zu räumen? – Angekl.: Keineswegs. Mein Mann hatte dem Rieß Gehaltszulage versprochen und war stets so freundlich zu ihm, daß er gewiß nicht die geringste Ursache hatte, meinen Mann zu erschießen. – Vors.: Wie ist es mit dem Schraubenzieher? – Angekl.: Der Schraubenzieher ist allerdings geholt worden. Ich kann aber nicht sagen, ob ich oder mein Bruder den Schraubenzieher hat holen lassen. Jedenfalls wünschte mein Bruder den Schraubenzieher, um eine Reparatur an der Nähmaschine vorzunehmen. – Vors.: Ihr Bruder war, als er bei Ihnen Prokurist war, gleichzeitig der Vormund Ihrer Kinder? – Angekl.: Jawohl. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich ersuche, der Angeklagten die Frage vorzulegen, ob sie, obwohl ihr ihre Verwandten gedroht haben, sie wegen Anstiftung zum Morde anzuzeigen, sobald sie heirate, sie dennoch ihren Entschluß nicht aufgegeben hat. – Angekl.: Ich hatte den Entschluß, den Referendar Wolff zu heiraten, trotz aller Drohungen nicht aufgegeben. Ich sagte zu meinen Geschwistern: Macht, was ihr wollt, mein Gewissen ist rein, ich werde meinen Entschluß nicht ändern, sondern mich in allernächster Zeit mit Wolff verheiraten. Darüber gerieten meine Geschwister in große Aufregung. Meine Schwester Budnick sagte: Es ist bereits in einem Familienrat beschlossen worden, dich für verrückt erklären und in ein Irrenhaus sperren zu lassen. Da sagte mein Bräutigam: Da bin ich aber auch noch da. Einen Menschen für verrückt erklären kann nur ein Arzt. Ich sagte zu meiner Schwester: Wenn es zum Verrückterklären kommt, dann hast du die erste Nummer. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Meine Schwester sagte darauf: Wenn du nicht dafür sorgst, daß dieser Mann – damit meinte sie meinen Bräutigam – aus dem Hause kommt, dann werden wir dafür sorgen, daß dir alles zu Wasser wird. Und mein Bruder Hermann sagte: Ich werde die Heirat hintertreiben, und wenn es mein Unglück sein sollte. – Vors.: Was mag denn aber Ihre Schwester veranlaßt haben, derartig gegen Sie aufzutreten? – Angekl.: Jedenfalls weil sie befürchtete, sie würde, wenn ich wieder verheiratet bin, nichts mehr von mir bekommen. – Vors.: Sie lebten mit Ihrem Mann in Gütergemeinschaft? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Und Sie leben auch jetzt mit Ihren Kindern in Gütergemeinschaft? – Angekl.: Jawohl. – Erster Staatsanwalt: Adameit hatte schon im April gesagt: Wenn Wolff nicht aus dem Hause kommt, dann platzt die Bombe? – Angekl.: Das ist richtig. – Vors.: Was mag Adameit damit gemeint haben? – Angekl.: Er drohte mir damals schon mit der Anzeige.

Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts wurde nochmals Baumeister Worgall vernommen. Er bekundete: Er sei, als die Leiche des ermordeten Rosengart zur Parade stand und auch am 7. April 1897 in Zögershof gewesen. – Krankenwärter Baufeld : Er habe gewußt, daß Rieß wegen Verdachts des Mordes verhaftet war. Er habe auch mit Rieß mehrfach darüber gesprochen, Rieß habe aber stets beteuert, daß er unschuldig sei. Ein Geistlicher sei bei dem Tode des Rieß nicht zugegen gewesen. – Inspektor Steinhagen: Er erinnere sich nicht, daß er der Angeklagten gesagt habe, er hätte gehört, daß Rieß der Mörder sei.

Der Beschluß, die Leiche auszugraben, hatte in Königsberg eine ganz außerordentlich große Aufregung hervorgerufen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht. Obwohl die Wiedereröffnung der Sitzung erst auf 4 Uhr nachmittags anberaumt war, war das am Paradeplatz belegene Gerichtsgebäude schon gegen 3 Uhr nachmittags von einer unübersehbaren Menschenmenge umlagert. Der Andrang des Publikums war infolgedessen lebensgefährlich.

Gegen 41/4 Uhr nachmittags wurde die Sitzung wieder eröffnet. Der Erste Staatsanwalt teilte mit, daß ihm wiederum eine Anzahl anonymer Briefe zugegangen sei. In einigen dieser Briefe werde von einzelnen Zeugen behauptet, daß sie einen Meineid geleistet haben. In einem anderen Schreiben werde die Persönlichkeit des als Zeugen geladenen Riefenstahl bemängelt. – Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich habe noch einen Antrag zu stellen. Ein Rentier Hermann Klein, Sackh. Hintergasse, hat sich erboten zu bekunden, daß Rieß ein sehr gutmütiger Mensch war, dem man einen Mord nicht zutrauen könnte. – Der Erste Staatsanwalt erklärte sich mit diesem Antrage einverstanden. Der Gerichtshof beschloß, den Rentier Hermann Klein sofort durch einen besonderen Boten zu laden.

Kriminalkommissar Wohlfrom: Er habe sich heute mittag in Gemeinschaft mit Herrn Landgerichtsrat Moser und einem Gerichtsschreiber nach dem Altstädtischen Kirchhof begeben und dort, nach eingeholter Erlaubnis des Kirchhofinspektors, das Grab des Rosengart öffnen lassen. Der Sarg sei in die Leichenhalle geschafft und dort geöffnet worden. Die Leiche sei aus dem Sarge herausgenommen, in diesem alles aufs genaueste untersucht worden, es sei aber nichts gefunden worden. – Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello bekundete der Zeuge noch, daß der Untergrund des Pregels mittelst elektrischen Magnets untersucht worden sei. – Landgerichtsrat Moser, als Zeuge vernommen, schloß sich der Aussage des Kriminalkommissars Wohlfrom vollständig an.

