Eine Heimstätte deutschen Fleißes
Es sind jetzt etwa zweihundertdreißig Jahre her, da sah man im Gleirschthale in den bairischen Alpen, einem jener engen Kalkthäler, aus deren Quellen die Isar zusammenrinnt, öfter einen jungen Mann herumgehen, welcher sich die hohen Fichten der Berghänge mit prüfenden Augen betrachtete. Sein Gewand war nicht das eines Holzfällers; ein „Tourist“ konnte er auch nicht sein, denn von jener Art von Menschen, denen es gefällt, nur zum Vergnügen ihrer Augen unbewohnte Einöden zu durchstreifen, wußte man damals noch nichts. Als Jäger hätte er irgend eine Waffe tragen müssen – kurzum, wer ihn sah, konnte sich sein Gebahren nicht erklären, vollends dann nicht, wenn der rätselhafte Wanderer einen Hammer aus der Tasche zog, damit an irgend einen Stamm schlug und sodann das Ohr hart an den getroffenen Baum legte. Dabei konnte man bemerken, daß er vorzüglich alten Stämmen und zwar solchen nachging, bei welchen sich der herannahende Tod schon am Absterben der Aeste des Wipfels bemerklich machte. Sah der Mann einen gefällten Stamm am Boden liegen, so ging er hinzu und betrachtete die Schnittfläche. Er maß die Jahresringe, ob sie sich in den gehörigen Abständen von einander hinzogen, und verließ den Stamm entweder kopfschüttelnd, oder nachdem er ihn durch irgend ein Merkzeichen kenntlich gemacht hatte.
Am seltsamsten aber war das Benehmen dieses Mannes, wenn gefällte Stämme, wie es im Gebirge so häufig geschieht, von ihrem hohen Standorte über die jähen Berghänge in’s Thal hinabgerollt wurden. Dann saß er seitwärts auf irgend einem Felsblock und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit auf die Töne, welche solche Stämme im Stürzen von sich gaben, denn es ist bekannt, daß manche Stämme im Auffallen Laute erzittern lassen, denen der Telegraphenstangen ähnlich, wenn der Wind den Draht bewegt. Diejenigen Stämme, von welchen ein besonders auffallendes Singen herschwirrte, merkte er sich, wählte sie aus und erstand sie von den Herren des Waldes.
Aus diesem Treiben werden wir keine rechte Vorstellung über die Absichten des Mannes gewinnen können und darum ist es besser, gleich zu sagen, wen wir vor uns haben. Es ist dies der junge Jacob Stainer aus dem Dorfe Absam, welches jenseits der grauen Jöcher liegt, die das Gleirschthal vom breiten Inn- oder vom Haller Salzthale trennen.
Seine Eltern sind arme Bauern, er aber hat sich auf die Kunst des Geigenmachens verlegt und ist bereits in den zwanziger Jahren seines Lebens darin zu Ruf und Ansehen gelangt. Niemand sieht es diesem bescheidenen Geigenmacher an, daß er zweihundert Jahre später der Held vieler Novellen werden soll. August Lewald läßt ihn aus unerwiderter Liebe zu einer schönen Italienerin wahnsinnig werden; andere Dichter erzählen von ihm, wie er schwermüthig in den Schluchten umhergeht und seinen Schmerz in den Tönen seiner Geige ausströmen läßt; wieder andere sehen ihn als Mönch – überhaupt ist nächst der Person des Andreas Hofer kaum ein anderer Mann des Tiroler Landes so tief in die Tinte der Novellisten gerathen, als der Geigenmacher von Absam.
