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Titel: Ein Pistolenschuß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 625–628
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[625]
Ein Pistolenschuß.
Aus den Erinnerungen eines russischen Officiers.

Das Garnisonsleben einer russischen Provincialstadt, die nicht einmal ein Theater, nicht einmal ein schlechtes, aufzuweisen vermag, ist, das dürfen Sie mir auf’s Wort glauben, ein höchst einförmiges, schaales: Morgens Exerciren, zwei Stunden Reitbahn, Mittags ein frugales Diner beim Regimentschef, oder gar bei einem elenden Restaurant, Abends endlich die Bowle und die Karten, voilà tout! Auch nicht eine einzige Familie gab’s da, die uns ihren gastfreien Schooß geöffnet hätte! Wir bekneipten – gestatten Sie mir gütig diesen etwas burschikosen Terminus – uns gegenseitig, und sahen von Gottes schöner Welt nichts weiter, als unsere grüne Uniform.

Ein einziges Wesen, das nicht zum Militär gehörte, schenkte uns seine Gesellschaft: ein Mann von etwa vierzig Jahren. Seine Erfahrung in mancherlei Dingen hatte ihm unter uns eine gewisse Autorität verschafft, seine scharfe Zunge aber, sein herbes Wesen übten auf die jungen Leute nicht eben vortheilhaften Einfluß. Es umgab ihn ein gewisses Dunkel: er sah aus wie ein echter Russe und trug doch ausländischen Namen; er hatte, wie er sagte, auch in der Armee gedient, weshalb er aber so zeitig schon den Dienst quittirte und sich in ein so traurig Nest, wie Wologda es ist, zurückgezogen, wo er ein ebenso kostspieliges, als langweiliges Leben zu führen genöthigt war, das sagte er nicht. Das Wetter mochte sein, wie es wollte, stets ging er zu Fuß, gehüllt in einen abgetragenen schwarzen Paletot. Uns Officieren hielt er offene Tafel – freilich gab’s nicht mehr, als zwei bis drei Schüsseln, die sein Leibdiener und Factotum mit sehr bescheidener Kunst bereitet, dafür gab’s aber zur Entschädigung seiner Gäste Burgunder oder Champagner stets in Ueberfluß. – Niemand kannte seine Vermögensverhältnisse, seine sonstigen Hülfsquellen, es getraute sich auch Keiner ihn darum zu befragen, das ließ sein kurzes Wesen gar nicht zu. Seine Bibliothek bestand größtentheils aus militärischen Werken, auch einigen Romanen Gogol’s und Turgenjeff’s, die er bereitwillig auslieh ohne sie jemals zurückzufordern, ebenso gab er selbst auch niemals ein geliehenes Buch zurück.

Seine einzige Beschäftigung bestand in Pistolenschießen, und die Wände seiner Zimmer sahen von den Spuren der Kugeln, die darin eingeschlagen, wie das Innere eines Bienenstockes aus. – Eine reiche Sammlung schöner, werthvoller Pistolen bildete den einzigen Schmuck dieser Gemächer, seine Sicherheit im Schießen war so groß, daß sich Jeder von uns ohne alles Bedenken hätte einen Apfel vom Epaulette schießen lassen. – So oft wir unter uns von Duellen sprachen, nie mischte Sylvio – so hieß er – sich in’s Gespräch, und fragte ihn Jemand, ob auch er sich schon geschlagen, so bejahte er kurz, ohne sich auf Weiteres einzulassen – man merkte es ihm an, die Frage war ihm lästig; wir waren alle darum der Meinung, sein Gewissen peinige ihn vielleicht, daß er einst seiner Fertigkeit ein blutiges Opfer gebracht habe. In keinem Falle hätte ihn einer von uns für feig gehalten, wie es denn Leute giebt, deren Aussehen überhaupt solchen Verdacht gar nicht aufkommen läßt. Aus diesem Grunde setzte uns ein Vorfall in nicht geringe Verwunderung.