Alsdann wurde Restaurateur Riefenstahl (Pillau) als Zeuge vernommen: Er kenne Frau Rosengart seit 1882. Soweit ihm bekannt, habe sie ihren Mann aus Liebe geheiratet. Der ermordete Rosengart sei in seinem dicht am Wasser belegenen Restaurant vielfach sinnlos betrunken gewesen. Frau Rosengart habe oftmals viele Stunden auf ihren Mann gewartet. Er (Zeuge) habe gehört, daß Rosengart seine Frau oftmals arg mißhandle. Er habe deshalb mehrfach zu Frau Rosengart gesagt, sie solle sich diese Behandlung nicht gefallen lassen und zum mindesten um ihren Mann nicht so sehr besorgt sein. Frau Rosengart habe darauf erwidert: Mein Mann weiß, wenn er betrunken ist, nicht, was er tut, wenn er aber nüchtern ist, dann ist er der beste Mensch. Ich habe zu Hause keine Ruhe, wenn mein Mann nicht da ist. Ich befürchte stets, es könnte ihm etwas passieren. – Rentier Klein: Er habe den Rieß sehr genau gekannt; er sei ein sehr ordentlicher und gutmütiger Mensch gewesen, dem eine Mordtat nicht zuzutrauen war.

Der Vorsitzende erklärte alsdann die Beweisaufnahme für geschlossen und verlas die den Geschworenen vorzulegenden Schuldfragen: 1. Ist die Angeklagte schuldig, den verstorbenen Inspektor Rieß, der am 19. März 1897 den Gutsbesitzer Rosengart zu Zögershof vorsätzlich und mit Überlegung getötet hat, durch Versprechungen oder andere Mittel zu dieser Straftat bestimmt zu haben? 2. Im Falle der Verneinung dieser Frage: Ist die Angeklagte schuldig, dem Inspektor Rieß bei Begehung des in Frage 1 erwähnten Verbrechens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben? – Der Erste Staatsanwalt beantragte noch die Frage zu stellen: Im Falle der Verneinung der Fragen 1 und 2: Ist die Angeklagte schuldig, den Rieß nach Begehung der Tat begünstigt zu haben, um ihn der Bestrafung zu entziehen.

Es begannen alsdann die Plaidoyers. Erster Staatsanwalt Hepner: Meine Herren Geschworenen! Zwei Jahre sind ins Land gegangen, seitdem der Gutsbesitzer Rosengart in Zögershof in seinem Wohnzimmer meuchlings getötet worden ist, und noch immer ist dieses Verbrechen nicht gesühnt. Der Mann, der aller menschlichen Voraussicht nach den Mord begangen hat, ist wohl einige Tage nach dem Morde in Haft genommen worden. Allein dieser Mann ist nach wenigen Monaten einer tückischen Krankheit erlegen. Der Tod des Rieß ist höchstwahrscheinlich beschleunigt worden, weil er am Abend des 19. März 1897 über ein aufgeweichtes Feld in schnellem Trabe gelaufen ist, und durch die veränderte Lebensweise, zu der der Mann im Gefängnis gezwungen war. Der Mörder ist der Gerechtigkeit entronnen, er steht vor einem höheren Richter. Doch nicht gesühnt ist die Freveltat der Frau, die hier auf der Anklagebank sitzt und heute Ihres Wahrspruchs harrt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Ihr Wahrspruch der Gerechtigkeit entsprechen wird. Dem Manne, der meiner festen Überzeugung nach die Mordwaffe gegen Rosengart gerichtet hat, ist von den verschiedensten Leuten das beste Leumundszeugnis ausgestellt worden. Ich habe die Überzeugung erlangt, Rieß hätte sich niemals dazu verstanden, ein solch grausiges Verbrechen zu begehen, wenn ihm nicht gewissermaßen von dieser Frau die Mordwaffe in die Hand gedrückt worden wäre. Die Frau war über den Tod ihres Mannes nicht besonders betrübt. Sie wurde drei Wochen nach dem Morde ebenfalls verhaftet, wegen Mangel an Beweisen mußte sie aber sehr bald wieder entlassen und das Verfahren gegen sie eingestellt werden. Frau Rosengart verlobte sich einige Zeit später mit einem 9 Jahre jüngeren Manne und begab sich auf die Hochzeitsreise. Sie wissen, in welch tragischer Weise diese Hochzeitsreise in Helgoland endete. Die Verwandten wollten nicht länger schweigen, als sie sahen, mit welch frivoler Art sich die Angeklagte über die Ermordung ihres Mannes hinwegsetzte, sie brachten deshalb das Verbrechen zur Anzeige. Ich habe schon bei vielen Kriminalfällen, die noch bedeutend schwieriger waren als dieser, mitgewirkt. Allein eine solche Zeugenbeeinflussung, wie sie durch den Referendar a. D. Wolff versucht worden, ist mir in meiner langjährigen Praxis noch nicht vorgekommen. Daß Herr Referendar a. D. Wolff als Verlobter der Angeklagten bemüht war, soviel als möglich Entlastungsmaterial herbeizuschaffen, ist erklärlich und entschuldbar. Aber in der Weise, wie in dem vorliegenden Fall auf die Zeugen eingewirkt worden, wie fast jeder Mensch in der Provinz gefragt worden ist, ob er etwas Nachteiliges über einen Belastungszeugen wisse oder etwas für den Leumund des Rieß vorbringen könne, ist ein Verfahren, das doch die Grenzen des Zulässigen weit überschreitet. Es wird notwendig werden, die Zeugen in zwei Klassen zu teilen: in solche, die von Wolff beeinflußt waren, und in solche, die von Wolff nicht beeinflußt waren. Sie haben gehört, daß selbst eine Zeugin von dem gestrigen Plaidoyer des als Zeugen vernommenen Rechtsanwalts Haase ganz verwirrt geworden ist.