Die Geschichte weiß blutwenig von ihm zu erzählen und dieses Wenige hat Sebastian Ruf rühmlichst an’s Licht gestellt. Es ist hier nicht der Ort, an der Hand dieses Gewährsmanns Stainer’s Leben zu verfolgen, wenngleich wir uns nicht versagen können, einige Geschichten aus dem dunkeln Lebenslauf dieses deutschen Meisters anzuziehen. Vor Allem findet sich keinerlei Hinweisung darauf, daß derselbe jemals als Lehrling in Italien gewesen sei. Wohl hat er sich nach den berühmten Kunstwerken des Amati gebildet, aber alle Geschichtsschreiber seiner Kunst bestätigen ihm, daß er den Bau seiner Geigen ganz selbstständig ausgedacht und dieselben in Ausrüstung und Klang so eigenthümlich geschaffen habe, daß man ihn den Vater der deutschen Geige nennen müsse, denn die Geigen dieses Meisters waren die ersten, welche sich wesentlich von denen der Italiener unterschieden.
Es konnte nicht fehlen, daß die fremden Kaufleute, welche Stainer seine Geigen auf den Märkten zu Hall abkauften, seinen Ruf überall hin verbreiteten und daß deshalb seine Waare in den benachbarten Ländern immer mehr und mehr gesucht wurde. Dies wurde Veranlassung, daß sich ein Bauer aus Mittenwald in den baierischen Alpen an der Isar, Mathias Klotz genannt, aufmachte, zum benachbarten Absam pilgerte und den Meister bat, er möge ihn in die Lehre nehmen, was auch geschah. Des Geigenmachens kundig, kehrte Klotz in den armen Marktflecken an der Isar zurück. Was nunmehr dort vorging, wird aber nur begreiflich, wenn wir einen Blick auf gewisse Vorgänge werfen, die des Interesses nicht entbehren, weil daraus allerlei über Handelschaft und Verkehr alter Zeiten zu ersehen ist.
Kein Vorfall hatte für Mittenwald größere Bedeutung, als ein Streit, welchen Erzherzog Sigmund im Jahre 1487 zu Bozen mit einigen Kaufleuten Venedigs ausfocht. Bozen war damals der Hauptstapelplatz zwischen deutschen Landen und Italien; die Kaufleute beider Völker rechneten dort auf den Messen mit einander ab; der Stadt war ein schnelleres Rechtsverfahren in Schuld- und Wechselsachen vom Kaiser verliehen worden – kurzum, die Bozener Märkte waren wohl die bedeutendsten von ganz Süddeutschland. Dieser Streit aber änderte die Sache. Nachdem der Erzherzog jene Kaufleute, hundertunddreißig an der [10] Zahl, hatte in’s Gefängniß werfen lassen, fühlte sich der Handelsstand der großen Lagunenstadt auf das Aergste gekränkt. Sie beschlossen, die Niederlage ihrer Waaren und die Abrechnung mit ihren deutschen Geschäftsfreunden an einen andern Ort zu verlegen, der nicht allzu weit von wälschen Gauen entfernt wäre. Von Tirol, das hierbei zunächst in Frage kam, wollten sie in ihrem Zorne nichts mehr wissen, konnten sich aber nicht zu weit von den Hauptverkehrswegen nach Deutschland entfernen. Da wählten sie das hart an den Tiroler Grenzsteinen gelegene Mittenwald, über welches ohnehin zu jener Zeit schon manche Maulthierkarawane gen Wälschland zog, weil die Wege über den Fern und den Finstermünzpaß noch nicht eröffnet waren. So brach für Mittenwald eine goldene Zeit an, von der sich noch manche Erinnerung in reichen Stiftungen und Bauten erhalten hat.
Mochte nun aber Mittenwald den reichen Venedigern auf die Dauer doch zu entfernt liegen, oder was sonst der Grund gewesen sein mag – genug die Mittenwalder Herrlichkeit nahm ihr Ende, nachdem sie immerhin hundertundzweiundneunzig Jahre gedauert hatte. Im Jahre 1679 wurde der große wälsche Markt wieder an seinen frühern Ort zurückverlegt.
