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Titel: Ein Maler im Kaukasus
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aus: Daheim, 4. Jg. (1867/68), Nr. 7, S. 107–109
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Velhagen & Klasing
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Erscheinungsort: Bielefeld / Berlin
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Quelle: Google und Commons
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Kunst und Künstler.
III. Ein Maler im Kaukasus.

Im Jahre 1853 zog Paul Franken, bis dahin ein Mitglied der Düsseldorfer Malerschule hinaus in die Fremde. Sein Ziel war kein naheliegendes, nicht dasjenige, wohin es die Künstler seit vielen Decennien lockt, nicht Italiens gesegnete Fluren, nein, das seinige schweifte von der gewöhnlichen Straße der Künstlerreisen weit, weit ab, es ging dahin, wo wohl noch selten der Fuß eines Malers gewandert, über die Grenzen Europas hinaus: zum Kaukasus.

Ein schönes Ziel, wonach gewiß so mancher schon getrachtet, seit die Tapferkeit Schamyls, des nun gefangenen Löwen, der Welt gezeigt, was Mannesmuth zu leisten vermag. Wo gäbe es für den Pinsel des Malers, für seine Phantasie ein reicheres Feld, als eben da, wo die Natur in Form und Gestaltung, in zauberischer Schönheit und gigantischer Schroffheit einen so gewaltigen Wechsel bietet! Zu der Großartigkeit der Natur kommen die Menschen, die sie bewohnen. Von den herrlichen Gestalten der Georgier bis zu den tartarischen Kumyken, mit allen ihren Eigenthümlichkeiten, in ihren durchweg malerischen Kostümen, — welch ein bunter Wechsel! Der weiße Burnus der Tscherkessen, der Grusier leuchtendes, kriegerisches Gewand, von blitzenden, oft edelsteingeschmückten Waffen gehoben, der Kaftan der Armenier, der bunte Mantel der Kurden — wohin das Auge sich wendet, immer wird es aus reichen Farbenschmuck treffen!

Es war freilich für den Künstler nicht leicht, die tausend Schwierigkeiten zu überwinden, die sich ihm von allen Seiten beim Eintritte und Vordringen aus dem gänzlich fremden Boden entgegenstellten. Aber „dem Muthigen gehört die Welt“. Die kaum geahnten wunderbaren Scenerien entschädigten ihn für die Strapazen und manches zu erduldende Ungemach. Mit jeder Skizze, die er seiner Mappe einverleibte, mehrte sich der Schatz, mit dem er, zu Bildern gestaltet, viele Herzen erfreuen sollte. Dazu sollte sein anfangs planloses Umherschweifen bald einen Zweck erhalten, der ihm den Boden unter den Schritten befestigte und ihm die Mittel gab, alle Verhältnisse des eigenthümlichen Berglandes genau kennen zu lernen.

Der russische Staatsrath, Graf Salagub, der im Auftrage seiner Krone ein umfangreiches Werk über die blutigen Kämpfe der Russen im Orient zusammenstellte, hatte Kenntniß von der Anwesenheit des deutschen Malers erhalten. Auf seine Veranlassung erhielt Franken den Auftrag, zu jenem Werke alle denkwürdigen Schlachtfelder zu zeichnen. Mit dieser Thätigkeit trat der Künstler unter den unmittelbaren Schutz der den Kaukasus beherrschenden russischen Macht, und es ist einleuchtend, welche unendliche Vortheile ihm derselbe in jeder Beziehung gewähren mußte. Offene Reisebriefe an hervorragende Officiere der vorgeschobenen Militärkommandos, Empfehlungen an die Gouverneure der größeren und kleineren Paschaliks, welche ihm gastliche Aufnahme bewirkten, Reisen in Gesellschaft militärischer Inspectoren und seine eigenen Streifzüge unter Bedeckung eines muthigen Kosacken, der ihm zugleich als Diener beigegeben war, — das alles sicherte ihn vor Mangel und mancher drohenden Gefahr.

Bald genug wurden ihm seine europäischen Kleider eine Last, oder sie hinderten ihn vielmehr in dem freien Verkehr mit den Eingeborenen; und wie er sich bemühte, die Sprache der einzelnen Völkerschaften in allen ihren abweichenden Dialecten zu erfassen, so entschloß er sich, um ganz in die Eigenthümlichkeiten ihres Lebens einzudringen, auch dazu, ihre Tracht anzulegen. So trug er bald das Gewand der Tscherkessen, bald das der Kurden oder der Turkomannen übliches Obergewand, dazu die Filzmütze des Armeniers, den Turban des Tschetschenischen oder die lange Pelzmütze des Tartaren. — Von da ab fiel er weniger auf, wenn er, was nicht selten geschah, auf öffentlichen Straßen und Plätzen eine interessante Gruppe zeichnete, während ihn früher in solchen Fällen ganze Scharen Neugieriger umstanden, so daß ihm oft sogar sein Kosack die Zudringlichen, die ihm die Aussicht ganz verdeckten, abwehren mußte. Denn nachdem er an den wilden Reizen der Natur sich gesättigt, kam er auf den „länderverbindenden Straßen“ auch in die Hauptstädte der verschiedenen Gouvernements. In Folge seines Auftrages kam er sogar noch über den Kaukasus hinaus, in das schönste Land Vorderasiens, in die