Eines Abends nämlich speisten wir, unser Zehn etwa, bei Sylvio zu Nacht, es wurde wie gewöhnlich scharf getrunken, und nach Tisch ersuchte man unseren Wirth Bank zu legen. Er lehnte es anfangs höflich ab, doch gab er den Bitten seiner Gäste nach, und warf fünfzig Ducaten auf den Tisch, wir setzten uns im Kreise und das Spiel begann. Wie stets verharrte er auch heute beim Spiel in tiefem Schweigen, als ein äußerst nobler Spieler stritt er niemals, ließ sich aber auch nie auf eine Erklärung ein; hatte er sich einmal zum Nachtheil eines Pointeurs geirrt, so zahlte er ihm ohne Weigern aus, was jenem zukam; sein Guthaben an die Spieler notirte er mit Kreide auf den Tisch – das war uns Allen längst bekannt. Heute aber war ein junger Officier in der Gesellschaft, der, vor Kurzem erst zum Regiment gekommen, Sylvio und dessen Manieren noch nicht kannte. Der Neuling spielte zerstreut, er bog ein Paroli, verlor es – Sylvio ergriff seine Kreide, und notirte es auf den Tisch. Der Lieutenant stutzte, bat ihn um Erklärung, doch, wie gewöhnlich, taillirte Sylvio ruhig fort; der Lieutenant wischte nun die Notiz vom Tische ab. Mit größter Ruhe erneuerte sie jener.

[626] Vom Weine erhitzt, vom Spiel erregt und vom Gelächter der Cameraden geärgert, sich von Sylvio beleidigt wähnend, riß plötzlich der Lieutenant einen Leuchter vom Tisch und schleuderte ihn in blinder Hitze nach unserem Wirth; gewandt wich der dem Wurfe aus, doch bleich vor Zorn und flammenden Auges erhob er sich, indeß wir Alle verlegen schwiegen.

„Hinaus, mein Herr!“ rief er, „danken Sie Gott, daß das bei mir geschah!“ –

Der Lieutenant erhob sich gleichfalls, und mit den Worten: „Fühlen Sie sich gekränkt, Sylvio, so stehe ich Ihnen jeder Zeit zu Diensten,“ entfernte er sich.

Wir Alle zweifelten nun keinen Augenblick, daß dieser Auftritt blutige Folgen haben werde, und betrachteten unseren Cameraden schon als einen todten Mann. Kurze Zeit nur spielten wir noch fort, dann als wir sahen, unser Wirth sei nicht mehr bei der Sache, brachen wir auf und sprachen auf dem Heimweg von nichts Anderem, als von der Vacanz, die die Schwadron bald haben werde.

Am andern Morgern trafen wir uns in der Reitbahn und fragten uns: „ist der Lieutenant noch am Leben?“ Sieh! da kam er frisch und munter selbst! Zu unserem Staunen hatte er von Sylvio keine Botschaft erhalten.

Kopfschüttelnd besuchten wir diesen nun und fanden ihn im Hofe seines Hauses Kugel auf Kugel in ein Kartenblatt sendend, das er an der Stallthür angeheftet hatte. Gleichmüthigen Wesens empfing er uns, als ob nichts vorgefallen sei, und verlor kein Wort über das gestrige Zerwürfniß. Dies Benehmen that Sylvio in der Achtung der Officiere großen Abbruch, denn Mangel an persönlichem Muthe verzeiht die bewaffnete Macht, die diesen weit über alle anderen Tugenden setzt, am allerwenigsten; nach und nach vergaß sich aber die unangenehme Sache, und Sylvio erlangte seinen alten Einfluß, seine frühere Stellung in unserem Kreise wieder – ich allein vermochte mich nicht zu überwinden, in’s alte, trauliche Verhältniß wieder zu ihm zu treten. Früher hatte mich meine romantische Phantasie zu ihm hingezogen, der mir ein unenthülltes Räthsel erschien, und ich glaube, auch er hatte vor Anderen mich bevorzugt, denn gegen mich allein enthielt er sich der Sarkasmen, von denen er gegen meine Cameraden oft überströmte, mir hatte er auch stets größere Offenherzigkeit erwiesen.