Um eben diese Zeit nun brachte erwähnter Mathias Klotz seine Kunst von Absam nach Mittenwald, und die Noth schaffte ihm gelehrige Schüler. So wurde aus dem baierischen Marktflecken in kurzer Zeit ein deutsches Cremona, freilich ein Cremona ohne „Torrazzo“, ohne Kathedralen im lombardischen Styl, ohne Paläste mit Marmor und Götterbildern, aber in der Fabrikation der besten Geigen bald so berühmt wie jenes stolze Cremona am Po. Die fertige Waare wurde jedoch damals nicht, wie heute, durch die Post und durch die Boten, welche ihre Kisten den Spediteuren bringen, mittelbar nach Constantinopel und Kalifornien (die Ganges-Länder und Amerika sind jetzt den Mittenwaldern die Hauptmärkte) befördert, sondern gleich den geschnitzten Figuren der Tiroler Kraxenträger auf Tragkörben herumgeschleppt. Meist waren es die Verfertiger selbst, welche ihre Geigen, Baßgeigen und Guitarren in „Butten“ auf dem Rücken feilboten und dabei natürlich nicht sonderlich weit kamen, schwerlich viel über die anstoßenden Gebiete von Baiern, Tirol und der Schweiz hinaus.
So ging es etwas mehr als ein halbes Jahrhundert fort. Die Mittenwalder bearbeiteten fleißig ihre Haselfichten und trugen ihre Waaren in der Welt, besonders an den gastfreundlichen und musikliebenden Klöstern anklopfend, herum; ihre Thätigkeit wäre aber bei alledem eine dunkele geblieben, gleich der Bildschnitzerei so vieler armen Thäler, wenn nicht betriebsamere Köpfe unter ihnen aufgestanden wären, die auf den Einfall geriethen, sich nach weiteren Absatzgebieten umzuschauen.
Von 1730 an unternahm Johann Neuner und seit 1762 dessen Sohn Mathias Neuner Reisen, und namentlich von Mathias Neuner ist bekannt, daß derselbe längere Zeit als Geigenmacher in London lebte und zur Ausbreitung seines Geschäftsbetriebes große Reisen, bis in das tiefe Rußland hinein, unternahm. Nicht immer waren diese Männer von Glück begünstigt, so daß Mathias einmal von einer langwierigen, mühevollen Reise in Rußland nur einen einzigen Dukaten nach Haus brachte. Heutzutage hat der Hausirhandel fast gänzlich aufgehört und wird der Vertrieb der Waaren, welche der Mittenwalder Fleiß hervorbringt, nahezu ausschließlich von zwei Häusern, den Nachkommen der obengenannten Männer, Neuner und Hornsteiner, sowie von dem Hause Johann Anton Bader besorgt.
Diese Häuser „verlegen“, das heißt das Geschäft wird kaufmännisch betrieben, indem die genannten Geschäftsleute den Arbeitern ihre Erzeugnisse regelmäßig um einen fest bestimmten Preis abnehmen, dieselben in ihre Magazine stellen und den Verschleiß auf eigene Rechnung und Gefahr besorgen. Sehr anziehend ist ein Besuch im Neuner’schen Comptoir und Magazin. Tausende von Musik-, Saiteninstrumenten jeder Art füllen die weiten Räume, ihrer Fortschaffung harrend, um immerwährend durch andere ersetzt zu werden. Aus Asien und Amerika bringt der Postbote so viele Bestellbriefe in’s Haus, daß nur eine beschränkte Anzahl derselben berücksichtigt werden kann, und merkwürdig ist es zu sehen, wie der Geschäftsgeist der kundigen Verleger den verschiedenen Völkern ihren Geschmack abgelauscht hat, wie man die Zeichnungen und Masern im Holze kennt, welche der Yankee liebt, und die kleinen Anforderungen, welche der Ostindier an das Aussehen seiner wohlfeilen Geige stellt. Und, damit dem Eindrucke das Ursprüngliche und Alpenhafte gewahrt bleibe, was dem ganzen Erwerbszweige anhaftet, schaut das Comptoir auf den Karwendel hin, auf dessen Schneefeldern sich oft Gemsen tummeln – gewiß die einzige Kaufmannsstube in deutschen Landen, von deren Fenstern aus man die Herde des Bergesalten in ihrer Freiheit schaut.
