Textdaten
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Autor: W. O. von Horn
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Titel: Eine Ironie des Zufalls
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 408
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[408] Eine Ironie des Zufalls. Als Napoleon 1808 (wenn ich nicht irre), aus Holland kommend, am Ufer des Rheins entlang reiste, befahl der Präfect den Rhein- und Moseldepartements den Gemeinden, den Kaiser mit allen möglichen Feierlichkeiten und Zeichen der Liebe und Anhänglichkeit zu empfangen. Dieser Befehl brachte manches Alpdrücken der Sorge hervor, und mancher Ortsvorstand (in den Städten „Maire“, auf dem Lande „Syndic“ genannt) ging in schweren Träumen wachenden Augen umher und wußte nicht Rath, nicht Hülfe. Also erging’s auch dem Herrn Syndic eines rheinischen Dorfes, dessen Hauptnahrungsquelle der Weinbau ist. Eine Triumphpforte sollte erbaut, eine Musikgesellschaft herbeigeschafft werden und jedes Dorf, jede Stadt trommelte die Kirchweihgeiger zusammen, um die übliche Musik zu bekommen. Endlich gelang es noch dem Syndic, eine Anzahl sogenannter Speckgeiger herbeizuschaffen, und diese Noth war gehoben; noch aber nicht die zweite, die Triumphpforte, nicht die dritte – die Rede, welche unbedingt gehalten werden mußte. Er hätte sie am liebsten selbst gehalten, denn in den glorreichen Tagen der untheilbaren Republik war er Agent gewesen und hatte die Reden an den Decaden in der Kirche oder wie sie damals hieß, im Volkstempel, gehalten. Da war es ihm aber allemal schlimm ergangen, wie weiland einem deutschen Professor im frankfurter Parlamente – er hatte fortlaufenden Beifall, d. h. die zur Kirche getriebene Gemeinde lief, theils lachend, theils zornig von dannen; es waren undankbare und wie er selbst sagte: „verdrießliche Mitbürger.“ Durfte er so etwas vor dem Kaiser riskiren? Der verstand überdies kein Deutsch und der Syndic kein Französisch. Was sollte da werden? Die Lage war schrecklich!

Endlich half aus dieser Noth der Pastor, welcher des Französischen so weit kundig war, um eine kurze Anrede zu halten, auch wohl die Fragen den Kaisers zu beantworten. Nun kam noch die Ehrenpforte! Da half ein guter Rath eines Architekten aus der nächsten Stadt, der durchfuhr, und der Geschmack des Schulmeisters, der den Rath ausführte. Alle leeren Fuder-, Halbfuder-, Zweiohm-, Ohm- und kleinern Fässer wurden aus den Kellern des Dorfes zusammengerollt und daraus eine eben so eigenthümliche, als passende und schöne Ehrenpforte erbaut, und dann jedes Faß mit Blumen und Epheugewinden umschlungen. Wer den seltsamen Bau sah, mußte ihm Beifall geben.

So war denn Alles geordnet, als der Kaiser kam, begleitet außer Andern von dem General Rapp, der bekanntlich ein Deutscher war. Die Glocken läuteten, die Böller knallten, die Schuljugend rief das ihr eingepaukte: Vive l’Empereur! in den seltsamsten Variationen, die Gemeinde fiel mit demselben Rufe ein, und alle Honoratioren des Dorfes, an ihrer Spitze der Pastor und der Syndic, waren aufgestellt.

Napoleon sah die seltene und seltsame Ehrenpforte und rief Rapp zu: „Das ist neu, passend, geschmackvoll und doch billig und ländlich!“ Er befahl zu halten und stieg aus.

Hatte schon die Ehrenpforte einen sehr guten Eindruck auf ihn gemacht, so vollendete diesen die einfache, wohlgesetzte und kurze Anrede des katholischen Geistlichen. Er hörte ihr beifällig zu und sprach sich sehr wohlwollend über den Empfang aus; besonders gefiel ihm die Idee des Triumphbogens. Er fragte nach dem Urheber und Ausführer, ließ sich den Schulmeister vorstellen und belobte ihn höchlich.

Jetzt fiel die Musik ein.

Napoleon war gut gelaunt. Er that, als horche er auf die einfache Melodie, welche sie spielte und die offenbar die Weise eines Volksliedes war.

Plötzlich unterbrach die Stille Rapp’s brausendes Gelächter, welches er, so viel Mühe er sich auch gab, nicht länger beherrschen konnte.

Finster wurde die Stirne des Imperators und mit einem stechenden Blicke wandte er sich zu Rapp um.

„Warum lachen Sie so?“ herrschte er ihm zornig zu.

Rapp, der wußte, daß er sich etwas erlauben durfte, erschrak nicht, sondern sagte immer noch lachend: „Majestät, es ist der Text des Liedes, das die Musik eben spielt, der mich lachen macht.“

„So?“ sagte Napoleon. „Und wie lautet der? Ich will ihn wissen!“

„Es ist ein altes, deutsches Volkslied, Majestät,“ sagte Rapp, „das so anfängt:

„Du bist der beste Bruder au nit.“
„Still!“ donnerte der Kaiser, trat rasch zum Wagen, sprang hinein und – vergaß den Gruß zu erwiedern, den ihm die Gemeinde mit rauschendem Tusche nachrief.
W. O. von Horn.