Der Erste Staatsanwalt gab alsdann den Geschworenen eine eingehende Belehrung über die vorliegenden Schuldfragen und führte weiter aus: Voraussetzung für die Bejahung der Schuldfragen ist, daß Sie die Überzeugung erlangt haben: Rieß sei der Täter gewesen. Wenn Sie, meine Herren Geschworenen, der Meinung sind: Rieß ist nicht der Täter, dann müssen Sie die Schuldfragen verneinen. Es ist kein Zweifel, der ermordete Rosengart war eine sehr brutale Natur, der einen sehr gefährlichen Trunk hatte. Rosengart hat oftmals, wenn er betrunken war, seine Arbeiter geschlagen, ja auf diese geschossen. Allein trotzdem ist es meiner Überzeugung nach ausgeschlossen, daß in den Kreisen der Rosengartschen Arbeiter der Mörder zu suchen ist. Es hat bereits ein Zeuge hier ausgesagt: Wenn ein Arbeiter den Vorsatz gehabt hätte, den Rosengart zu erschlagen, dann hätte er ihm ohne weiteres eins auf den Kopf gegeben. Es ist aber keineswegs anzunehmen, daß ein Arbeiter den Mord von langer Hand vorbereitet hat, daß er sich auf den Gutshof gestellt und den Rosengart meuchlings erschossen hat. Es ist auch nicht anzunehmen, daß ein Arbeiter ein solch treffsicheres Gewehr, mit dem der Mord ausgeführt sein muß, sich verschafft hat. Es kommt hinzu, daß die Mordtat nur von einem sehr guten Schützen ausgeführt sein kann, und daß die Fußspuren keineswegs Spuren von Fabrikstiefeln, sondern von auf Bestellung gemachten Stiefeln herrührten. Ich bezweifle nicht, daß Rosengart vielfach Drohbriefe erhalten hat. Zu meinem Bedauern sind die Drohbriefe nicht aufbewahrt worden, wir hätten alsdann vielleicht bekannte Handschriften erkennen können. Ist es nicht möglich, daß diese Drohbriefe vom Täter und seiner Anstifterin herrühren? Diese konnten sehr gut der Ansicht sein, daß jene Drohbriefe ihnen einmal nützen könnten. Es ist nun festgestellt, daß Rieß ein ganz vorzüglicher Schütze war, der selbst mit geübten Förstern um die Wette schoß. Ein dem Rieß sehr ähnlicher Mann hatte kurz vor dem Morde bei Anhuth hierselbst ein Gewehr gekauft, das dem Kaliber entspricht, das Adameit bei Rieß gefunden haben will. Nach der übereinstimmenden Meinung der Sachverständigen kann nur ein solches Gewehr als Mordwaffe gedient haben. Es ist ferner festgestellt, daß Rieß Gelegenheit hatte, 3/4 Stunden lang allein und unbeobachtet auf dem Gutshof zu stehen. Es entsteht nun die Frage, welches Motiv hatte Rieß, um den Rosengart zu töten? Ich will nicht direkt behaupten, daß zwischen Rieß und der Angeklagten ein intimer Verkehr stattgefunden hat, wenigstens ist das nicht mit Sicherheit festgestellt. Allein zweifellos haben Rieß und die Angeklagte oftmals Gelegenheit gesucht und auch gefunden, allein zusammen zu sein. Daß sie dabei kein Paternoster gebetet haben, ist klar; ich will aber trotzdem nicht behaupten, daß ein sträflicher Verkehr stattgefunden hat. Für mich steht aber so viel fest: Rieß und die Angeklagte haben sich geliebt. Dafür sprechen einmal die verschiedenen Zeugenaussagen, aber auch das eheliche Leben von beiden. Sie haben Frau Rieß hier gesehen, diese macht zweifellos einen blöden Eindruck. Daß diese Frau nicht befähigt war, dem Rieß sein Haus zu bauen, ist ohne weiteres anzunehmen. Rieß hat allerdings seine Frau nicht mißhandelt. Er war, im Gegensatz zu Rosengart, ein gutmütiger Mensch von geradezu weichem Gemüt. Das schließt aber nicht aus, daß er bemüht war, die Liebe der Frau Rosengart zu gewinnen und sich dieser nähern zu können. Deshalb gab er ihrem Drängen nach, ihren Mann aus dem Wege zu räumen. Frau Rosengart hatte alle Ursache, sich ihres Mannes zu entledigen. Sie wurde von ihrem Manne oftmals in brutalster Weise mißhandelt und sie wollte ungehindert mit Rieß verkehren. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die Angeklagte oftmals ihren Mann vor Mißhandlungen der Arbeiter geschützt hat. Es ist sehr erklärlich, daß in Augenblicken, wo der Haß gegen den Mann nicht gerade akut ist, die Frau den Mann vor Mißhandlungen schützen wird. Sie handelt dabei schon aus Eigennutz, denn sie wäre andernfalls schließlich genötigt, den Mann zu pflegen. Daß die Angeklagte eine große Neigung zum intimen Verkehr mit Männern hatte, hat die Beweisaufnahme hinlänglich ergeben. Ich behaupte nicht, daß die Angeklagte auch mit dem Kutscher Busch ein Verhältnis hatte, einen solchen Geschmack traue ich der Angeklagten nicht zu. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Ich glaube viel eher, die Angeklagte hatte sich nur von Busch auf der Chaussee begleiten lassen, weil sie hier in der Stadt andere Liebesabenteuer im Sinne hatte und sich deshalb von ihrem Personal nicht abholen lassen wollte. Der Erste Staatsanwalt erwähnte alsdann der Aussagen des Zeugen Rengath. Trotz der größten Bemühungen sei es nicht gelungen, dessen Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Er erinnere an die verschiedenen Aussprüche der Angeklagten: Sie möchte am liebsten ihrem Mann Rattenpulver geben. Er behaupte nicht, daß die Angeklagte die Absicht hatte, ihren Mann mit Rattenpulver zu vergiften, dieser Ausspruch lasse aber auf die Gesinnung der Angeklagten einen charakteristischen Schluß ziehen. Der Erste Staatsanwalt beleuchtete hierauf die einzelnen Zeugenaussagen und fuhr alsdann in etwa folgender Weise fort:

Sie haben die kleine Olga gehört. Das Mädchen hat trotz eingehendster Vernehmung in diesem überfüllten Saale sehr klare Antworten gegeben und einen vollständig glaubwürdigen Eindruck gemacht. Sie haben gehört, daß die Olga gesagt hat: Mama ist in Ohnmacht gefallen, als sie gesehen habe, daß Papa tot sei. Ich habe keinen Zweifel, daß diese Ohnmacht eine Verstellung war. Diese Frau fällt nicht in Ohnmacht, eher eine Schwadron Dragoner. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Wichtig ist aber die Bekundung der Olga über den Vorgang in dem oberen Zimmer. Es war doch höchst charakteristisch, daß die Angeklagte unmittelbar nach dem Tode ihres Mannes sich mit Rieß nach dem oberen Zimmer begab, sich mit ihrer Tochter zusammen ins Bett legte, und als sie glaubte, ihre Tochter schlafe, zu Rieß hinüberging und mit diesem zischelte. Es ist ein bekannter psychologischer Vorgang, daß, wenn zwei Leute verschiedenen Geschlechts eine Mordtat begehen, sie sich nach der Tat um so mehr zueinander hingezogen fühlen. Sie wollen gleich nach vollbrachter Tat die Früchte ihres Verbrechens genießen. Wir haben das in dem in vergangener Woche in Lyck verhandelten Gattenmordprozeß wieder gesehen. Es ist ferner festgestellt, daß Rieß den Rengath aufgefordert hat, die Hofhunde wegzubringen, und daß die Angeklagte geäußert hat: „Für die zwei großen Hofhunde können wir lieber zwei Schweine füttern.“

Ich komme zu dem Zeugen Adameit. Man hat in geradezu unerhörter Weise diesen Mann mit Kot zu bewerfen gesucht, es ist aber nicht gelungen, etwas wirklich Gravierendes gegen ihn vorzubringen. Ich gebe zu, das Benehmen des Adameit gegen seinen Neffen war unpassend, aber nicht unsittlich. Untreue in seiner Eigenschaft als Vormund ist dem Zeugen nicht nachgewiesen. Jedenfalls haben sich die Aussagen des Adameit vollständig bewahrheitet. Adameit hatte behauptet: der Kolben wäre innerhalb 1/4 Stunde verbrannt. Der Sachverständige behauptete: es seien dazu zwei bis drei Stunden notwendig. Als wir in Zögershof waren und den Versuch des Verbrennens machten, paßte das Gewehr ganz genau in der von Adameit beschriebenen Weise in den Ofen hinein. Adameit wurde in Zögershof noch einmal gefragt, wie lange das Verbrennen gedauert habe, er werde darauf festgenagelt werden. Adameit sagte, eine Viertel-, vielleicht auch eine halbe Stunde, und Sie haben gesehen, meine Herren Geschworenen, das Verbrennen in Zögershof am vergangenen Montag dauerte 81/2 Minuten. Der Sachverständige sagte, am Montag sei ein außergewöhnlich starkes Feuer gemacht worden. Ich gebe das zu. Dann ist doch aber anzunehmen, daß bei weniger starkem Feuer das Abbrennen genau so lange dauert, wie Adameit angegeben hat. Die Angeklagte selbst hat heute zugegeben, daß sie einen Schraubenzieher hat holen lassen. Es ist außerdem von mehreren Zeugen bekundet worden, daß die Angeklagte einen Eimer Wasser in das Zimmer der kleinen Olga getragen hat. Adameit hat bekundet, es wurde ein Eimer Wasser geholt, um die Glut des Gewehrlaufs abzukühlen.