So sehr nun auch in unserem Jahrhundert allenthalben die Nachfrage nach den Geigen wuchs, die an der blauen Isar geschnitzt und zusammengeleimt werden, so brachte den richtigen Aufschwung erst jene Erleichterung des Verkehrs mit Amerika in’s Geschäft, den wir der Flotte unserer norddeutschen Dampfer verdanken. Schon Ende der fünfziger Jahre schafften die zwei Häuser Neuner und Bader jährlich zehntausend besaitete Werkzeuge über das Weltmeer. Dann kam der große Bürgerkrieg und zwischen den Waffen schwiegen die Musen, wie überall. Nunmehr aber beträgt die Anzahl der Geigen und Cithern, die über den „großen Bach“ schwimmen, jedes Jahr wieder mindestens zwölftausend. Nicht minder wichtig ist den Mittenwaldern die Verfertigung von Cithern.
Dieses Musikinstrument, jetzt durch friedliche Eroberung auch über den Norden Deutschlands ausgebreitet, ist wohl allen meinen Lesern von Ansehen bekannt. Uns geht es nichts an, ob es aus der neapolitanischen Mandoline, aus der mittelalterlichen Laute, oder gar aus der indischen Vina hervorgegangen ist – wir wissen nur, daß es zuerst in der grünen Steiermark im Gebrauche war und von dort durch Bergleute nach dem Harz gebracht wurde. Gewiß klingt die Cither schön und alpenhaft und das eigenthümliche Nachzittern der Töne darin will an den Wiederhall gemahnen, mit welchem der Gesang in hohen Felseneinöden verweht.
Nun, gerade für die Cither, ein echt deutsches Instrument, ist Mittenwald die Heimath geworden. Hier ist der Ort, die Geschichte derselben eingehend zu studiren. In Neuner’s Magazin sieht man Cithern, wie man sie in alten Zeiten zu Mittenwald verfertigte, in Formen und Besaitungen, von welchen das heutige Geschlecht nichts mehr weiß. Die berühmtesten Cithermacher, Tiefenbrunner in München und Kiendel in Wien, sind Mittenwalder, haben in ihrer Jugend daheim gearbeitet und die Ehren vaterländischer Betriebsamkeit in alle Theile der Welt getragen. Mit nicht wenigen von den Cithern, welche sie auf den Gipfel ihres Ansehens unter dem eigenen Namen in ferne Erdtheile sendeten, haben sie weiter nichts zu thun gehabt, als sich dieselben von irgend einem[WS 1] bescheidenen Insassen Mittenwalds kommen und mit dem Merkzeichen ihrer Fabrik versehen zu lassen, worauf ihnen der Fremdling das Vier- oder Fünffache des Lohnes bewilligt, mit welchem sie den Mittenwalder Landsmann zufriedengestellt hatten. Nicht leicht wird sich eine Oertlichkeit so im Zusammenklang befinden mit ihren Erzeugnissen, wie es in Bezug auf Mittenwald der Fall ist; liegt doch der Ort inmitten jenes Hochalpenlebens, bei dessen Bildern man an die froh-wehmüthigen Töne der Cither denkt – hier geht der Jäger durch wildreiche Bergforste, ruft der Senner von hohen Graten, lagern die Holzfäller auf Felsen und zieht der Kahn über Seen, deren Wände den jauchzenden Gesang verzehnfachen.
Alles in Mittenwald erinnert an die lustige Thätigkeit seiner Inwohner.
Wenn man von Partenkirchen oder Walchensee herkommt, bemerkt man unweit der Straße ein großes Holzlager, in welchem die Bretter aufgeschichtet sind, deren Fasern späterhin mitzittern sollen mit den Schwingungen der Töne. Dreißig Jahre zum mindesten muß hier ein Holzstück lagern, bevor es in die bearbeitende Hand gelangt. Dadurch soll jene Trockenheit im Holze erzeugt werden, welche schon das halbe Gelingen eines guten Tonwerkzeuges ist.