Nach dem fatalen Vorfall aber verließ mich der Gedanke nicht mehr, seine Mannesehre sei nun befleckt! – ich konnte ihm nicht mehr frei wie sonst in’s Antlitz sehen. Sylvio hatte zu scharfe Augen das nicht zu bemerken, es schmerzte ihn, wie es schien, einige Male versuchte er eine Erklärung seines Verfahrens zu veranlassen – ich wich ihr aber aus, weil sie mir peinlich gewesen wäre, und so verzichtete er endlich darauf.

Bewohner großer, volkreicher Städte wissen gar nicht, welche Sensation das unbedeutendste Ereigniß in einer kleinen Stadt macht. So bringt die Ankunft des Postwagens schon die Bevölkerung einer kleinen Stadt in Alarm, und jeden Dienstag und Freitag war unsere Regimentscanzlei voll Offieiere, denn der eine erwartete Geld von Hause, der andere Briefe, der dritte Zeitungen, die bald Gemeingut waren und mit Begier verschlungen wurden, man erbrach die Siegel gewöhnlich auf der Stelle, und theilte seine Neuigkeiten den Cameraden mit. Sylvio erhielt in unserem Felleisen auch seine Correspondenz, und so erhielt er eines Tages einen Brief, den er voll Ungeduld erbrach. Seine Augen schossen Blitze, indem er ihn durchflog; da indessen jeder nur mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war, bemerkte dies Niemand außer mir.

„Meine Herren!“ rief er plötzlich mit lauter, erregter Stimme, „ich verlasse Sie noch diese Nacht, darum bitte ich, schenken Sie mir heute Mittag zum letzten Mal die Ehre Ihres Besuches! – Auch Sie, Herr Hauptmann,“ wandte er sich an mich, „erwarte ich mit Bestimmtheit.“ – Stumm verbeugte ich mich, er ging, und wir verließen das Bureau mit dem Versprechen, uns sämmtlich zu Mittag bei ihm einzufinden.

Zur rechten Stunde war ich dort und fand die Cameraden bereits versammelt. Wir gingen zu Tische, unser freundlicher Wirth, heute von fast nervöser Heiterkeit, steckte uns bald Alle mit seiner frohen Laune an, die Pfropfen sprangen, die Gläser füllten und leerten sich immer rascher, und allseitig wünschten wir dem Scheidenden Glück auf den Weg. Von jedem Gaste nahm Sylvio einzeln freundlichen Abschied, und als ich mich endlich auch empfehlen wollte, hielt er mich fest: „Ich bitte Sie, verweilen Sie noch einige Minuten, mit Ihnen habe ich noch allein zu reden!“

Ich blieb. In tiefem Schweigen saßen wir, unsere Tschibuk rauchend, auf seinem Divan; Sylvio’s Fröhlichkeit war verschwunden, tiefe Blässe bedeckte jetzt sein Antlitz, die Augen aber glühten durch die Wolken des Tabakrauches, die er von sich blies. So verflossen einige stumme Minuten, dann brach er endlich das Schweigen, das mir schon anfing peinlich, beängstigend zu werden.

„Zwischen uns Beiden bedarf’s der Aufklärung,“ begann er mit rauher, stockender Stimme; „der Anderen Meinung über mich kümmert mich wenig, Sie aber habe ich lieb und mag bei Ihnen keine falsche, üble Meinung hinterlassen. Sicherlich hat Sie’s befremdet, daß ich damals den Trunkenbold nicht, wie’s ihm gebührte, zur Rede stellte, nicht wahr? Das war wohl auch die Ursache, weshalb Sie sich von mir zurückgezogen? – Sehen Sie, Hauptmann, leicht könnt’ ich mein Verfahren auf Rechnung meiner Großmuth setzen, allein ich lüge nie! – Wär’ ich im Stande gewesen, ihn ohne jedes Risico von meiner Seite auf den Sand zu setzen, wäre mein eigen Leben ohne jegliche Gefahr dabei geblieben, ich hätte ihm wahrlich seines nicht geschenkt!“

Entsetzt beinahe von solcher zynischer Aufrichtigkeit starrte ich ihn an, ein solches Geständniß hatte ich nicht von ihm erwartet.