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blühenden Gefilde Grusiens. Dort fesselte ihn vor allem das alte Tiflis mit seinem reichen Leben im Handelsverkehr zwischen Europa und Asien, im Zusammenfluß zahlloser Völkerschaften. Die zauberischen Gärten mit der üppigen Vegetation, belebt durch den Flor der wunderholden Frauenwelt, der Reiz der klaren Mondnächte jener Stadt, in der die Lieder des Hafis und Mirza-Schaffys ertönten, welche die Schönheit der Stätte verherrlichten — das alles fesselte unsern Künstler, so daß sich viele Blätter seiner Mappen und manches Plätzchen seiner liebsten Erinnerung füllte.

Aber ein noch viel bunteres Leben entfaltete sich vor ihm, als er einige Zeit darauf, in Gesellschaft des Flügeladjutanten des Kaisers, Graf Tscherkow, in das alte ehemalige persische Eriwan einzog. — Diese Stadt wurde im letzten russisch-persischen Kriege von dem General Paskewitsch mit Sturm genommen, doch hat sie in ihrer Unterwerfung durch Rußland nichts eingebüßt in dem großen Verkehr mit allen Völkern des Kaukasus; dieser wurde vielmehr erst recht gehoben, da Eriwan, an der Hauptstraße gelegen, welche das Gebirgsland durchschneidet, der Knotenpunkt des an- und abziehenden Militärs und der Sitz eines Gouverneurs wurde. — In jener Zeit war gerade der Krimkrieg entbrannt und die Durchzüge der verschiedenartigsten Truppen machten die Stadt zwar sehr interessant, aber auch wieder so geräuschvoll, daß Franken den ersten Aufenthalt daselbst auf eine kurze Zeit beschränkte, um sich vom Fieber und den schweren Reisestrapazen zu erholen. Der Gouverneur, bei dem er wohnen sollte, war abwesend, und obgleich er bei dem Prinzen von Sayn-Wittgenstein die gastlichste Aufnahme fand, so eilte er doch bald in die asiatische Türkei, wo er seinen Studien ungestört nachgehen wollte. Der gewaltige Ararat, der den ganzen Umkreis von Eriwan beherrscht, fesselte ihn auf diesem Ausfluge; es war Herbstzeit und der majestätische, weltberühmte Bergkegel ragte vom Fuß bis in seinen ewigen Eisgipfel klar und scharf in das wolkenlose Blau des Firmaments, was zu anderen Jahreszeiten selten der Fall ist, wo dichte Wolkenmassen ihn als Gürtel umschweben oder Dunstschleier sein herrliches Haupt verhüllen.

Das nächste Ziel war Bagadzid. Theils zu Wagen, theils zu Roß, in Gesellschaft einer ganzen Cavalcade von hohe Officieren, Beys und anderen Großen der Eingeborenen, die von 100 Mann Eskorte gedeckt waren, wurde die Reise zurückgelegt.

In Bagadzid wurden des Künstlers Erwartungen in mancher Beziehung etwas herabgestimmt, denn diese Stadt, die freilich eine große Vergangenheit hat, besteht meist aus elenden Hütten und Trümmern, von räuberischen Kurden und Armeniern bewohnt. Nur die gewaltige Natur hielt ihn schadlos für manche Enttäuschung. — Vor der Stadt, weit in die Steppe vorgeschoben, erhebt steh auf mächtigen Felsenterrassen die Festung, die aber keineswegs als uneinnehmbar gelten kann. In der eigentlichen Stadt herrscht Schmutz und Verfall, was sich auf das hinter ihr gelegene, einst mit allem Perserluxus erbaute Schloß erstreckt. Dieses Schloß, einst der Sitz der erblichen Paschas von Bagadzid, zeigt nur noch in seiner Bauart und im Innern hier und da einen matten Nachschimmer der früheren Pracht, zu deren Herstellung alle Künstler und Meister des Orients einst herbeigerufen wurden. Die Stadt wurde von russischen, persischen und türkischen Truppen in kurzen Zwischenräumen zerstört, und doch gewährt sie noch ca. 18,000 Menschen ein elendes Obdach.

Nach langem Umherstreifen kam Franken wieder nach Eriwan zurück, und nun beutete er den reichen Vorrath an malerischen Momenten und Situationen gründlich aus, den das bunte Gewirr dieser Stadt in unversieglicher Fülle ihm darbot. Vor allem war der Bazar der Brennpunkt seiner Beobachtungen, da, wo sein Auge auf den Schätzen der ganzen Levante ruhte. Die prachtvollen Waffen, Geschirre, Kostüme, die lebensvollen Gruppen der Käufer, die lebendige Begier der Verkäufer, die unvergleichliche Augenweide der aufgethürmten Trauben und Früchte lockten ihn immer von neuem in die Flut des Verkehrs hinein, aus der er sich schließlich nur schwer losriß.

