Eine Razzia auf Flußpiraten

Textdaten
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Autor: Hermann Haardt
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Titel: Eine Razzia auf Flußpiraten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 495–496
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine Razzia auf Flußpiraten.

Scene aus dem New-Yorker Leben bei Nacht. Von Hermann Haardt.

Es mögen wohl zwölf Jahre her sein, als ich auf meiner Rückreise von Kalifornien nach Europa nach New-York gelangte, wo ich einen alten Freund hatte, den ich besuchen wollte. Durch Mr. Stevens veranlaßt, bewarb ich mich um die Stelle eines Reporters bei der großen Zeitung „New-York Herald“, dessen Begründer, der alte James Gordon Bennett, damals noch lebte. Auf meine Bitte wnrde mir die Stelle eines Reporters für den Hafen übertragen, und somit gab ich meine Idee, nach Europa zurückzukehren, vorläufig auf.

Als Hafenreporter hatte ich auch das Kommando der „Emma“, einer Dampfjacht des „Herald“, welche oft zwei- bis dreihundert Seemeilen hinaus auf den Ocean fuhr, mir um die letzten europäischen Nachrichten um wenige Stunden früher zur Stadt bringen zu können, als es den Oceandampfern möglich war.

Der Hafenreporter hatte in dem großartigen Organismus des Weltblattes eigentlich das dankbarste Amt, wurde auch am besten von allen Reportern honorirt, denn während bei den übrigen Reportern das Honorar [496] für eine gedruckte Spalte zehn Dollars betrug, erhielt der Hafenreporter für denselben Raum nicht nur das Doppelte, sondern es wurden ihm auch Meilengelder für die mit der „Emma“ zurückgelegten Strecken bezahlt. Allerdings durfte ihn auch kein Wetter abschrecken – er mußte, mit einem Worte, ein guter Seemann sein.

Ich bekleidete diese Stelle schon einige Monate, als ich eines Tages zu Herrn Bennett beschieden wurde. Da ich meine Aufträge sonst immer vom City Editor oder Lokalredakteur Mr. Stevens erhielt, so war ich nicht wenig erstaunt, vor unseren obersten Chef, dessen Zeit immer beschränkt war, gerufen zu werden.

Als ich in das Arbeitszimmer des Matadors der amerikanischen Journalistik trat, hatte Mr. Bennett gerade einen Brief geöffnet, den ich an Umschlag, Siegel und verschiedenen Aeußerlichkeiten als von einer Behörde kommend erkannte. Ohne weitere Vorrede kam er denn auch auf den Gegenstand zu sprechen, weßhalb er mich hatte rufen lassen.

„Lesen Sie diesen Brief, Mr. H.“

Ich las den mir gereichten Brief, der vom Superintendenten der Detektivpolizei, Kapitän Kelso, war. Kapitän Kelso theilte dem Herrn Bennett mit, daß die Diebereien auf den im East River liegenden Schiffen seit einiger Zeit sehr überhand genommen hätten und daß die Polizei beschlossen habe, eine scharfe Streifung vorzunehmen. Wenn sich Herr Bennett dafür interessire und einen detaillirten Artikel über die Razzia in seinem Blatte erscheinen lassen wolle, so möge er einen Reporter zu Kapitän Kelso senden.

Als ich meinem Chef dieses Schreiben zurückgab, fragte er: „Wo liegt die ,Emma’?“

„Am Pier Nr. 9 im North River, Sir.“

All right! Suchen Sie die Jacht heute noch in das Dock auf Governor’s Island zu bringen, und stellen Sie sich und Ihre Mannschaft nebst dem Boote dem Kapitän Kelso für die nächste Nacht zur Verfügung. Hier diese Visitenkarte wird Sie bei der Polizei legitimiren. Sagen Sie Mr. Stevens, dem Lokalredakteur, er solle für Ihren Bericht zwei Spalten des morgigen Blattes reserviren. Sobald als möglich, spätestens bis drei Uhr Morgens, liefern Sie Ihren Bericht ab. Guten Morgen.“

Mit Mr. Bennett’s Visitenkarte versehen, auf welcher zwei Zeilen geschrieben waren, begab ich mich in das Hauptquartier der Polizei nach Mulberry Street und wurde sofort zu Kapitän Kelso geführt, der mir mit den Worten die Hand reichte: „Ich habe Sie erwartet. Wenn es Ihnen recht ist, so gehen wir sofort an Bord der ,Emma’.“

