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Autor: Sophie Hoechstetter
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Titel: Ein Mutterlied
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aus: Vielleicht auch Träumen. Verse. S. 46–47
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Müller
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Erscheinungsort: München und Leipzig
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Quelle: Princeton-USA* = Commons
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EIN MUTTERLIED

Wir dachten einst, was in uns lebt,
Kommt uns erhöht noch in den Kindern wieder
Gleich einem Rausch, der nimmer stirbt –
Wir dachten einst, die Welle, die uns hebt,

5
Stürmt fort in ihnen, wie die hohen Lieder,

Mit denen uns die Liebe wirbt.
Uns trug die Welle einer Leidenschaft,
Uns trug der Freiheit und des Willens Kraft,
Wir wollten voll Inbrunst und frohem Schrecken

10
Titanenseelen erwecken. – – – – –

– – – – – – – – – – –
Mein kleiner Niels, der freit die reiche Braut –
Mein kleiner Frank ist Pfründenhüter worden –
Und aus den Augen meiner Tochter schaut
Die Selbstsucht, die gewinnt an allen Orten –

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Und meine Jüngste, über deren Bett

Einst meine ersten Witwentränen flossen,
Ist eine Tänzerin und tanzt vor dem Parkett
Beethovens Trauermarsch, den Leidgenossen,
Denselben, den sie an dem Tage spielten,

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Als sie die Erde auf das Grab dir wühlten.

– – – – – – – – – – –
Oh alle sind sie „gut“
Und alle tragen Ehre
An ihrem Namen –

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Sind mein Blut

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Und sind die von mir kamen

Aus Todesschwere

     Meine Seele wollt’ ich ihnen verschenken,
     Meine Seele und dein Angedenken
     Du Freund –

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     Dein Gepräge und meines sollten sie tragen,

     Unsre Herzen sollten in ihnen schlagen,
     Wenn die Grabeserde sich über uns bräunt.

Ja – sie sind alle recht und gut,
Sie, die wurden aus unserem Blut,

35
Und alle tragen geehrte Namen,

Doch als wir beide zusammen kamen,
Da glaubten wir, Erlöser zu zeugen,
Oder doch solche, die unter sich beugen
Alles was klein und niedrig ist.

40
Nun sind sie alle Fremde geworden,

Keiner trägt einen Ritterorden
Und keiner den Alltag vergißt –
Von denen, welchen das Leben ich gab.
Wenn ich zu ihnen gehe,

45
Wenn ich sie sehe,

Ist mir, als stünd’ ich vor unserem Grab.