Wir können den muthigen Künstler nicht auf allen seinen Zügen begleiten, doch wollen wir noch erwähnen, daß er im ganzen acht Jahre im Kaukasus verweilte und daß er die Aufgabe, der er sich aus freiem Drange seiner Seele hingab, bis zum vollen Abschluß seiner Studien auf das glücklichste löste. Mit einem wahren Bienenfleiße hat er die Sitten und Gebräuche der verschiedenen Racen jenes Landes, ihre Wohnungen, die Thiere der Wildniß, die Vegetation, die gewaltigen Linien der Gebirges mit seinen wilden Bergströmen und den ernsten Seen — alles hat er mit getreuem Kunstsinn aufgezeichnet. Im Jahre 1861 kehrte er, mit malerischen Schätzen beladen und an Erfahrungen reich, zurück. Seit dieser Zeit erfreut er in reicher Folge die Kunstfreunde mit seinen farbigen, fremdartigen und darum so interessanten Bildern, die er bald aus dem Bereiche von Tiflis, von Eriwan, vom Ararat oder von einer anderen reichen Gegend des Kaukasus entnommen.

Der Fülle der Reisestudien des Künstlers verdanken wir auch unser heutiges Bild. Es versetzt uns in das Innere einer georgischen Wohnung, und zwar in die eines eingeborenen Fürsten, in der freilich von dem Luxus einer europäischen Fürstenresidenz nichts zu erblicken ist. Der Krieg, der die Familien trennt, hat auch hier seinen Machtruf erschallen lassen, und der Künstler läßt uns theilnehmen an dem Abschiede, den der Mann von seinem Weibe, den der Vater von seinen Kindern nimmt. — Nicht im Innern des eigenen Landes lodert diesmal die Kriegsfackel empor; nach der Krim hin und an die Grenzen des osmanischen Reiches entbietet der mächtige Czar seine Heere, und zu diesen zählt auch, als längst von seinem weitreichenden Scepter unterworfen, der georgische Stamm. — In der ungestümen Innigkeit, mit welcher der scheidende Fürst sein jüngstes Kind, seinen Erben, an sich preßt, mit der das Töchterchen sich an ihn schmiegt, in der starren Ruhe des hingekauerten Weibes spricht es sich beredt aus, welch ein Schmerz alle Glieder dieser kleinen Familie erfaßt hat. — Die Diener mit den muthigen Rossen, mit den windschnellen Hunden, stehen am Eingange und sehen bewegt dem Abschied zu, — noch ein Augenblick, dann fliegen die flinken Renner dahin über die dampfende Fläche und in die Hütte des Fürsten zieht Einsamkeit und die wehmüthige Sehnsucht eines treuen Frauengemüthes. Dann werden zu der Laute ihre traurigen Lieder ertönen, wodurch sie das ungestüme Klopfen ihres Herzens und die Fragen der nach dem Vater verlangenden Kleinen beschwichtigt. — Ob er wiederkehren wird aus dem schweren Kampf um Leben und Tod, um Länderfrage und Besitzrecht? — Er wird fechten wie ein Mann, die Erinnerung an seine fernen Lieben wird die Streiche seines Schwertes gewaltiger machen, denn er weiß, daß er sich für sie erhalten muß. Wer aber kann sagen, ob er nicht doch vor den Wällen von Kars sein Leben lassen muß, ob nicht eine Türkenkugel alle seine Hoffnungen auf die Heimkehr und das Wiedersehen vernichten wird?

Werfen wir noch einen Blick in das Innere der Hütte, so sehen wir, daß sie nur mit dem Notdürftigsten, was das Leben erfordert, ausgestattet ist. Das Hauptmöbel ist die divanartige Erhöhung, auf der die Fürstin kauert. Dieser Divan ist die Ruhe- und Schlafstätte, der Speisetisch, der Platz für Besuche, für die Arbeit — kurz für alles. Für die jüngeren Familienglieder ist noch als ein gewisser Luxus eine mit reichem Schnitzwerk versehene Wiege vorhanden. Einiges Geschirr zum Kochen, ein Kohlenbecken zum Wärmen der kalten Glieder, eine Schlummerrolle — das ist die ganze Ausstattung des fürstlichen Salons, und es wird die schlichteste europäische Bürgerfrau nicht begreifen können, wie man mit einer so dürftigen Einrichtung auskommen kann. — Wie bei den meisten georgischen Wohnungen, so sind auch hier außer den Stallungen keine Nebenräume vorhanden. Aber dasselbe Licht des Himmels, das bei uns seinen Schein durch helle Fensterscheiben ergießt, fällt auch dort, wenn auch nur von oben, in schwachen Strahlen in den kleinen Raum, und dort wie hier, — wacht und waltet über den Palästen wie über den Hütten der Menschen Gottes Auge und Gottes Liebe.


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Aufbruch eines georgischen Fürsten zum Krieg. Nach einem Bilde von Paul Franken.