Weiterhin gegen die grauen Wände des Karwendel treibt der Leutascher Bach, bevor er sich in die Isar ergießt, die „Neuner-Sägen“. Dort wird durch Wasserkraft das Holz so zugeschnitten, daß man es dem Arbeiter übergeben kann. Mehr als fünfzigtausend Violinböden und eine verhältnißmäßige Anzahl anderer Holzstücke harren stets des Eisens, das sie zubereitet. Ein phantastischer Dichter, wie es Amadeus Hoffmann war, möchte da Gelegenheit finden, sich mit den Geistern zu unterhalten, die in diesen Holzfasern schlafen, und mit dem „zweiten Gesicht“ des Poeten die Empfindungen und Handlungen zu überschauen, welche [11] dereinst im Morgen- und Abendland von den Fasern dieser Hölzer angeregt werden. Was diese selbst anbelangt, so hat ihre Bestimmung der verstorbene Botaniker Martius schön angegeben, als ihn Neuner einmal um ein Motto für seine Geigen anging. Er antwortete, von ihnen könne man sagen: „In silvis viva silui, jam mortua cano,“ d. h. „als ich im Walde lebte, schwieg ich, todt singe ich.“
Und der Fremdling, der im guten Postgasthause des Marktes ausgeschlafen hat und sich am Morgen die Augen reibt, um nach dem goldüberflossenen Wettersteine zu schauen, wird sich wundern, wenn ihm zunächst auf den gegenüberliegenden flachen, steinbedeckten Gebirgshausdächern die frisch lackirten Cellos, Contrabässe und Geigen auffallen, die dort in die frische Zugluft gestellt oder an Stricken aufgehängt worden sind, damit sie trocknen. Die Morgenluft, die aus Gleirsch herausweht, wo einst Stainer dem Gesange der stürzenden Stämme lauschte, bewegt sie hin und her, und der kostbare Lack, dessen Bereitung ebenfalls ein Geheimniß der Mittenwalder Verleger ist, legt sich schön und glänzend an. Da begegnet es dem Nüchternsten, daß er den Himmel voller Baßgeigen sieht.
Gehen wir sodann in die massig gebauten, weit von hölzernen Dachrinnen und Vordach überragten Häuser selbst hinein, so sehen wir in den niemals gelüfteten Zimmern die Mittenwalder Männer und Frauen bei ihrer Arbeit. Es ist hier, wie bei mancher andern Thätigkeit, daß der zu fertigende Gegenstand nicht von einer einzigen Person gemacht wird, sondern daß Jeder meist nur einen Theil desselben verfertigt, immer und immer den nämlichen. Wie zu La Chaux de Fonds in den Uhrenfabriken der eine Arbeiter sein ganzes Leben lang Deckel, der andere Schrauben, dieser Federn, jener Räder macht, so giebt es auch zu Mittenwald nur wenige, die eine Geige so herstellen, wie sie in den Handel gebracht wird. Im Gegentheile kann man annehmen, daß an einer fertigen Geige ein Form- oder Körpermacher, ein Hals- oder Schneckenmacher und ein Griffmacher gearbeitet haben, wozu noch diejenigen kommen, welche die Stege, die Schrauben, die Saitenhalter machen, dann diejenigen, welche die Saiten aufziehen oder mit Gold- und Silberdraht überspinnen, nicht zu vergessen die Frauen, welche den Lack auftragen. Eine von der Regierung eingerichtete Geigenmacherschule giebt allerdings den Jungen Gelegenheit, das Ganze ihres Gewerbszweiges eingehend zu erlernen. Auch befindet sich ein unter den deutschen Musikern viel genannter Mann zu Mittenwald, Johann Reiter, der nur Violinen der ausgezeichnetsten Art anfertigt oder ausbessert.
