Eine Ballonfahrt über die Alpen

Textdaten
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Autor: H.
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Titel: Eine Ballonfahrt über die Alpen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 676
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Alpenflug des Luftfahrtpioniers Eduard Spelterini
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[676] Eine Ballonfahrt über die Alpen. (Mit Abbildungen.) Seit am 5. Juni 1783 die Brüder Montgolfier zu Annonay im französischen Departement Ardèche den ersten Ballon steigen ließen, hat bis heute eine Menge kühner Luftschiffer Fahrten unternommen, die entweder durch die Weite oder durch die Höhe des Fluges oder die besonderen Umstände, unter denen sie stattfanden, die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise erregten. Allein nie hat es in der mehr denn hundertjährigen Geschichte des Ballonwesens ein Luftschiffer gewagt, die Alpen, die großartige Markscheide zwischen Nord und Süd, das weiße geheimnisvolle Gletscherland mit seinen Burgen ewigen Winters zu übersegeln. In diesen Tagen, Ende September 1898, wird ein schweizerischer Luftschiffer, Kapitän E. Spelterini, an das Wagnis herantreten. Eine innige Vertrautheit mit den Gefahren seines Berufes, ein halbes Tausend glücklicher Fahrten, die der Kapitän bereits ausgeführt hat, verheißen dem kühnen Unternehmen Gelingen. Kapitän E. Spelterini, ein geborener Toggenburger, ist heute ein Mann von 45 Jahren und auf dem Gebiet des Ballonwesens, das er seit bald 20 Jahren pflegt, eine anerkannte Autorität. Nachdem er besonders in den Mittelmeerländern, aber auch in allen Erdteilen seinen Ballon hat steigen lassen, hält er sich seit Anfang dieses Jahrzehnts in seinem Heimatlande auf und hat seither in der Schweiz, die er nur zu einigen Abstechern nach Deutschland verließ, eine Menge glücklicher Fahrten ausgeführt. Die Umsicht, die er dabei an den Tag legt, sein wissenschaftlicher Ernst und seine große persönliche Liebenswürdigkeit haben ihm im Laufe der Jahre allgemeines Vertrauen erworben, so daß man seinem neuen großen Plan in der Schweiz volle Zuversicht entgegenbringt.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0676 1.jpg

Professor Albert Heim.
Nach einer Photographie von Joh. Meiner in Zürich.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0676 2.jpg

Kapitän E. Spelterini.
Nach einer Photographie von H. Rebmann
in Chaux-de-Fonds.

Die Fahrt über die Alpen, die den Charakter eines wissenschaftlichen Unternehmens tragen soll, ist von langer Hand vorbereitet. Eine aus schweizerischen Gelehrten der Naturwissenschaft gebildete Kommission, an deren Spitze Professor Albert Heim vom eidgenössischen Polytechnikum in Zürich steht, ein auf dem Gebiet der Geologie in der ganzen wissenschaftlichen Welt hochgeschätzter Forscher, hat die Vorkehrungen beraten, die dem Unternehmen einen möglichst günstigen Verlauf und möglichst große wissenschaftliche Ausbeute sichern, und es stellt sich insbesondere die schweizerische meteorologische Centralanstalt in Zürich mit allen ihren Mitteln in den Dienst der Fahrt, deren Ergebnisse in erster Linie der Lösung meteorologischer Fragen dienen sollen.

