Ein achtzigjähriger deutscher Gelehrter

Textdaten
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Titel: Ein achtzigjähriger deutscher Gelehrter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 515
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[501]

Friedr. Th. Vischer.
Nach der Büste von Prof. A. Donndorf in Stuttgart.

[515] Ein achtzigjähriger deutscher Gelehrter. (Mit Portrait S. 501.) In Stuttgart feierte man am 30. Juni den achtzigsten Geburtstag eines deutschen Philosophen, der sich um die Lehre vom Schönen große Verdienste erworben. Friedrich Theodor Vischer, geboren am 30. Juni 1807, hat mit mehrfachen Unterbrechungen wegen seines politischen Wirkens, einmal auch in Folge zweijähriger Suspension vom Amte, ein akademisches Lehramt in Tübingen und Zürich bekleidet; seit 1866 war er gleichzeitig in Tübingen als Professor der Universität und in Stuttgart als Lehrer am polytechnischen Institut beschäftigt. Seit 1869 beschränkte er sein Wirken auf die letztere Anstalt.

Es giebt viele bochangesehene Gelehrte, um deren Leben und Wirken, um deren Jubelfeste sich zu kümmern ein Volksblatt keinen Anlaß hat. Und in der That, auch Vischer’s Hauptwerk, seine „Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen“ (3 Bände, 1847 bis 1858) geht in einem gelehrten Gewande einher, welches dasselbe für das große Publikum unzugänglich macht. Von einem eisernen Paragraphennetz umgittert, trägt es den schweren Harnisch einer philosophischen Weisheit, die sich keine Mühe giebt, sich dem Verständniß des großen Publikums einzuschmeicheln, aber Andere haben sich diese Mühe gegeben und es muß auch den Lesern unseres Blattes gesagt werden, daß sehr viel von dem, was sie in der Tagespresse lesen, und zwar in dem bessern Theil derselben, bei Besprechung von neuen Dichtungen, Theateraufführungen, von Werken der malerischen und plastischen Kunst, aus dem Quell jenes Vischer’schen Hauptwerkes geschöpft ist. Und wenn man einzelne Abtheilungen desselben, wie die Lehre vom Naturschönen und der Phantasie und vieles, was er über die einzelnen Künste sagt, aus dem Ganzen loslösen könnte, so würde auch einem großen Kreise von Laien ein Urtheil über das Anregende, Geistreiche, Tiefsinnige des hervorragenden Werkes ermöglicht werden.

Doch F. Th. Vischer hat in seinen „Kritischen Gängen“ sich auch einem größeren Publikum als ein Denker von frischer, freier, kampflustiger Haltung gezeigt, er hat in seinem „Faust, der Tragödie dritter Theil“ sowie in seinen wissenschaftlichen Fauststudien sowohl eine satirische Ader wie ein von blinder Vergötterung unabbängiges Urtheil bewährt. Ein kernhafter Humor beseelt seinen Roman „Auch Einer“; er hat die Mode gegeißelt in seiner Schrift „Mode und Cynismus“, kurz, er hat auch in vielen Schriften seinen Gelehrtentalar abgelegt und mit einer in hohen Lebensjahren seltenen unverwüstlichen Frische sich direkt an weitere Kreise gewendet.

Nicht allzugroß ist die Zahl der Achtzigjährigen unter den deutschen Dichtern und Gelehrten gewesen, wenn auch ein Goethe und Grillparzer, ein Raumer und Ranke sich unter ihnen befinden. Die Feier eines so verdienstlichen Wirkens ist vollkommen berechtigt. Auch Vischer hat an seinem Ehrentage viele Huldigungen empfangen. Das Festbankett am Vorabend fand im Koncertsaal der Liederhalle statt. Nach der ersten Ansprache an den Gefeierten hob der Stadtdirektor Oberregierungsrath von Hofer hervor, wie es schon lange der Gedanke und Wunsch Vieler gewesen sei, Friedrich Vischer zu seinem 80. Geburtstag ein Zeichen der Verehrung, die man für ihn hege, darzubringen. So habe sich eine Zahl von Männern der Wissenschaft und Kunst aus Württemberg und dem übrigen Deutschland, aus Oesterreich und der Schweiz vereinigt, um ihm, dem maßgebenden Führer auf dem Gebiete des Schönen zu huldigen, indem sie ihm als eine Stiftung für Haus und Familie seine von Künstlerhand gefertigte Büste überreichten. Bei diesen Worten wurde der Schleier von einem Marmorbilde Friedrich Vischer’s hinweggezogen, welches Professor Donndorf’s Meißel geschaffen hatte, einem vorzüglich getroffenen Bilde. In der Stiftungsurkunde heißt es unter Anderem: „Wie der schwäbische Stamm Sie mit Stolz den Seinigen nennt, so nimmt andererseits das ganze deutsche Volk Sie als einen seiner ausgewähltesten Geister, als einen seiner besten Patrioten für sich in Anspruch. Wir alle verehren in Ihnen den Mann, der nicht bloß die deutsche Wissenschaft auf dem von ihm erwählten Forschungsgebiete mit unvergänglichen Schätzen bereichert, sondern auch nach allen Seiten hin das Reich des Geistes ausgebreitet und die Sache der Wahrheit und Freiheit in Wort und Schrift verfochten hat.“ In seiner bescheidenen Dankrede schilderte Vischer seinen Lebenslauf, zum Theil in humoristischer Weise. Er erwähnte, daß er sich auch in der schaffenden Dichtung versucht babe. Denken und Dichten sei eine schwere Sache, Eines aber theile die Dichtung mit der Wissenschaft, soweit die Wege sonst aus einander gehen: das sei die Geistnatur, die geflügelte Geistnatur des Wortes. Und durch diese sei es ihm zu Theil geworden, daß Deutschland heute ihm seine Grüße sende. „Das Einzelne verschwimmt im Ganzen, das Ich verschwindet im Strom, der Rest ist Schweigen. Alles aber faßt sich in einem Worte zusammen: es heißt: Dank!“

Ein Echo dieser bedeutsamen Worte wird aus dem Reiche der Wissenschaft auch in weitere Kreise hinaustönen, wo man ein tüchtiges Wirken und eine tapfere Gesinnung zu schätzen weiß. †