Eine Dichterin zu Pferde
Eine Dichterin zu Pferde.
Wehmüthig mag uns das Schicksal lorbeergekrönter Poeten stimmen; auch über sie rauscht bald die Fluth der Vergessenheit – und selbst die Literaturgeschichten versäumen es, ihren Namen aufzuzeichnen.
Dies gilt von einer thüringischen, mit dem kaiserlichen Lorbeer gekrönten Dichterin, der Sidonie Hedwig Zäunemannin … wer kennt heutzutage ihren Namen? Und doch hätten die Vorkämpferinnen der Frauenrechte guten Grund, ihn dem Dunkel zu entreißen; denn die Zäunemannin war eine der ersten, welche für die freiere Stellung der Frauen in Vers und Prosa in die Schranken trat und mit gutem Beispiel ihre Lehren bestärkte. Das Verdienst dieser litterargeschichtlichen Ausgrabung gebührt E. Einert, der in seiner Schrift „Aus den Papieren eines Rathhauses“ (Arnstadt, Emil Frotscher) auch ihr ein Kapitel gewidmet hat. Dies Rathhaus ist dasjenige des thüringischen Städtchens Arnstadt – einer Dichterstadt, wo die Marlitt geboren wurde und starb, wo Wilibald Alexis seine letzten traurigen Lebensjahre zubrachte; doch die Zäunemann war keine Arnstädterin wie die Marlitt; nur vorübergehend ist sie bei ihren Fahrten und Ritten in der Stadt eingekehrt und nicht allzuweit von derselben hat ihr letztes Verhängniß sie erreicht.
Sidonie Zäunemann wurde in Erfurt 1714 geboren; schon früh legte sie in den befreundeten Häusern an den Wiegen neugeborener Kinder, an den Traualtären glücklicher Bräute ihre dichterischen Spenden nieder. Auch was sich sonst innerhalb des Mauernkranzes der alten Stadt begab, begeisterte ihre Muse. Und da trug sich ja auch manches Denkwürdige und Grauenhafte zu, wie der Tod der Frau Gottschöfsky, welche von ihrem eigenen Bruder, einem polnischen Fahnenjunker, mit siebzehn Wunden jämmerlich ermordet wurde, oder die große Feuersbrunst, die im Oktober 1736 Erfurt in Asche zu legen drohte. Doch über Erfurt hinaus wandte sie den Blick bald den thüringischen Landen zu, und auch ihr Ruf ging weit hinaus über die Stadtmauern. Die thüringischen Fürstenhöfe zeichneten sie durch besondere Gunst aus. Herzog Ernst August von Weimar und dessen Gattin, deren Kirchgang sie besungen, luden sie zum Weihnachtsfest nach Weimar ein, schenkten ihr werthvolle Bücher und zeigten ihr alle Herrlichkeiten ihres Lustschlosses Belvedere; der Herzog von Meiningen ließ sich bei einem Aufenthalt in Erfurt nur durch die Besorgniß, sein Inkognito zu verrathen, von einem Besuch im Hause der Dichterin abhalten. Ihm rühmt sie nach, daß die Poesie an seinem Hofe nicht „wie eine abgedankte Zofe“ behandelt werde. Auch allgemein deutschen Angelegenheiten wendet sie ihre Theilnahme zu: dem Prinzen Eugen von Savoyen widmete sie ein Geburtstagsgedicht, worauf der galante Prinz mit einem eigenhändigen Dankschreiben erwiderte. Alle Zeitungen wollten es abdrucken, allein die Dichterin verwahrte das Heiligthum, aus Furcht, durch solche Veröffentlichung den Prinzen zu erzürnen. Auch für die Wissenschaften hegte sie die lebhafteste Theilnahme, und als König Georg von England, Kurfürst von Hannover, „um neue Lichter anzuzünden“, die Universität Göttingen gründete, da gebrauchte die junge Hochschule alsbald die ihr vom Kaiser verliehenen Rechte und ernannte die junge Dichterin zur gekrönten Poetin. Frauen und Töchter der Professoren wanden den Lorbeerkranz, durchflochten denselben mit Silberband, und Graf Heinrich von Reuß überbrachte der beglückten Dichterin die Zierde. Später traf auch noch ein reich ausgestattetes Diplom ein, welches bestätigte, „daß der akademische Senat zu Göttingen aus eigner Bewegniß und einhellig beschlossen habe, der edlen und tugendhaften Jungfrau Sidonie Zäunemannin, der hochberühmten Poetin, die wohlverdiente Würde einer Kaiserlich gekrönten Poetin zu verleihen“. Zum Gedächtniß des großen litterarischen Ereignisses wurden Münzen geschlagen, die das Bild der Zäunemannin trugen oder auch wohl einen Schwan zeigten, der an der Dichterquelle Hippokrene sitzt.