Für die Expedition wird ein neuer in Paris hergestellter Ballon, die „Wega“, benutzt, deren Vorzüge hauptsächlich in der Güte der verwendeten Stoffe und in der peinlichen Sorgfalt ihrer Arbeit liegen. Der Ballon ist aus 6336 Stücken Seidenstoff gearbeitet, die, in 132 Zonen angeordnet, durch 4440 m Nähte miteinander verbunden sind. Der Durchmesser des kugelförmigen Ballons beträgt 18½ m, der Umfang 58 m, die Oberfläche 1065 qm, der Inhalt 3268 cbm. Das Netz, das über den Ballon gezogen wird, läuft in einen kunstvoll gearbeiteten Holzring zusammen, an dem es eine Tragkraft von 80 000 kg besitzt. Im oberen Pol des Ballons ist ein Holzring mit zwei Ventilklappen befestigt, sie werden mit Zugseilen, die durch den Ballon zum Korb niedergehen, regiert. Die Gondel besteht aus einem rechteckigen Korb mit 76 000 kg Tragkraft. Ballon, Ring, Netzwerk, Gondel sind Musterwerke sorgfältiger Ausführung und enthalten im einzelnen eine Menge praktischer Neuerungen und Verbesserungen, die nach Angaben Kapitän Spelterinis ausgeführt worden sind. Das Gesamtgewicht des Fahrzeugs beträgt fast genau 1000 kg. Das Gewicht der drei Insassen und der Instrumente für die Fahrt sind auf 400 kg angenommen, der Ballast von Sand auf 2000 kg und bei einer Meereshöhe des Abfahrtortes von 520 m die Gesamtsteigkraft auf 3700 kg gerechnet. Der Ballon wird durch einen Gaserzeuger mit Wasserstoff gefüllt, zu dessen Herstellung 20 000 kg Eisenspäne und 25 000 kg Schwefelsäure notwendig sind.

Die wissenschaftliche Ausrüstung der „Wega“ soll nach den Vorschlägen der vorberatenden Kommission zu den reichsten gehören, die je ein Ballon besessen hat. Sie führt ein eigenes vollständiges meteorologisches Observatorium mit sich, dessen Apparate zum Teil am Aequator des Ballons, zum Teil am Korb angebracht sind und sowohl aus selbstregistrierenden Instrumenten wie aus solchen bestehen, die während der Fahrt abgelesen werden. Unter ihnen befindet sich ein selbstthätiger Ballonbarograph, der Höhe und Luftdruck bis auf 6200 m auf einer rotierenden Trommel aufzeichnet, so daß die Forscher genau den Verlauf der Fahrt übersehen und jederzeit sogleich erkennen können, ob der Ballon in steigender oder sinkender Bewegung ist. Eine wichtige Aufgabe der Fahrt über die Schweizer Alpen sind photographische Aufnahmen des Hochgebirgs aus dem Ballon, die der Kartographie und Geologie dienen, sowie solche, die dem Studium der Dunst- und Wolkenbildung zu Hilfe kommen.

Als wissenschaftliche Beobachter begleiten Professor Albert Heim vom eidgenössischen Polytechnikum und Dr. Maurer, Vicedirektor der meteorologischen Anstalt in Zürich, den Leiter des Luftschiffes, der selbst ein geübter Photograph und tüchtiger Beobachter ist.

Als Abgangsort für die Fahrt wurde von der wissenschaftlichen Kommission das Städtchen Sitten im Kanton Wallis gewählt, weil ein dort aufsteigender Ballon, wie immer der Wind in den oberen Regionen wehe, einen beträchtlichen Teil der Hochalpen überfliegen muß, ehe er ebenes Gebiet erreicht. Der Aufstieg soll, wenn immer möglich, an einem Tag stattfinden, an dem das Gebirge klar und in der Tiefe Windstille ist und über 4000 m Höhe der im September vorherrschende Südwestpassat weht.

Unter dieser Voraussetzung geht der Flug der „Wega“, die eine mittlere Höhe von 4000 bis 5000 m innehalten und also nicht sehr hoch über den erhabensten Gipfeln dahinstreichen soll, über den größten Teil der schweizerischen Hochalpen, über Finsteraarhorngruppe, Urner- und Glarnerhochgebirge, zusammen etwa 200 km, dahin und kann im Rheinthal zwischen Chur und Bodensee seinen Abschluß finden.

Der malerisch-poetische Reiz der Fahrt wird so großartig sein, daß er sich kaum ausschildern läßt, denn als ein vielbewegtes Relief wird das Alpengebirge zwischen den verblauenden Ebenen mit einem reichen Wechsel von Farben unter den Fahrgästen liegen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß, wenn unsere Leser diese Mitteilungen lesen, der Forscherflug bei günstigem Wind und Wetter schon stattgefunden haben wird. Ueber die wissenschaftliche Ausbeute werden wir dann berichten. H.