„Ich sehe Ihr Erstaunen,“ fuhr er fort, „ich aber mußte so handeln! Ich hatte kein Recht dazu, mein Leben auf’s Spiel zu setzen, denn vor sechs Jahren erhielt ich einen Backenstreich, und der mir ihn gab, ist noch am Leben.“

Mein Befremden wuchs.

„Sie haben nach einer solchen Beleidigung sich nicht geschlagen?“ frug ich ernst. „Trennte Sie ein unübersteigliches Hinderniß von Ihrem Feind?“

„O, wohl schlug ich mich, und hier ist der Beweis!“ Aus einer Schachtel nahm er eine alte Husarenmütze, gerade über der Stirn war sie durchlöchert. „Hören Sie weiter! Ich stand beim Czernomorischen Husarenregiment, war gewöhnt stets in Allem der Erste zu sein, und in meiner Jugend war’s guter Ton zu toben und zu lärmen, so war ich denn der ärgste Lärmer. Man pries damals die unverzagten Trinker, ich besiegte den tollen Dolgorucky, der um seine Völlerei besungen worden ist! – Duelle gab’s in unserem Regimente jeden Tag, bei jedem derselben war ich betheiligt, sei es als Kämpfer, sei es als Secundant, die Cameraden schätzten mich hoch, und unser Chef betrachtete mich als ein unheilbares Uebel, womit das Regiment behaftet sei. Ich ruhte bereits stolz auf diesem Lorbeer, als sich ein junger Graf zu unserem Corps versetzen ließ. In meinem ganzen Leben habe ich keinen vom Glück Begünstigteren gesehen! Jugend, Geist und Schönheit, großer Reichthum vereinten sich in ihm. Sie können sich denken, welche Stellung er bald in unserm Kreis erhielt! – Ich fühlte es, mein Thron begann zu wanken. Der Graf hörte bald überall meinen Namen nennen; war von einem lustigen, tollen Streich die Rede, ich war’s gewesen, der ihn ausgeführt; er wurde begierig, meine Bekanntschaft zu machen, er suchte meine Freundschaft, ich aber, eifersüchtig auf meinen präsumtiven Nachfolger im Renommée des Löwen, wies ihn kühl zurück. Lächelnd nahm er die Abweisung hin, ich aber, davon beleidigt, fing an ihn zu hassen. Ihn kümmerte das wenig, mich aber machte sein Erfolg bei den Cameraden, wie bei den Damen völlig rasend. Ich suchte Händel an ihm, aber er blieb kalt, erwiderte all meine Stachelreden mit noch witzigeren Bonmots und lachte mich aus, und was das Allerschlimmste für mich war, hatte alle andere Lacher auf seiner Seite. Endlich auf einem Balle, den ein Landedelmann der Umgegend unserer Garnison uns gab, konnte ich meinen Haß nicht länger meistern, ich sah auch hier ihn wieder als das verzogene, vorgezogene Schooßkind aller Damen, zumal der Frau vom Hause, der ich selbst zu Füßen lag, das stieß dem Faß den Boden aus, und ich raunte ihm in einer Quadrille eine brutale Beleidigung in’s Ohr. Die konnt’ er freilich mit einem Witzwort nicht vergelten und – schlug mich in’s Gesicht. Einige Damen fielen vor Schreck in Ohnmacht, man trennte uns und Beide verließen wir den Ball.