Eine Droschke brachte uns bald dorthin. Erst als wir Beide in der geräumigen Reporterkajütte Platz genommen und ich den wachthabenden der Schreiber, deren immer vier oder fünf zum Dienst auf der Jacht bestimmt waren, unter irgend einem Vorwande entfernt hatte, enthüllte Kapitän Kelso seinen Plan: „Sie nehmen die Jacht hinüber nach Governor’s Island, wie Ihnen Herr Bennett gesagt hat. Bleiben Sie dort bis um neun Uhr Abends, dann dampfen Sie den East River hinauf, bis Sie gegenüber von Roosevelt Street sind. Hier verlöschen Sie alle Lichter an Bord und bleiben in der Nähe des dort ankernden französischen Dreimasters. Wenn Sie in der Nähe Signale hören, die in drei rasch auf einander folgenden Pfiffen bestehen werden, so lassen Sie die elektrische Batterie spielen, damit Ihr an der Flaggenstange befindliches elektrisches Licht die ganze Gegend erleuchtet. Ich komme dann selbst zu Ihnen an Bord und werde das Weitere veranlassen.“

„Haben Sie Nachrichten,“ fragte ich, „ob es diese Nacht dem Franzosen gelten soll? Der Kapitän des Schiffes ist ein alter Schulkamerad von mir und hat seine junge Frau an Bord. Wenn es möglich wäre, der kleinen Frau einen Schrecken zu ersparen, so möchte ich –“

„Alles verrathen,“ unterbrach mich der Polizeibeamte scharf. „Das geht nicht, Sie dürfen heute nicht auf das Schiff gehen, denn Sie können überzeugt sein, daß dasselbe von den Werft-Ratten[1] scharf beobachtet wird. Wenn Sie Ihrem Freunde oder dessen Frau einige Unruhe ersparen wollen, so suchen Sie ihn am Lande zu sprechen. Sein Makler ist Mr. N. in Bowling Green.“

Kurze Zeit darauf verließ der Chef der Sicherheitspolizei die „Emma“; ich blieb zurück, um noch einige Anordnungen für die Nacht zu treffen, und eilte dann so schnell wie möglich zu dem mir bezeichneten Makler in der Hoffnung, Achille Deschamps daselbst anzutreffen. Da er jedoch den ganzen Vormittag noch nicht da gewesen war, so veranlaßte ich einen jungen Mann, der im Komptoir des Maklers arbeitete, an Bord der „Vigilante“ zu fahren und meinen Freund mit aller Beschleunigung in das Komptoir zu bescheiden.

In dem Privatzimmer des Maklers erklärte ich meinem Freunde Alles und veranlaßte ihn, Abends mit seiner Frau das Theater zu besuchen und über Nacht in einem Hotel zu bleiben. Dann kehrte er an Bord zurück, kleidete sich sorgfältig an und verließ zur Theaterzeit das Schiff in Begleituug seiner Frau in einem von vier Matrosen geruderten Boote. Das Boot legte am Fuße der Roosevelt Street an, wo ein Droschkenstandplatz war. Während er seiner Frau aus dem Boote half, sagte er zu seinen Leuten so laut, daß es etwa umherlungernde „Werft-Ratten“ hören konnten:

„Ich bleibe diese Nacht am Lande. Sollte sich während meiner Abwesenheit an Bord etwas ereignen, so mag der Obersteuermann mir morgen früh im Belvedere-Hotel Bericht erstatten. Hier sind seine Instruktionen.“

Damit reichte er dem einen Matrosen einen verschlossenen Brief, stieg dann in eine mittlerweile herbeigekommene Droschke und brachte seine Frau ins Belvedere-Hotel, dessen Besitzer zu unseren Freunden zählte. Dann kam er zurück, schiffte sich bei der Battery – gegenüber von Governor’s Island – auf einer kleinen Jolle ein und war bald an Bord der „Emma“.

Da es sich für die Polizei darum handelte, die Flußpiraten auf frischer That zu ertappen, so hatte Achille seinem Stellvertreter an Bord den Befehl gegeben, gegen zehn Uhr Abends – um welche Stunde man den Besuch der Diebe erwarten zu können glaubte – nur einen Mann als Wache auf Deck zu lassen, selbst aber mit fünf oder sechs ausgesuchten Leuten dicht beim Schiffe in einem Boote zu warten und sich ganz zur Verfügung von Kapitän Kelso zu halten.

Nachdem auf diese Weise Alles sorgfältig vorbereitet war, wartete ich den Abend ruhig ab und ließ mich gegen halb neun Uhr nach Governor’s Island hinübersetzen. Ich fand Achille im Pilotenhäuschen und den Maschinisten, der sich und die Jacht als „klar zum Dienste“ meldete, auf Deck. Leise verließen wir das schützende Dock und fuhren stromaufwärts, gerade als wenn wir von der See gekommen wären.

Da ich jedes Mißverständnis vermeiden wollte, so verfügte ich mich in das Pilotenhäuschen, welches, wie bei allen amerikanischen Dampfern, hoch über dem Verdeck angebracht war, und in welchem sich die Leitungsdrähte für unser elektrisches Licht befanden. Meine vier Matrosen hatten leichte Enterhaken an lange, dünne Taue gespleißt, und die dienstfreien Feuermänner, Heizer und Maschinisten lungerten auf Deck umher und hielten scharfe Ausschau. So vorbereitet, dampften wir an der „Vigilante“ vorbei, kehrten dann etwa 500 Meter weiter oben im Kielwasser eines stromabfahrenden Dampfers um und löschten alle Lichter aus. Dann blieben wir unter schwachem Dampfe etwa fünfzig Schritte oberhalb der „Vigilante“ liegen und warteten der Dinge, die da kommen sollten, mit unseren vorzüglichen Nachtgläsern die ganze Breite des East River beobachtend.

