Ein Schauspiel ernstester Art

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Titel: Ein Schauspiel ernstester Art
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 353–354
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[353] Ein Schauspiel ernstester Art nahm vor Kurzem die Theilnahme der Bevölkerung Wolfenbüttels und der Umgegend in Anspruch. Ein allgemein gekannter Bürger, der Friseur Ernst Eduard Dombrowski stand vom 28. Juli bis 2. August vor dem öffentlichen Schwurgericht, angeklagt seine zweite am 16. April d. J. verstorbene Gattin durch Gift getödtet zu haben.

Dombrowski ist aus Dresden gebürtig, wo sein Vater Hoflakei ist, und seit 1839 in Wolfenbüttel wohnhaft. Während seiner Wanderjahre beging er, in Berlin, einen Hausdiebstahl und wurde in Folge dessen aus dem preußischen Staate verwiesen. Seine erste Frau, mit der er ziemlich glücklich lebte, weil sie ein überaus sanftes, nachgiebiges Wesen war, starb im August 1850 an der Cholera und hinterließ zwei noch kleine Kinder. D. zeigte am Sterbebette dieser, wie er selbst sagt, geliebten Frau, eine empörende Herzlosigkeit und Rohheit. Schon im December desselben Jahres verheirathete er sich zum zweiten Male, nämlich mit der Tochter des Registrator Angelstein, ohne für diese eine Neigung zu fühlen und nach seinem eignen Geständniß, nur auf Anrathen seiner Freunde und um eine Pflegerin für seine Kinder zu haben. Diese Ehe war, wie sich voraussehen ließ, nicht glücklich. D. ist ein, bis zur Lächerlichkeit eitler, heftiger, genußsüchtiger und leichtsinniger Mensch. Seine Gattin war eine sparsame, ordentliche Hausfrau, eine liebevolle, sorgsame und aufopferungsfähige Mutter für ihre Stiefkinder, aber etwas aufbrausend, äußerlich unschön, unliebenswürdig und nicht mehr jugendlich. Er schämte sich ihrer, ging nur ungern und selten mit ihr aus, vernachlässigte sie auf jede Weise und verspottete sie oft Andern gegenüber. Sie fühlte sich unglücklich und unbefriedigt, klagte oft über die harte Behandlung seitens ihres Mannes, und war besonders in Verzweiflung, als er ihr einmal gesagt: er würde sie nicht geheirathet haben, hätte er gewußt, daß ihr Erbtheil durch die zweite Ehe ihres Vaters geschmälert würde; aber sie war leicht versöhnlich, lebenslustig und heiteren Sinnes. Ganz glücklich erzählte sie einem Nachbar am Tage vor ihrem Erkranken, am 10. April, daß D. sich plötzlich verändert und sehr freundlich geworden sei, daß er ihr ein Theaterbillet geschenkt und versprochen habe, sie andern Tages zum Ball zu führen. Am Morgen dieses andern Tages, den 11. April, reichte D. seiner Frau eine mit Leberwurst bestrichene Semmel und einige Stunden nach dem Genusse derselben bekam sie Uebelkeit, heftiges Erbrechen und brennende Schmerzen im Magen. Der herbeigerufene Arzt hielt die Krankheit für Brechruhr. D. ging am Abend allein zum Ball, trotzdem er das cito, cito des Arztes auf dem Rezepte bemerkt hatte, tanzte, lachte und scherzte viel, erzählte, daß seine Frau die Cholera habe, und daß sie gewiß sterben werde, deshalb müsse er noch tanzen, ehe er Trauer bekomme.