Ein Uebelstand, welcher auf der Betriebsamkeit des Marktfleckens lastet, ist die Abneigung der Leute, während des Sommers in ihren Stuben zu arbeiten – eine Abneigung übrigens, welche sie mit anderen Alpenbewohnern gemein haben, insbesondere den Tirolern, deren Mangel an Industrie zum Theil auf den Widerwillen gegen massenhafte Beschäftigung in geschlossenen Räumen sich gründet.
Wenn der Vogelbeerbaum blüht, die Atragene sich um die Fichten schlingt und die blaue Gentiane auf den Wiesen steht, dann sucht sich der Mittenwalder lieber eine andere Beschäftigung als die mit Violinböden und Guitarrenhälsen. Es fehlt nie an Arbeit, hauptsächlich an der Ausbesserung und Herstellung von Reitwegen auf die Hochalpen – denn der König von Baiern sowohl wie der ehemalige Herzog von Nassau besitzen Häuser hoch im Gebirge, der eine sein berühmtes Schachenhaus, von welchem man auf den Gletscher der Zugspitze hinübersieht, der andere sein Jagdschloß „auf dem Verein“ in den wildreichen Karen, durch die man zur „hinteren Riß“ hinübersteigt. Auch in den Forsten fehlt es nicht an Beschäftigung. Im Spätsommer kommt die Heumahd dazu. Da werden die gegen Partenkirchen auf den welligen Hügeln der Wasserscheide zwischen Loisach und Isar gelegenen Wiesen abgemäht – es wird wochenlang Nachts in Heustadeln campirt, Feuer angezündet, auf freiem Felde gegessen – das eigentliche Villeggiaturleben der Mittenwalder, die keine höhere Lustbarkeit kennen und alle Geigen der Welt für ihre „Wiesmahd“ zurücklassen.
Ich will diese kleine Betrachtung nicht beenden, ohne noch einmal auf die beiden Väter der Mittenwalder Geigen, Mathias Klotz und Jacob Stainer in Absam zurückzukommen. Von dem Ersteren haben sich nicht viele Ueberlieferungen im Markte erhalten – auf dem Altar in der Gottesackerkirche findet sich sein Name eingeschnitten. Ueber Stainer von Absam aber möge eine Schlußbemerkung hier noch Aufmerksamkeit finden.
Da war einmal ein „sectischer, lutherischer“ Bücherverkäufer auf der Messe zu Hall, und Stainer kaufte ihm, wohl aus Neugierde, eines seiner Bücher ab. Wegen dieses Verbrechens ließ ihn die Regierung, die sich damals schon längst mit dem Gedanken trug, „zur Wiederlegung der immer von Neuem sich einschleichenden Irrlehren in Innsbruck eine Universität zu errichten,“ in den Kerker werfen und entzog ihm jede Freiheit ein halbes Jahr lang. Von jener Zeit ab mußten die Jesuiten den Büchervorrath der Händler untersuchen – für den guten Stainer aber hatte der Vorfall die bittere Folge, daß er die Gunst der Regierungsräthe verscherzt hatte. Als er später in Schulden gerieth und von getauften und ungetauften Hebräern arg bedrängt wurde, wandte er sich, da er als „Hofgeigenmacher“ kaiserlicher Diener war, an den Kaiser, um ihn zu bitten, daß er durch Bezahlung des schuldigen Betrages von vierhundertfünfzig Gulden die äußerste Gefahr der Auspfändung von ihm abwende. Unter anderen Verhältnissen hätte der allergnädigste Herr dieses Gesuch wohl bewilligt; da aber die Regierungsräthe im Andenken an jene Buchgeschichte ihr Gutachten abschlägig einrichteten, so wies man ihn ab. Von da an wurde der Mann träge und trübsinnig, und bald befreite ihn der Wahnsinn von allen irdischen Sorgen. Noch zeigt man in seinem Hause zu Absam eine Bank, in die ein Loch gebohrt ist, durch welches der Strick lief, womit der Wahnsinnige angebunden wurde. Das ist Künstlers Erdenwallen; so endete der Lehrer des Klotz, der Vater der Mittenwalder Betriebsamkeit und der deutschen Geige.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: einen