Ich habe aber auch die Überzeugung, daß Adameit den Gewehrlauf in den Pregel gesenkt hat. Wir haben am vergangenen Montag gesehen, daß die Angeklagte mit großer Leichtigkeit den Gewehrlauf unter ihren Mantel knöpfen, die Treppe hinauf- und hinuntergehen und in den Wagen steigen konnte. Daß der Gewehrlauf nicht gefunden wurde, ist erklärlich, nachdem wir gehört haben, daß der Lauf sehr leicht im Schlamm versunken sein kann. Es ist doch auch nicht außer acht zu lassen, daß erst nach 11/2 Jahren nach dem Lauf gesucht worden ist, daß gerade an der bezeichneten Stelle des Pregels ein starker Schiffsverkehr stattfindet und daß der Lauf sehr gut mit einem Bootshaken oder einer Ruderstange hinuntergestoßen sein kann. Ich behaupte keineswegs, daß Adameit aus edlen Beweggründen die Tat zur Anzeige gebracht hat. Er hätte alsdann nicht 11/2 Jahre damit gewartet. Er wollte zunächst das ihm von der reichen Schwester anvertraute Geheimnis ausnützen, und als er sah, daß seine Schwester ihm nicht die gebührende Berücksichtigung zuteil werden ließ, ging er hin und machte Anzeige. Jedenfalls hat die Budnick ohne jedes Interesse gehandelt. Es ist nicht anzunehmen, daß Frau Budnick hier hintreten wird, um durch eine Lüge ihre leibliche Schwester dem Henker zu überliefern. Herr Referendar Wolff war bemüht, auch die Geschwister zu beeinflussen. Er sagte: er sei sehr entrüstet gewesen über die gegen seine Braut erhobene Beschuldigung, er gab aber zu, daß er in demselben Atemzuge dem Adameit sagte: er werde dafür sorgen, daß seine Braut ihm ein Restaurant kaufe.

Der Erste Staatsanwalt erwähnte alsdann, daß die Verteidigung bemüht gewesen sei, die Haftentlassung der Angeklagten zu bewirken mit der Begründung, daß ein Darmleiden eine schleunige Operation notwendig mache. Es wurde jedoch zunächst eine gerichtsärztliche Untersuchung beschlossen, die die Behauptung des Verteidigers nicht bestätigte.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Ich muß doch darauf aufmerksam machen, daß diese letzte Bemerkung des Herrn Ersten Staatsanwalts in der Verhandlung nicht mit einem Wort erwähnt worden ist. – Der Vorsitzende bestätigte das.

Der Erste Staatsanwalt fuhr alsdann fort: Als Referendar Wolff an jenem Augustabend zu Adameit ging, da riet er ihm, am folgenden Tage zu Herrn Rechtsanwalt Lichtenstein und zu Herrn Superintendenten Lackner zu gehen. Herr Referendar Wolff wußte, daß, wenn die Zurückziehung des Zeugnisses des Adameit Wert haben solle, es nicht genüge, daß Adameit bloß ihm gegenüber seine Beschuldigungen zurückzieht. Meine Herren Geschworenen! Ich will mich kurz fassen und eile zum Schluß. Ich erwähne noch, daß die Angeklagte kurz vor dem Fallen des tödlichen Schusses in unruhiger Weise mehrfach die Vorhänge zurückschlug und zum Fenster hinaussah, so daß dieses Benehmen ihrem ermordeten Gatten auffiel und er sie fragte, weshalb sie fortwährend hinaussehe. Ich will nicht behaupten, daß die Angeklagte nachsah, ob Rieß bereits mit der Mordwaffe auf dem Gutshof stehe; zweifellos ist mir aber, daß die Angeklagte an jenem Abend eine ganz ungewöhnliche Unruhe an den Tag gelegt hat. Die Frau Busch und Ziegran haben allerdings bekundet: Sie haben am Mordabend einen Mann in verdächtiger Weise auf dem Gutshof stehen sehen, dieser sei aber kleiner und dicker als Rieß gewesen und habe einen schwarzen Schnurrbart gehabt. Diese höchst wichtige Wahrnehmung, die an die Mondscheinler in Irland erinnert, trugen die beiden Frauen zwei volle Jahre mit sich herum; sie ließen ihre Wohltäterin ganz ruhig im Gefängnis sitzen. Es ist für mich kein Zweifel: die beiden Frauen sind am Tage nach dem Morde zu der Angeklagten gelaufen und haben dieser ihre Wahrnehmungen mitgeteilt. Die Angeklagte sagte zu ihnen: „Kinder, macht mich nicht unglücklich und schweigt.“ Als aber das Belastungsmaterial sich häufte, da war es nicht mehr geraten, daß die Frauen länger schwiegen, sie mußten reden und bezeugen, daß der Mann, den sie gesehen haben und der zweifellos der Mörder war, nicht Rieß gewesen ist. Die Frauen haben auch erst dann ihre Wahrnehmungen erzählt, als Busch aus dem Zuchthause kam. Dieser wußte, welchen Wert das Wissen eines solchen Geheimnisses einer so zahlungsfähigen Frau wie der Angeklagten hatte. Es war ihm klar, daß das Wissen dieses Geheimnisses eine lebenslängliche Rente bedeutet. Dies allein ist die Erklärung für das höchst eigentümliche Verhalten der Zeuginnen Busch und Ziegran. Ich will nun schließen; ich behalte mir vor, auf die Reden der Herren Verteidiger zu antworten. Ich habe die Überzeugung, meine Herren Geschworenen, Sie werden die Angeklagte schuldig sprechen. Ich stehe nicht an, zu sagen: Sie würden andererseits einen Fehlspruch tun.