Die im Strome liegenden Schiffe schlugen vier Glasen (10 Uhr), als ein Boot von Brooklyn aus das Ufer verließ und sich der „Vigilante“ näherte. Zu gleicher Zeit bemerkte der Pilot, der neben mir stand und sich auf die Handhaben des jetzt in Ruhe befindlichen Steuerrades stützte, daß eine schwarze Masse zwischen zwei Piers der New-Yorker Seite hervorkam. Diese schwarze Masse konnte nur das Polizeiboot sein, welches am Morgen desselben Tages noch unten beim Eingänge in den Hafen, zwischen den beiden Forts Lafayette und Hamilton gelegen hatte und durch Kapitän Kelso heraufbeordert worden war. Da die Fluth stromauf ging, so genügte wenig Dampf, um die „Emma“ auf ihrem Posten festzuhalten, und wir übersahen genau Alles, was vorging.

Das Ruderboot, welches von Brooklyn aus gekommen war, legte geräuschlos an der Steuerbordseite der „Vigilante“ an, und im nächsten Moment hörten wir die Stimme des auf dem Verdeck der Letzteren befindlichen Matrosen: „Wer da?“

Darauf erfolgte das Geräusch, als wenn Männer mit schweren Stiefeln auf Holz sprängen, und ich wollte gerade dem Maschinisten den Befehl hinabtelegraphircn: „Full Steam ahead!“ (Mit vollem Dampf vorwärts!) als aus einem kleinen Boote, welches sich uns genähert hatte und angerufen worden war, der Zuruf ertönte:

„Ahoi, ,Emma’, seid Ihr fertig?“

Aye,aye, Sir!“ war meine Antwort.

Darauf sprang eine kräftige Gestalt auf Deck, kletterte rasch die Stufen zum Pilotenhäuschen hinauf und drehte den Zeiger des Maschinentelegraphen auf:

Full Steam ahead!“

Erst dann reichte mir die Gestalt die Hand, und ich erkannte Kapitän Kelso.

In weniger Zeit, als ich brauche, um es niederzuschreiben, lag die „Emma“ an der Backbordseite der „Vigilante“, während die eben erwähnte schwarze Masse um den Stern des Schiffes herumgefahren war und sich auf die Steuerbordseite legte. Als wir das Deck der „Vigilante“ auf einer Seite betraten, sprangen acht oder zehn Mann in Uniform, Jeder mit einer Blendlaterne versehen, von der anderen Seite herbei, und sieben oder acht Männer, die auf Deck angetroffen wurden, wurden sofort gebunden, während zwei andere über Bord sprangen.

In diesem Momente brachte der Pilot die elektrische Batterie ins Spiel, und augenblicklich war die ganze Umgebung der „Vigilante“ mit einem intensiven weißen Lichte überfluthet. Wir sahen das Boot mit dem Obersteuermann der „Vigilante“ auf einen Gegenstand, der im Wasser schwamm, Jagd machen und entdeckten gleich darauf noch einen zweiten Gegenstand. Es waren die beiden über Bord gesprungenen Flußdiebe, die bald in sicheren Händen waren.

Der auf Deck zurückgebliebene französische Matrose hatte einen Hieb über den Kopf bekommen und war bewußtlos niedergefallen, als wir das Schiff erreichten. Einige Tropfen Branntwein brachten ihn bald wieder zu sich, und er war ganz erstaunt, als er die „geschlossene Gesellschaft“ auf Deck liegend fand. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß Kapitän Deschamps ihm ein reichliches Schmerzensgeld gab.

Die neun Uebelthäter wurden auf die oft erwähnte schwarze Masse gebracht, die sich als der Polizeidampfer zu erkennen gab, und der Polizeirichter verwies die ganze gefangene Gesellschaft vor die Assisen, wo sie zu längeren Freiheitsstrafen in dem großen Staatsgefängniß zu Sing-Sing am Hudsonflusse verurtheilt wurden.

Mr. Stevens hatte schon gegen zwei Uhr Morgens seinen Bericht, der in der Frühe in 33 000 Exemplaren in die Hände des Publikums gelangte, Kapitän Kelso hatte eine der gefährlichsten Banden von „Werft-Ratten“ unschädlich gemacht, ich hatte 50 Dollars Honorar verdient, und der Frau meines Freundes war alle Unruhe erspart worden, da ihr Achille von der beabsichtigten Razzia kein Wort gesagt hatte.

  1. Wharf Rats nennt man in New-York die Flußdiebe von Profession, weil sie den ganzen Tag auf den Wharfs (Piers oder Quais) herumlungern, um irgend eine günstige Gelegenheit zu einem Raube auszuspähen.
    D. Verf.