Mit Sonnenaufgang stand ich auf dem Kampfplatz, mit ungeduldiger Spannung den verhaßten Feind erwartend. Endlich kam er mit seinem Zeugen angeschlendert, die Uniform am Säbel über die Schulter tragend, aus seinem Käppi lustig, sorglos [627] Vom Weine erhitzt, vom Spiel erregt und vom Gelächter der Cameraden geärgert, sich von Sylvio beleidigt wähnend, riß plötzlich der Lieutenant einen Leuchter vom Tisch und schleuderte ihn in blinder Hitze nach unserem Wirth; gewandt wich der dem Wurfe aus, doch bleich vor Zorn und flammenden Auges erhob er sich, indeß wir Alle verlegen schwiegen.

„Hinaus, mein Herr!“ rief er, „danken Sie Gott, daß das bei mir geschah!“ –

Der Lieutenant erhob sich gleichfalls, und mit den Worten: „Fühlen Sie sich gekränkt, Sylvio, so stehe ich Ihnen jeder Zeit zu Diensten,“ entfernte er sich.

Wir Alle zweifelten nun keinen Augenblick, daß dieser Auftritt blutige Folgen haben werde, und betrachteten unseren Cameraden schon als einen todten Mann. Kurze Zeit nur spielten wir noch fort, dann als wir sahen, unser Wirth sei nicht mehr bei der Sache, brachen wir auf und sprachen auf dem Heimweg von nichts Anderem, als von der Vacanz, die die Schwadron bald haben werde.

Am andern Morgern trafen wir uns in der Reitbahn und fragten uns: „ist der Lieutenant noch am Leben?“ Sieh! da kam er frisch und munter selbst! Zu unserem Staunen hatte er von Sylvio keine Botschaft erhalten.

Kopfschüttelnd besuchten wir diesen nun und fanden ihn im Hofe seines Hauses Kugel auf Kugel in ein Kartenblatt sendend, das er an der Stallthür angeheftet hatte. Gleichmüthigen Wesens empfing er uns, als ob nichts vorgefallen sei, und verlor kein Wort über das gestrige Zerwürfniß. Dies Benehmen that Sylvio in der Achtung der Officiere großen Abbruch, denn Mangel an persönlichem Muthe verzeiht die bewaffnete Macht, die diesen weit über alle anderen Tugenden setzt, am allerwenigsten; nach und nach vergaß sich aber die unangenehme Sache, und Sylvio erlangte seinen alten Einfluß, seine frühere Stellung in unserem Kreise wieder – ich allein vermochte mich nicht zu überwinden, in’s alte, trauliche Verhältniß wieder zu ihm zu treten. Früher hatte mich meine romantische Phantasie zu ihm hingezogen, der mir ein unenthülltes Räthsel erschien, und ich glaube, auch er hatte vor Anderen mich bevorzugt, denn gegen mich allein enthielt er sich der Sarkasmen, von denen er gegen meine Cameraden oft überströmte, mir hatte er auch stets größere Offenherzigkeit erwiesen.

Nach dem fatalen Vorfall aber verließ mich der Gedanke nicht mehr, seine Mannesehre sei nun befleckt! – ich konnte ihm nicht mehr frei wie sonst in’s Antlitz sehen. Sylvio hatte zu scharfe Augen das nicht zu bemerken, es schmerzte ihn, wie es schien, einige Male versuchte er eine Erklärung seines Verfahrens zu veranlassen – ich wich ihr aber aus, weil sie mir peinlich gewesen wäre, und so verzichtete er endlich darauf.