Verteidiger Justizrat Dr. Sello (Berlin): Meine Herren Geschworenen! Ich habe sonst die Gewohnheit, mich eng an die Ausführungen des Vertreters der königlichen Staatsanwaltschaft anzuschließen. Zu meinem großen Bedauern muß ich diesmal von dieser Form abweichen und meine eigenen Wege gehen, da ich nicht in der Lage bin, den Schwingen der kühnen Phantasie des Herrn Ersten Staatsanwalts zu folgen. Aber auch Menschlichkeitsrücksichten nötigen mich, von dieser meiner sonstigen Gewohnheit abzuweichen; ich bin das der unglücklichen Frau schuldig, die hinter mir sitzt und mit Zittern und Zagen Ihrem Wahrspruch entgegensieht. Ich kann dem Herrn Staatsanwalt umsoweniger in seinen Ausführungen folgen, da es mir widerstrebt, in dem gegenwärtigen Augenblicke seine Behauptung zu widerlegen: die Frau,die vor der Leiche ihres soeben erschossenen Mannes in Ohnmacht gefallen sei, habe diese Ohnmacht geheuchelt, da eher eine Schwadron Dragoner in Ohnmacht falle als diese Frau. Ich will daher meine eigenen Wege wandeln und mich streng an den Gang der Verhandlung halten. Wenn man auf die sechstägige Verhandlung zurückblickt, dann drängt sich unwillkürlich die Frage auf: ist denn mit einer Silbe die Schuld des verstorbenen Inspektors Rieß bewiesen? Ich frage: Wenn der verstorbene Rieß lebte und hier auf der Anklagebank säße, hätten Sie alsdann den Mut, auf Grund des vorgeführten Beweismaterials den Mann für schuldig zu erklären? Ich frage: Was ist gegen Rieß bewiesen worden? Eine Reihe einwandfreier Zeugen hat bekundet, daß Rieß ein braver, ordentlicher Mann, ein pflichtgetreuer Beamter von seltener Gutmütigkeit, ja von weichem Gemüt war. Frau Rieß hat uns tränenden Auges versichert, daß sie sich Vorwürfe mache, ihren Mann, der immer gut und liebevoll zu ihr war, irrtümlicherweise der ehelichen Untreue beschuldigt zu haben. Ich frage, ist auch nur mit eines Haares Breite bewiesen worden, daß Rieß der Mörder ist? Ganz abgesehen davon, daß eine Reihe von Zeugen hier bekundet haben: Rieß sei einer solch schrecklichen Tat nicht fähig, so entsteht doch die Frage: Hatte denn Rieß irgendeinen Beweggrund, seinen Prinzipal meuchlings niederzuschießen? Wir haben gehört, der ermordete Rosengart war ein böser Kumpan, der seiner Brutalität und seiner vielen Prozesse wegen viele Feinde hatte. Aber wir haben auch gehört, daß der verstorbene Rieß mit Rosengart in durchaus friedlicher Weise lebte. Von keinem Zeugen ist auch nur mit einer Silbe bekundet worden, daß zwischen Rieß und Rosengart jemals ein böses Wort gefallen ist. Es ist uns im Gegenteil bekundet worden: Der verstorbene Rosengart hatte den Rieß sehr lieb, er zog ihn oftmals zu Tisch, er brachte ihm volles Vertrauen entgegen, ja er hatte ihm für den 1. April eine Gehaltszulage von 150 Mark versprochen.