Das Befinden der Kranken verschlimmerte sich in den nächsten Tagen nicht, besserte sich vielmehr und der Arzt glaubte sie außer aller Gefahr. D. hingegen versicherte seinen Bekannten: sie sterbe gewiß, er wisse das besser als alle Aerzte, und äußerte, daß er sich nun bald um eine dritte Frau kümmern müsse, das solle aber ein blühendes, hübsches Mädchen sein – seinen Kindern versprach er eine andere Mutter, wenn diese todt sei u. s. w. Am zweiten Tage der Krankheit beredete er die Leidende zur Ausstellung einer Schenkungsurkunde ihres ihm zugebrachten Vermögens, trotzdem sie sich dagegen sträubte, weil sie sich nicht so krank fühlte, um diese Maßregel nöthig zu finden. Freitag am 18. bereitete er eigenhändig Sagoschleim mit Rothwein für sie, brachte diesen nach ihrem Zimmer, ließ die Wärterin kosten, kostete selbst, entfernte sich damit in ein Nebenzimmer, brachte das Getränk dann in einem Glase wieder und empfahl es seiner Frau. Nach dem Genusse eines Theils des Sagoschleims empfand die Kranke heftiges Brennen im Magen und mochte nicht mehr davon trinken. Als am Sonnabend Morgen D. in’s Zimmer kam und den Rest bemerkte, stellte er, um ihn zu wärmen, das Glas auf den Ofen, es sprang und die Flüssigkeit ergoß sich vom Ofen auf den Fußboden. D. selbst trocknete Alles sorgfältig auf. Der Zustand verschlimmerte sich nun von Stunde zu Stunde und am Abende starb sie unter heftigen Krämpfen und Schmerzen. D. saß während ihres Todeskampfes im Nebenzimmer auf dem Sopha und rauchte eine Cigarre. Bei einigen Nachbarn war schon Verdacht gegen D. erwacht und einer derselben fragte ihn sogar, ob er sich nichts vorzuwerfen habe. Am Tage vor der Bestattung aber trug der Vater der Verstorbenen bei der Staatsanwaltschaft auf eine gerichtliche Sektion der Leiche an. Als man D. davon benachrichtigte, wurde er selbst unwohl und erkundigte sich ängstlich, ob man, wenn seine Frau wirklich an Gift gestorben sei, dieses noch im Körper finden könne und als er eine bejahende Antwort erhielt, äußerte er: „nun wenn man auch einen ganzen Klumpen fände und ich gestehe nichts, so kann man mir doch nichts thun.“ Bei der chemischen Untersuchung des Magens und der Eingeweide der Verstorbenen fand man ein [354] Quantum Arsenik von ungefähr 24 Gran, theils als arsenige Säure, theils als Fliegenstein vor, welches nach ärztlichem Gutachten den Tod herbeigeführt hatte. D. wurde verhaftet und man durchsuchte sein Haus, ohne jedoch etwas Verdächtiges zu entdecken. Bei einer zweiten sorgfältigeren Haussuchung fand man aber in einem dunkeln Winkel der Küche eine Büchse mit Rattengift (gefärbte arsenige Säure) und in den Schlafrocktaschen des Angeklagten eine kleine Quantität Fliegenstein, der sich ganz von der Beschaffenheit des im Magen der Todten gefundenen zeigte – er war nämlich feiner zerrieben, als man ihn in der Apotheke zu kaufen pflegt.

Bei den Schwurgerichtssitzungen vermochte der große Saal das Publikum kaum zu fassen. Der Angeklagte, den die öffentliche Meinung längst gerichtet hatte und den die Wachen auf dem Wege zum und vom Gerichtssaal kaum vor thätlichen Mißhandlungen schützen konnten, erschien sorgfältig gekleidet und frisirt und sein ganzes Benehmen zeigte von einer eiteln Selbstgefälligkeit, die den unangenehmsten Eindruck machte. – Er läugnete, je Gift gekauft oder besessen zu haben, aber es wurde durch drei eigenhändig ausgestellte Giftscheine nachgewiesen, daß er sowohl arsenige Säure als Fliegenstein in den Jahren 1844, 48 und 49, angeblich zur Vertilgung des Ungeziefers, aus der Apotheke entnommen hatte. Das Abläugnen dieser Thatsache, sowie anderer durch eine Menge von Zeugen constatirter Fakta’s mußte den Verdacht fast zur Gewißheit machen, aber den schlagendsten Beweis seiner Schuld lieferte er selbst, als er sich zu rechtfertigen suchte. Irgend eine irrige Schlußfolgerung oder die Ueberzeugung, den auf den Ofen geflossenen Sagoschleim vollständig entfernt zu haben, veranlaßten den Angeklagten, während der Verhandlung darauf anzutragen, der Ofen möge untersucht werden. Man fand die Spuren der Flüssigkeit noch und in diesen, bei chemischer Expertise, eine bedeutende Menge Arsenik.