Bewohner großer, volkreicher Städte wissen gar nicht, welche Sensation das unbedeutendste Ereigniß in einer kleinen Stadt macht. So bringt die Ankunft des Postwagens schon die Bevölkerung einer kleinen Stadt in Alarm, und jeden Dienstag und Freitag war unsere Regimentscanzlei voll Offieiere, denn der eine erwartete Geld von Hause, der andere Briefe, der dritte Zeitungen, die bald Gemeingut waren und mit Begier verschlungen wurden, man erbrach die Siegel gewöhnlich auf der Stelle, und theilte seine Neuigkeiten den Cameraden mit. Sylvio erhielt in unserem Felleisen auch seine Correspondenz, und so erhielt er eines Tages einen Brief, den er voll Ungeduld erbrach. Seine Augen schossen Blitze, indem er ihn durchflog; da indessen jeder nur mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war, bemerkte dies Niemand außer mir.

„Meine Herren!“ rief er plötzlich mit lauter, erregter Stimme, „ich verlasse Sie noch diese Nacht, darum bitte ich, schenken Sie mir heute Mittag zum letzten Mal die Ehre Ihres Besuches! – Auch Sie, Herr Hauptmann,“ wandte er sich an mich, „erwarte ich mit Bestimmtheit.“ – Stumm verbeugte ich mich, er ging, und wir verließen das Bureau mit dem Versprechen, uns sämmtlich zu Mittag bei ihm einzufinden.

Zur rechten Stunde war ich dort und fand die Cameraden bereits versammelt. Wir gingen zu Tische, unser freundlicher Wirth, heute von fast nervöser Heiterkeit, steckte uns bald Alle mit seiner frohen Laune an, die Pfropfen sprangen, die Gläser füllten und leerten sich immer rascher, und allseitig wünschten wir dem Scheidenden Glück auf den Weg. Von jedem Gaste nahm Sylvio einzeln freundlichen Abschied, und als ich mich endlich auch empfehlen wollte, hielt er mich fest: „Ich bitte Sie, verweilen Sie noch einige Minuten, mit Ihnen habe ich noch allein zu reden!“

Ich blieb. In tiefem Schweigen saßen wir, unsere Tschibuk rauchend, auf seinem Divan; Sylvio’s Fröhlichkeit war verschwunden, tiefe Blässe bedeckte jetzt sein Antlitz, die Augen aber glühten durch die Wolken des Tabakrauches, die er von sich blies. So verflossen einige stumme Minuten, dann brach er endlich das Schweigen, das mir schon anfing peinlich, beängstigend zu werden.

„Zwischen uns Beiden bedarf’s der Aufklärung,“ begann er mit rauher, stockender Stimme; „der Anderen Meinung über mich kümmert mich wenig, Sie aber habe ich lieb und mag bei Ihnen keine falsche, üble Meinung hinterlassen. Sicherlich hat Sie’s befremdet, daß ich damals den Trunkenbold nicht, wie’s ihm gebührte, zur Rede stellte, nicht wahr? Das war wohl auch die Ursache, weshalb Sie sich von mir zurückgezogen? – Sehen Sie, Hauptmann, leicht könnt’ ich mein Verfahren auf Rechnung meiner Großmuth setzen, allein ich lüge nie! – Wär’ ich im Stande gewesen, ihn ohne jedes Risico von meiner Seite auf den Sand zu setzen, wäre mein eigen Leben ohne jegliche Gefahr dabei geblieben, ich hätte ihm wahrlich seines nicht geschenkt!“

Entsetzt beinahe von solcher zynischer Aufrichtigkeit starrte ich ihn an, ein solches Geständniß hatte ich nicht von ihm erwartet.

„Ich sehe Ihr Erstaunen,“ fuhr er fort, „ich aber mußte so handeln! Ich hatte kein Recht dazu, mein Leben auf’s Spiel zu setzen, denn vor sechs Jahren erhielt ich einen Backenstreich, und der mir ihn gab, ist noch am Leben.“

Mein Befremden wuchs.