Nun könnte man sagen: Rieß gehört vielleicht zu den stillen Gewässern, von denen man sagt, daß sie tief seien. Es wird behauptet: Rieß habe seinen Prinzipal erschossen, weil er mit der Angeklagten ein Liebesverhältnis unterhielt. Der Herr Erste Staatsanwalt war so gütig, zuzugestehen, daß ein intimer Verkehr zwischen Rieß und der Angeklagten nicht nachgewiesen sei. Aber trotzdem habe ein Liebesverhältnis zwischen Rieß und der Angeklagten bestanden. Allein nicht ein einziger Zeuge, weder die mit Schimpf und Schande weggejagten Dienstboten, noch die von glühendem Haß erfüllten Geschwister der Angeklagten haben eine Tatsache für diese Behauptung anführen können. Die kleine Olga, die hier als Zeugin erschien und erklärte, daß sie gegen ihre Mutter Zeugnis ablegen wolle, hat allerdings bekundet: Rieß und ihre Mutter seien vielfach im Keller zusammengekommen, und sie habe Wache stehen müssen. Das kleine Mädchen, das anfänglich erklärt hatte, sie wolle gegen ihre Mutter nicht Zeugnis ablegen, wurde von liebenden Verwandten veranlaßt, schließlich doch gegen ihre Mutter als Zeugin aufzutreten. Nicht von der Verteidigung, sondern von der Geschworenenbank wurde die Frage gestellt, ob denn das Kind wisse, welchen Verbrechens die Mutter angeklagt ist. Die Verteidigung brach infolgedessen in den Ruf aus: „Mein Gott, es handelt sich doch um Leben und Tod.“ Das kleine Mädchen mußte schließlich zugeben, Onkel Adameit habe ihm allerdings nicht gesagt, was es aussagen solle, aber er habe es ihr wie Pappe um den Mund geschmiert, und sein Bruder Karl habe ihm gedroht: er werde es totschlagen, wenn es nicht gegen Mama aussage. Dieses Mädchen hat zunächst eine Behauptung aufgestellt, die, wenn sie richtig wäre, allerdings dafür spräche, daß ein Liebesverhältnis zwischen Rieß und der Angeklagten bestanden habe. Allein der Zufall wollte es, daß das Mädchen schließlich erklärte: sie habe den Rieß nur ein einziges Mal mit der Mutter im Keller gesehen, in allen übrigen Fällen seien es die Frauen Busch und Ziegran gewesen, die mit der Mutter im Keller waren. Daß die Angeklagte den Rieß aufforderte, nach einem solch furchtbaren Vorgange bei ihr zu bleiben, kann man ihr wirklich nicht übelnehmen. Wir haben gehört, daß Rieß sich angezogen auf die Chaiselongue gelegt habe. Hätte die Angeklagte etwas im Sinne gehabt, dann hätte sie weder das Licht brennen noch die Tür offengelassen. Der Herr Erste Staatsanwalt erwähnte eines Prozesses, der mir nicht einmal dem Namen nach bekannt ist, der den Beweis erbracht habe, daß Mörder, die verschiedenen Geschlechtern angehören, gewöhnlich nach der Tat sich um so mehr zueinander hingezogen fühlen. Jedenfalls hat die Beweisaufnahme trotz klatschsüchtiger, mit Schimpf und Schande weggejagter Dienstboten und liebender Geschwister, die die eigenen Kinder der Angeklagten bestimmten, Zeugnis gegen ihre Mutter abzulegen und sie zu instruieren, damit die Kinder dazu beitragen, daß die Mutter dem Henker überliefert werde und die einen Familienrat abhielten, um die Schwester ins Irrenhaus stecken zu lassen, das Vorhandensein eines Liebesverhältnisses zwischen Rieß und der Angeklagten nicht erwiesen. Es ist auch in keiner Weise erwiesen, daß Rieß, der verheiratet und Vater dreier Kinder war, mit anderen Frauen strafbaren Umgang gehabt habe. Ebensowenig ist eine solche Handlung von der Angeklagten bewiesen. Es ist allerdings von liebenden Geschwistern behauptet worden, die Angeklagte habe in Pillau mit einem Wallmeister ein strafbares Verhältnis unterhalten. Ich habe die Überzeugung, daß die königliche Staatsanwaltschaft auf diese Behauptung selbst keinen Wert gelegt hat, denn es wäre der Staatsanwaltschaft bei ihren Machtmitteln ein leichtes gewesen, diesen Wallmeister zur Stelle zu schaffen. Nun könnte man sagen: die Angeklagte wollte ihren Mann los werden, weil sie von ihm mißhandelt wurde. Abgesehen davon, daß wir nicht gehört haben, daß in den letzten drei Monaten vor dem Morde eine Mißhandlung der Angeklagten seitens ihres Mannes stattgefunden hatte, so hatte die Angeklagte, wenn sie ihren Mann los werden wollte, nicht nötig, ihren Gatten, den Vater ihrer fünf Kinder, meuchlings niederschießen zu lassen, sie hätte mit Erfolg die Ehescheidungsklage einleiten können, und ihr Mann wäre für den schuldigen Teil erklärt worden. Ich bin der Meinung: hätte die Angeklagte ihren Mann los werden wollen, dann würde sie zunächst diesen Versuch unternommen haben. Die Beweisaufnahme hat ohne Zweifel ergeben, daß der ermordete Rosengart eine große Anzahl Feinde hatte und viele Drohbriefe erhalten hat. Der Herr Erste Staatsanwalt hat diese Drohbriefe für eine Vorbereitung gehalten, weil die Briefe nicht mehr vorhanden seien. Ich behaupte, wären die Drohbriefe vorbereitet gewesen, dann hätte die Angeklagte sie aufgehoben. Ja, ich behaupte: Wäre nur ein einziger Drohbrief vorhanden, der Herr Erste Staatsanwalt würde daraus zweifellos erst recht gefolgert haben, daß die Drohbriefe vorbereitet waren. Ich bin aber der Meinung: Rosengarts haben gehandelt wie alle vernünftigen Menschen, die anonyme Drohbriefe zumeist ungelesen als verächtliche Wische in den Papierkorb werfen. Jedenfalls ist der Mörder nicht im Inspektorhause zu Ernsthof, sondern unter den Schreibern der Drohbriefe zu suchen. Die Amanda Eggert, die zweifellos einen glaubwürdigen Eindruck machte, hat bekundet: sie habe kurz vor dem Schuß zwei Stimmen im Hofe flüstern gehört. Meine Herren! Nur der Theatermörder, wie Tell, ergeht sich vor dem Morde in Monologen. Bürgerliche Mörder im praktischen Leben halten keine Monologe. Wenn also die Bekundung der Eggert wahr ist, dann haben zwei Personen die Mordtat begangen, und alsdann ist Rieß nicht der Mörder.

Der Herr Erste Staatsanwalt hat Herrn Referendar a. D. Wolff der unstatthaften Zeugenbeeinflussung geziehen. Die Verhandlung hat aber nicht eine einzige Tatsache dafür ergeben. Ich fühle mich verpflichtet, Herrn Referendar Wolff, der noch vor wenigen Monaten unter dem Amtseide stand und von uns als Kollege angeredet wurde, in Schutz zu nehmen. Daß Herr Referendar Wolff das Zeugnis der Frauen Busch und Ziegran zur Anzeige gebracht hat, ist ihm doch gewiß nicht zum Vorwurf zu machen. Ich bin der Meinung, hätte Herr Referendar Wolff diese Anzeige unterlassen, dann würde er sich einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht haben. Der Herr Erste Staatsanwalt hat die Frauen Busch und Ziegran als unglaubwürdig bezeichnet, weil sie 11/2 Jahre geschwiegen haben. Meine Herren Geschworenen! Es gibt eben zwei verschiedene Klassen von Zeugen: die einen, die alles mögliche erzählen, obwohl sie nichts wissen, und die anderen, die schweigen, obwohl sie etwas wissen. Es ist mir sehr erklärlich, daß ungebildete Leute deshalb schweigen, weil sie mit dem Gericht nichts zu tun haben wollen, weil sie dem Grundsatz huldigen: Das Feuer, das sie nicht brennt, nicht zu löschen. Jedenfalls ist es Tatsache, daß die beiden Frauen, trotzdem sie in lebhaftester Weise ins Kreuzverhör genommen wurden, sich nicht ein einziges Mal widersprochen haben. Hätten die Frauen entlasten wollen, dann würden sie gesagt haben: Der Mörder ist nicht nach Ernsthof zu, sondern in der entgegengesetzten Richtung geflüchtet. Leute dieses Bildungsgrades lügen nicht Unwahrheiten in ihre Aussagen hinein, um glaubhafter zu erscheinen, solche Zeuginnen lügen plump und grob. Der Verteidiger suchte in weiterem nachzuweisen, daß ein ortskundiger Mörder nicht den Weg über das Weizenfeld genommen hätte, er hätte einen näheren Weg einschlagen können, ohne auf der Chaussee bemerkt zu werden. Es mußte dem Mörder darum zu tun gewesen sein, daß einmal Fußspuren nicht zu sehen waren und daß er andererseits so schnell als möglich in seine Behausung komme. Es sei auch nicht möglich, daß Rieß in so kurzer Zeit Abendbrot gegessen, sich ausgezogen und schlafen gelegt habe. Es sei ferner auffallend, vorausgesetzt, Rieß habe den Mord auf Anstiftung oder mit Wissen und Willen der Angeklagten getan, daß die Angeklagte, als sie in das Mordzimmer stürzte, ihre Tochter Olga und die Eggert sofort zu dem Inspektor Rieß geschickt hat. Sie mußte befürchten, daß die beiden Mädchen eher in Ernsthof seien als der Mörder.

