Ein Senior der Wissenschaft - Moritz Wilhelm Drobisch

Textdaten
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Titel: Ein Senior der Wissenschaft – Moritz Wilhelm Drobisch
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 756a
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[756 a] Ein Senior der Wissenschaft – Moritz Wilhelm Drobisch. Eines der ehrwürdigsten Häupter der deutschen Gelehrtenwelt ist vor kurzem dahingegangen; am 30. September starb der Leipziger Professor Drobisch in seinem fünfundneunzigsten Lebensjahre, einem Alter, das zu erreichen in Deutschland kaum einem hervorragenden Gelehrten vergönnt war. Trotz dieses hohen Lebensalters hatte der Senior der philosophischen Fakultät und der Universität Leipzig sich eine seltene geistige Frische und Regsamkeit bewahrt; er war auch nicht in sein Zimmer, nicht an den Lehnstuhl gebannt, man konnte den ehrwürdigen Greis mit den scharfgeschnittenen Zügen, den stahlblauen Augen, den langen Silberhaaren oft über die Leipziger Promenade wandern sehen, und er machte durchaus nicht den Eindruck eines gebrochenen Alten. Drobisch war am 16. August 1802 in Leipzig geboren, hatte hier die Nikolaischule besucht und dann die Fürstenschule in Grimma. An der Leipziger Universität widmete er sich dem Studium der Mathematik und habilitierte sich 1824 daselbst mit einer mathematischen Arbeit, worauf er seine erste Schrift über die Trigonometrie herausgab. Im Jahre 1832 veröffentlichte er eine noch heute beachtenswerte kleine Schrift „Philologie und Mathematik als Gegenstände des Gymnasialunterrichtes“. Bis zum Jahre 1842 trug er Mathematik an der Universität vor; hin und wieder las er auch damals schon philosophische Kollegien. Dann aber wurde er ordentlicher Professor der Philosophie, und seine Vorlesungen über Logik und Psychologie versammelten stets einen ansehnlichen Hörerkreis. Drobisch vertrat in seinen Lehren die Herbartsche Schule, zu deren hauptsächlichsten Mitbegründern er zählte. Die Zahl der Jünger Herbarts hat sich inzwischen bedeutend gelichtet, doch gilt dies ebenso von den Jüngern Hegels, dessen Philosophie Jahrzehnte hindurch als eine große geistige Macht den Gedankenkreis der Zeitgenossen und selbst das preußische Staatswesen beherrschte. Die Systeme verwelken und blättern ab, und doch setzt die Philosophie immer neue Knospen an. Die naturwissenschaftliche Methode, welche Drobisch vertrat und namentlich in der Seelenkunde verwertete, ist nicht erstorben; in den Untersuchungen von Fechner und Wundt lebt sie fort. Und so konnte der Nestor der deutschen Gelehrten, der zugleich Ehrenbürger der Pleißestadt war, auf sein Wirken, das an der Universität, der er so lange angehört hatte, neue Wurzeln schlug und welches kein verlorenes war, mit stiller Genugthuung zurückblicken.

Professor Drobisch in seinem Studierzimmer.
Nach einer Aufnahme von Karl Bellach in Leipzig.