„Sie haben nach einer solchen Beleidigung sich nicht geschlagen?“ frug ich ernst. „Trennte Sie ein unübersteigliches Hinderniß von Ihrem Feind?“

„O, wohl schlug ich mich, und hier ist der Beweis!“ Aus einer Schachtel nahm er eine alte Husarenmütze, gerade über der Stirn war sie durchlöchert. „Hören Sie weiter! Ich stand beim Czernomorischen Husarenregiment, war gewöhnt stets in Allem der Erste zu sein, und in meiner Jugend war’s guter Ton zu toben und zu lärmen, so war ich denn der ärgste Lärmer. Man pries damals die unverzagten Trinker, ich besiegte den tollen Dolgorucky, der um seine Völlerei besungen worden ist! – Duelle gab’s in unserem Regimente jeden Tag, bei jedem derselben war ich betheiligt, sei es als Kämpfer, sei es als Secundant, die Cameraden schätzten mich hoch, und unser Chef betrachtete mich als ein unheilbares Uebel, womit das Regiment behaftet sei. Ich ruhte bereits stolz auf diesem Lorbeer, als sich ein junger Graf zu unserem Corps versetzen ließ. In meinem ganzen Leben habe ich keinen vom Glück Begünstigteren gesehen! Jugend, Geist und Schönheit, großer Reichthum vereinten sich in ihm. Sie können sich denken, welche Stellung er bald in unserm Kreis erhielt! – Ich fühlte es, mein Thron begann zu wanken. Der Graf hörte bald überall meinen Namen nennen; war von einem lustigen, tollen Streich die Rede, ich war’s gewesen, der ihn ausgeführt; er wurde begierig, meine Bekanntschaft zu machen, er suchte meine Freundschaft, ich aber, eifersüchtig auf meinen präsumtiven Nachfolger im Renommée des Löwen, wies ihn kühl zurück. Lächelnd nahm er die Abweisung hin, ich aber, davon beleidigt, fing an ihn zu hassen. Ihn kümmerte das wenig, mich aber machte sein Erfolg bei den Cameraden, wie bei den Damen völlig rasend. Ich suchte Händel an ihm, aber er blieb kalt, erwiderte all meine Stachelreden mit noch witzigeren Bonmots und lachte mich aus, und was das Allerschlimmste für mich war, hatte alle andere Lacher auf seiner Seite. Endlich auf einem Balle, den ein Landedelmann der Umgegend unserer Garnison uns gab, konnte ich meinen Haß nicht länger meistern, ich sah auch hier ihn wieder als das verzogene, vorgezogene Schooßkind aller Damen, zumal der Frau vom Hause, der ich selbst zu Füßen lag, das stieß dem Faß den Boden aus, und ich raunte ihm in einer Quadrille eine brutale Beleidigung in’s Ohr. Die konnt’ er freilich mit einem Witzwort nicht vergelten und – schlug mich in’s Gesicht. Einige Damen fielen vor Schreck in Ohnmacht, man trennte uns und Beide verließen wir den Ball.

Mit Sonnenaufgang stand ich auf dem Kampfplatz, mit ungeduldiger Spannung den verhaßten Feind erwartend. Endlich kam er mit seinem Zeugen angeschlendert, die Uniform am Säbel über die Schulter tragend, aus seinem Käppi lustig, sorglos [628] fromm? Fast möcht’ ich fürchten, daß mich zu Haus ein Unglück erwarte!‘ Ich lachte sie aus, und indem ich neben ihr herritt und ihr Pferd am Zügel führte, erreichten wir das Schloß. Da bemerk’ ich eine fremde Droschke auf dem Hofe, ich frage, wem sie angehört, und man sagt mir, ein Herr, der seinen Namen nicht habe nennen wollen, erwarte mich hier im Cabinet. Ich begab mich zu ihm. In dieser Ecke saß ein bestaubter, langbärtiger Mann, forschend betracht’ ich ihn.

‚Du kennst mich wohl nicht mehr, Herr Graf?‘

‚Sylvio!!‘ – Ich gesteh’s, meine Haare sträubten sich empor.

‚Ich bin nun an der Reihe!‘ knurrte er, ein Pistol aus seinem Kasten ziehend, ‚bist Du jetzt bereit?‘ Stumm neige ich mein Haupt, sein Recht ihm zuerkennend, messe zehn Schritte ab, stelle mich in jene Ecke und bitte ihn, rasch zu enden, ehe meine Gattin wiederkehren könne.