Ich komme nun zu dem Zeugen Adameit. Ich habe wohl nicht nötig, näher auszuführen, daß Adameit lediglich aus Eigennutz gehandelt hat, um sich in den Besitz der Wirtschaft zu setzen. Er wollte es verhindern, daß die Angeklagte den Referendar Wolff heiratet, weil er dadurch einen Vermögensnachteil befürchtete. Seine Bemerkung: „Sie sitzt drin, ich werde für euch wirtschaften und wenn ihr großjährig seid, mich mit euch auseinandersetzen“, charakterisiert den Mann vollständig. Aus denselben Beweggründen hat die Budnick gehandelt, deren Zeugnis allein aber keine Bedeutung hat. Aber selbst wenn die Aussage des Adameit wahr wäre, so hätte sich die Angeklagte nicht einmal der Begünstigung schuldig gemacht. Der Verteidiger suchte ferner den Nachweis zu führen, daß Adameit sich vielfach widersprochen habe und daß nicht anzunehmen sei, daß das Gewehr bei den vielen Haussuchungen nicht entdeckt worden wäre. Der Verteidiger schloß mit etwa folgenden Worten:

Meine Herren Geschworenen! Die Angeklagte hat trotz eingehenden Verhörs sich nicht mit einem Worte widersprochen. So handelt aber nur jemand, der die Wahrheit sagt. Sie haben heute über Tod und Leben eines Menschen zu entscheiden. Es ist eine alte Sage, daß man das Gespenst, das man einmal geschaut hat, schwer wieder los wird. Die Angeklagte hat das Gespenst des Schaffots klar vor Augen gesehen und furchtbar gelitten. Ich hoffe, Sie werden durch Ihren Wahrspruch es bewirken, daß das arme Weib noch heute nacht das Gefängnis verlassen kann. Mag Ihr Wahrspruch ausfallen, wie er wolle, ich bin entfernt, ihn als Fehlspruch zu bezeichnen. Ich habe jedoch das Vertrauen, daß Ihr Spruch der Gerechtigkeit und dem allgemeinen Volksgefühl entsprechen wird. Das hoffe ich, das erwarte ich von Ihnen. (Lebhaftes Bravo im Zuhörerraum.)

Vors.: Wenn sich eine solche Kundgebung noch einmal wiederholt, dann werde ich den Zuhörerraum sofort räumen lassen und die Schuldigen zur Bestrafung ziehen.

Es folgten noch längere Repliken und Dupliken zwischen dem Ersten Staatsanwalt und dem Verteidiger Justizrat Dr. Sello. Die Angeklagte, vom Vorsitzenden befragt, was sie noch anzuführen habe, bemerkte: Ich versichere, daß ich unschuldig bin.

Der Vorsitzende gab alsdann den Geschworenen die vorgeschriebene Rechtsbelehrung. Darauf zogen sich die Geschworenen gegen 11/4 Uhr nachts zur Beratung zurück.

Gegen 31/4 Uhr nachts traten die Geschworenen wieder in den Saal. Unter höchster Spannung des überfüllten Zuhörerraumes verkündete der Obmann, Rittergutsbesitzer Magnus (Holstein bei Königsberg), daß die Geschworenen alle drei Schuldfragen verneint haben. (Lebhaftes Bravo und große Bewegung im Zuhörerraum.) Der Vorsitzende rügte das Bravo. Nachdem die Angeklagte wieder eingeführt und ihr vom Gerichtsschreiber der Spruch der Geschworenen vorgelesen war, verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Wohlgemut:

Der Gerichtshof hat, dem Spruch der Geschworenen entsprechend, dahin erkannt, daß die Angeklagte freigesprochen ist und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt werden. Der Gerichtshof hat außerdem beschlossen, den Haftbefehl gegen die Angeklagte aufzuheben und sie sofort in Freiheit zu setzen. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluß gegen 31/2 Uhr nachts.) Olga Rosengart drängte zur Anklagebank, überreichte der Mutter ein Bukett und küßte sie herzlich. Dies taten auch Carl Rosengart und der Referendar a. D. Wolff. Auf dem Paradeplatz hatte ein vieltausendköpfiges Publikum Posto gefaßt. Vor dem Gerichtsgebäude wartete die elegante Equipage der Angeklagten.