Bis zum letzten Augenblicke der Verhandlung, den gravirendsten Zeugenaussagen gegenüber, selbst bei der schrecklichen Anklage des Staatsanwalts, welche dieser in einer 21/2 Stunden langen Rede begründete, zeigte der Angeklagte die vollständigste Fassung und Ruhe; nur bei der mehrmaligen Erwähnung seiner Kinder brach er in Thränen aus; und als der erste Vertheidiger sich darauf beschränkte, Möglichkeiten für die Unschuld des Angeklagten aufzusuchen, als er sagte, er wolle das Verbrechen nicht bemänteln und wage nicht, das Nichtschuldig von den Geschwornen zu fordern, da drückten seine Züge Angst und Spannung aus. Nachdem auch der zweite Vertheidiger sich damit begnügte, einen zu harten Ausdruck in der Replik des Staatsanwalts zurückzuweisen, trat der Angeklagte selbst auf, um zu seiner Vertheidigung zu sprechen. Er schilderte die Vorzüge seiner zweiten Frau, sein Glück auch während dieser Ehe, seine günstigen äußeren Verhältnisse und fragte, was ihn denn bewogen haben könne, dies Glück selbst zu vernichten. Er erhob endlich die Hand zum Schwur, daß er unschuldig sei und sprach eine indirekte Anklage gegen seinen Schwiegervater aus. Dann wieder auf seine Kinder zurückkommend, konnte er anscheinend vor innerer Bewegung nicht weiter sprechen. Als er einige Augenblicke darauf nach seinem Zimmer abgeführt wurde, fragte er mit der alten Selbstgefälligkeit und Eitelkeit die Aufwärterin, ob sie seine Rede gehört habe, und als sie es verneinte, fügte er hinzu: Da haben Sie viel verloren!

Vier Stunden beriethen die Geschwornen und sprachen dann das Schuldig. Der Staatsanwalt beantragte die Todesstrafe. – Der erste Vertheidiger bat die Richter, zu bedenken, daß in wenigen Jahrzehnten Philosophen und Staatsmänner darüber einig sein würden, daß der Arm des Richters sich nicht mit dem Schwerte des Nachrichters bewaffnen dürfe. Das Urtheil lautete: Tod durch Enthauptung. – Die erschütternden Worte, welche der Präsident an den Verurtheilten richtete, machten auf diesen ebensowenig einen sichtbaren Eindruck, als das Urtheil – mit ebenso aufrechter Haltung und festem Schritte, als an den Tagen vorher, verließ er den Gerichtssaal. Er wird bis zum letzten Augenblicke seine Unschuld betheuern. –

Dem Gedanken, daß die Verstorbene einen Selbstmord begangen, kann man nicht Raum geben. Sie war religiös und lebenslustig, äußerte während ihrer Krankheit oft die Hoffnung auf Besserung und machte Pläne für die Zukunft. Auch ist durch die chemische und ärztliche Untersuchung bewiesen, daß das Gift ihr in zwei bis drei Gaben beigebracht ist, wer sich aber selbst vergiftet, nimmt es gewiß auf einmal. Die langsame Vergiftung weist zugleich die Vermuthung eines unglücklichen Zufalls und den Verdacht auf andere Personen zurück, denn Niemand als der Angeklagte hatte dazu Gelegenheit, Niemand hatte aber auch das geringste Interesse an ihrem Tode als er. – Welche waren aber seine Interessen, welche Beweggründe trieben ihn zu der entsetzlichen That? War er der ungeliebten, unschönen Frau überdrüßig und schämte er sich ihrer in seiner Eitelkeit, so konnte er sich scheiden lassen; aber er hätte dann ihre Mitgift, 200 Thaler und einige Mobilien zurückgeben müssen und das war er vielleicht nicht im Stande. „Ich brauche einen Haufen Geld und werde die Sachen meiner Frau verauktioniren lassen,“ hatte er am Tage nach ihrem Tode gesagt, und früher: „meine dritte Frau soll ein blühendes hübsches Mädchen sein.“ In diesen beiden Aeußerungen liegt vielleicht der Schlüssel zu dem grauenvollen Räthsel.