‚Ich kann nicht deutlich sehen, laß erst Lichter kommen.‘

Ich klingelte, man brachte das Verlangte. Ich stellte mich zum zweiten Mal an meinen Platz. Er zielt – ich zählte die Secunden. Nach einer Minute etwa – mir däuchte sie ein Jahrhundert – sagt er: ‚Nein, das gefällt mir nicht! Ich bin es nicht gewohnt, auf Unbewaffnete zu schießen, d’rum fangen wir von vorne wieder an! Komm’, ziehen wir um den ersten Schuß!‘

Mein Kopf verwirrte sich, ich glaube, daß ich mich anfangs sträubte, daß wir zwei Zettel aus seiner von mir durchschossenen Mütze zogen – ich hatte wiederum den ersten Schuß.

‚Du hast ein teufelmäßiges Glück, mein lieber Graf!‘ sagte er mit einem Lächeln, das ich nie vergessen werde; dann – ich weiß nicht, wie’s geschah – ich schoß und traf statt meines Gegners hier dies Bild.“

Des Grafen Antlitz war purpurroth geworden, das der Gräfin leichenblaß.

„Nun erhob Sylvio sein Pistol,“ fuhr der Graf fort, „und dies Mal, das sagte mir seine Miene, hatt’ ich keine Schonung von ihm zu erwarten. Mit einem Male springt die Thür auf, und Nadejda stürzt mit einem Schrei an meine Brust. Ihre Gegenwart gab mir die Besinnung wieder, ich breche in ein helles Gelächter aus: ‚Kleine Thörin,‘ sagte ich, ‚siehst Du nicht, daß wir nur spaßen? Es gilt ’ne Wette. Wie kann man nur so furchtsam sein? He! trink’ ein Glas Wasser, dann komm wieder, daß ich Dir einen alten Freund vorstellen kann.‘

Sie sah mich angstvoll, zweifelnd an. ‚Mein Herr, bei Ihrer Seele Seligkeit beschwör’ ich Sie,‘ wandte sie sich an Sylvio, ‚ist’s wirklich nur ein Spaß?‘

‚Versteht sich, schöne Gräfin,‘ höhnt sie Sylvio, ‚lauter Spaß! Wir Beide haben’s in Gewohnheit mit einander Spaß zu treiben. Eines schönen Abends schlug Ihr Herr Gemahl mich in’s Gesicht – aus Spaß! Das andere Mal schoß er mir eine Kugel durch die Mütze – auch aus Spaß! Heut’, wiederum aus Spaß, fehlt mich sein Schuß zum zweiten Male, dort sitzt die Kugel, die er mir bestimmte, in dem Bilde! Jetzt aber will ich auch ’mal spaßen!‘

Bei diesen Worten hebt er wieder sein Pistol zur Höhe meines Herzens. Da wirft mit lautem Schrei Nadejda weinend sich zu seinen Füßen.

‚Schämst Du Dich nicht?‘ ruf’ ich bei diesem Anblick ihm zu, ‚schieß, mach’ ein Ende!‘

‚Nein,‘ sagt er und setzt den Hahn in Ruhe, ‚ich hab’ Dich zittern sehen – Du fürchtest den Tod!‘

Damit wandte er sich zur Thür, auf der Schwelle aber dreht er sich nach dem Gemälde hin, spannt den Hahn, und ohne erst zu zielen, gab er Feuer. Daß ich an seiner Sicherheit nicht zweifeln möge, hatte er seine Kugel auf die meine drauf gesetzt. Meine Leute wagten nicht ihn aufzuhalten, in stummem Schrecken ließen sie ihn ziehen. Sylvio habe ich nicht wieder gesehen, er hatte wieder Dienst genommen und ist, wie ich höre, in Sebastopol gefallen.“