Wo sind diese Münzen und wo ist der Ruhm der Dichterin geblieben? Sie selbst erklärte mit Bescheidenheit, sie werde nimmer eine deutsche Sappho, eine zehnte Muse sein, zu der man sie machen wolle. Und in der That dichtete sie im damaligen Zeitgeschmack, etwas schleppend und breitspurig, trotz einzelner Schönheiten, und nur in ihren Madrigalen zeigte sie einen behenden Geist. Wie man aber auch über ihre Gedichte denken mag – unvergessen muß es ihr bleiben, daß sie das Recht der Frauen auf den Lorbeer eifrig verfochten hat; sie spricht mit Bitterkeit von den eklen Deutschen, welche die öffentlichen Lehrsäle vom weiblichen Geschlecht ebensowenig entheiligen lassen wollen wie die abergläubischen Muselmänner ihre Moscheen; ein Weib, das nach Ruhm in der Kunst Apollos strebt, rufe den Hohn der ganzen Männerwelt wach:
„Ein Weib, das dicht’t und schreibt, heißt sie (bedenkt es nur)
Ein schönes Ungeheuer und Blendwerk der Natur.“
Die Männer verlangten ja von den Frauen keine andere Bildung, als daß diese Auskunft geben könnten:
„Wie oft die Küche raucht, wieviel man Holz verbrennt,
Was Flachs und Wolle nutzt und wie man näht und trennt.“
Ja nicht bloß in ihren Versen, auch in ihrer Lebensweise durchbrach die Zäunemannin die Schranken, welche weiblicher Sitte gesteckt waren, und ließ sich davon nicht durch Spott und Vorurtheile zurückhalten. Wenn es sie hinaufzog zu den Thüringer Waldgebirgen, so warf sie sich auf ein schnelles Roß und ritt nach Ilmenau zu ihrer geliebten Schwester. Um indeß zudringlicher Neugierde zu entgehen, entschloß sie sich zu einem weiteren kühnen Schritte und zog Männerkleider an. In ihren „andächtigen Feld- und Pfingstgedanken“ schildert sie einen solchen Ritt in stimmungsvoller und anschaulicher Weise. Sie erschrickt fast, als die Donner über ihrem Haupte rollen:
„Du trägst ein Männerkleid!
Hat nicht der Herr gesagt, es soll ein Greuel heißen,
Der sich in and’rer Tracht dem Auge sucht zu weisen?
Doch beruhigt sie sich, da das Gesetz des Alten Bundes für Christen nicht mehr gelte. Wegen ihrer Männerkleidung wird sie der Herr nicht vor Gericht ziehen. „In solcher Tracht kann ich durch Blitz und Donner fröhlich reiten.“ Und in der That, muthig reitet sie durch Nacht und Sturm auf ihren Bergfahrten und fühlt kein Grauen vor der verrufenen Heide, wo es zur Nachtzeit umgeht.
„Der finstre Tannenwald hat mich gar nicht erschreckt,
Vielmehr sein sanft Geräusch die größte Lust erweckt;
Versucht’s, es reist sich nachts in Wäldern schön.
Ich hab’s erst nicht geglaubt; nun hab’ ich es gesehn.“
Und nicht genug damit – auch in die Tiefen der Berge steigt sie 1737 zweimal hinab, was wohl vor ihr keine ihres Geschlechts gethan hatte; sie wirft sich in Bergmannskleider, drückt den Schachthut aufs Haupt und nimmt das Grubenlicht in die Hand.
„Wer straft uns, wenn auch echter Geist
Ein Herz voll Muth und Feuer weist?“
Aber ihr Wagemuth sollte ihr doch noch zum Verhängniß werden; sie ließ nicht ab von ihren Ritten ins Gebirge, auch wenn Bäche und Flüsse geschwollen waren. So unternahm sie im Dezember 1740 eine Winterreise nach Ilmenau zu Pferd. Ein wenig aufwärts von dem Dörfchen Angelroda versuchte sie bei regnerischem und stürmischem Wetter den Uebergang über die Gera. Das armselige, vom hochgehenden Wasser umrauschte Holzbrückchen brach unter der Last von Roß und Reiterin zusammen und sank mit ihnen in die Fluth. Man fand die Leiche der Dichterin am 11. Dezember an den Ufern der Gera – in Plaue wurde sie unter feierlichem Geleit begraben. Sie hatte nicht ganz das Alter von siebenundzwanzig Jahren erreicht.
So hebt sich das Bild der jungen feurigen Dichterin, welche den Elementen trotzte wie den Vorurtheilen der Menge, vom Hintergrund einer schläfrigen Zeit und einer versumpften Litteraturepoche vortheilhaft ab, und dem begabten und kühnen Mädchen kann auch die Gegenwart ein bescheidenes Gedenkblatt widmen. Rudolf v. Gottschall.